Instanzenzug: Az: 5 Ni 2/20 (EP) Urteil
Tatbestand
1Der Beklagte ist Inhaber des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 514 909 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom angemeldet worden ist und ein Lamellenfenster betrifft.
2Patentanspruch 1, auf den zwölf weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:
Lamellenfenster (1) umfassend einen Fensterrahmen (4) aus Innenelementen (5) und Außenelementen (6), die durch thermisch isolierende Verbindungsleisten (7, 8) miteinander verbunden sind, und in den Fensterrahmen (4) verschwenkbar eingesetzte Lamellen (2, 3), wobei der Schwenkvorgang über im Fensterrahmen (4) untergebrachte Ritzel (19) und in Längsrichtung verschiebbare Zahnstangen (20) erfolgt und die Ritzel (19) über Achszapfen im Fensterrahmen (4) drehbar gehalten sind, wobei die Ritzel (19) zu den Lamellen (2, 3) gerichtete Innenzapfen (26) haben, die in Öffnungen (33) einer zwischen den Innenelementen (5) und Außenelementen (6) eingeclipsten Verbindungsleiste (9) eingesetzt sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Ritzel (19) axial nach außen gerichtete Außenzapfen (16) aufweisen, die in Bohrungen (18) in den inneren zwischen Innen- und Außenelementen (5, 6) liegenden Verbindungsleisten (8) eingesetzt sind.
3Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und die Erfindung sei nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Zudem gehe der Gegenstand des Schutzrechts über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
4Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der das Patent wie erteilt und hilfsweise in einer geänderten Fassung verteidigt.
Gründe
5Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
6I. Das Streitpatent betrifft ein Lamellenfenster.
71. Nach der Beschreibung des Streitpatents besteht ein Lamellenfenster aus einem Fensterrahmen, in den Lamellen verschwenkbar eingesetzt sind. Die Verschwenkung der Lamellen erfolgt über im Fensterrahmen untergebrachte und über Achszapfen drehbar gehaltene Ritzel und in Längsrichtung verschiebbare Zahnstangen.
8Bislang bekannte Lamellenfenster, wie sie etwa in der deutschen Patentanmeldung 198 06 123, in der europäischen Patentanmeldung 399 130 (NK6), in dem deutschen Patent 197 24 404 und in dem europäischen Patent 1 484 469 (NK7) beschrieben seien, wiesen einen relativ aufwendigen Antrieb der Lamellen auf, der viel Raum beanspruche.
9Aus dem europäischen Patent 1 128 018 (NK5) sei ein Lamellenfenster bekannt, das der hier vorliegenden Art entspreche.
102. Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das technische Problem, ein Lamellenfenster bereitzustellen, bei dem die Montage der Antriebsvorrichtung einfach möglich und zugleich eine sichere Stellmechanik der Lamellen gewährleistet ist.
113. Das Streitpatent schlägt hierzu in Patentanspruch 1 eine Vorrichtung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
1. Lamellenfenster, umfassend
2. einen Fensterrahmen (4) aus Innenelementen (5) und Außenelementen (6), die durch thermisch isolierende Verbindungsleisten (7, 8) miteinander verbunden sind,
3. in den Fensterrahmen (4) verschwenkbar eingesetzte Lamellen (2, 3),
4. wobei der Schwenkvorgang über im Fensterrahmen (4) untergebrachte Ritzel (19) und in Längsrichtung verschiebbare Zahnstangen (20) erfolgt,
5. die Ritzel (19) sind über Achszapfen im Fensterrahmen (4) drehbar gehalten,
6. die Ritzel (19) haben zu den Lamellen (2, 3) gerichtete Innenzapfen (26),
7. die Innenzapfen sind in Öffnungen (33) einer zwischen den Innenelementen (5) und Außenelementen (6) eingeclipsten Verbindungsleiste (9) eingesetzt,
8. die Ritzel (19) weisen axial nach außen gerichtete Außenzapfen (16) auf,
9. die Außenzapfen (16) sind in Bohrungen (18) in den inneren zwischen Innen- und Außenelementen (5, 6) liegenden Verbindungsleisten (8) eingesetzt.
124. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung:
13a) Nach Merkmal 2 umfasst das Lamellenfenster einen Fensterrahmen, der aus Innen- und Außenelementen besteht, die durch thermisch isolierende Verbindungsleisten miteinander verbunden sind.
14Der Fensterrahmen muss geeignet sein, verschwenkbare Lamellen aufzunehmen. Weitere Vorgaben hinsichtlich der Form oder Dimensionierung des Fensterrahmens sind Patentanspruch 1 nicht zu entnehmen.
15b) Sowohl die in Merkmal 2 genannten Verbindungsleisten wie auch diejenige, die in Merkmal 7 angesprochen ist, verbinden jeweils Innen- und Außenelemente des Fensterrahmens, in den Lamellen verschwenkbar eingesetzt sind.
16Das Außenelement befindet sich nach dem Einbau des Fensters an der Außenseite des Gebäudes, das Innenelement an der Gebäudeinnenseite.
17In dem Ausführungsbeispiel nach den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 7 und 8 sind diese Verbindungsleisten zwischen den Innen- und Außenelementen des Fensterrahmens mit den Bezugszeichen 7, 8 und 9 bezeichnet.
18Die Figur 8 zeigt darüberhinaus auch Verbindungsleisten (15) zwischen dem Lamelleninnenelement (13) und dem Lamellenaußenelement (14). Die Gestaltung der Lamelle und des Lamellenrahmens ist jedoch nicht Gegenstand von Anspruch 1. Dieser befasst sich abgesehen von der Erwähnung der Lamellen in Merkmal 3 nur mit dem Fensterrahmen und der Anordnung der Ritzel in diesem Rahmen.
19c) Nach Merkmal 4 sind das oder die Ritzel und die in Längsrichtung verschiebbaren Zahnstangen, durch die die Verschwenkung der Lamellen bewirkt wird, im Fensterrahmen untergebracht.
20Vorgaben dazu, an welcher Stelle im Rahmen die Ritzel angebracht sind oder wie sie in den Rahmen eingeführt werden, enthält Patentanspruch 1 nicht.
21Im Ausführungsbeispiel nach Figuren 7 und 8 befinden sich Ritzel und Zahnstange in einem als Aufnahmerille (31) bezeichneten Teil des Fensterrahmens.
22d) Die Auffassung der Berufung, unter einem Ritzel im Sinne von Patentanspruch 1 sei nur ein viertelkreisförmiger Zahnradabschnitt zu verstehen, trifft nicht zu.
23aa) Der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, ist unter Heranziehung der den Patentanspruch erläuternden Beschreibung und Zeichnungen durch Auslegung zu ermitteln. Was sich hieraus als geschützter Gegenstand ergibt, ist eine Rechtsfrage (st. Rspr., etwa , BGHZ 171, 120 Rn. 18 - Kettenradanordnung I). Daraus ergibt sich, dass der Anregung der Berufung, zur Ermittlung des Inhalts von Patentanspruch 1 ein Sachverständigengutachten einzuholen oder den Beklagten zu vernehmen, nicht zu folgen ist.
24Welche subjektiven Vorstellungen der Erfinder und Patentanmelder mit der Patentanmeldung verband, ist entgegen der Ansicht der Berufung für die Auslegung des erteilten Patents nicht relevant. Es kommt allein darauf an, was ein Fachmann durchschnittlichen Wissens und Könnens aus der Patentschrift entnehmen musste (, GRUR 1955, 244, 245 zu I - Repassiernadel I; Benkard/Scharen, PatG, 12. Aufl., § 14 Rn. 69 mwN).
25bb) Zwar trifft der Hinweis der Berufung zu, dass das Streitpatent in den Figuren 3 und 5 bis 8 jeweils einen viertelkreisförmigen Zahnradabschnitt zeigt.
26Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erlaubt jedoch ein Ausführungsbeispiel regelmäßig keine einschränkende Auslegung eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs (, GRUR 2008, 779 Rn 34 - Mehrgangnabe).
27cc) Das Argument der Berufung, das Streitpatent knüpfe ausdrücklich an NK5 an, in der nur ein viertelkreisförmiger Zahnradabschnitt als Antriebselement gezeigt sei, greift nicht durch.
28Im Unterschied zur Beschreibung der NK5 (dort Abs. 7) enthält die Beschreibung des Streitpatents keinen Hinweis darauf, dass dem Begriff Ritzel, der im allgemeinen technischen Sprachgebrauch ein Zahnrad bezeichnet, in Patentanspruch 1 eine eingeschränkte, auf einen viertelkreisförmigen Zahnradabschnitt bezogene Bedeutung zukommt. Unter diesen Umständen genügt die Anknüpfung an NK5 in Abs. 5 der Beschreibung nicht, um ein engeres Verständnis des Gegenstands des Streitpatents, insbesondere des Begriffs Ritzel zu begründen.
29dd) Aus Abs. 16 der Beschreibung des Streitpatents ergibt sich nichts anderes. Entgegen der Behauptung der Berufung ist dieser Beschreibungsstelle nicht zu entnehmen, dass die Ritzel ein Verschwenken nur um 90° zulassen. Vielmehr ist dort lediglich vermerkt, dass die Ritzel ein Verschwenken um 90° zulassen. Diese Bedingung erfüllen auch ein halbkreisförmiger Zahnradabschnitt oder ein vollständiges Zahnrad.
30ee) Die Berufung zeigt auch nicht auf, dass der mit dem Streitpatent angestrebte technische Erfolg nur mit einem viertelkreisförmigen Zahnradabschnitt erreicht werden kann.
31Der Einsatz eines über einen Viertelkreisausschnitt hinausgehenden Zahnrads für den Antrieb der Lamellen mag gewisse Nachteile mit sich bringen, weil es - bei gleicher Größe für den Bauraum - einen kleineren Radius, mithin ungünstigeren Hebel bietet. Technisch ausgeschlossen ist er jedoch nicht.
32ff) Aus der Stellungnahme des Prüfers im europäischen Prüfungsverfahren (B1), die im Nichtigkeitsverfahren als Indiz dafür heranzuziehen sein kann, wie der Fachmann den Gegenstand des Patents versteht (, BGHZ 211, 1 Rn. 39 - Pemetrexed I), ergibt sich nichts anderes.
33B1 ist nicht zu entnehmen, dass die einfachere Montage des Ritzels darauf zurückzuführen ist, dass als Ritzel ein viertelkreisförmiger Zahnradabschnitt Verwendung findet. Nach B1 ergibt sich dieser technische Effekt vielmehr daraus, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 - anders als die im Prüfungsverfahren als D1 bezeichnete NK5 - ein Ritzel umfasst, das einen axial nach außen gerichtete Außenzapfen aufweist, der in die Bohrung einer zwischen Innen- und Außenelement liegenden Verbindungsleiste eingesetzt wird.
34e) Nach Merkmalen 6 und 8 haben die Ritzel sowohl einen zu den Lamellen gerichteten Innenzapfen als auch einen nach außen gerichteten Außenzapfen. Über diese Zapfen sind sie drehbar im Fensterrahmen gehalten. Aus der Bezeichnung als Achszapfen ergibt sich, dass die Zapfen auf der Drehachse des Ritzels liegen.
35Wie sich aus Merkmalen 7 und 9 ergibt, müssen diese Zapfen so gestaltet sein, dass sie in Öffnungen bzw. in Bohrungen von Leisten eingesetzt werden können, die Innen- und Außenelement des Fensterrahmens verbinden.
36Weitere Vorgaben hinsichtlich der Gestaltung der Zapfen macht Patentanspruch 1 nicht.
37II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
38Der Gegenstand von Patentanspruch 1 habe für den Fachmann, einen Ingenieur oder Bachelor der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung in der material- und bautechnischen Konzeption oder konstruktiven Umsetzung von Lamellenfenstern, ausgehend von der deutschen Offenlegungsschrift 10 2004 059 930 (NK10) nahegelegen.
39Aus NK10 sei ein Lamellenfenster bekannt, das die Merkmale 1 bis 6 und die Merkmale 8 und 9 aufweise. Merkmal 7, wonach die Innenzapfen der Ritzel in Öffnungen einer zwischen Innen- und Außenelementen eingeclipsten Verbindungsleiste eingesetzt seien, sei dort nicht vollständig offenbart. NK10 zeige einen einstückig mit dem Antriebselement ausgebildeten Bereich, der als Innenzapfen anzusehen sei. Dieser greife in ein Brückenelement, das nicht geclipst, sondern verschraubt sei.
40Der Fachmann, der stets danach strebe, die Montage solcher Fenster einfacher zu gestalten, stoße bei der Suche nach entsprechenden Lösungen auf die europäische Patentschrift 1 128 018 (NK5). Die dort beschriebenen Lamellenfenster wiesen Ritzel mit einem Innenzapfen auf, die zur Halterung in Öffnungen einer zwischen den Innen- und Außenelementen des Fensterrahmens befindlichen, eingeclipsten Verbindungsleiste eingesetzt seien, statt verschraubt zu werden.
41Angesichts der erheblichen Übereinstimmungen zwischen den in NK10 und NK5 beschriebenen Lamellenfenstern habe es für den Fachmann nahegelegen, die in NK10 vorgesehene, dort als Befestigungselement bezeichnete Verbindungsleiste nicht mit dem Fensterrahmen zu verschrauben, sondern zu verclipsen. Dies erspare Montagezeit und vermeide Fehlerquellen.
42Auf die weiteren Nichtigkeitsgründe, auf die die Klägerin nach dem qualifizierten Hinweis nicht mehr zurückgekommen sei, komme es danach nicht an.
43III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug stand.
441. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 wird durch keine der als Stand der Technik vorgelegten Entgegenhaltungen vollständig vorweggenommen.
45a) Die in Abs. 5 des Streitpatents erwähnte NK5 beschreibt ein Lamellenfenster mit einem äußeren rechteckigen Rahmen, in dem Lamellen schwenkbar angeordnet sind.
46aa) Die Figuren 1 und 2 zeigen ein Ausführungsbeispiel mit zwei Lamellen im Längsschnitt:
47Der Fensterrahmen (1) besteht aus Innenelementen (5) und Außenelementen (6), die durch thermisch isolierende Profilleisten (7) miteinander verbunden sind. In diesen Fensterrahmen sind schwenkbare Lamellen (4) eingesetzt (Abs. 1). Die Ritzel sind als Viertel-Ausschnitte von Zahnrädern ausgebildet (Abs. 7).
48Wie aus der nachstehenden Figur 5 der NK5 ersichtlich, nehmen die seitlichen Streben des Fensterrahmens in einer Aufnahmerinne (32) eine Zahnstange (19) und mit dieser in Eingriff stehende Ritzel (20) auf. Die Aufnahmerinne ist mit einer Öffnung (33) versehen, die zur Lamelle gerichtet ist. Nach dem Einführen des Ritzels in die Aufnahmerinne wird diese Öffnung durch ein Klippsprofil (34) verschlossen. In das Klippsprofil ist eine Bohrung (46) eingebracht, welche die Drehwelle (35) des Ritzels aufnimmt. Der Rahmen der Lamelle (4) wird durch eine Schraube (36) mit der Drehwelle verbunden (Abs. 16).
49bb) Die in NK5 beschriebene Vorrichtung offenbart die Merkmale 1 bis 7.
50cc) Dagegen sind die Merkmale 8 und 9 nicht offenbart.
51Wie die oben wiedergegebenen Figuren verdeutlichen, ist an dem Ritzel (20) nur zur Lamelle hin ein als Drehwelle (35) bezeichneter Zapfen ausgebildet. In die Gegenrichtung weist das Ritzel keinen Zapfen auf.
52b) Auch NK10 nimmt den Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht vollständig vorweg.
53aa) NK10 beschreibt ein Lamellenfenster, bei dem in einem rechteckigen Außenrahmen ein oder mehrere, ihrerseits jeweils in einem rechteckigen Rahmen angeordnete Fenster drehbar gelagert angeordnet sind (Abs. 2).
54NK10 erläutert den Aufbau eines solchen Lamellenfensters am Beispiel der nachstehend wiedergegebenen einzigen Figur.
55Der Außenrahmen (10) besteht aus äußeren und inneren Metallrahmenprofilen (16, 18), die durch wärmeisolierende Stege aus Kunststoff (20, 22) miteinander verbunden sind. Entsprechende Stege (68) verbinden auch die äußeren und inneren Metallrahmenprofile (64, 66) des Lamellenrahmens (62).
56Die Metallrahmenprofile (16, 18) bestehen ihrerseits jeweils aus zwei Teilen (26, 28 und 30, 32), die durch Schrauben miteinander verbunden sind (Abs. 6 f.).
57Die näher zu den Lamellen hin angeordneten Teile (28 und 32) weisen nach innen gerichtete Stirnwände auf, an denen durchlaufende hinterschnittene Nuten (38, 40) angeordnet sind, die Bürsten-Dichtelemente (42, 44) aufnehmen.
58NK10 zufolge bestehen die die äußeren und inneren Metallrahmenprofile des Außenrahmens und des Fensterrahmens der Lamelle verbindenden wärmeisolierenden Stege bislang aus thermoplastischem Kunststoff, dessen Funktionalität und Integrität gefährdet sei, wenn er über längere Zeit hohen Temperaturen ausgesetzt sei (Abs. 2 und 11). Vor diesem Hintergrund schlägt NK10 zusätzliche, die inneren und äußeren Metallprofile überbrückende und an diesen befestigte Brückenelemente vor, die aus einem hitzebeständigen Material mit geringer Wärmeleitfähigkeit bestehen, etwa aus Vinylester mit Flammschutzzusatz und Glasfaserverstärkung. Die oben wiedergegebene Figur zeigt ein solches Brückenelement (72) zum Schutz der Verbindungsstege des Außenrahmens und ein weiteres (74) zum Schutz des Verbindungsstegs des Lamellenfensterrahmens. Nach der Beschreibung des Ausführungsbeispiels sind diese Brückenelemente mit den Metallprofilen des Rahmens verschraubt (Abs. 12).
59Im Außenrahmen ist ein Isolierglasfenster (46) um eine Drehachse (70) drehbar gelagert. Die Drehbewegung wird durch ein Antriebselement (76) bewirkt, bei dem es sich zufolge der Beschreibung üblicherweise um ein Zahnrad handelt, das mit einer verschiebbaren Zahnstange kämmt (Abs. 15).
60bb) Damit sind Merkmale 1 bis 3 vorweggenommen.
61cc) Entgegen der Auffassung der Berufung ist auch Merkmal 4 offenbart.
62(1) Dem steht nicht entgegen, dass NK10 ein herkömmliches Zahnrad als Antriebselement nennt. Wie oben ausgeführt wurde, ist Patentanspruch 1 nicht auf Ritzel beschränkt, die als viertelkreisförmiger Zahnradabschnitt ausgebildet sind.
63(2) Anders als die Berufung meint, ist das Ritzel im Fensterrahmen untergebracht.
64Wie sich aus der Beschreibung ergibt, besteht der Fensterrahmen aus zwei Seitenteilen (12, 14). Diese bestehen aus zwei Metallprofilen (16, 18), die wiederum jeweils aus zwei Teilen (26, 28 und 30, 32) bestehen (Abs. 6 f.).
65Das als Antriebselemente dienende Zahnrad (76) ist in dem Ausführungsbeispiel in dem von diesen Profilen umschlossenen Raum untergebracht.
66dd) Auch Merkmale 5, 6 und 8 sind offenbart.
67Wie sich aus der oben wiedergegebenen Figur ergibt, weist das als Antriebselement (76) dienende Zahnrad beidseits ein abgesetztes Ende der Achse auf, das eine drehbare Lagerung des Ritzels ermöglicht. Damit hat das Ritzel einen nach außen und einen nach innen weisenden Achszapfen.
68ee) Merkmal 9 ist ebenfalls offenbart.
69Der oben wiedergegebenen Figur ist zu entnehmen, dass der nach außen weisende Zapfen des Zahnrads in das mit dem Bezugszeichen 72 bezeichnete Brückenelement eingesetzt ist, das die wärmeisolierenden Verbindungsstege (22, 20) vor großer Hitzeeinwirkung schützen soll.
70Auch wenn dies in NK10 nicht ausdrücklich beschrieben ist, ergibt sich aus der Figur und der Funktion dieser Brückenelemente, dass sie sich über die gesamte Länge der Metallrahmenprofile erstrecken müssen und, abgesehen von Öffnungen, in die die Achse des Zahnrads eingesetzt werden kann, geschlossen sind. Aus der Beschreibung ergibt sich zudem, dass die Brückenelemente mit den die Innen- und Außenelemente des Außenrahmens bildenden Metallprofilen verschraubt sind (Abs. 12). Damit handelt es sich bei diesen Brückenelementen um Leisten, die Innen- und Außenelement des Fensterrahmens verbinden.
71Der Figur ist ferner zu entnehmen, dass dieses Brückenelement (72) eine Öffnung aufweist, in die der nach außen weisende Achszapfen des Antriebselements eingreift.
72ff) Dagegen fehlt es an einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung von Merkmal 7.
73NK10 ist nicht zu entnehmen, dass der nach innen, zur Lamelle weisende Achszapfen des Zahnrads in eine Leiste eingesetzt ist, die Innen- und Außenelemente des Außenrahmens miteinander verbindet. Eine solche Verbindungsleiste ist weder in der Beschreibung der NK10 erwähnt noch in deren Figur dargestellt. Diese Figur lässt lediglich erkennen, dass der zur Lamelle weisende Achszapfen durch die nach innen gerichteten, aufeinander zulaufenden Stirnwände der Metallprofilteile (28 und 32) reicht.
742. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war jedoch zum Prioritätszeitpunkt durch den Stand der Technik nahegelegt.
75a) Ob sich der Gegenstand einer Erfindung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist eine Rechtsfrage, die mittels wertender Würdigung der tatsächlichen Umstände zu beurteilen ist, die - unmittelbar oder mittelbar - geeignet sind, etwas über die Voraussetzungen für das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen (st. Rspr., etwa , BGHZ 166, 305 - vorausbezahlte Telefongespräche).
76Danach geht die Auffassung der Berufung, das Patentgericht habe das Beweismaß für die mangelnde Patentfähigkeit des Streitpatents verkannt und ein Bestreiten des Beklagten nicht angemessen gewürdigt, schon im Ansatz fehl. Ist die Beurteilung der Patentfähigkeit eine Rechtsfrage, ist ferner der Anregung der Berufung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachzugehen (vgl. dazu auch Rn. 87).
77b) Zu Recht hat das Patentgericht NK10 als geeigneten Ausgangspunkt angesehen.
78Nach der Rechtsprechung des Senats bedarf es konkreter Umstände, die dem Fachmann im Prioritätszeitpunkt Veranlassung gaben, eine bestimmte Entgegenhaltung als Ausgangspunkt seiner Überlegungen heranzuziehen. Diese Rechtfertigung liegt in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns, für einen bestimmten Zweck eine bessere oder andere Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt (, GRUR 2017, 148 Rn. 43 - Opto-Bauelement).
79Das Patentgericht hat eine solche Veranlassung in Bezug auf NK10 zu Recht mit der Begründung angenommen, dass sie ein Lamellenfenster betrifft, das einen Fensterrahmen aus Innen- und Außenelementen sowie in den Fensterrahmen eingesetzte, verschwenkbare Lamellen umfasst, die durch im Fensterrahmen angebrachte Ritzel angetrieben werden. Der Umstand, dass NK10 sich insbesondere mit dem Problem einer hinreichenden Hitzebeständigkeit einer solchen Vorrichtung beschäftigt, steht dem, anders als die Berufung meint, nicht entgegen.
80c) Eine nähere Befassung mit der NK10 legte es nahe, zwischen den nach innen weisenden Schenkeln der Metallprofile 28 und 32 eine thermisch isolierende Verbindungsleiste vorzusehen und diese so zu gestalten, dass sie eingeclipst werden kann.
81Insoweit bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der einschlägige Fachmann einen akademischen Abschluss hat oder ob es sich auch um einen Techniker oder Meister des betreffenden Fachgebiets handeln kann.
82Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit den Parteien erörtert wurde, ist es fachüblich, die inneren und äußeren, aus Metall bestehenden Elemente eines Fensters zur Vermeidung von Wärmebrücken durch thermisch isolierende Elemente zu verbinden.
83Dies wird durch den im Rechtsstreit diskutierten Stand der Technik belegt, etwa durch die Beschreibung der NK5 (Abs. 12), der europäischen Patentanmeldung 1 484 469 (NK7, siehe Abs. 3), der europäischen Patentanmeldung 477 955 (NK8, siehe Abtract und Sp. 1 Z. 5 bis 11) und der deutschen Offenlegungsschrift 198 47 888 (Sp. 1 Z. 35 bis 39). Dort ist jeweils beschrieben, dass der Fensterrahmen aus äußeren und inneren Elementen besteht, die durch thermisch isolierende Komponenten miteinander verbunden sind. Aus fachlicher Sicht kam es auch nicht in Betracht, den zwischen den nach innen weisenden Metallteilen verbleibenden Raum offen zu lassen, da dies der Stabilität abträglich wäre und Schmutz und Feuchtigkeit in das Rahmeninnere dringen könnten.
84Vor diesem Hintergrund lag es nahe, diese beiden Teile durch eine thermisch isolierende Leiste zu verbinden und nur dort Öffnungen vorzusehen, wo die in Richtung der Lamelle weisenden Achszapfen des Zahnrads durchtreten müssen.
85Eine nähere Befassung mit der NK5 legte es nahe, die dort offenbarte Verbindung durch ein eingeclipstes Profil für Vorrichtungen nach dem Vorbild der NK10 zu nutzen. Wie das Patentgericht zutreffend entschieden hat, ergab sich aus dem Bestreben, eine solche Verbindungsleiste zeitsparend zu montieren und Fehlerquellen zu vermeiden, ein Anlass, aus der NK5 den Vorschlag zu übernehmen, die Metallteile und die Verbindungsleiste so zu gestalten, dass die Verbindungsleiste zwischen Innen- und Außenelement des Fensterrahmens eingeclipst werden kann. NK5 gab darüber Auskunft, wie die Metallteile und die Verbindungsleiste gestaltet werden müssen, um ein Einclipsen der Leiste zu ermöglichen.
86IV. Die Berufung der Beklagten hat auch insoweit keinen Erfolg, als sie das Patent in der Fassung des Hilfsantrags verteidigt.
871. Nach diesem Hilfsantrag wird Patentanspruch 1 um folgende Merkmale ergänzt (Änderungen hervorgehoben).
1. Lamellenfenster, umfassend
2. einen Fensterrahmen (4) aus Innenelementen (5), die aus einem Rechteck-Hohlprofil (60) bestehen, an das integral ein weiteres Hohlprofil (61) rechteckiger Form und eine freie Wand (64) mit einem zum Außenelement (6) gerichteten Längsprofil anschließen, und Außenelementen (5) aus Rechteck-Hohlprofilen (70), welche mit einem Ausleger (71) versehen sind, der den Längsspalt (62) des Innenelements (5) überragt, wobei die Elemente (5, 6) durch thermisch isolierende Verbindungsleisten (7, 8) miteinander verbunden sind,
3. in den Fensterrahmen (4) verschwenkbar eingesetzte Lamellen (2, 3),
4. wobei der Schwenkvorgang über im Fensterrahmen (4) untergebrachte Ritzel (19) in Gestalt von Viertelausschnitten von Zahnrädern und in Längsrichtung verschiebbare Zahnstangen (20) erfolgt,
5. die Ritzel (19) sind über Achszapfen im Fensterrahmen (4) drehbar gehalten,
6. die Ritzel (19) haben zu den Lamellen (2, 3) gerichtete Innenzapfen (26),
7. die Innenzapfen sind in Öffnungen (33) einer an den Rändern der Innenelement (5) und Außenelement (6) eingeclipsten und den Montagespalt verschließenden Verbindungsleiste (9) eingesetzt,
8. die Ritzel (19) weisen axial nach außen gerichtete Außenzapfen (16) auf,
9. die Außenzapfen (16) sind in Bohrungen (18) in den inneren zwischen Innen- und Außenelementen (5, 6) liegenden Verbindungsleisten (8) eingesetzt.
882. Die Verteidigung des Streitpatents mit dem erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hauptantrag ist unzulässig.
89a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents in geänderter Fassung in der Regel nicht mehr als sachdienlich im Sinne von § 116 Abs. 2 PatG angesehen werden, wenn der Beklagte dazu bereits in erster Instanz Veranlassung hatte. Ein solcher Anlass zur zumindest hilfsweise beschränkten Verteidigung kann sich daraus ergeben, dass das Patentgericht in seinem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis mitgeteilt hat, dass nach seiner vorläufigen Auffassung der Gegenstand des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen dürfte (, GRUR 2020, 974 Rn. 33 - Niederflurschienenfahrzeug).
90b) Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Eine Verteidigung mit dem Hilfsantrag war bereits durch den Hinweis des Patentgerichts vom veranlasst.
91Das Patentgericht hat darin mitgeteilt, nach seiner vorläufigen Einschätzung sei der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 durch den Stand der Technik nahegelegt. Dies gelte unabhängig davon, ob als Ausgangspunkt der Bemühungen des Fachmanns NK10 oder NK5 angesehen werde.
92Nach diesem Hinweis war der Beklagte gehalten, das Streitpatent mit einem Hilfsantrag zu verteidigen, wenn aus seiner Sicht dadurch den vom Patentgericht mitgeteilten Bedenken Rechnung getragen werden konnte.
93Entgegen der Darstellung der Berufung war dem Hinweis zu entnehmen, dass das Patengericht auch ein (volles) Zahnrad als Ritzel ansah. Dies ergibt sich daraus, dass das Patentgericht in seinem Hinweis in Bezug auf NK10 lediglich eine Offenbarung von Merkmal 7 verneint hat.
94Für nähere Ausführungen zur Auslegung des Begriffs "Lamellenfenster" bestand unter Berücksichtigung des beiderseitigen Vortrags zum Zeitpunkt der Abfassung des qualifizierten Hinweises kein Anlass.
95Vor diesem Hintergrund ist die erstmalige Stellung des Hilfsantrags in der Berufungsinstanz nicht sachdienlich.
96V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140324UXZR38.22.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-66349