BGH Beschluss v. - 2 StR 119/23

Betrug zu Lasten einer privaten Krankenversicherung bei Antrag auf Kostenerstattung nicht beglichener Rechnungen

Gesetze: § 263 Abs 1 StGB, § 192 Abs 1 VVG

Instanzenzug: Az: 106 KLs 5/16

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in fünfzehn Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus zwei Urteilen vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Es hat ausgesprochen, dass zwei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Außerdem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 25.155,54 Euro angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3Der Angeklagte, ein Arzt, ist seit dem privat krankenversichert. Am wurde er bei einem Unfall am Oberschenkel verletzt. Diese Verletzung machte er sich zunutze, um unberechtigt Leistungen des privaten Krankenversicherers in Anspruch zu nehmen.

4Unter Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seines Hausarztes beantragte der Angeklagte Zahlungen bei seinem Versicherer. Das landgerichtliche Urteil nennt sieben Anträge des Angeklagten, von denen diejenigen in den Fällen II.4 bis II.7 der Urteilsgründe dasselbe Antragsdatum vom tragen. Für den Zeitraum vom bis bezog der Angeklagte von seinem Versicherer Krankentagegeld in Höhe von insgesamt 19.046,40 Euro, obwohl er tatsächlich nicht arbeitsunfähig, sondern in seiner Praxis ärztlich tätig war. Der Angeklagte wusste, dass ein Anspruch aus der Krankentagegeldversicherung nur bei vorübergehend vollständiger Arbeitsunfähigkeit begründet gewesen wäre.

5Für den Zeitraum vom bis zum (Fälle II.8 bis II.15 der Urteilsgründe) beantragte der Angeklagte außerdem die Erstattung von Kosten für physiotherapeutische Leistungen, die ihm von seinem Physiotherapeuten in Rechnung gestellt worden waren. Auf diese Rechnungen zahlte der Angeklagte insgesamt 6.538 Euro. Obwohl er die übrigen Rechnungen nicht beglich, beantragte er bei seinem Versicherer eine Kostenerstattung in Höhe von 12.436,48 Euro.

6In den Fällen II.4 bis II.7 der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten wegen Betruges in vier tatmehrheitlichen Fällen verurteilt, weil nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherers Krankentagegeld nur zu zahlen sei, wenn ein Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen entstanden sei. In den Fällen II.8 bis II.15 der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten wegen Betruges in sieben tatmehrheitlichen Fällen für schuldig befunden. Nach § 192 Abs. 1 VVG sei der Versicherer nur insoweit verpflichtet, Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen zu erstatten, als der Versicherungsnehmer Leistungen tatsächlich erbracht habe.

II.

7Die Revision ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet.

81. In den Fällen II.4 bis II.7 der Urteilsgründe erweist sich die konkurrenzrechtliche Bewertung als rechtsfehlerhaft.

9Das Landgericht hat bei der Ermittlung der für den Betrug maßgeblichen Täuschungshandlungen zum Nachteil des Versicherers nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte in allen vier Fällen Ansprüche unter demselben Datum geltend gemacht hat. Hat der Angeklagte die Erstattung mehrerer Rechnungen am gleichen Tag beantragt, so liegt nahe, dass er zeitgleich mehrere Rechnungen mit einem Erstattungsantrag eingereicht hat. Dann läge nur eine Täuschungshandlung vor, also eine Tat im Rechtssinne (vgl. , NZWiSt 2019, 442, 443).

102. In den Fällen II.8 bis II.15 der Urteilsgründe ist schon nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte den objektiven Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB erfüllt hat.

11Das Landgericht hat übersehen, dass es für die Frage der Fälligkeit eines gegen den Versicherer gerichteten Anspruchs gemäß § 192 Abs. 1 VVG nicht auf die Ausgleichung einer Rechnung ankommen musste. Vielmehr konnte der auf Erstattung von Aufwendungen gerichtete Anspruch des Angeklagten gegen seinen Versicherer fällig sein, wenn der Angeklagte als Versicherungsnehmer die von ihm geforderten Nachweise erbracht, d.h. Belege über die entstandenen Kosten beigebracht hatte, ohne dass die Zahlung der Rechnung nachgewiesen werden musste (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2016, 669 Rn. 36 mwN). Lagen dem Versicherungsvertrag die Musterbedingungen für die private Krankenversicherung (MB/KK 2009) zugrunde, war die Begleichung der Arztrechnung durch den Versicherungsnehmer nicht vertragliche Voraussetzung für die Auszahlung der Versicherungsleistungen oder deren Fälligkeit. Zwar war dann der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag auf Ersatz von Aufwendungen gerichtet. Eine Aufwendung in diesem Sinne ist aber in der privaten Krankenversicherung als Passivenversicherung nicht erst eine Zahlung, sondern bereits die Eingehung einer Verbindlichkeit (, BGHZ 154, 154, 157 f.; LG Paderborn, Urteil vom – 4 O 94/17, juris Rn. 14; Marschner, in: Tamm/Tonner/Brönnecke, Verbraucherrecht, 3. Aufl., § 17b Krankenversicherung Rn. 156). Ein Aufwendungsersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer ist somit bereits dann gegeben, wenn der Anspruch des Leistungserbringers gegen ihn entstanden ist; den Nachweis, dass die belegten Rechnungen auch bereits bezahlt wurden, braucht der Versicherungsnehmer hingegen nicht zu führen (vgl. OLG Köln, VersR 2010, 379, 380; OLG Nürnberg, VersR 2017, 220, 221; Schubach, in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 6 MB/KK Rn. 5; vgl. auch Voit, in: Prölls/Martin, VVG, 31. Aufl., § 192 Rn. 128).

12Da das Landgericht keine näheren Feststellungen zu den dem Vertragsverhältnis des Angeklagten zu seinem Versicherer zugrundeliegenden Bedingungen getroffen hat, ist weder ein betrugsrelevanter Irrtum des Versicherers noch ein Vermögensschaden belegt.

133. Die Schuldsprüche haben mithin sowohl in den Fällen II.4 bis II.7 der Urteilsgründe als auch in den Fällen II.8 bis II.15 der Urteilsgründe keinen Bestand.

14Der Senat entscheidet insoweit auf der Grundlage des § 354 Abs. 2 StPO. Dass der Generalbundesanwalt in den Fällen II.8 bis II.15 der Urteilgründe gemäß § 349 Abs. 4 StPO beantragt hat, den Angeklagten freizusprechen, hindert eine Entscheidung des Senats nach § 354 Abs. 2 StPO nicht. Ein Freispruch des Angeklagten kommt in den Fällen II.8 bis II.15 der Urteilsgründe entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Zuschrift nicht in Betracht. Unabhängig davon, ob Allgemeine Versicherungsbedingungen, die den Aufwendungsersatzanspruch des Versicherungsnehmers von seiner Vorleistung an den Leistungserbringer abhängig machten, wirksam wären, hat das Landgericht in den Fällen II.8 bis II.15 der Urteilsgründe keine tragfähigen Feststellungen zu den sonstigen Voraussetzungen eines fälligen Anspruchs des Angeklagten gegen den Versicherer getroffen (vgl. Gramse, in: Marlow/Spuhl, BeckOK VVG, 22. Edition [Stand: ], § 192 VVG Rn. 47). Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass der neue Tatrichter Feststellungen treffen wird, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges rechtfertigen.

15Die Urteilsaufhebung in den Fällen II.4 bis II.15 der Urteilsgründe schließt die Aufhebung der dafür verhängten Einzelstrafen ein. Dies zwingt zur Aufhebung der Gesamtstrafe und der Kompensationsentscheidung. Der Einziehungsentscheidung ist ebenfalls die Grundlage entzogen, soweit sie sich auf die in den Fällen II.4 bis II.15 der Urteilsgründe erlangten Geldbeträge bezieht. Auch sie unterliegt mithin in diesem Umfang der Aufhebung. Zugleich hebt der Senat gemäß dem Antrag des Generalbundesanwalts die zugehörigen Feststellungen mit Ausnahme der die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten betreffenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130324B2STR119.23.0

Fundstelle(n):
wistra 2024 S. 2 Nr. 8
wistra 2024 S. 466 Nr. 11
YAAAJ-66338