BGH Beschluss v. - IX ZA 17/23

Instanzenzug: OLG Celle Az: 2 W 67/23vorgehend Az: 20 O 2/20

Gründe

I.

1Der Antragsteller begehrt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der A.                     GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde in einem Kostenfestsetzungsverfahren.

2Die Kläger stellten der Unternehmensgruppe G.                 , hinter welcher der Beklage zu 2 stand, Kapital zu Anlagezwecken zur Verfügung. Die Schuldnerin, die zuvor als D.            GmbH firmierte, war ebenso wie die Beklagten zu 4 und 5 Teil dieser Unternehmensgruppe. Die Kläger zu 1 und 2 haben die Schuldnerin auf Rückzahlung und Schadensersatz in Anspruch genommen, der Kläger zu 3 den Beklagten zu 2, die Kläger zu 6 und 7 die Beklagte zu 4 und die Kläger zu 4 und 5 zunächst die frühere Beklagte zu 3, die Kläger zu 3 bis 7 insoweit jeweils zusätzlich gesamtschuldnerisch die Schuldnerin.

3Am nahmen die Kläger zu 4 und 5 ihre Klage gegen die Beklagte zu 3 zurück und erhoben Klage gegen die Beklagte zu 5. Mit Beschluss vom wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Am stellte das Landgericht fest, dass das Verfahren gegen die Schuldnerin gemäß § 240 ZPO seit dem unterbrochen sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am wurde über die Anträge der Kläger gegen die Beklagten zu 2, 4 und 5 verhandelt. Mit Teil- und Versäumnisurteil vom , berichtigt durch Beschluss vom , verurteilte das Landgericht den Beklagten zu 2 zur Zahlung an den Kläger zu 3, die Beklagte zu 4 zur Zahlung an die Kläger zu 6 und 7 und die Beklagte zu 5 zur Zahlung an die Kläger zu 4 und 5. In diesem Urteil legte das Landgericht die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3 den Klägern zu 4 und 5 auf und behielt die weitergehende Kostenentscheidung dem Schlussurteil vor.

4Mit Schriftsatz vom nahmen die Kläger die Klage gegenüber dem Beklagten zu 1 als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wieder auf und kündigten unter anderem die Stellung von Feststellungsanträgen zur Insolvenztabelle an. Nach Durchführung eines weiteren Termins zur mündlichen Verhandlung am entsprach das Landgericht mit Schlussurteil vom , berichtigt durch Beschluss vom , den Feststellungsanträgen und legte die "weiteren Kosten des Rechtsstreits" den Beklagten zu 1, 2, 4 und 5 als Gesamtschuldner auf. Die Berufung des Beklagten zu 1, mit der er keine Einwendungen gegen die Kostenentscheidung in dem Schlussurteil vom erhob, wurde vom Oberlandesgericht mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

5Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom setzte das Landgericht die von den Beklagten zu 1, 2, 4 und 5 als Gesamtschuldner an die Kläger zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf der Grundlage eines Streitwerts von 260.000 € fest. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 1, mit der er geltend machte, dass der Streitwert gemäß § 182 InsO nach dem Betrag zu bestimmen sei, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die zur Insolvenztabelle festzustellende Forderung zu erwarten sei, setzte das Landgericht den Streitwert auf 13.000 € fest. Mit weiterem Beschluss vom setzte das Landgericht den Streitwert auf 260.000 € bis zum Eingang des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den Beklagten zu 1 am fest und für die Zeit danach auf 13.000 €.

6Der Beklagte zu 1 hat sodann die Auffassung vertreten, dass die nach einem Streitwert von 260.000 € zu bemessende Terminsgebühr für den Termin zur mündlichen Verhandlung am ihm nicht auferlegt werden könne, weil der Rechtsstreit zu diesem Zeitpunkt im Verhältnis zur Schuldnerin nach § 240 ZPO unterbrochen gewesen sei. Mit der Kostengrundentscheidung im Urteil vom seien ihm lediglich die weiteren Kosten des Rechtsstreits seit der Wiederaufnahme des Prozesses auferlegt worden, so dass für die mündliche Verhandlung vom eine Terminsgebühr auf der Grundlage eines Streitwerts von nur 13.000 € entstanden sei.

7Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II.

8Das Beschwerdegericht hat gemeint, dass die Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 ZPO erfüllt seien, weil eine unterschiedliche Beteiligung der Streitgenossen am Verfahren vorgelegen habe. Diese sei gegeben, wenn nicht wegen aller Streitgenossen eine mündliche Verhandlung oder eine Beweisaufnahme erforderlich sei. Voraussetzung für eine unterschiedliche Verteilung der Kosten bei Streitgenossen nach § 100 Abs. 2 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren sei aber, dass diese im Tenor der Kosten(grund-)entscheidung ausdrücklich angeordnet sei. Hieran fehle es vorliegend.

9Eine Anwendung von § 100 Abs. 3 ZPO scheide demgegenüber aus, weil diese Vorschrift nur eingreife, wenn ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht habe. Dies könne der Fall sein, wenn nur einer von mehreren Beklagten durch seine Verteidigungsanzeige die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und die Entstehung einer Erörterungsgebühr veranlasst habe. Vorliegend gehe es aber nicht um ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel eines Streitgenossen.

10Selbst wenn die Vorschrift des § 100 Abs. 3 ZPO im Streitfall anwendbar sein sollte, wäre eine abweichende Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren nicht gerechtfertigt, weil in der Kosten(grund-)entscheidung die Anwendung von § 100 Abs. 3 ZPO nicht ausgesprochen worden sei. Der Senat teile nicht die von einigen Oberlandesgerichten vertretene Auffassung, dass auch bei einer fehlenden oder unterlassenen Entscheidung nach § 100 Abs. 3 ZPO eine Auslegungskorrektur im Kostenfestsetzungsverfahren durch den Kostenbeamten zulässig sei. Er schließe sich vielmehr der gegenteiligen Auffassung an, wonach die Entscheidung des Kostenbeamten im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu einer materiell-rechtlichen Korrektur der Kostengrundentscheidung führen dürfe.

III.

11Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Weder sind Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären noch hätte die Rechtsbeschwerde in der Sache Erfolg.

121. Unbeschadet der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht nach § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO stellen sich im vorliegenden Fall keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Rechtsbeschwerde war auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Divergenz zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

13a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (, BGHZ 153, 254, 256; vom - V ZA 22/18, DGVZ 2019, 34 Rn. 6). Daran fehlt es hier.

14aa) Zutreffend hat das Beschwerdegericht erkannt, dass in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und in der Literatur umstritten ist, ob eine in der richterlichen Kostengrundentscheidung unterbliebene Aussonderung von Kosten eines besonderen Angriffs- oder Verteidigungsmittels eines Streitgenossen nach § 100 Abs. 3 ZPO vom Kostenbeamten im Kostenfestsetzungsverfahren im Wege der Auslegung korrigiert werden darf. Nach Auffassung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (JurBüro 1993, 742), des Oberlandesgerichts Köln (MDR 1988, 325) und des Kammergerichts (MDR 2002, 722 und WM 2012, 527) kann eine wegen der unterbliebenen Anwendung der zwingenden Kostenvorschrift in § 100 Abs. 3 ZPO fehlerhafte Kostengrundentscheidung bei typischen und eindeutigen Fallgestaltungen vom Kostenbeamten durch Auslegung berichtigt werden (ebenso BeckOK-ZPO/Jaspersen, 2023, § 100 Rn. 13; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 100 Rn. 11). Dagegen ist das Oberlandesgericht München (MDR 1989, 166) der Auffassung, dass eine Änderung der richterlichen Kostengrundentscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren im Fall der unterbliebenen Anwendung von § 100 Abs. 3 ZPO unzulässig ist (ebenso Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 20. Aufl., § 100 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Schulz, 6. Aufl., § 100 Rn. 10; Stein/Jonas/Muthorst, ZPO, 23. Aufl., § 100 Rn. 8), schon weil andernfalls die Voraussetzungen für eine Urteilsergänzung nach § 321 ZPO umgangen würden. Außerdem stehe die Abänderung der richterlichen Kostengrundentscheidung dem Kostenbeamten nicht zu (OLG Koblenz, NJW-RR 1992, 892 zur Mehrkostenentscheidung nach § 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

15bb) Diese streitige Rechtsfrage muss - auch nach eigener Auffassung des Beschwerdegerichts - im Streitfall nicht entschieden werden. Das Beschwerdegericht hat sich auf den zutreffenden Standpunkt gestellt, dass § 100 Abs. 3 ZPO im Streitfall keine Anwendung findet, weil die streitige Terminsgebühr nach einem Streitwert von 260.000 € nicht auf ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel eines Streitgenossen zurückzuführen ist.

16Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne des § 100 Abs. 3 ZPO ist jedes Vorbringen verfahrens- oder materiell-rechtlicher Art, das der Durchsetzung oder Abwehr der erhobenen Klage zu dienen bestimmt ist, insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden. Die Vorschrift des § 100 Abs. 3 ZPO ist anzuwenden, wenn sich die übrigen Streitgenossen das Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht zu eigen gemacht haben. So sind etwa die Kosten einer Beweisaufnahme gemäß § 100 Abs. 3 ZPO nur demjenigen Streitgenossen aufzulegen, der die Beweisaufnahme beantragt oder sie sonst durch sein Verteidigungsverhalten veranlasst hat (OLG Köln, MDR 1988, 325; BeckOK-ZPO/Jaspersen, 2023, § 100 Rn. 8).

17Das Beschwerdegericht hat zutreffend erkannt, dass ein Fall des § 100 Abs. 3 ZPO nicht vorlag. Im Streitfall wurden die Beklagten zu 1 bis 5 bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin am von demselben Prozessbevollmächtigten vertreten. Sie machten insoweit dieselben Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend. Dass die Beklagten zu 2, 4 und 5 in der Zeit bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung am und in dem Termin selbst weitergehende Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht hätten als die Schuldnerin, ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Die Durchführung des Termins zur mündlichen Verhandlung am ohne die Schuldnerin ist auch im Übrigen nicht auf ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel der Beklagten zu 2, 4 und 5 zurückzuführen, sondern darauf, dass das Verfahren wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin dieser gegenüber nach § 240 ZPO unterbrochen war. Die Unterbrechung nach § 240 ZPO tritt kraft Gesetzes ein; die Parteien haben hierauf keinen Einfluss.

18Die streitige Rechtsfrage zur Änderung der Kostengrundentscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren im Fall des § 100 Abs. 3 ZPO stellte sich daher im Streitfall nicht.

19b) Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Divergenz scheidet ebenfalls aus, auch wenn das Beschwerdegericht einen von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte divergierenden Rechtssatz zur Änderung einer unvollständigen oder unrichtigen Kostengrundentscheidung nach § 100 Abs. 3 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren aufgestellt hat. Maßgeblich ist auch hier, dass die Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die das Beschwerdegericht abweichend von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts beantworten will (, NJOZ 2010, 2124 Rn. 8).

202. Ergeben sich somit keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen, die einer Klärung durch höchstrichterliche Entscheidung bedürften, kommt es für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe allein auf die Erfolgsaussichten in der Sache an (, DGVZ 2019, 34 Rn. 8 mwN). Auch in der Sache hat die beabsichtigte Rechtsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Beschwerdegericht hat zutreffend erkannt, dass im Fall einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung der Streitgenossen am Rechtsstreit nach § 100 Abs. 2 ZPO eine Änderung der getroffenen Kostengrundentscheidung im Wege der Auslegung nicht in Betracht kommt und eine solche weder in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte noch in der Literatur diskutiert wird.

21Nach § 100 Abs. 2 ZPO kann bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung der Streitgenossen am Rechtsstreit die Beteiligung zum Maßstab der Kostengrundentscheidung genommen werden. Eine unterschiedliche Beteiligung der Streitgenossen liegt etwa vor, wenn eine Sache oder ein Recht streitgegenständlich ist, an dem die Streitgenossen unterschiedlich beteiligt (, NVwZ-RR 1998, 8; Stein/Jonas/Muthorst, ZPO, 23. Aufl., § 100 Rn. 7) sind, oder wenn unterschiedliche Streitgegenstände bestehen. Auch wenn die Klagen gegen mehrere Beklagte unterschiedliche Streitwerte haben, liegt ein Fall der unterschiedlichen Beteiligung im Sinne des § 100 Abs. 2 ZPO vor (BeckOK-ZPO/Jaspersen, 2023, § 100 Rn. 9; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 100 Rn. 10).

22Im Rahmen des § 100 Abs. 2 ZPO entscheidet das Gericht - anders als im Fall der obligatorischen Aussonderung von Kosten im Rahmen des § 100 Abs. 3 ZPO - nach pflichtgemäßem Ermessen. Soweit das Gericht von der Kostenerstattung nach Kopfteilen gemäß § 100 Abs. 1 ZPO abweichen will, muss diese Entscheidung in der richterlichen Kostengrundentscheidung ergehen. Nur nach ausdrücklicher Anordnung in der richterlichen Kostenentscheidung kann im Kostenfestsetzungsverfahren eine Kostenverteilung nach § 100 Abs. 2 ZPO vorgenommen werden. Zwar kann der Kostenbeamte die Kostengrundentscheidung wie stets auslegen; er darf aber sein Ermessen nicht an die Stelle des Gerichts setzen und eine abweichende Kostenverteilung nach § 100 Abs. 2 ZPO von sich aus treffen (OLG Koblenz, NJW-RR 1999, 728; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 20. Aufl., § 100 Rn. 3; BeckOK-ZPO/Jaspersen, 2023, § 100 Rn. 10; Stein/Jonas/Muthorst, ZPO, 23. Aufl., § 100 Rn. 7; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 100 Rn. 10).

233. Von einer weitergehenden Begründung wird entsprechend § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070324BIXZA17.23.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-66181