Instanzenzug: LG Trier Az: 2a KLs 8033 Js 7912/21 jug
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 38 Fällen, davon in 28 Fällen in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollstrecken sind. Darüber hinaus hat es Einziehungsanordnungen getroffen. Die zugunsten des Angeklagten geführte, auf die Sachrüge gestützte und auf den Maßregelausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
I.
2Das Landgericht hat - soweit für die Begründung der Revisionsentscheidung von Bedeutung - die nachfolgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Zur Finanzierung seines Lebensunterhalts und seines Drogenkonsums betrieb der nicht vorbestrafte Angeklagte seit spätestens 2019 bis Oktober 2021 im großen Umfang einen internationalen Drogenhandel mit Opium. Zu diesem Zweck führten Kuriere in seinem Auftrag in 28 Fällen jeweils mindestens sieben Kilogramm Opium mit einer Wirkstoffmenge von 384 Gramm Morphin aus der Türkei nach Deutschland ein und in zehn weiteren Fällen ebensolche Mengen Opium von Deutschland sowie der Türkei nach Kanada und ins europäische Ausland aus. Der Angeklagte verkaufte das Opium in allen Fällen für 5.000 € je Kilogramm an unbekannte Abnehmer gewinnbringend weiter.
42. a) Zum Alkohol- und Drogenkonsum des heute 35-jährigen Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass er im Alter von 14 Jahren erstmals Alkohol trank. Seinen Alkoholkonsum steigerte er in der Folgezeit auf zuletzt eine Flasche Wodka pro Tag. Im Alter von 28 Jahren nahm er erstmals Opium zu sich. Da die Droge zu einer Steigerung seiner sexuellen Leistungsfähigkeit führte, konsumierte er hiervon täglich bis zu dreimal ein halbes Gramm. Wenige Wochen vor seiner Festnahme reduzierte er die Dosierung und nahm nur noch an den Wochenenden ein halbes Gramm pro Tag ein. Aufgrund der Reduzierung litt er an Entzugserscheinungen.
5b) Die Strafkammer hat in Übereinstimmung mit der in der Hauptverhandlung vernommenen psychiatrischen Sachverständigen sowohl eine Abhängigkeit des Angeklagten von Opiaten und Alkohol als auch einen jeweiligen schädlichen Gebrauch verneint. Ferner habe der Opiumkonsum trotz Problemen im Berufsleben und im Alltag nicht zu gravierenden sozialen, gesundheitlichen oder leistungsmäßigen Auffälligkeiten geführt.
6Der Angeklagte habe, so die Strafkammer, die Taten „auch“ zur Finanzierung seines eigenen Konsums begangen, um damit sicherzustellen, selbst über ausreichende Betäubungsmittel zu verfügen. Soweit die Sachverständige hinsichtlich des symptomatischen Zusammenhangs ausgeführt habe, die Taten gingen zugleich aus einer kriminogenen Verhaltensbereitschaft des Angeklagten hervor, stehe dies dem symptomatischen Zusammenhang nicht entgegen. Denn dieser könne auch bestehen, wenn der Hang neben anderen Ursachen zur Tat beigetragen habe.
7Der Angeklagte sei bereit, eine stationäre Drogentherapie im Maßregelvollzug durchzuführen. Zur Verbesserung der Erfolgschancen einer derartigen Therapie wolle er seine nur eingeschränkten Kenntnisse der deutschen Sprache, wonach ihm eine Kommunikation in einfachen Sätzen und Worten aber möglich sei, weiter verbessern; unterstützend könne er auf die englische Sprache zurückgreifen.
II.
8Die ausweislich des Revisionsantrags und der -begründung wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB. Diese hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Damit unterliegt der Aufhebung auch die Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe.
91. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Strafkammer einen Hang des Angeklagten zum Rauschmittelkonsum im Übermaß tragfähig bejaht hat. Jedenfalls begegnet die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10a) Gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. § 354a StPO ist die Maßregelanordnung am Maßstab des zum Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts geltenden Rechts zu beurteilen, mithin anhand der zum in Kraft getretenen Neufassung des § 64 StGB (vgl. , juris Rn. 9; vom - 3 StR 280/23, juris Rn. 39; Beschlüsse vom - 3 StR 304/23, juris Rn. 14; vom - 3 StR 455/23, juris Rn. 16; jeweils mwN). Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die im Vergleich zum früheren Rechtszustand strengeren Anforderungen der Neuregelung an den symptomatischen Zusammenhang erfüllt sind.
11aa) Gemäß § 64 Satz 1 Halbsatz 1 StGB muss die Anlasstat nun „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Mit der Ergänzung der gesetzlichen Regelung um den Begriff „überwiegend“ hat der Gesetzgeber das Kausalitätserfordernis zwischen dem Hang und der Anlasstat konkretisiert und - gegenüber der vormaligen Rechtslage - verschärft (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 26 und S. 46 ff.). Nach der Neuregelung muss die Substanzkonsumstörung mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend sein. Demgegenüber ist nach dem Willen des Gesetzgebers eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann ausreichend, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt; eine Mitursächlichkeit unterhalb dieser Schwelle reicht nicht mehr aus (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 46, 69 f.; BR-Drucks. 687/22, S. 50 ff., 79; s. auch , juris Rn. 40; Beschluss vom - 3 StR 304/23, juris Rn. 16 mwN).
12bb) Die Feststellungen belegen nicht, dass eine mögliche Rauschmittelsucht des Angeklagten für die Anlasstaten in diesem Sinne überwiegend ursächlich war. Das Landgericht hat darauf abgestellt, dass die Taten des Angeklagten neben der Finanzierung seines Lebensunterhalts „jedenfalls auch“ der Finanzierung seines eigenen Konsums dienten. Soweit die Taten daneben aus einer kriminogenen Verhaltensbereitschaft des Angeklagten hervorgegangen seien, stehe dies dem symptomatischen Zusammenhang nicht entgegen. Mit diesen Erwägungen ist gerade kein quantitatives Überwiegen des bloß mitursächlichen Hangs des Angeklagten gegenüber seinem suchtunabhängigen Verhalten zum Zwecke der Finanzierung seines Lebensunterhalts belegt.
13b) Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB muss deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Die zugehörigen Feststellungen sind aufzuheben, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).
14c) Die Erwägungen der Strafkammer zum Hang und zur Erfolgsaussicht der Maßregel geben darüber hinaus Anlass, auf Folgendes hinzuweisen:
15Der neu gefasste § 64 StGB stellt nunmehr strengere Anforderungen an die Annahme eines Hangs. Für einen solchen ist nach § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB nF eine Substanzkonsumstörung erforderlich, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 343/23, juris Rn. 8 f.; vom - 3 StR 455/23, juris Rn. 17 f.; s. auch BT-Drucks. 20/5913 S. 44 ff., 69).
16Ferner muss infolge der Änderung von § 64 Satz 2 StGB das Erreichen des Unterbringungsziels aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten sein. Die Erwartung erfolgreicher Behandlung ist in der Regel dann nicht berechtigt, wenn der Angeklagte nicht über die für die Behandlung in der Entziehungsanstalt erforderlichen Sprachkenntnisse verfügt. Die Behandlung kann nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur dann erfolgversprechend sein, wenn eine echte, d.h. therapeutisch sinnvolle, Kommunikation zwischen Therapeut und Patient möglich ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 71 f.; s. auch , juris Rn. 43 mwN). Vor diesem Hintergrund werden gegebenenfalls die Sprachkenntnisse des Angeklagten, dessen Exploration durch die Sachverständige allerdings auf Deutsch stattfinden konnte, neu zu bewerten sein.
172. Der Aufhebung unterliegt auch die mit der Maßregel untrennbar zusammenhängende Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe. Insoweit wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer mangels Übergangsregelung § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 5 Satz 1 StGB in der Fassung des am in Kraft getretenen Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts - Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom (BGBl. I Nr. 203) anzuwenden haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 354/23, NStZ-RR 2024, 49; vom - 3 StR 343/23, juris Rn. 19 f.).
18Danach ist der vor der Maßregel zu vollstreckende Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und der anschließenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach Erledigung von zwei Dritteln der Strafe möglich ist. Das Verschlechterungsverbot steht dem nicht entgegen, weil die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des Therapieerfolges dienen und die Anordnung damit zu Gunsten des Angeklagten ergeht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 263/07, juris Rn. 4; vom - 3 StR 458/21, NStZ-RR 2022, 139, 140 mwN; vom - 3 StR 343/23, juris Rn. 22).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:270324U3STR370.23.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-66177