Finanzgerichtliche Verfahren von besonderem Interesse im Zusammenhang mit der Reform der Investmentbesteuerung
Bezug: BStBl 2019 I S. 527
Die nachfolgenden Revisionsverfahren sind zur Frage der Rechtmäßigkeit der Besteuerung von fiktiven Veräußerungsgewinnen nach § 56 Abs. 2 und 3 InvStG anhängig. Einsprüche, die sich auf das jeweilige anhängige Revisionsverfahren stützen, ruhen insoweit (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
• BFH; Az. VIII R 15/22
Das Finanzgericht Köln (Az. 15 K 2594/20) hat mit Urteil vom entschieden, dass
im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung der Anteile nach Maßgabe des § 56 Abs. 3 InvStG eine modifizierte Berechnung mit fiktiv erhöhten Anschaffungskosten einerseits und der Versteuerung des bis dahin nicht versteuerten "fiktiven Veräußerungsgewinns" andererseits erfolgt, wobei
für den der alten Rechtslage unterfallenden (fiktiven) Veräußerungsvorgang keine im neuen Recht vorgesehene Teilfreistellung gem. § 20 InvStG gilt, so dass jener Gewinn oder Verlust (bei einer Anschaffung nach dem ) in voller Höhe bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen anzusetzen ist, während
bei der Besteuerung des nach "neuem" Recht ermittelten Gewinns oder Verlustes dagegen pauschalierte Prozentsätze für eine Teilfreistellung (bei Veräußerungsgewinnen) bzw. ein Teilabzugsverbot (bei Veräußerungsverlusten) gelten und dabei erzielte Veräußerungsgewinne (erst) zu versteuern sind, wenn der Anleger seine Anteile tatsächlich verkauft.
Das Finanzgericht hat zudem von einer Vorlage an das BVerfG abgesehen, da es nicht von einer Verfassungswidrigkeit der Besteuerung fiktiver Veräußerungsgewinne nach § 56 Abs. 2 und 3 InvStG überzeugt war.
Im Streitfall hatte sich der Kläger in den Jahren 2009 bis 2017 an einem Aktienfonds im Sinne des § 2 Abs. 6 InvStG beteiligt. Ende 2018 verkaufte er die Anteilscheine und erzielt hieraus einen wirtschaftlichen Veräußerungsgewinn von rund 600 Euro. Der nach § 8 Abs. 5 InvStG 2004 ermittelte fiktive Veräußerungsgewinn i. S. d. § 56 Abs. 2 Satz 1 InvStG beläuft sich unstreitig auf rund 6.100 Euro.
Für den Zeitraum vom bis zum Verkauf ermittelt der Kläger einen Veräußerungsverlust von rund 5.500 Euro vor Teilfreistellung (30 %) bzw. von 3.850 Euro nach Teilfreistellung.
Der sich hiernach im Saldo ergebende steuerliche Veräußerungsgewinn beträgt rund 2.250 Euro (= 6.100 - 3.850). Die Differenz zwischen dem wirtschaftlichen und dem steuerlichen Veräußerungsgewinn ergibt sich allein aus der Kürzung des Veräußerungsverlustes ab 2018 in Höhe von 1.650 Euro (= 5.500 - 3.850).
Die Anwendung der Teilfreistellung auf Veräußerungsverluste entspricht der Verwaltungsauffassung (vgl. BStBl 2019 I S. 527, Rz. 20.2).
Nach Auffassung des Klägers ist im vollständigen Ansatz des fiktiven Veräußerungsgewinns zum verbunden mit der nur anteiligen Berücksichtigung der fiktiven Veräußerungsverluste seit dem durch die seither geltende Teilfreistellung ein Verstoß gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG zu sehen.
• BFH, Az. VIII R 22/23
Das Niedersächsische ) die Besteuerung aus der Veräußerung von Investmentanteilen nach § 56 Abs. 2 und 3 InvStG bestätigt und hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung fiktiver Veräußerungsgewinne geäußert.
Der Kläger erwarb in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt 386 Fondsanteile für 39.303,64 Euro, die er am 20. November 2018 für insgesamt 39.819,76 Euro veräußerte. Zum betrug der Rücknahmepreis/Marktpreis für diese Fondsanteile 47.258,40 Euro und lag damit 7.954,76 Euro über den Anschaffungskosten.
Die Bemessungsgrundlage für die kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge wurde von der Depotbank ausweislich der eingereichten Steuerbescheinigung wie folgt ermittelt:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Verkaufspreis
(Kurswert
) | 39.819,06
€ |
abzgl.
Anschaffungskosten (Kurswert zum
) | 47.258,40
€ |
Veräußerungsverlust | |
(für den
Zeitraum
bis
) | ./. 7.438,64
€ |
abzgl.
Teilfreistellung (30%) | ./. 2.252,57
€ |
Veräußerungsergebnis | ./. 5.255,97
€ |
zzgl. fiktiver
Veräußerungsgewinn zum
| |
Kurswert
./. 39.303,64 € | |
abzgl.
Anschaffungskosten 47.258,40 € | 7.954,76
€ |
Gesamt-Veräußerungsergebnis | 2.698,79 € |
Der Kläger sieht sich durch die Anwendung der Teilfreistellung auf den im Jahr 2018 angefallenen Buchverlust in seinen Rechten verletzt. Es sei streitig, ob dieser Verlust (Absinken des Kurswertes nach dem bis zum Zeitpunkt der Veräußerung) vorrangig nach § 20 Abs. 1 InvStG in Verbindung mit § 2 Abs. 14 InvStG zu 30 % von der Steuer freizustellen sei oder ob zuerst eine vollständige Verrechnung der fiktiven Gewinne nach § 56 Abs. 2 InvStG mit den Verlusten im Jahr 2018 zu erfolgen habe. Zudem sei eine nicht gerechtfertigte Übermaßbesteuerung erfolgt, die gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoße.
Das Finanzgericht hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht bestätigte in seiner Entscheidung die vom Finanzamt durchgeführte Steuerfestsetzung, in der zum einen für den Geltungsbereich des InvStG 2018 (ab bis zur tatsächlichen Veräußerung am ) ein Veräußerungsverlust mit Teilfreistellung gem. § 20 InvStG und zum anderen den Gewinn aus der fiktiven Veräußerung zum gem. § 56 Abs. 2 und 3 InvStG (ohne Teilfreistellung) zugrunde zu legen sei.
Das Finanzgericht ist dabei nicht der Ansicht, dass der Gesetzgeber den ihm bei einer Umgestaltung komplexer Regelungssysteme zustehenden weiten Gestaltungsspielraum in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise verlassen hat und schließt sich der Entscheidung des an (BFH, Az. 15/22) an.
• BFH, Az. VIII R 31/23
Das Finanzgericht München (Az. 1 K 32/21) hat mit Urteil vom zur Anwendbarkeit der
Teilfreistellung nach § 20 Abs. 1 InvStG auf Veräußerungsverluste von Alt-Anteilen entschieden.
Im Streitfall erzielten die Kläger Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen an einem Aktienfonds. Die Anteile wurden im Jahr 2014 angeschafft und im Jahr 2019 veräußert. Entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung ermittelte die Bank im Zeitpunkt der Veräußerung einen fiktiven Veräußerungsgewinn zum in Höhe von 46.765 Euro. Zudem ermittelte sie für den Zeitraum vom bis zum Verkauf der Fondsanteile einen Veräußerungsverlust in Höhe von 22.623 Euro.
Auf den errechneten Veräußerungsverlust wurde der gültige Teilfreistellungssatz von 30 % angewendet. Den nach der Teilfreistellung verbleibenden Verlust verrechnete die Bank mit dem fiktiven Veräußerungsgewinn, sodass kapitalertragsteuerpflichtige Kapitalerträge in Höhe von 30.322 Euro verblieben.
In der Anlage KAP zur Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 korrigierte der Kläger die Kapitalerträge von 30.322 Euro um den Betrag der Teilfreistellung des Verlustes, wodurch sich die Kapitalerträge auf 26.987 Euro verminderten.
Das Finanzgericht hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht begründet seine Auffassung damit, dass die im Streitfall vom Finanzamt vorgenommene Teilfreistellung in 2019, d. h. die Anwendung der Regelung der Aktienteilfreistellung gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 InvStG auf den Veräußerungsverlust 2018/2019, aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut dieser gesetzlichen Vorschrift folgt; „Erträge“ umfassen auch negative Erträge bzw. Verluste. Die Teilfreistellung findet gem. § 20 Abs. 1 InvStG auf alle Ertragsarten (§ 16 Abs. 1 InvStG) eines Investmentfonds Anwendung, gleichermaßen, wenn negative Erträge bzw. Verluste erzielt werden mit der Folge, dass die Teilfreistellung (auch) den steuerlich anzusetzenden Verlust mindert. Das Finanzgericht folgt insoweit nicht nur der Auffassung der Finanzverwaltung im BStBl 2019 I S. 527, Rz. 20.2), sondern auch der in der Literatur vertretenen Meinung.
Auch sind Anhaltspunkte dafür, dass der dargestellten, sich aus dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 Satz 1 InvStG auch für Verluste ergebenden Aktienteilfreistellung verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich.
Ministerium der Finanzen
Sachsen-Anhalt v. - 42-S 1980-102
Fundstelle(n):
ESt-Kartei
ST EStG §
20 Fach 2 Karte 18
EStB 2024 S. 176 Nr. 5
EStB 2024 S. 176 Nr. 5
ErbStB 2024 S. 164 Nr. 6
SAAAJ-66113