BGH Urteil v. - VIa ZR 1659/22

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 5a U 1055/22vorgehend LG Chemnitz Az: 2 O 1119/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug in Anspruch.

2Er erwarb am einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten BMW X3 xDrive 20d, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe B47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Dem Kläger stehe ein Anspruch aus den §§ 826, 31 BGB nicht zu. Ein Thermofenster könne als solches nicht die Sittenwidrigkeit begründen. Weder sei vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt durch unzutreffende Angaben über ein Thermofenster getäuscht habe. Auch in Bezug auf die weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen seien Umstände im Sinne einer sittenwidrigen Schädigung nicht erkennbar. Der Kläger habe keine Umstände substantiiert dargetan, die auf unzulässige Abschalteinrichtungen in diesem Sinne schließen ließen.

7Einem Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe entgegen, dass der Kläger ein Verschulden der Beklagten nicht dargetan habe.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

91. Zwar begegnen die vom Kläger insbesondere unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG angegriffenen Erwägungen, auf die das Berufungsgericht die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 826, 31 BGB gestützt hat, mit Rücksicht auf die höchstrichterlich geklärten Maßstäbe für Einrichtungen der Emissionskontrolle ohne Prüfstandsbezug einerseits (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff. und vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 26 ff.) und für die an den Klägervortrag zu stellenden Anforderungen andererseits (vgl. etwa , VersR 2021, 1252 Rn. 20 ff.; Beschluss vom - VII ZR 733/21, juris Rn. 20 f.) keinen durchgreifenden Bedenken.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung setzt dabei zwar ein Verschulden des Herstellers voraus. Dieses wird aber vermutet und muss vom Anspruchsteller folglich nicht dargelegt werden. Vielmehr muss sich der Hersteller entlasten ( aaO, Rn. 59; Urteil vom - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13). Auch die weiteren, insofern geltenden Maßstäbe sind geklärt (vgl. aaO, Rn. 58 ff. und Urteil vom - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13 f.). Feststellungen in diesem Sinn hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

11Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Die angefochtene Entscheidung ist demnach im beantragten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260324UVIAZR1659.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-65984