BGH Beschluss v. - IV ZR 404/22

Instanzenzug: Az: 19 U 39/21vorgehend Az: 20 O 459/15

Gründe

1    Dieser hatte ein zuletzt als Kommanditgesellschaft geführtes Unternehmen (im Folgenden: KG) gegründet, an dem seine Ehefrau zunächst als Komplementärin und seit 1973 als Kommanditistin beteiligt war. Aus der Ehe waren drei Söhne - der 1953 geborene Älteste, der 1956 geborene Beklagte zu 2 und der 1965 geborene Vater der Kläger - hervorgegangen.

2    Der Erblasser und seine Ehefrau unterzeichneten am die folgende handschriftliche Verfügung:

"Hiermit erklären wir unseren letzten Willen wie folgt:

Sollte uns beiden auf der jetzt bevorstehenden Reise, oder der Zeit danach bis zum , gemeinsam, oder in der Weise etwas zustoßen, daß einer von uns nach dem anderen stirbt, setzen wir zu gemeinschaftlichen Testamentsvollstreckern unseres Nachlasses ein: […]"

3    Am wurde darunter der folgende handschriftliche Zusatz vom Erblasser und seiner Ehefrau unterzeichnet:

"Die vorstehende Regelung gilt auch weiterhin bis zur Abfassung eines neuen Testaments."

4    Unter dem verfasste der Erblasser ein handschriftliches Testament folgenden Inhalts:

"Meine Söhne […] erben nur wenn sie einen ordentlichen abgeschlossenen Beruf erlernt haben. Sich durch Fleiß und Arbeit auszeichnen. Meine Frau […] wird bis zu diesem Zeitpunkt das Vermögen der Kinder verwalten u den Nutznies haben."

5    Unter dem unterzeichnete der Erblasser die folgende handschriftliche Verfügung:

"Testament […]

Für den Fall, daß uns Eheleuten […] etwas zustößt ordne ich folgendes an.

1) Bei gleichzeitigem Tode von uns werden wir von unseren 3 Kindern zu je 1/3 beerbt.

Hinsichtlich der Erbanfälle und Erbteile der 3 Kinder wird Testamentsvollstreckung angeordnet.

[…]

Die Testamentsvollstrecker haben die Firma […] soweit unsere 3 Kinder Mitinhaber derselben sind oder werden für diese zu führen, d.h. die Geschäfte für diese zu führen und sie in dieser Hinsicht zu vertreten.

[…]

Wenn wir beide durch Tod fortgefallen sind ist die Firma […] allein von den Testamentsvollstreckern für die 3 Kinder zu führen.

Es ist anzustreben, daß unser ältester Sohn sein Abiturium macht und dann eine Lehre und Ausbildung als Lebensmittelkaufmann durchläuft.

Auch die beiden anderen Kinder sollen bei Neigung und Fähigkeiten eine Ausbildung als Lebensmittelkaufmann durchlaufen. Die drei Kinder haben Anspruch darauf, im Geschäft der Firma […] nach abgeschlossener Ausbildung in einem fremden Betrieb nach ihrer Ausbildung und Fähigkeit eine entsprechende Stellung zu bekleiden. Nur bei wichtigem Grund können die Testamentsvollstrecker dies verweigern.

Nach mindestens einjähriger Angestelltentätigkeit im väterlichen Betrieb/nach vorheriger abgeschlossener Lehre als Lebensmittelkaufmann in einem fremden Betrieb, und nach vollendetem 25. Lebensjahr hat das betreffende Kind das Recht eine Stellung als Komplementär bzw. Mitkomplementär in der Firma zu beanspruchen und damit endet für daß betreffende Kind die Testamentsvollstreckung. Die Kinder, soweit sie nicht eine Ausbildung als Lebensmittelkaufmann durchgemacht haben, oder in die väterliche Firma nicht eintreten können oder wollen, können nach vollendetem 25. Lebensjahr über ihr Kommanditanteil an der Firma frei verfügen und damit endet für die Kinder die Testamentsvollstreckung.

[…]

Die Großeltern […] sollen in oder können in unser Haus […] ziehen und für die Kinder soweit es in ihren Kräften steht sorgen.

[…]"

6    Der Erblasser starb am . Auf Antrag seiner Witwe erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein vom , wonach diese zu ¼ Vollerbin und zu ¾ Vorerbin war, die drei Söhne Nacherben waren und die Nacherbfolge mit dem Tod der Vorerbin oder in Bezug auf jeden der Nacherben, sobald er einen Beruf erlernt hat, eintreten sollte.

7    Der Vater der Kläger starb 2003, ohne eine Berufsausbildung abgeschlossen zu haben. Die Witwe des Erblassers, die zwischenzeitlich den Vater des Beklagten zu 1 geheiratet hatte, übertrug mit notariellem Vertrag vom - dort als "Erschienene zu 1" bezeichnet - einen Kommanditanteil an der KG in Höhe von 150.000 DM an den Beklagten zu 2 gegen Bestellung eines lebenslangen Nießbrauchrechts an diesem Anteil. In dem Vertrag hieß es insoweit:

"Der Kommanditanteil der Erschienenen zu 1) unterliegt i.H.v. DM 75.000,00 der Nacherbschaft, insoweit ist die Erschienene zu 1) Vorerbin und [der Vater der Kläger] bzw. seine Nachkömmlinge Nacherben. Ein Kommanditanteil in Höhe von DM 75.000,00 unterliegt keiner Nacherbenbeschränkung und steht im uneingeschränkten Eigentum der Erschienenen zu 1).

Die Erschienene zu 1) überträgt dem [Beklagten zu 2] den ihr gehörenden Kommanditanteil von DM 150.000,00 gegen Bestellung eines lebenslänglichen Nießbrauchrechts zu ihren Gunsten und zu Gunsten ihres Ehemannes […] als Gesamtberechtigten, an diesen übertragenen Kommanditanteil. Die Erschienene zu 1) tritt den Kommanditanteil an den [Beklagten zu 2] ab, der die Abtretung annimmt.

[…]"

8    Die Witwe des Erblassers und der Beklagte zu 2 beantragten 2007 erfolglos die Erteilung eines Erbscheins, der die Witwe nach dem Tod ihres jüngsten Sohnes als Vollerbin des Erblassers zur Hälfte ausgewiesen hätte. Unter dem schlossen sie einen weiteren notariellen Vertrag, in dem sie vereinbarten, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Beklagte zu 2 als Gegenleistung für die Übertragung des Kommanditanteils anstelle des Nießbrauchs eine lebenslange monatliche Zahlung an die Witwe des Erblassers, nach ihrem Tod lebenslang an ihren Ehemann, erbringen sollte.

9    Die Witwe des Erblassers starb 2011 und wurde von ihrem Ehemann, dem früheren Beklagten zu 1, als Vorerben beerbt, der Nacherbfall zugunsten der Beklagten sollte bei dessen Tod eintreten. Er starb 2016 während dieses Rechtsstreits und wurde von den Beklagten beerbt. Das Nachlassgericht erteilte außerdem am einen Erbschein, der die Beklagten als Erben der Witwe des Erblassers auswies. Die Kläger sind in einem Erbschein vom als Erben des Erblassers zu je 1/16 bezeichnet.

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26    b) Auf Grundlage dieser Testamentsauslegung ist das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Kläger mit dem Tod ihres Vaters nicht an dessen Stelle Nacherben des Erblassers geworden sind. Daher muss nicht entschieden werden, ob eine stillschweigende Ersatznacherbeneinsetzung der Kläger als Abkömmlinge ihres Vaters gemäß § 2069 BGB anzunehmen gewesen sein könnte oder ob das Nacherbenanwartschaftsrecht ihres Vaters entgegen der Auslegungsregel des § 2108 Abs. 2 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 2074 BGB vererblich gewesen wäre und auf dessen Erben hätte übergehen können. Die Nacherbeneinsetzung ist gemäß § 2109 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam geworden. Nach der nicht zu beanstandenden Testamentsauslegung des Berufungsgerichts war die Nacherbfolge unter der Bedingung angeordnet, dass in der Person des Nacherben ein bestimmtes Ereignis, der Abschluss einer Berufsausbildung, eintritt. Die damit für den Vater der Kläger als Nacherben bestehende Ausnahme des § 2109 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB von der 30-Jahres-Frist ab dem Erbfall, nach deren Ablauf eine Nacherbeneinsetzung nach § 2109 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich unwirksam wird, gilt nicht für die Kläger als potentielle Nacherben, in deren Person das genannte Ereignis nunmehr eintreten müsste, um den Nacherbfall auszulösen. § 2109 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB setzt voraus, dass der Nacherbe, in dessen Person das Ereignis eintreten muss, zur Zeit des Erbfalls, hier am , lebte; das war bei den Klägern laut den Geburtsdaten im Erbschein vom nicht der Fall.

27    c) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es den Beklagten auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf die fehlende Erbenstellung der Kläger zu berufen. Rechtsmissbräuchlich ist widersprüchliches Verhalten dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann etwa dann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (vgl. , NJW 2015, 2965 Rn. 26 m.w.N.). So liegt der Fall hier jedoch nicht.

28    aa) Das Verhalten der Beklagten ist nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil es im Widerspruch zum Verhalten der Witwe des Erblassers nach dem Erbfall stehen könnte. Deren Verhalten kann den Beklagten nicht deswegen entgegengehalten werden, weil sie diese während des Rechtsstreits beerbt haben. Dieser Umstand berührt nicht das streitgegenständliche Rechtsverhältnis. Dieses wurde durch die beiden Verträge zur Übertragung eines Geschäftsanteils an der KG begründet. Die daraus folgenden Rechtspositionen als Partei dieser Verträge bzw. als Rechtsnachfolger des früheren Beklagten zu 1, der daraus Rechte herleiten konnte, sind auf sie nicht als Erben der Witwe des Erblassers übergegangen. Deren Verhalten ist ihnen daher auch nicht allein deshalb zuzurechnen, weil sie deren Erben geworden sind (vgl. , NJW-RR 1990, 1499 [juris Rn. 9]).

29    bb) Auf Grund ihres eigenen Verhaltens ist es ebenfalls nicht rechtsmissbräuchlich, dass sich die Beklagten auf die fehlende Erbenstellung der Kläger berufen. Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben aus § 242 BGB setzt das Bestehen einer besonderen rechtlichen Beziehung voraus (vgl. , BGHZ 95, 274, 279 [juris Rn. 34]).

30    Dem Beklagten zu 1 und seinem Rechtsvorgänger fehlte es im Zusammenhang mit der Erbfolge nach dem Erblasser an jedweder rechtlichen Beziehung zu den Klägern oder ihrem Vater. Aber auch der Beklagte zu 2 stand in keiner Sonderbeziehung zu den im Testament neben ihm eingesetzten Nacherben. Mehrere Nacherben sind vor dem Nacherbfall keine Miterben, da sie diese Stellung erst mit Erhalt der Erbschaft erlangen; zwischen Nacherben besteht vor dem Nacherbfall keine Erbengemeinschaft (vgl. Senatsurteil vom  - IV ZR 274/91, NJW 1993, 1582 [juris Rn. 17]). Soweit sich die Kläger dagegen nach dem Tod der Vorerbin als Miterben des Beklagten zu 2 sahen und einen entsprechenden Erbschein erwirkten, verhielt sich der Beklagte zu 2 nicht widersprüchlich. Vielmehr hatte er bereits 2007 mit der Witwe des Erblassers einen Erbschein, der diese als Vollerbin zu ½ nach dem Erblasser ausgewiesen hätte, beantragt und dies auf die Rechtsansicht gestützt, dass der Nacherbfall nur nach Abschluss einer Berufsausbildung eintreten solle. Es begründet kein schutzwürdiges Vertrauen der Kläger, dass er nach dem Misserfolg dieses Antrags zunächst von einer Miterbenstellung der Kläger ausgehen musste.

31    d) Entgegen der Ansicht der Revision der Klägerinnen zu 3 und 4 ist die Widerklage auch nicht unzulässig, soweit sie sich auf die Feststellung richtet, dass "Nicola Jacqueline R.        " nicht Nacherbin des Erblassers geworden ist. Klageanträge unterliegen - wie auch sonstige Prozesserklärungen - der Auslegung. Die Auslegung des Klageantrags darf - wie allgemein im Prozessrecht - nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen (vgl. , NJW-RR 2023, 718 Rn. 22). Danach ergibt sich aus dem Widerklageantrag, dass die Feststellung bezüglich der "vier Abkömmlinge" des Vaters der Kläger begehrt wird. Da es sich bei den Klägern unstreitig um dessen (allein vorhandene) vier Abkömmlinge handelt, ist aus dieser Antragsformulierung erkennbar, dass mit den dort aufgeführten Namen die vier Kläger bezeichnet werden sollten und die Klägerin zu 3, deren Name fehlt, mit der erwähnten Falschbezeichnung gemeint ist. Auch insoweit besteht daher ein Feststellungsinteresse für die Widerklage.

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Rücknahme der Revision erledigt worden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240124BIVZR404.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-65815