BVerwG Beschluss v. - 1 WB 22/23

Wiederholte Verweigerung eines Befehls, sich gegen den COVID-19-Erreger impfen zu lassen, kann Dienstausübungsverbot gegen einen Soldaten rechtfertigen

Leitsatz

Liegt der hinreichende Verdacht vor, dass ein Stabsoffizier und Vorgesetzter wiederholt den Befehl verweigert hat, die Impfung gegen den COVID-19-Erreger zu dulden und besteht wegen der Weiterleitung impfkritischer Stellungnahmen über dienstliche E-Mailadressen an Kameraden die Gefahr einer negativen Beispielswirkung, rechtfertigt dies ein Verbot der Dienstausübung nach § 22 Satz 1 des Soldatengesetzes.

Gesetze: § 11 Abs 1 S 2 SG, § 7 SG, § 11 Abs 1 S 3 Halbs 1 SG, § 17a Abs 2 S 1 Nr 1 SG, § 17 Abs 1 SG, § 22 S 1 SG, § 13 Abs 1 SG

Tatbestand

1Der Antragsteller wendet sich gegen ein auf § 22 SG gestütztes Dienstausübungs- und Uniformtrageverbot.

2Der ... geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit. Zuletzt wurde er im Jahre ... zum Oberstleutnant befördert. Die Dienstzeit des Antragstellers endet voraussichtlich mit Ablauf des 30. September ...

3Mit Bescheid vom , dem Antragsteller am selben Tag ausgehändigt, verbot der Inspekteur ... dem Antragsteller "bis auf weiteres" die Ausübung seines Dienstes und untersagte ihm zugleich das Tragen der Uniform. Zur Begründung dieser Entscheidungen heißt es, das Verbot der Ausübung des Dienstes sei zur Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin und Ordnung erforderlich. Der Antragsteller hätte seine Ablehnung gegen die COVID-19-Schutzimpfung und die Verpflichtung zur Impfung für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr wiederholt über soziale Medien öffentlich gemacht, indem er dort sogenannte "Offene Briefe", gerichtet u. a. an die Bundesministerin der Verteidigung, den Inspekteur des Sanitätsdienstes und den Generalinspekteur der Bundeswehr, veröffentlicht habe. Zudem hätte er wiederholt den ihm von seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten erteilten Befehl, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen, verweigert. Dies begründe den Verdacht einer Wehrstraftat. Schließlich habe der Antragsteller am über Lotus Notes E-Mails an ca. 100 Organisationsbriefkästen und damit unter missbräuchlicher Nutzung eines dienstlichen Kommunikationskanals eine Mitteilung an Angehörige der Bundeswehr mit der Forderung gesendet, "endlich diesen blinden Gehorsam" gegenüber der Pflicht zur Duldung der COVID-19-Impfung zu beenden. Die derart gezielt gegenüber einem großen Personenkreis innerhalb der Bundeswehr zur Schau gestellte Beharrlichkeit seiner Ablehnung der verpflichtenden Impfung und insbesondere der mit der E-Mail verbundene Appellcharakter, den Gehorsam auf Grundlage einer von dem Antragsteller behaupteten falschen Faktenlage zu verweigern, stelle eine empfindliche Gefährdung der militärischen Disziplin dar. Sie trage zur Verunsicherung der Soldatinnen und Soldaten bei, sei mit einer Nachahmungsgefahr verbunden und stelle letztlich die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte in Frage. Dies gelte auch in Bezug auf die beharrliche Verweigerung des Gehorsams gegenüber dem wiederholt erteilten Befehl des nächsten Disziplinarvorgesetzten zur COVID-19-Schutzimpfung, dem sich der Antragsteller zudem mit der Behauptung unwahrer Tatsachen zu entziehen versuche. Die militärische Gehorsamspflicht sei das bestimmende Strukturprinzip jeder militärischen Organisation und gehöre zu den zentralen Dienstpflichten eines jeden Soldaten. Sie sei grundlegend für das Funktionieren der Streitkräfte. Durch seine anhaltende Gehorsamsverweigerung mache der Antragsteller deutlich, dass er nicht mehr länger gewillt sei, sich in das militärische Über- und Unterordnungsverhältnis der Streitkräfte einzuordnen. Das Verhalten des Antragstellers habe einen vollständigen Vertrauensverlust in die Integrität und Rechtmäßigkeit seiner Dienstausübung zur Folge. Damit sei dessen weitere dienstliche Tätigkeit nicht zu verantworten.

4Hiergegen erhob der Antragsteller am Beschwerde beim Inspekteur ... Er machte geltend, dass die ihm erteilten Impfbefehle unverbindlich und rechtswidrig seien. Ferner habe er die dienstliche Informationstechnik lediglich genutzt, um Kameraden auf einen Missstand hinzuweisen. Die Impfung biete keinen Schutz der Soldaten gegen den COVID-19-Erreger, sondern führe vielmehr dazu, dass sie ausfielen. Den Vorwurf der Gehorsamsverweigerung wies der Antragsteller als pauschal und verallgemeinernd zurück und merkte an, dass es hierfür an konkreten Beweisen fehle.

5Die Beschwerde des Antragstellers wies der Generalinspekteur der Bundeswehr mit Bescheid vom , dem Antragsteller am zugestellt, zurück. Zutreffend habe der Inspekteur ... angenommen, dass gegen den Antragsteller der Verdacht bestehe, schwerwiegende Dienstvergehen begangen zu haben. Er habe mehrfach den Befehl seines Dienstvorgesetzten verweigert, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen. Die pauschale Behauptung des Antragstellers, die Impfung gefährde seine Gesundheit, genüge nicht, um die Unverbindlichkeit des Befehls auszulösen; Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Antragsteller konkrete medizinische Gründe vorlägen, die einer Impfung entgegenstünden, lägen nicht vor. Mit seinen "offenen Briefen" vom und sowie seiner Lotus-Notes-Nachricht vom habe der Antragsteller zudem gegen seine Pflicht zur Zurückhaltung gemäß § 10 Abs. 6 SG verstoßen. Denn damit habe er den Eindruck zu erwecken versucht, dass die Führung der Bundeswehr sowie weitere höhere Vorgesetzte durch die Umsetzung der Duldungspflicht bewusst die körperliche Schädigung oder gar den Tod der ihnen anvertrauten Soldatinnen und Soldaten in Kauf nähmen. Der Antragsteller habe des Weiteren suggeriert, dass sich diese Vorgesetzten durch die Anwendung der vom Gesetzgeber vorgesehenen Maßnahmen in dem dafür vorgesehenen rechtsstaatlichen Verfahren im Falle des Verdachts von Dienstpflichtverletzungen, hier die Anwendung disziplinarer Maßnahmen, "unlauterer Mittel" bedienten und die ihnen untergebenen Soldatinnen und Soldaten "psychologisch unter Druck" setzten, um diese "zu brechen". Ferner habe der Antragsteller bewusst wahrheitswidrig behauptet, dass auf die persönlichen Belange, insbesondere die individuellen gesundheitlichen Umstände der einzelnen Soldaten keine Rücksicht genommen und diese nicht gehört würden. Letztlich werfe er seinen Vorgesetzten sogar eine strafrechtlich relevante Nötigung vor, was er in seiner Begründung zu der Beschwerde sogar noch zu dem Vorwurf der "Erpressung" steigere. Die Art und Weise seiner Äußerungen sei mithin nicht mehr durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. Der Antragsteller habe die Grenzen einer sachlich und besonnen vorgetragenen Kritik überschritten. Nach alledem sei die Annahme des Inspekteurs ..., dass der Antragsteller durch den Verdacht der Gehorsamsverweigerung und die dargestellten Verstöße gegen seine Mäßigungspflicht die militärische Ordnung und Disziplin und damit die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte erheblich gefährde, nicht zu beanstanden.

6Gegen die Entscheidung des Generalinspekteurs der Bundeswehr erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten weitere Beschwerde, die beim Bundesministerium der Verteidigung am eingegangen ist. Mit seinen "offenen Briefen" habe er lediglich von seinem Petitionsrecht nach Art. 17 GG Gebrauch gemacht. Die Mitteilung an andere Soldaten sei auch deshalb kein Dienstvergehen, weil er sich nur an der Meinungsbildung im Kameradenkreis beteiligt habe; dies sei nach § 15 SG zulässig. Aus alledem ließen sich jedenfalls keine zwingenden dienstlichen Gründe ableiten, die das angefochtene Verbot rechtfertigen könnten.

7Die weitere Beschwerde wurde mit Bescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom , dem Bevollmächtigten des Antragstellers am zugestellt, zurückgewiesen. Darin nahm das Bundesministerium der Verteidigung Bezug auf die Gründe des Beschwerdebescheids des Generalinspekteurs der Bundeswehr.

8Zwischenzeitlich wurde gegen den Antragsteller durch den Inspekteur ... mit Verfügung vom ein gerichtliches Disziplinarverfahren wegen des Verdachts eingeleitet, seine Dienstpflichten u. a. durch das in der streitgegenständlichen Verbotsverfügung beschriebene Verhalten verletzt zu haben. In dieser Verfügung wurde der Antragsteller ferner nach § 126 Abs. 1 WDO vorläufig des Dienstes enthoben und ihm verboten, Uniform zu tragen. Sie stützt sich im Wesentlichen auf das auch hier im Raum stehende Verhalten des Antragstellers.

9Der Antragsteller hat am Montag, den , durch seinen Bevollmächtigten einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Bundesministerium der Verteidigung stellen lassen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat diesen Antrag dem Senat mit einer Stellungnahme vom vorgelegt.

10Der Antragsteller macht geltend, das Dienstausübungsverbot könne nach § 22 Satz 2 SG nur erlöschen, wenn nicht bis zum Ablauf von drei Monaten ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet werde. Da dies erfolgt sei, bestehe es weiter fort. Nach der Rechtsprechung des Senats werde § 126 WDO durch die Norm des § 22 SG auch nicht verdrängt.

11Das angefochtene Verbot sei als rechtswidrig zu werten, weil der anordnende Vorgesetzte von einem rechtlich und tatsächlich unrichtig dargestellten Sachverhalt ausgegangen sei. Insbesondere sei die Maßnahme nicht zur Sicherung und Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes oder zur Gefährdung sonstiger relevanter Belange geboten gewesen.

12Der Vorwurf, Impfbefehle nicht befolgt zu haben, sei unter Verkennung der Rechtslage überdehnt dargestellt worden. Ihm habe lediglich befohlen werden können, sich zu einem zuständigen Truppenarzt zu begeben und gegebenenfalls eine Impfung nach § 17a SG zu dulden. Hingegen seien militärische Vorgesetzte nicht befugt, eine Impfung anzuordnen, da ihnen dafür die erforderliche medizinische Sachkunde fehle. Die Entscheidung, ob geimpft werde, obliege ausschließlich dem zuständigen Truppenarzt. Diesen Arzt habe er befehlsgemäß aufgesucht. Der Truppenarzt habe im Rahmen der Anamnese die von ihm gestellten Fragen nur teilweise beantwortet. Sodann sei er aufgefordert worden, der Impfung zuzustimmen. Dies habe er abgelehnt. Daraufhin habe der Truppenarzt den Impfvorgang jeweils abgebrochen. Eine Aufforderung des Truppenarztes, sich im Rahmen der Duldungspflicht unfreiwillig der Impfung zu unterziehen, sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Damit ergebe sich nach der Rechtsprechung des 2 WNB 2.22 -), dass er im Rahmen seiner Befugnisse gehandelt habe. Er sei zwar verpflichtet, duldungspflichtige Impfungen nach § 17a SG passiv zu dulden, jedoch nicht dazu, an ihnen aktiv mitzuwirken, indem er einwillige oder sonst tätig werde. Sehe der Truppenarzt mit Blick auf die versagte Zustimmung des Soldaten von einer Impfung ab und mache damit von der Duldungspflicht keinen Gebrauch, liege hierin kein Verstoß des Soldaten gegen eine nicht eingeforderte Duldung. Diese Betrachtungsweise sei mittlerweile auch in der strafgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt und habe zu zahlreichen Freisprüchen und Einstellungen geführt. Nach alledem werde die Gehorsamsverweigerung durch den Akteninhalt nicht erhärtet.

13Soweit ihm des Weiteren Meldungen und offene Briefe an Vorgesetzte und Politiker vorgeworfen würden, habe er unter Ausübung seines Petitionsrechts nach Art. 17 GG Fragen gestellt, die den Adressaten unbequem gewesen sein mögen, aber nicht rechtliche Grenzen überschritten hätten. Selbst wenn angenommen werden könnte, dass einzelne Formulierungen dabei dem Zurückhaltungsgebot nicht in Gänze genügten, wäre ein entsprechender Pflichtverstoß jedenfalls nicht von solchem Gewicht, dass er geeignet wäre, ein Verbot der Dienstausübung zu rechtfertigen.

14Der Antragsteller beantragt,

den Bescheid des Inspekteurs ... vom , den Bescheid des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom und den Bescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom aufzuheben,

hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid des Inspekteurs ... vom , der Bescheid des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom und der Bescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom rechtswidrig waren.

15Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

16Der Antrag sei bereits unzulässig. Mit der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens am sei der Soldat gleichzeitig gemäß § 126 Wehrdisziplinarordnung vorläufig des Dienstes enthoben worden. Damit erweise sich das Verbot nach § 22 Soldatengesetz als gegenstandslos. Im Übrigen wäre der Antrag auf gerichtliche Entscheidung aus den Gründen des Beschwerdebescheides des Generalinspekteurs der Bundeswehr auch in der Sache zurückzuweisen.

17Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung hat dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Gründe

18Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

191. Der Hilfsantrag ist zwar zulässig.

20a) Für den als Hauptantrag gestellten Aufhebungsantrag hat der Antragsteller allerdings kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, weil sich das Verbot der Ausübung des Dienstes nach § 22 SG in anderer Weise nach § 43 Abs. 2 SG erledigt, wenn die Einleitungsbehörde für das weitere disziplinargerichtliche Verfahren - wie hier mit Verfügung des Inspekteurs ... vom geschehen - eine vorläufige Dienstenthebung gemäß § 126 Abs. 1 WDO anordnet ( 1 WRB 2.21 - BVerwGE 174, 94 Rn. 17 m. w. N.). Soweit der Antragsteller demgegenüber meint, das Verbot könne nach § 22 Satz 2 SG nur erlöschen, wenn nicht bis zum Ablauf von drei Monaten ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet werde, lässt er außer Acht, dass diese Norm den betroffenen Soldaten lediglich vor den Folgen von Verfahrensverzögerungen aus der Sphäre des Dienstherrn bewahren soll; sie rechtfertigt hingegen nicht den Schluss, dass das Verbot fortgilt, wenn - wie hier - ein gerichtliches Disziplinarverfahren innerhalb der gesetzlichen Frist und damit ohne eine Verzögerung eingeleitet worden ist.

21b) Der Antragsteller kann sein diesbezügliches Rechtsschutzbegehren deshalb nur mit seinem vom ihm hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag weiterführen. Hierfür braucht er ein gesondertes berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung nicht nachzuweisen, weil es sich bei dem erledigten Dienstausübungsverbot um einen Befehl i. S. d. § 19 Abs. 1 Satz 2 WBO handelt ( 1 WB 67.78 - juris Rn. 37; zur Einordnung als Befehl s. auch 1 WB 36.98 - NVwZ-RR 1999, 323).

222. Der danach zulässige Antrag ist jedoch unbegründet. Das vom Inspekteur ... als zuständigem Disziplinarvorgesetzten (s. Nr. 1167 Punktaufzählung 3 i. V. m. Nr. 1.1 b) <6> der Zentralen Dienstvorschrift A-2160/6) gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene Verbot der Ausübung des Dienstes und des Tragens der Uniform war rechtmäßig.

23a) Hinreichende Anhaltspunkte für Verfahrensfehler bestehen nicht.

24aa) Aus den vorliegenden Akten ergibt sich zwar nicht, dass der Soldat vor Erlass des angefochtenen Verbots angehört worden ist (s. dazu Nr. 1169 Satz 1 ZDv A-2160/6). Dabei kann dahinstehen, ob § 28 Abs. 1 VwVfG in unmittelbarer oder analoger Anwendung auch auf Verbote i. S. d. § 22 Satz 1 SG anwendbar ist und unabhängig von der Verwaltungsübung eine Anhörungspflicht besteht (so Metzger, in: Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 22 Rn. 36 unter Hinweis auf den Maßnahmecharakter; Vogelgesang, in: Fürst/Franke/Geis/Weiß, GKÖD I, § 22 SG Rn. 15; Sanne/Weniger, Soldatengesetz, 2. Aufl. 2014, § 22 Rn. 8; a. A. Poretschkin/Lucks, Soldatengesetz, 11. Aufl. 2022, § 22 Rn. 9 unter Hinweis auf die Aufhebung des § 22 Satz 3 SG a. F., der noch eine Anhörung zwingend vorsah). Die Anhörung ist jedenfalls im Beschwerdeverfahren wirksam nachgeholt worden. Dort hat der Antragsteller die ihm eröffnete Gelegenheit wahrgenommen, sich ausführlich zu dem Verbot zu äußern (§ 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG; zur entsprechenden Heilung eines Anhörungsmangels bei einem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 66 BBG s. Hampel, in: Fürst/Franke/Geis/Weiß, GKÖD I, § 66 BBG Rn. 36).

25bb) Die Begründung des Bescheides vom begegnet zwar Bedenken, weil sie die mit den Befehlsverweigerungen verbundenen Vorwürfe in zeitlicher wie in sachlicher Hinsicht nicht näher beschreibt und der betroffene Soldat deshalb nicht erkennen dürfte, welche Verhaltensweisen ihm im vorliegenden Zusammenhang entgegengehalten werden. Diese Vorwürfe erschließen sich indessen aus dem Beschwerdebescheid des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom , der die Befehlsverweigerungen im Einzelnen aufführt. Damit liegt eine Heilung des Begründungsmangels nach §§ 39, 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor.

26b) Das angefochtene Verbot begegnet auch keinen materiell-rechtlichen Bedenken.

27Nach § 22 Satz 1 SG kann der Bundesminister der Verteidigung oder die von ihm bestimmte Stelle einem Soldaten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Ausübung des Dienstes verbieten. Zwingende dienstliche Gründe sind gegeben, wenn bei weiterer Ausübung des Dienstes durch den Soldaten auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 159.76 u. a. - BVerwGE 63, 32 <35>, vom - 1 WB 36.98 - NVwZ-RR 1999, 323 und vom - 1 WRB 2.21 - BVerwGE 174, 94 Rn. 22). Das Dienstausübungsverbot kann nach Nr. 1166 Zentralen Dienstvorschrift A-2160/6 "Wehrdisziplinarordnung und Wehrbeschwerdeordnung" mit einem Verbot, Uniform zu tragen, verbunden werden (vgl. Metzger, in: Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 22 Rn. 31).

28Da das Dienstausübungsverbot vom Dienstherrn auf Dienstpflichtverletzungen gestützt wird, die von ihm als disziplinarwürdig erachtet werden, sind an den zwingenden dienstlichen Grund i. S. d. § 22 SG dieselben Maßstäbe anzulegen, die für den besonderen rechtfertigenden Grund i. S. v. § 126 WDO gelten. Denn das Erfordernis eines rechtfertigenden Grundes beruht auf dem verfassungsmäßigen Grundsatz des Übermaßverbots. Für die Verhältnismäßigkeit einer allein auf disziplinare Erwägungen gestützten Suspendierung kann es aber nicht darauf ankommen, in welchem Verfahren der Dienstherr diese Gründe geltend macht ( 1 WRB 2.21 - BVerwGE 174, 94 Rn. 32).

29Ausgehend von der Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts zum besonderen rechtfertigenden Grund i. S. d. § 126 WDO kommt ein Dienstausübungsverbot regelmäßig bereits dann in Betracht, wenn mindestens eine Dienstgradherabsetzung im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (BVerwG, Beschlüsse vom - 2 WDB 4.22 - juris Rn. 15 m. w. N. und vom - 2 WDB 5.23 - juris Rn. 28).

30Für die rechtliche Nachprüfung kommt es nicht mehr allein auf den Zeitpunkt des Verbotserlasses an. Da mit dem Verbot ein Dauerverwaltungsakt vorliegt, sind auch nachfolgende Zeiträume in die Würdigung einzubeziehen. Mit Blick darauf, dass der Antragsteller sein Begehren im Wege eines Fortsetzungsfeststellungsantrages verfolgt, ist bei der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen und des Ermessens allerdings auf die Sach- und Rechtslage längstens bis zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses abzustellen ( 1 WB 35.07 - BVerwGE 132, 1 Rn. 32) und damit nicht auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ( 1 WRB 2.21 - BVerwGE 174, 94 Rn. 31).

31aa) Bei der im Verfahren nach § 22 SG nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lagen dessen Voraussetzungen im Zeitraum von Februar bis Mai 2022 vor. Der Soldat hat nach damaligen Erkenntnisstand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Dienstvergehen begangen. Insoweit ist es nicht erforderlich, dass das vorgeworfene Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen und aufgeklärt war. Da bei gerichtlichen Überprüfungen von Maßnahmen nach § 22 Satz 1 SG für eingehende Beweiserhebungen oder eine erschöpfende Aufklärung kein Raum ist (vgl. BVerwG, vom - 1 WB 36.98 - NVwZ-RR 1999, 232), beschränkt sich die Prüfung des Sachverhalts auf die Frage, ob anhand des bisherigen Ermittlungsergebnisses unter Berücksichtigung der vorhandenen Beweismittel und von Rückschlüssen, die durch die allgemeine Lebenserfahrung gerechtfertigt sind, zumindest der hinreichend begründete Verdacht eines Dienstvergehens besteht (vgl. zu § 126 WDO: 2 WDB 2.20 - juris Rn. 33 m. w. N.). Um einen hinreichenden Tatverdacht annehmen zu können, muss der zuständige Disziplinarvorgesetzte zwar vom Vorliegen gewisser Belastungsmomente überzeugt sein, jedoch kann die Aufklärung von Widersprüchen zwischen den Angaben der Beteiligten und den vorhandenen Beweisergebnissen der disziplinargerichtlichen Überprüfung überlassen bleiben (BVerwG, vom - 1 WB 36.98 - NVwZ-RR 1999, 323 m. w. N.). Ausgehend hiervon bestand der hinreichend begründete Verdacht, dass der Soldat sich in disziplinarisch relevanter Weise so verhalten hat, dass aller Voraussicht nach eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis zu erwarten war.

32(1) Der Verdacht kann sich zunächst auf eine hinreichende Tatsachengrundlage stützen; der Vorwurf des Antragstellers, der anordnende Vorgesetzte sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, ist nicht berechtigt.

33(a) Die bisherigen Ermittlungen rechtfertigen die Annahme des zuständigen Disziplinarvorgesetzten, dass sich der Antragsteller wiederholt geweigert hat, den Befehlen seiner Vorgesetzten zu folgen, sich gegen den COVID-19-Erreger impfen zu lassen. Im Einzelnen lagen im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt nach den bisherigen Ermittlungen folgende - vom Inspekteur ... für seine Würdigung herangezogene - Belastungsmomente vor:

34(aa) Am erteilte der Stabschef ... der Bundeswehr dem Antragsteller den schriftlichen Befehl, sich "schnellstmöglich" beim Sanitätsversorgungszentrum ... einen Termin für eine Schutzimpfung gegen COVID-19 geben zu lassen, die Impfung zu dulden und die erfolgte Impfung oder den geplanten Impftermin am zu melden. Der Antragsteller begab sich nach den Bekundungen des als Zeugen vernommenen Stabschefs zwar am nächsten oder übernächsten Tag in das Sanitätsversorgungszentrum ..., ließ sich dort aber weder impfen noch einen Impftermin geben. Am meldete sich der Antragsteller bei seinem Stabschef und teilte - ausweislich der Vernehmung dieses Vorgesetzten - mit, dass er noch nicht geimpft sei; zwischen den Jahren und in seinem danach folgenden Urlaub sei es ihm nicht möglich gewesen, einen Impftermin zu vereinbaren.

35(bb) Darauf gab der Stabschef dem Antragsteller den mündlichen Befehl, die Impfung unverzüglich vornehmen zu lassen. Dabei wies er den Antragsteller darauf hin, dass am eine "offene" Impfsprechstunde ohne Termin stattfinde oder alternativ die Möglichkeit bestünde, in ... einen Impftermin zu vereinbaren. Der Antragsteller suchte am das Sanitätsversorgungszentrum in ... auf und führte dort ein ausführliches und über eine halbe Stunde dauerndes Gespräch mit zwei Ärzten. Eine Impfung des Antragstellers erfolgte nicht. Am meldete der Antragsteller dem Stabschef telefonisch, dass er nicht geimpft worden sei. Die Frage des Stabschefs, ob er vom Arzt ein Attest erhalten habe, wurde von dem Antragsteller verneint. Dieser Sachverhalt ergibt sich ebenfalls aus der Zeugenvernehmung des Stabschefs ... Mit E-Mail vom teilte der Leiter des Sanitätsversorgungszentrums ... dem Stabschef ... mit, dass der Antragsteller "bereits einmal die Impfung gegen SARS-CoV-2/Covid-19 abgelehnt und gestern nicht bereit war, sich die Impfung geben zu lassen." Die Ablehnung der Impfung sei erfolgt, weil der Antragsteller "zuvor weitere, medizinisch nicht indizierte Schritte unternehmen wollte." Insofern habe er sich zweimal geweigert, die Impfung zu erhalten.

36Soweit der Antragsteller mit Blick auf die betrachteten Besuche im Sanitätsversorgungszentrum ... vorträgt, eine Aufforderung des Truppenarztes, sich im Rahmen der Duldungspflicht unfreiwillig der Impfung zu unterziehen, sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt, stehen dieser Darstellung des Sachverhalts die zuvor wiedergegebenen - schlüssigen und widerspruchsfreien - Angaben des Leiters des Sanitätsversorgungszentrums ... entgegen. Aus ihnen ergibt sich jedenfalls der Sache nach, dass der Antragsteller nicht bereit gewesen ist, die Schutzimpfung gegen den COVID-19-Erreger zu dulden. Dass von dem Antragsteller vor Durchführung der Impfung um die Erklärung seiner Einwilligung gebeten und der Impfvorgang nach Verweigerung einer solchen Erklärung abgebrochen worden sein soll, erscheint auch vor dem Hintergrund der Erklärung des Antragstellers gegenüber seinen Vorgesetzten nicht wahrscheinlich, der Arzt habe ihn aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft; von Antragstellerseite ist diese Erklärung nicht in Abrede gestellt worden. Das neue Vorbringen ist ersichtlich von dem Willen des Antragstellers getragen, die Rechtsprechung des 2 WNB 2.22 -) für seinen Fall fruchtbar zu machen; der zitierten Entscheidung lag indessen eine andere Fallkonstellation zugrunde. Soweit sich der Antragsteller in diesem Zusammenhang auf Entscheidungen von Strafgerichten beruft, führt dies ebenfalls nicht weiter, da von diesen Gerichten über Fälle entschieden wurde, in denen die Impfung des Soldaten - anders als nach den hier erkennbaren Umständen - von einer vorherigen Einwilligung abhängig gemacht worden ist.

37Letztlich bleibt die Aufklärung verbleibender Widersprüche zwischen den dargestellten Ermittlungsergebnissen und den Angaben des Antragstellers dem disziplinargerichtlichen Verfahren vorbehalten.

38(cc) Aus weiteren Aktenvermerken bzw. Protokollen ergibt sich, dass der Antragsteller jeweils am 21. und 28. Januar sowie am 4. und am vom Stabschef des ... bzw. seinem Stellvertreter den schriftlichen oder mündlichen Befehl erhalten hat, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen. Diese Befehle sind dem Antragsteller eröffnet und erläutert worden. Der Antragsteller hat jeweils durch seine Unterschrift bestätigt, den Befehl verstanden zu haben. Von ihm ausgeführt wurden diese Befehle nicht. Dass sich der Antragsteller zur Impfung jeweils bei einem Truppenarzt vorgestellt hätte, lässt sich seinem insoweit pauschalen Vorbringen nicht in nachvollziehbarer Weise entnehmen; Angaben dazu, wann er welchen Truppenarzt aufgesucht hätte, macht der Antragsteller nicht.

39(b) Von dem Antragsteller wird nicht bestritten, dass er unter dem einen an den Generalinspekteur der Bundeswehr gerichteten offenen Brief "zu Maßnahmen der Umsetzung der Duldungspflicht der COVID-19-Impfung innerhalb der Truppe" sowie unter dem einen weiteren offenen Brief verfasst hat, der an den Bundeskanzler, den Bundesrat, den Bundestag, die Bundesministerin der Verteidigung, die Wehrbeauftragte, die Mitglieder der Handelsverbände und an "alle frei denkenden Bürger" adressiert ist und sich ebenfalls mit den Maßnahmen gegen die Verbreitung des COVID-19-Erregers innerhalb der Bundeswehr befasst.

40(c) Nicht in Abrede gestellt wird von dem Antragsteller, dass er sich am über den für dienstliche Zwecke zur Verfügung gestellten Kommunikationskanal Lotus Notes an ca. 100 Organisationsbriefkästen gewandt hat, um seine ablehnende Haltung gegenüber der Pflicht zur Duldung der COVID-19-Impfung auszudrücken und die Adressaten u. a. dazu aufzufordern, "endlich diesen blinden Gehorsam" gegenüber dieser Pflicht zu beenden und die "wahnsinnige Hexenjagd auf teilweise wehrlose Kameraden, die mit unlauteren Mitteln jeden Tag zu etwas gezwungen werden, dass nachweislich nicht ihrer Gesundheit nützt" zu stoppen.

41(2) Der Soldat hätte im Fall der Erweislichkeit der Vorwürfe ein Dienstvergehen begangen, weil er schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt hätte.

42(a) In der wiederholten Weigerung des Antragstellers, sich einer Schutzimpfung gegen den COVID-19-Erreger zu unterziehen, läge jeweils ein Verstoß gegen die Gehorsamspflicht nach § 11 Abs. 1 SG (zum nachfolgenden 2 WD 5.23 - NVwZ-RR 2024, 110 Rn. 20 ff.).

43(aa) Bei den Befehlen handelte es sich um Befehle i. S. d. § 11 Abs. 1 Satz 2 SG. Denn der Soldat wurde damit entsprechend der insoweit zugrunde zu legenden Definition in § 2 Nr. 2 WStG (vgl. 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <310>) von seinen Vorgesetzten jeweils mit dem Anspruch auf Gehorsam zu einem bestimmten Verhalten angewiesen, hier dazu, sich der Schutzimpfung gegen den COVID-19-Erreger zu unterziehen. Entgegen der Ansicht des Antragstellers hat der jeweils befehlende Vorgesetzte mit dem jeweiligen Befehl nicht die Impfung selbst angeordnet, sondern die Wahrnehmung des Termins zur Impfung und deren Duldung. Jedenfalls bei den ersten beiden Befehlen wurde die Duldung der Impfung von einer vorhergehenden ärztlichen Feststellung der Impftauglichkeit abhängig gemacht. Bei den weiteren Befehlen ging der jeweils befehlende Vorgesetzte nach den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen davon aus, dass bei dem Antragsteller keine Kontraindikation vorlag. In dem hier angenommenen Sinne sind die Befehle auch von dem Antragsteller verstanden worden.

44(bb) Die Befehle hat der Antragsteller nicht ausgeführt. Er hat sich - trotz jeweils fehlender Kontraindikation - nicht impfen lassen. Dadurch, dass sich der Antragsteller jedenfalls auf die Befehle vom und im Sanitätsversorgungszentrum ... vorgestellt hat, vermochte er seiner Gehorsamspflicht nicht zu genügen, zumal er mit den Befehlen auch dazu angehalten worden ist, seinem Vorgesetzten den Vollzug der Impfung zu melden. Wie bereits dargestellt, ist der Antragsteller nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen des Dienstherrn von dem für die Impfung zuständigen Truppenarzt auch nicht darum gebeten worden, vor der jeweiligen Impfung seine Einwilligung in diese Maßnahme zu erklären. Die Ausführung der besagten Befehle war für ihn damit auch nicht etwa rechtlich unmöglich.

45(cc) Die Befehle waren verbindlich.

46Ein gesetzlicher Unverbindlichkeitsgrund bestand nicht. Insbesondere wurden die Befehle zu dienstlichen Zwecken i. S. d. § 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 SG erteilt (dazu 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <311>). Denn sie dienten der Umsetzung der seit dem im Grundsatz für alle aktiven Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr unmittelbar geltenden Duldungspflicht hinsichtlich der COVID-19-Schutzimpfung (vgl. 1 WB 2.22 - juris Rn. 3). Dass die diesem Zweck dienten, ergibt sich auch daraus, dass in den schriftlichen Befehlen vom und vom auf diese Duldungspflicht verwiesen worden ist. Der Antragsteller musste vor diesem Hintergrund auch bei den übrigen - zeitlich nachfolgenden - Befehlen, die mündlich erteilt worden sind, von diesem Zusammenhang ausgehen.

47Es lag auch kein anerkannter, ungeschriebener Unverbindlichkeitsgrund vor. Zwar ist ein Befehl, der eine so große Gefahr für Leib oder Leben von Untergebenen herbeiführt, dass diese Gefahr in keinem Verhältnis zu dem dienstlichen Zweck des Befehls steht, unverbindlich (vgl. 2 WD 7.21 - BVerwGE 175, 118 Rn. 50 m. w. N.). Dementsprechend sind auch ärztliche Infektionsschutzmaßnahmen nach § 17a Abs. 4 Satz 2 SG unzumutbar, wenn sie mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind. Dabei kommt es jedoch nicht auf die subjektive Einschätzung des betroffenen Soldaten an. Denn die in Art. 87a Abs. 1 GG vorausgesetzte Funktionsfähigkeit der Bundeswehr wäre gefährdet, wenn die Frage der Zumutbarkeit von mit gesundheitlichen Risiken verbundenen Befehlen von der individuellen Risikoeinschätzung der einzelnen Soldaten abhängig wäre ( 2 WNB 8.20 - juris Rn. 7). Vielmehr kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 17a Abs. 4 Satz 2 SG auf das objektive Bestehen einer solchen Gefahr bei Durchführung der ärztlichen Maßnahme an (vgl. 2 WNB 8.20 - juris Rn. 14).

48Auch danach waren die in Rede stehenden Befehle verbindlich. Der Senat hat in seinen Beschlüssen vom - 1 WB 2.22 und 1 WB 5.22 - festgestellt, dass die Aufnahme der COVID-19-Impfung in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen mit Wirkung vom unter Berücksichtigung des von Art. 2 Abs. 2 GG geschützten körperlichen Integritätsinteresses der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr rechtmäßig war und sich daran bis zur Beschlussfassung nichts geändert hat. Dabei hat er die zu erwartenden Risiken und Nebenwirkungen, die bei den zur Verfügung stehenden und nach Mitteilung des Dienstherrn eingesetzten mRNA-Impfstoffen auftreten, in die Rechtmäßigkeitsprüfung einbezogen (vgl. 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 32). Dem hat er den Nutzen der COVID-19-Schutzimpfung, namentlich ihre gewichtigen Vorteile für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, gegenübergestellt. Er hat erläutert, weshalb der Dienstherr bei der Abwägung der privaten Interessen eines Soldaten, sich nicht dem Nebenwirkungsrisiko einer COVID-19-Impfung auszusetzen und seine persönliche Abwägungsentscheidung zwischen dem Impf- und dem Erkrankungsrisiko zu treffen, von einem Überwiegen des öffentlichen Interesses ausgehen durfte.

49(dd) Der Soldat handelte vorsätzlich, weil er die Befehle wie auch seine Verpflichtung zum Gehorsam kannte und sich dennoch der jeweiligen Impfung nicht unterzog.

50(ee) Der Antragsteller ist nicht nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 SG von der Verantwortung befreit. Denn es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er irrig annahm, es handele sich um Befehle, welche die Menschenwürde verletzen oder nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt wurden. Entsprechendes gilt für die Annahme eines unvermeidbaren Irrtums über das Vorliegen eines ungeschriebenen Unverbindlichkeitsgrundes entsprechend § 17 Satz 1 StGB.

51(b) Mit dem zuvor erörterten Verhalten hat der Antragsteller zugleich vorsätzlich gegen die Pflichten zur Duldung ärztlicher Maßnahmen nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG, zum treuen Dienen nach § 7 SG und zur Wahrung der Disziplin nach § 17 Abs. 1 SG sowie die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG verstoßen (s. dazu im Einzelnen 2 WD 5.23 - NVwZ-RR 2024, 110 Rn. 34 ff.). Soweit der Soldat seine Weigerung gegenüber seinen Vorgesetzten mit der unzutreffenden Angabe begründet hat, die Impfung sei von den Truppenärzten aus gesundheitlichen Gründen nicht durchgeführt worden, liegt überdies ein Verstoß gegen die nach § 13 Abs. 1 SG bestehende Pflicht vor, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen.

52(c) Ob der Antragsteller mit seinen offenen Briefen und seiner E-Mail vom gegen Dienstpflichten verstoßen hat, kann dahinstehen.

53bb) Für das Dienstvergehen stünde bereits mit Blick auf die Befehlsverweigerungen die Höchstmaßnahme im Raum.

54(a) Der Senat lässt sich bei der Beurteilung der voraussichtlich vorzunehmenden Bemessung von der überzeugenden Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zum Nachfolgenden 2 WD 5.23 - NVwZ-RR 2024, 110 Rn. 41 ff.) leiten.

55(aa) Bei Art und Maß der für das Dienstvergehen zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen.

56Bei Verstößen gegen die Gehorsamspflicht bildet - je nach Schwere des Verstoßes - eine Gehaltskürzung, ein Beförderungsverbot oder auch eine Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, wobei bei einer Kombination von Pflichtverletzungen den Umständen des Falles auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen Rechnung getragen wird (vgl. 2 WD 20.18 - juris Rn. 61 m. w. N.). Eine Gehorsamsverweigerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG hinsichtlich des Befehls zur Wahrnehmung der COVID-19-Schutzimpfung stellt (vgl. zum Nachfolgenden 2 WD 5.23 - NVwZ-RR 2024, 110 Rn. 44) eine schwere Verletzung der Gehorsamspflicht dar, für die, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung ist. Denn es handelt sich um eine Wehrstraftat. Zwar hat sie nicht zu konkreten Gefahren für Leib und Leben anderer geführt, aber zu insoweit erhöhten abstrakten Gefahren insbesondere für die Kameraden, wodurch zugleich die allgemein-militärische Einsatzfähigkeit des Soldaten selbst und seiner Kameraden abstrakt gefährdet wurde. Zwar versprach die Impfung unter der damaligen Dominanz der Deltavariante keinen vollständigen Schutz, sondern nur einen 90%igen Schutz gegen schwere Verläufe und einen 75%igen Schutz gegen symptomatische Erkrankungen. Unter dem Gesichtspunkt der allgemein-militärischen Einsatzfähigkeit ist aber auch schon eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Verhinderung eines schweren Verlaufs einer COVID-19-Erkrankung als bedeutender Vorteil einzustufen. Eine Reduzierung schwerer Verläufe bewirkt nicht nur für die infizierten Soldatinnen und Soldaten einen geringeren Leidensdruck und eine kürzere Leidenszeit. Zugleich bedeutet dies für den Dienstherrn kürzere Ausfallzeiten mit insgesamt höherer Einsatzbereitschaft. Hinzu kommt, dass eine 75%ige Reduzierung symptomatischer Erkrankungen ein gewichtiges Weniger an Ausfallzeiten durch Erkrankung und Quarantäne verspricht. Gleichzeitig wird mit der Reduzierung symptomatischer Erkrankungen auch eine Verringerung der Transmission des Virus innerhalb der Truppe erreicht, was die Gefahr einer Infektion anderer Soldaten mindert, Angehörige vulnerabler Gruppen innerhalb der Streitkräfte schützt und der Einsatzbereitschaft der Verbände insgesamt zugutekommt (vgl. 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 124).

57(b) Gemessen daran und bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt erweist sich voraussichtlich nur eine Entfernung des Antragstellers aus dem Dienstverhältnis als angemessene Reaktion auf dessen Dienstvergehen.

58(aa) Die Gesamtumstände rechtfertigen die Annahme eines vollständigen Vertrauensverlustes schon allein durch die wiederholten Befehlsverweigerungen. Es handelt sich nicht nur um ein Dienstvergehen, das nach Art und Schwere schon sehr schwer wiegt (s. dazu näher 2 WD 5.23 - NVwZ-RR 2024, 110 Rn. 47), zumal der Antragsteller mit seiner sechsmaligen Verweigerung eine besondere Beharrlichkeit offenbart hat. Hinzutreten hier überdies erschwerende Momente, wie die Vorgesetzteneigenschaft (s. 2 WD 5.23 - a. a. O. Rn. 61), seine herausgehobene Stellung als Stabsoffizier (s. zu diesem gravierenden Erschwerungsgrund 2 WD 15.03 - NVwZ-RR 2006, 553 m. w. N.) und der Umstand, dass das Dienstvergehen Ausdruck einer gefestigten Gegnerschaft gegen die Pflicht zur Duldung der Schutzimpfung gegen den COVID-19-Erreger ist. Letzteres hat der Antragsteller mit seinen "offenen Briefen" und seiner E-Mail vom unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.

59(bb) Mildernde Umstände solchen Gewichts, die den Übergang zu einer milderen Maßnahmeart als angezeigt erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich und von dem Antragsteller auch nicht vorgetragen worden. Ob eine mildernd zu berücksichtigende Überlänge des Verfahrens anzunehmen ist, kann dahinstehen. Denn wenn das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört ist, kann ein solcher Umstand nicht maßnahmemildernd berücksichtigt werden (vgl. 2 WD 9.20 - BVerwGE 171, 280 Rn. 48 m. w. N.).

60cc) Der Dienstbetrieb würde bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst auch empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet. Durch die wiederholte Befehlsverweigerung hat der Soldat - wie der Dienstherr in der Verbotsverfügung zutreffend betont - gezeigt, dass er nicht bereit ist, sich in das Über- und Unterordnungsverhältnis der Streitkräfte einzuordnen und das für eine militärische Organisation bestimmende Strukturprinzip der militärischen Disziplin anzuerkennen. Darüber hinaus hat der Antragsteller durch seine "offenen Briefe" und seine E-Mail vom die Aufmerksamkeit auf sein der militärischen Disziplin abträglichen Verhalten gelenkt und damit die Gefahr erhöht, dass seine Befehlsverweigerungen im Kameradenkreis bekannt werden und dort als negatives Beispiel wirken. Infolge seiner Verhaltensweisen hat der Antragsteller das Vertrauen seiner Vorgesetzten in seine Integrität vollständig verloren. Ein Belassen des Soldaten in seiner dienstlichen Verwendung schadet nicht nur dem Ansehen der Bundeswehr, sondern bewirkt nach innen auch deshalb eine Gefährdung bzw. Störung des Dienstbetriebs, weil dadurch der Eindruck insbesondere bei Kameraden erzeugt werden könnte, dass es sich bei den Dienstpflichtverletzungen um Bagatellen handelt. Darüber hinaus muss im Interesse der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr sichergestellt werden, dass sich der Antragsteller nicht erneut dienstlicher Kommunikationsmittel bedient, um andere Kameraden zu Dienstpflichtverletzungen zu motivieren.

61cc) Das Dienstausübungsverbot erweist sich schließlich auch nicht als ermessensfehlerhaft. Abgesehen davon, dass die Entscheidung, einen Soldaten, der beharrlich Befehle verweigert, sich impfen zu lassen, und überdies andere Kameraden dazu auffordert, der Duldungspflicht gegenüber COVID-19-Schutzimpfungen zuwider zu handeln, vorübergehend auf keinem Dienstposten einzusetzen und ihn vorübergehend keine Uniform tragen zu lassen, nicht als sachwidrig erachtet werden kann, ist das durch § 22 Satz 1 SG grundsätzlich eröffnete Ermessen bei Vorliegen eines zwingenden dienstlichen Grundes nicht mehr hinsichtlich der Anordnung der Maßnahme als solcher, sondern im Wesentlichen nur noch dahin eröffnet, ob es eine andere Möglichkeit gibt, den betreffenden Soldaten zu verwenden, gegebenenfalls auch zu Dauer und Umfang des Verbots (so zu § 39 Abs. 1 BeamtStG bzw. § 66 BBG; - juris Rn. 93; - juris Rn. 13; OVG Schleswig, Beschluss vom - 2 MB 23/16 - juris Rn. 26; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 66 Rn. 21).

62Der Inspekteur ... hat in der Verbotsverfügung ausgeführt, dass das Verhalten des Antragstellers einen vollständigen Vertrauensverlust in die Integrität und Rechtmäßigkeit der Dienstausübung des Soldaten zur Folge habe und dessen weitere dienstliche Tätigkeit nicht zu verantworten sei. Darin kann zugleich die Feststellung erblickt werden, dass mildere Mittel im Sinne einer anderweitigen Verwendung nicht gegeben sind; sie wird in dem Beschwerdebescheid des Generalinspekteurs der Bundeswehr bekräftigt, dass bedingt durch den Vertrauensverlust auch eine mildere Maßnahme als der Ausspruch des Dienstausübungsverbots nicht angezeigt sei. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden, weil im Hinblick auf die Art und Schwere des Dienstvergehens nach derzeitigem Sachstand die Entfernung des Antragstellers aus dem Dienst zumindest ernsthaft in Betracht kommt und seine Weiterverwendung bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens dem Dienstherrn nicht zuzumuten ist. Dem Soldaten werden dadurch auch keine Nachteile zugefügt, die außer Verhältnis zu dem Interesse des Dienstherrn stehen, den Soldaten, der eines schwerwiegenden Dienstvergehens hinreichend verdächtig ist, bis zur endgültigen Klärung des Vorwurfs von der Dienstausübung und dem Tragen der Uniform auszuschließen. Dass sich die angefochtenen Bescheide nicht zu den Interessen des Antragstellers äußern, ist nach alledem unschädlich, zumal auch der Antragstellervortrag keine substantiellen Darlegungen enthält, der die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung in Frage stellen könnten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:290224B1WB22.23.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-65728