BGH Beschluss v. - 4 StR 473/23

Instanzenzug: LG Essen Az: 26 KLs 2/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Diebstahl mit Waffen sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB begegnet durchgreifenden Bedenken. Der Senat hat seiner Entscheidung die am in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB zugrunde zu legen (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO; vgl. Rn. 6; Beschluss vom – 5 StR 509/23 Rn. 2; Beschluss vom – 4 StR 221/23 Rn. 6). Die Neufassung stellt strengere Anforderungen an die Annahme sowohl eines Hangs als auch eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen diesem und einer Anlasstat sowie an die Erfolgsprognose.

3Diesem Anforderungsmaßstab, den das Landgericht zum Zeitpunkt seiner Urteilsfassung noch nicht anwenden konnte, werden die Erwägungen zur Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht gerecht.

4Für einen Hang ist nach § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB nF eine Substanzkonsumstörung erforderlich, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Beide Merkmale – schwerwiegend und dauernd – müssen im betroffenen Lebensbereich kumulativ erfüllt sein (vgl. Rn. 18 mwN).

5Gemessen daran belegen die Urteilsgründe eine Substanzkonsumstörung eines solchen Schweregrades nicht. Die vom Landgericht festgestellte Opiatabhängigkeit ging insbesondere nicht mit erheblichen Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit des Angeklagten einher, soweit er in den letzten beiden Jahren vor Tatbegehung als Berufskraftfahrer tätig war, sich um seine Familie kümmerte und über mehrmonatige Zeiträume abstinent lebte.

6Auch ein symptomatischer Zusammenhang dergestalt, dass die Anlasstat „überwiegend“ auf den Hang zurückgeht (§ 64 Satz 1 Halbsatz 1 StGB nF), kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Nach den Feststellungen führte die Opiatabhängigkeit des Angeklagten zu seinen Kontakten ins Drogenmilieu. Zudem stand er bei der Tat unter dem Einfluss von Kokain und Morphin, was zu deren Begehung „beigetragen“ hat. Damit ist zwar eine – zum Urteilszeitpunkt für die Unterbringung nach § 64 Satz 1 StGB aF ausreichende – Mitursächlichkeit seiner Betäubungsmittelabhängigkeit für die Anlasstaten gegeben. Es fehlt jedoch eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit diese die ausschlaggebende („überwiegende“) Ursache für den von ihm begangenen Ladendiebstahl von Werkzeugen und den anschließenden körperlichen Angriff auf die Polizeibeamten im Zuge seiner Festnahme war.

7Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit – wiederum unter Heranziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

82. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260324B4STR473.23.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-65470