Anordnung der Haft bis zur Abschiebung: Zulässigkeit der Übernahme von Teilen eines Haftantrags durch Haftrichter
Leitsatz
Die wörtliche Übernahme von Teilen eines Haftantrags durch den Haftrichter rechtfertigt nicht die Annahme, dass eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Richter nicht stattgefunden habe. Dies kann nur bei Vorliegen hinreichender und konkreter Anhaltspunkte dafür begründet sein, dass eine eigenständige richterliche Prüfung nicht stattgefunden hat.
Gesetze: Art 104 Abs 2 S 1 GG, § 26 FamFG
Instanzenzug: Az: 39 T 9/22vorgehend Az: 507b XIV(B) 241/21
Gründe
1I. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am ein Asylbegehren in den Niederlanden. Bis zum November 2021 stellte er insgesamt sieben weitere Schutzanträge in den Niederlanden, Deutschland, Luxemburg, Dänemark, Schweden und der Schweiz. Nachdem der in Deutschland am gestellte Asylantrag bestandskräftig als unzulässig abgelehnt, die Abschiebung in die Niederlande angeordnet sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden war, wurde der Betroffene am in die Niederlande abgeschoben. Am wurde er aus Dänemark kommend dorthin zurückgeschoben; gegen ihn wurde erneut ein nunmehr bis zum gültiges Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen. Am wurde er am Kölner Hauptbahnhof festgenommen.
2 Das Amtsgericht hat am gleichen Tag gegen den Betroffenen Überstellungshaft bis zum angeordnet. Dagegen hat er am Beschwerde eingelegt. Am , dem Betroffenen zugestellt am , ist gemäß § 34a AsylG die Abschiebung in die Niederlande angeordnet und ein erneutes Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden. Nachdem der Betroffene am in die Niederlande abgeschoben worden war, hat das Landgericht die nunmehr noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Feststellungsbegehren weiter.
3II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
41. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Überstellungshaft sei zu Recht angeordnet worden. Es liege ein zulässiger Haftantrag vor. Die beteiligte Behörde habe die erforderlichen Verfahrensschritte mit konkretem Bezug zum Zielstaat nachvollziehbar dargelegt und sich dabei damit auseinandergesetzt, dass der Betroffene kurz zuvor als gewaltbereit aufgefallen sei und daher besondere Schutzmaßnahmen erforderlich gewesen seien. Die Berücksichtigung möglicher Verzögerungen sei zulässig. Dem stehe nicht entgegen, dass der Betroffene bereits am habe abgeschoben werden können. Ein Verstoß gegen § 26 FamFG dadurch, dass das Amtsgericht die Ausführungen im Haftantrag übernommen habe, sei nicht ersichtlich. Aus der Übernahme des Wortlauts könne ein solcher Verstoß nicht geschlossen werden. Ein Mehrwert sei mit der vom Betroffenen geforderten Umformulierung nicht verbunden, wenn - wie hier - die Behörde den Sachverhalt zutreffend darstelle.
52. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der Haftantrag der beteiligten Behörde zulässig. Die Haftanordnung war auch bis zum , dem Tag der Abschiebung des Betroffenen, rechtmäßig.
6a) Der Haftantrag ist zulässig.
7aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7 mwN; vom - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7).
8bb) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag gerecht.
9(1) Die beteiligte Behörde führt zur beantragten Haftdauer aus, gemäß Art. 28 Abs. 3 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO habe der ersuchte Staat binnen zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs die Wiederaufnahme zu erklären. Spätestens sechs Wochen nach der Annahme des Gesuchs habe die Überstellung zu erfolgen. Sobald feststehe, dass die Überstellung erfolgen könne, ordne das Bundesamt die Abschiebung gemäß § 34a AsylG an. Dafür werde eine Woche benötigt. Daran schließe sich eine Wartefrist von zwei Wochen an, in der der Betroffene wegen der Möglichkeit eines Rechtsschutzantrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO und einer mit den Verwaltungsgerichten vereinbarten Schutzfrist nicht abgeschoben werden könne. Sobald danach die Überstellung durchgeführt werden könne, erfolge die Planung der Maßnahme. Vorliegend sei eine Landabschiebung am Grenzübergang Aachen-Nord geplant, die grundsätzlich täglich von Montag bis Freitag stattfinden könne. Voraussetzung dafür sei, dass das Bundesamt das Formblatt zu den Überstellungsmodalitäten der Niederlande an die beteiligte Behörde übersende und darüber nach sofortiger Rückmeldung der beteiligten Behörde die konkreten Modalitäten an die Niederlande kommuniziert würden. Gleichzeitig werde ein Dublin-Laissez-Passer als Reisedokument ausgestellt. Die Vorlaufzeit dafür belaufe sich auf fünf Werktage und im Krankheitsfall auf 12 Werktage. Das gelte auch dann, wenn die Planung schon während der Schutzfrist beginne. Zu berücksichtigen sei vorliegend, dass der Betroffene am in der Zentralen Unterbringungseinrichtung E versucht habe, einen Mitbewohner mit einem Messer anzugreifen. Überstellungen in die Niederlande seien aktuell möglich, wobei ein PCR-Test vor der Maßnahme durchgeführt werden müsse.
10(2) Diese Angaben reichen aus. Die beteiligte Behörde hat dargelegt, welche Schritte für die Überstellung erforderlich sind und welchen Zeitraum sie in Anspruch nehmen. Die Zeitangaben füllen den Zeitraum von acht Wochen vollständig aus, soweit der für einen etwaigen Krankheitsfall angegebene Zeitraum von 12 Werktagen zugrunde gelegt wird; sie erlauben dem Haftgericht konkrete Nachfragen und genügen deshalb den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG. Ob sie inhaltlich tragfähig sind, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Haftantrags (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 47/20, juris Rn. 13; vom - XIII ZB 87/20, juris Rn. 10).
11b) Entgegen der Rechtsbeschwerde war die Anordnung von Haft bis zur Abschiebung des Betroffenen am rechtmäßig.
12aa) Die Haftgerichte sind nach Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich und nach § 26 FamFG einfachrechtlich verpflichtet, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Die Freiheitsgewährleistung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch insoweit Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für die Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht. Der Richter hat nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die Verantwortung für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm angeordneten oder bestätigten Haft zu übernehmen. Dazu muss er die Tatsachen feststellen, die die Freiheitsentziehung rechtfertigen (, NVwZ-RR 2020, 801 Rn. 48 ff.; BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 14/19, juris Rn. 14; vom - XIII ZB 5/20, juris Rn. 12 mwN), wobei eine Bezugnahme auf den Haftantrag genügen kann (, juris Rn. 10).
13bb) Im Streitfall konnte der Sachverhalt, der sich aus dem Haftantrag ergab und den das Amtsgericht nicht durch eigene Ermittlungen ergänzt hat, lediglich eine Haftanordnung bis zum rechtfertigen. Der Zeitraum von 5 Wochen - bestehend aus zwei Wochen bis zur Erklärung über das Überstellungsersuchen, einer Woche für die Entscheidung gemäß § 34a AsylG und zwei weiteren Wochen für die Wartefrist -, der voraussichtlich bis zur Bestandskraft einer Entscheidung gemäß § 34a AsylG benötigt wurde, endete am Montag, den . Daran schlossen sich nach den ohne weiteres nachvollziehbaren Angaben der beteiligten Behörde fünf Werktage bis zum an, in denen die Überstellung organisiert werden musste. Zwei Tage wurden für den PCR-Test benötigt. Ohne weitere Nachforschungen hätte das Amtsgericht sodann ab dem allenfalls einen zeitlichen Puffer von höchstens sechs Tagen (vgl. , juris Rn. 13) vorsehen dürfen. Die im Haftantrag angegebenen, im Krankheitsfall benötigten 12 Werktage für die Vorbereitung der Abschiebung stellten nichts anderes als die Geltendmachung eines zeitlichen Puffers für allfällige Verzögerungen dar, der indes von der Behörde fünf Tage zu lang bemessen war. Ohne weitere Nachforschungen zu den dafür bestehenden Gründen hätte das Haftgericht daher Haft nicht über den hinaus anordnen dürfen.
14cc) Da der Betroffene aber bereits am abgeschoben worden ist, kommt es darauf nicht an. Für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft im Zeitraum vom 16. bis besteht kein Feststellungsinteresse, weil diese Haft nicht vollzogen wurde und besondere Umstände, die gleichwohl ein solches begründen könnten, nicht ersichtlich sind (vgl. , juris Rn. 12 ff.).
15dd) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Haftanordnung bis zum auch nicht deshalb rechtswidrig, weil der Richtervorbehalt gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG durch den Beschluss des Amtsgerichts in Bezug auf diesen Zeitraum nicht eingehalten worden wäre. Der Inhalt des Beschlusses rechtfertigt nicht die Annahme, dass die nach den obigen Maßgaben erforderliche richterliche Prüfung nicht stattgefunden hätte.
16(1) Die wörtliche Übernahme von Teilen eines Haftantrags durch den Haftrichter rechtfertigt (allein) nicht die Annahme, eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Richter habe nicht stattgefunden. Durch seine Unterschrift bezeugt der Haftrichter vielmehr, dass er den von der Unterschrift gedeckten Text geprüft und in seinen Willen aufgenommen hat und damit als Richter verantwortet. Die gegenteilige Annahme kann nur bei Vorliegen hinreichender und konkreter Anhaltspunkte begründet sein (, NJW 2015, 851 Rn. 18 f. zu einer Durchsuchungsanordnung; vgl. auch LG Paderborn, NZWiSt 2021, 366 Rn. 11). Nicht hinnehmbar ist es, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände die Notwendigkeit der Erörterung eines offensichtlichen Problems aufdrängen musste und gleichwohl eine Prüfung vollständig fehlt (, NJW 2009, 2516 Rn. 29 zu einer Durchsuchungsanordnung).
17(2) Solche Anhaltspunkte finden sich im Beschluss nicht und zeigt auch die Rechtsbeschwerde nicht auf. Allein der Umstand, dass das Amtsgericht die Seiten 3 und 4 des Haftantrags insoweit wörtlich einschließlich eines fehlenden Satzzeichens übernommen hat, reicht dafür nicht aus. Dass das Haftgericht nicht erkannt hat, dass die Angaben im Haftantrag zu den im Krankheitsfall benötigten 12 Werktagen letztlich einen zu langen zeitlichen Puffer für allfällige Verzögerungen darstellten, der eine Haft über den hinaus nur bei entsprechenden Nachforschungen gegebenenfalls hätte rechtfertigen können, erlaubt nicht den Schluss, das Amtsgericht habe die Angaben im Haftantrag in Bezug auf den bis zum betroffenen - ohne Zweifel benötigten - Haftzeitraum nicht geprüft und in seinen Willen aufgenommen. Eine solche Annahme unterstellte den teilweise erheblich belasteten Haftrichtern, die zudem die Haftanträge unter großem Zeitdruck zu bearbeiten haben, und daher auf eine zeitsparende und effiziente Arbeitsweise angewiesen sind, letztlich pauschal eine mit dem richterlichen Arbeitsethos nicht vereinbare Arbeitsweise. Ein solches Misstrauen ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich die Verletzung des Richtervorbehalts bei hinreichenden und konkreten Anhaltspunkten unter den besonderen Umständen des Falles aufdrängen muss.
183. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Kirchhoff Roloff Tolkmitt
Holzinger Kochendörfer
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:050324BXIIIZB65.22.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-65167