BGH Urteil v. - VII ZR 597/21

Instanzenzug: Az: 5 U 126/20vorgehend Az: 3 O 16/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr im Dezember 2015 als Gebrauchtwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs Mercedes Benz C 220 d in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Euro 6) ausgestattet. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem temperaturgesteuert mittels eines sogenannten Thermofensters. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen.

2Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat sie zuletzt die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung reduzierten Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen verlangt.

3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

Gründe

4Die Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB scheitere ebenso wie ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB aus mehreren Gründen. Die Beklagte habe durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Sie habe auch nicht vorsätzlich der Klägerin einen Schaden zugefügt. Der Klägerin stehe ebenso wenig ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV zu, da diese Haftungsvorschriften Vorsatz zumindest im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung voraussetzten.

II.

7Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens verneint hat. Hieran ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags der Klägerin ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin (vgl. Rn. 14, VersR 2021, 1252; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 19, NJW 2021, 921; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom - VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris) übergangen hätte.

92. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245).

10Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245; Urteil vom - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).

III.

11Danach hat die angefochtene Entscheidung keinen Bestand. Sie ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290224UVIIZR597.21.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-65161