Krankenversicherung - Zytostatikaversorgung - ungeschriebene vertragliche Nebenpflicht im Leistungserbringungsrecht (hier: Informationspflicht bezüglich der Verwendung deutlich preisgünstigerer und nicht für den deutschen Markt bestimmter Zytostatikazubereitungen) - vertraglicher Schadensersatzanspruch
Leitsatz
Im Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung können ungeschriebene vertragliche Nebenpflichten bestehen, deren Verletzung einen vertraglichen Schadensersatzanspruch begründet.
Gesetze: § 69 SGB 5, § 129 SGB 5, § 61 S 2 SGB 10, § 241 Abs 2 BGB, § 280 Abs 1 BGB
Instanzenzug: Az: S 18 KR 378/15 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 5 KR 591/19 Urteil
Tatbestand
1Im Streit steht ein Schadensersatzanspruch für die Vergütung von Zytostatikazubereitungen in den Jahren 2004 bis 2007.
2Die Beklagte war Inhaberin einer Apotheke, in der Zytostatikazubereitungen hergestellt wurden. Mit von ihr aus Zytostatika-Fertigarzneimitteln hergestellten und abgegebenen Zytostatikazubereitungen als Rezepturarzneimitteln wurden ua Versicherte der klagenden Krankenkasse behandelt. Die Beklagte verwendete für die Herstellung der streitigen Zytostatikazubereitungen Fertigarzneimittel, die nicht für den deutschen Markt bestimmt waren, nicht über eine deutsche Pharmazentralnummer verfügten und die im Vergleich zu für den deutschen Markt bestimmten Fertigarzneimitteln deutlich preisgünstiger waren. Jeweils standen in Deutschland wirkstoffgleiche, mit deutscher Pharmazentralnummer versehene Fertigarzneimittel zu deutlich höheren Preisen zur Verfügung. Für die von der Beklagten verwendeten, nicht für den deutschen Markt bestimmten Fertigarzneimittel bestand in Deutschland kein Preisregime.
3Die Beklagte rechnete Zytostatikazubereitungen gegenüber der Klägerin jeweils nach den von der AMPreisV iVm der vertraglichen "Hilfstaxe" geregelten einheitlichen Apothekenabgabepreisen ab, welche auf Basis der einheitlichen Herstellerabgabe- und Apothekeneinkaufspreise zur Herstellung verwendeter Fertigarzneimittel auf dem deutschen Markt ermittelt waren ("Lauer-Taxe"), und verwendete dazu die im streitigen Zeitraum zutreffende deutsche Pharmazentralnummer für Rezepturarzneimittel. Durch deren Verwendung war für die Klägerin nicht erkennbar, dass die bei der Herstellung der streitigen Zytostatikazubereitungen verwendeten Fertigarzneimittel nicht für den deutschen Markt bestimmt waren und keine deutsche Pharmazentralnummer hatten. Die entsprechenden Abrechnungen der Beklagten in den Jahren 2003 bis 2007 wurden von der Klägerin vergütet, die von der Beklagten über ihren Beschaffungsweg und die tatsächlichen geringeren Einkaufspreise der verwendeten Fertigarzneimittel nicht informiert worden war.
4Seit 2007 liefen Ermittlungen gegen die Beklagte, von denen die Klägerin in 2007 Kenntnis erlangte. Sie erhob in 2010 Klage auf Feststellung, dass die Beklagte den wegen möglicherweise falscher Abrechnung von Zytostatikarezepturen entstandenen Schaden zu ersetzen habe. In 2011 legte sie eine Schadensbezifferung für die Jahre 2004 bis 2007 in Höhe von 374 999,63 Euro vor und beantragte die Verurteilung der Beklagten zur Schadensersatzzahlung in dieser Höhe. Nachdem die Klägerin in 2012 begonnen hatte, für die Jahre 2004 bis 2007 gegenüber unstreitigen Vergütungsansprüchen der Beklagten aufzurechnen, erhob diese Widerklage wegen einbehaltener Vergütungen. Das SG ordnete in 2013 das Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluss des Strafverfahrens gegen die Beklagte an, das in 2015 eingestellt wurde.
5Im fortgesetzten Verfahren hat die Klägerin an ihrem Schadensersatzanspruch für 2004 bis 2007 festgehalten und insoweit noch nicht aufgerechnete 723,67 Euro sowie einen Schadensersatzanspruch für 2003 geltend gemacht. Die Beklagte hat ihre Widerklage auf Zahlung von 374 275,96 Euro im Wege der Aufrechnung einbehaltener Vergütungen aufrechterhalten. Das SG hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben (Urteil vom ). Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihre Klage in Höhe von 69 793,91 Euro zurückgenommen. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 723,67 Euro zu erstatten, sowie die Widerklage der Beklagten abgewiesen: Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu, weil diese - ungeachtet fehlender Strafbarkeit - gegen vertragliche Nebenpflichten im öffentlich-rechtlichen Dauerrechtsverhältnis beider Beteiligter verstoßen habe. Die Beklagte, der das Preisbildungssystem für Zytostatikazubereitungen bekannt gewesen sei, sei verpflichtet gewesen, die Klägerin über ihren Beschaffungsweg und die Einkaufspreise der verwendeten Fertigarzneimittel aufzuklären. Bei Kenntnis der Klägerin von der Abgabe von Rezepturarzneimitteln an ihre Versicherten unter Verwendung von Fertigarzneimitteln, die nicht mit einer deutschen Pharmazentralnummer versehen und die entsprechend billiger bezogen worden seien, würde sie entsprechende Leistungen nicht abgenommen und vergütet haben. Der Schaden sei in Höhe der gesamten Vergütung der Zytostatikazubereitungen entstanden. Der Ersatzanspruch für die streitigen Jahre 2004 bis 2007 sei nicht verjährt. Die Klägerin habe mit ihrem Ersatzanspruch rechtmäßig gegenüber unstreitigen Vergütungsansprüchen der Beklagten aufrechnen können, weshalb deren Widerklage ohne Erfolg bleibe (Urteil vom ).
6Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Zu Unrecht sei das LSG von einer Informationspflicht der Beklagten als ungeschriebener Nebenpflicht ausgegangen und habe einen Schadensersatzanspruch der Klägerin in Höhe der gesamten Vergütung bejaht. Vielmehr habe die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Anspruch auf Vergütung der streitigen Zytostatikazubereitungen in der vollen abgerechneten Höhe. Zu Unrecht habe das LSG zudem angenommen, dass die vierjährige Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung von Nebenpflichten aus öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnissen zwischen Apotheken und Krankenkassen erst mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme von der Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht zu laufen beginne.
Gründe
9Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass sie der klagenden Krankenkasse für die streitigen Zytostatikazubereitungen zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe der geleisteten Vergütung verpflichtet ist.
101. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Entscheidungen und die im Gleichordnungsverhältnis der Beteiligten zueinander verfolgten Begehren: der von der Klägerin zuletzt mit der Leistungsklage zulässig verfolgte Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte für geleistete Vergütungen, gegen den sich die Beklagte widerklagend zulässig mit der Leistungsklage auf Zahlung im Wege der Aufrechnung einbehaltener Vergütungen wehrt (vgl zum Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis letztens etwa - BSGE 135, 254 = SozR 4-2500 § 129 Nr 16, RdNr 8). Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des SG-Urteils, durch das die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben worden ist.
112. Die Rechtsgrundlagen der Versorgung mit und des Preisrechts für Zytostatika im streitigen Zeitraum ergaben sich aus gesetzlichen, untergesetzlichen wie vertraglichen Regelungen.
12Gestützt auf die insoweit seither unverändert gebliebene Ermächtigungsgrundlage in § 78 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AMG, durch Rechtsverordnung Preise für Arzneimittel, die in Apotheken hergestellt und abgegeben werden, festzusetzen, bestimmte im streitigen Zeitraum § 5 AMPreisV (idF des GMG vom , BGBl I 2190) Apothekenzuschläge bei der Abgabe von Zubereitungen aus Stoffen, die in Apotheken angefertigt werden: einen Festzuschlag auf die Apothekeneinkaufspreise von Stoffen und Fertigarzneimitteln (Abs 1 Nr 1, Abs 2) und einen Rezepturzuschlag (Abs 1 Nr 2, Abs 3). Nähere, auch abweichende Regelungen waren Vereinbarungen der Spitzenorganisation der Apotheker mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen überlassen worden (§ 5 Abs 4 und 5 AMPreisV). Diese enthielt im streitigen Zeitraum der Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband eV (Vertrag zur Hilfstaxe für Apotheken, "Hilfstaxe", hier idF vom mWv , mit Anlagen).
13Ausgeschlossen waren im streitigen Zeitraum abweichende Vereinbarungen über die der Abrechnung von Zytostatikazubereitungen zugrunde zu legenden Apothekeneinkaufspreise für Fertigarzneimittel (§ 5 Abs 4 Satz 3 AMPreisV). Die Apothekeneinkaufspreise korrespondierten mit den einheitlichen Herstellerabgabepreisen der Fertigarzneimittel (vgl § 3 Abs 2 AMPreisV). Entsprechend legte die Hilfstaxe dem Abrechnungspreis für Zytostatikazubereitungen den einheitlichen Apothekeneinkaufspreis der verwendeten Fertigarzneimittel zugrunde, nicht den individuellen tatsächlichen Einkaufspreis der Apotheke (Bindung an diesen festen Preis gemäß § 2 Abs 2 Hilfstaxe iVm Anlage 3 Nr 1.2 Satz 1 idF ab 2004 und 2006). Die Apothekeneinkaufspreise von für den Handel in Deutschland zugelassenen Fertigarzneimitteln bemaßen sich nach den einheitlichen Herstellerabgabepreisen gemäß der Großen Deutschen Spezialitätentaxe ("Lauer-Taxe"), auf die die Hilfstaxe in Anlage 3 verwies, und gewährleisteten einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für aus Fertigarzneimitteln hergestellten Zytostatikazubereitungen (vgl § 78 Abs 2 Satz 2 AMG; eingehend zur Berechnung des Apothekenabgabepreises für Zytostatikazubereitungen im streitigen Zeitraum Dettling/Kieser/Ulshöfer, PharmR 2009, 421, 424 f; Saalfrank/Wesser, A&R 2010, 19, 20 ff; Wesser, A&R 2012, 243, 248 ff).
143. Im Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung können ungeschriebene vertragliche Nebenpflichten bestehen, deren Verletzung einen vertraglichen Schadensersatzanspruch begründet.
15Rechtsgrundlage des Schadensersatzanspruchs ist § 69 Satz 3 SGB V und § 61 Satz 2 SGB X iVm § 241 Abs 2 und § 280 Abs 1 BGB (dazu 4.). Zwischen den Beteiligten bestand ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis (dazu 5.), aus dem die Beklagte zur Information der Klägerin über ihren Beschaffungsweg für Fertigarzneimittel und deren Einkaufspreise als vertragliche Nebenpflicht verpflichtet war (dazu 6.); diese Pflicht hat sie verletzt und dies auch zu vertreten (dazu 7.). Die für die streitigen Zytostatikazubereitungen geleistete Vergütung hat sie der Klägerin als Schaden zu ersetzen (dazu 8.). Der Schadensersatzanspruch ist nicht verjährt (dazu 9.). Verfassungsrecht steht der Begründung des Schadensersatzanspruchs nicht entgegen (dazu 10.).
164. Rechtsgrundlage des vertraglichen Schadensersatzanspruchs ist § 69 Satz 3 SGB V (idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom , BGBl I 2626) bzw - textgleich - § 69 Satz 4 SGB V (zwischenzeitliche Einfügung eines neuen Satzes 2 durch das GKV-WSG vom , BGBl I 378, mit Wirkung vom ) - seit textgleich § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V (in der seither unverändert gebliebenen Fassung des GKV-OrgWG vom , BGBl I 2426) - und § 61 Satz 2 SGB X iVm § 241 Abs 2 und § 280 Abs 1 BGB. Nach § 69 Satz 3 SGB V gelten für die Rechtsbeziehungen ua nach § 69 Satz 1 SGB V im Übrigen die Vorschriften des BGB entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V (Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit) und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem Vierten Kapitel des SGB V vereinbar sind; nach § 69 Satz 1 SGB V (idF des GMG) - seit textgleich § 69 Abs 1 Satz 1 SGB V (in der seither unverändert gebliebenen Fassung des GKV-OrgWG) - regeln das Vierte Kapitel des SGB V sowie die §§ 63 und 64 SGB V abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände ua zu Apotheken und ihren Verbänden. Nach § 61 Satz 2 SGB X gelten für öffentlich-rechtliche Verträge ergänzend die Vorschriften des BGB entsprechend. Gemäß § 241 Abs 2 BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Nach § 280 Abs 1 BGB kann der Gläubiger, wenn der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen (Satz 1); dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (Satz 2).
17Diese dem BGB entlehnte Rechtsgrundlage für einen vertraglichen Schadensersatzanspruch findet auch im Leistungserbringungsrecht des SGB V entsprechende Anwendung (zur entsprechenden Anwendung des § 280 Abs 1 BGB vgl - BSGE 115, 11 = SozR 4-2500 § 69 Nr 9, RdNr 9 ff; vgl auch - BSGE 99, 303 = SozR 4-2500 § 132a Nr 4, RdNr 20 ff; - BSGE 110, 104 = SozR 4-1300 § 112 Nr 1, RdNr 36; - BSGE 128, 65 = SozR 4-2500 § 129a Nr 2, RdNr 30; vgl zudem zur entsprechenden Anwendung des BGB im Sozialrecht und insbesondere im SGB V Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 61 RdNr 16, 64, 66, 69, 94a, 97, 99, Stand November 2023; Engelmann in jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 69 RdNr 35 ff, Stand ). Dieser Anspruch ist gegeben, wenn zwischen den Beteiligten ein Rechtsverhältnis besteht, ein Beteiligter eine hieraus folgende Pflicht verletzt und diese Pflichtverletzung zu vertreten hat und dadurch dem anderen Beteiligten ein kausaler Schaden entstanden ist (vgl nur Seichter in jurisPK-BGB, 10. Aufl 2023, § 280 RdNr 3, Stand ).
18Dies gilt auch hier, weil die Abgabe und Abrechnung der streitigen Zytostatikazubereitungen formal nicht den gesetzlichen und geschriebenen vertraglichen Abgabe- und Abrechnungsregelungen widersprachen. Die Vergütung war daher nicht ohne Rechtsgrund geleistet worden, weshalb ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch aufgrund Retaxation nach Rechnungsprüfung ausschied. Doch entsprach die Abgabe und Abrechnung der streitigen Zytostatikazubereitungen nicht den zwar ungeschriebenen, aber offenkundigen Grundlagen der Vertragsbeziehung zwischen den Beteiligten, für deren Verletzung den geschriebenen vertraglichen Regelungen ein Instrumentarium nicht zu entnehmen ist (vgl zum Verhältnis von Retaxation und Schadensersatzanspruch - BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 36 ff, 39-40; vgl ähnlich für den Schadensersatzanspruch einer Krankenkasse gegen ein Krankenhaus trotz dessen Vergütungsanspruchs - BSGE 135, 292 = SozR 4-2500 § 69 Nr 12, RdNr 20, 24 ff).
195. Zwischen den Beteiligten bestand im streitigen Zeitraum ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis, das durch gesetzliche, untergesetzliche und vertragliche Regelungen begründet und näher ausgestaltet war. Unmittelbar gesetzliche Pflichten für Apotheken bestimmte § 129 Abs 1 SGB V, ergänzt durch normenvertragliche Ausgestaltungen auf Bundesebene (Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB V) und auf Landesebene (§ 129 Abs 5 SGB V; hier Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern - AV-Bay); nach § 4 Satz 1 Hilfstaxe galten deren Regelungen, einschließlich der Anlage 3, als Bestandteil der Verträge auf Landesebene. In diese Regelungen einbezogene Apotheken - wie die von der Beklagten im streitigen Zeitraum geführte Apotheke - waren hiernach zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigt und verpflichtet, wofür sie im Gegenzug einen in § 129 SGB V vorausgesetzten unmittelbar gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen erwarben, dessen Inhaber der Apotheker als Inhaber der berufsrechtlichen Erlaubnis - hier die Beklagte - ist (vgl näher - BSGE 135, 254 = SozR 4-2500 § 129 Nr 16, RdNr 9 f mwN).
206. Aus ihrem öffentlich-rechtlichen, durch Normenverträge näher ausgestalteten Rechtsverhältnis als Vertragspartner waren die Beteiligten wechselseitig als vertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragspartners verpflichtet. Für die Feststellung einer vertraglichen Nebenpflicht kommt es nicht darauf an, ob diese vertraglich ausdrücklich geregelt war, vielmehr ist entscheidend, ob sie sich aus dem Inhalt des Rechtsverhältnisses der Beteiligten ergab (vgl zu den Rücksichtnahmepflichten iS des § 241 Abs 2 BGB nur Seichter in jurisPK-BGB, 10. Aufl 2023, § 280 RdNr 35 ff, Stand ; Toussaint in jurisPK-BGB, 10. Aufl 2023, § 241 RdNr 39 ff, Stand ).
21a) Rücksichtnahmepflichten umfassen Aufklärungs- und Schutzpflichten. Sie reichen über die in den gesetzlichen und geschriebenen vertraglichen Rechtsgrundlagen enthaltenen Regelungen - bezogen auf die Beklagte: über die dort enthaltenen ausdrücklichen Abgabe- und Abrechnungsregelungen - hinaus und knüpfen im Ergebnis einer gebotenen ergänzenden gerichtlichen Vertragsauslegung hier daran an, dass die Beziehungen der Beteiligten auch auf Grundlagen beruhen, die in den vertraglichen Regelungen vorausgesetzt sind (vgl zur ergänzenden Vertragsauslegung öffentlich-rechtlicher Verträge - BSGE 128, 65 = SozR 4-2500 § 129a Nr 2, RdNr 13 ff, dort RdNr 33 auch zur Begründung einer Nebenpflicht). Dieser ergänzenden Vertragsauslegung stehen vorliegend nicht ansonsten detailliert ausgestaltete vereinbarte Regelungen zu wechselseitigen Neben- und insbesondere Informationspflichten entgegen, weil die vertraglichen Regelungen einschließlich der hier maßgeblichen Hilfstaxe solche Regelungen nicht enthalten (vgl zur anderen und zudem mit einer gesetzlichen Schiedsregelung unterlegten Vertragslage zum Sicherstellungszuschlag für Hebammen - BSGE 135, 260 = SozR 4-2500 § 134a Nr 1, RdNr 20 ff).
22b) Zu den Aufklärungspflichten gehören Informationen für den Vertragspartner über Umstände, die dieser nicht erkennt und die zu Gefahren für seine Rechtsgüter und Interessen führen, sofern diese Umstände erkennbar für den Vertragspartner von wesentlicher Bedeutung sind und er nach der Verkehrsanschauung Aufklärung erwarten darf (vgl näher Seichter in jurisPK-BGB, 10. Aufl 2023, § 280 RdNr 36 mwN, Stand ). Diese Grundsätze gelten für öffentlich-rechtliche Verträge entsprechend, wenn es um die Pflicht zur Aufklärung über Umstände geht, die erkennbar für den Vertragspartner von wesentlichem Interesse im Rahmen der Vertragsdurchführung sind.
23Dazu gehörte es vorliegend jedenfalls, als Zytostatika herstellende Apotheke eine gesetzliche Krankenkasse vor der Abgabe und Abrechnung von Zytostatikazubereitungen darüber zu informieren, dass bei der Herstellung von Rezepturarzneimitteln Fertigarzneimittel Verwendung finden, die nicht für den deutschen Markt bestimmt sind und deren Einkaufspreis - nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hier - deutlich geringer ist als der einheitliche Herstellerabgabe- und Apothekeneinkaufspreis auf dem deutschen Markt gemäß der "Lauer-Taxe", der dem einheitlichen Apothekenabgabepreis auf dem deutschen Markt zugrunde liegt und der nach der Anlage 3 zur Hilfstaxe für die vertragliche Preisbestimmung zwischen den Vertragspartnern als Grundlage maßgeblich war. Denn erkennbar gingen im hier streitigen Zeitraum die auf gesetzlicher Grundlage beruhenden vertraglichen Regelungen und deren Festpreisregime als Ausgabenregulierungsinstrument von der Vorstellung aus (vgl zur auf Ausgabenregulierung ausgerichteten Konzeption des § 78 AMG und der darauf beruhenden AMPreisV bereits BT-Drucks 7/4557 S 5), es würden von den herstellenden Apotheken für Zytostatikazubereitungen grundsätzlich für den deutschen Markt bestimmte Fertigarzneimittel mit deutscher Pharmazentralnummer und Listung in der "Lauer-Taxe" eingekauft und verwendet und auf dieser Grundlage die Zytostatikazubereitungen abgegeben und abgerechnet sowie abgenommen und vergütet (zur "Lauer-Taxe" näher - BSGE 114, 36 = SozR 4-2500 § 130a Nr 9, RdNr 20 ff; vgl auch - juris RdNr 23; - juris RdNr 24; zur Pharmazentralnummer näher - BSGE 134, 277 = SozR 4-2500 § 130a Nr 13, RdNr 19; vgl auch - juris RdNr 22). Dass dies für die Klägerin als gesetzlicher Krankenkasse von wesentlicher Bedeutung war, war für die Beklagte als professionelle Systembeteiligte ebenso erkennbar wie der Umstand, dass die Klägerin nicht selbst erkennen konnte, dass diese dem Vertrag zugrunde liegenden Vorstellungen nicht zutrafen.
24c) Zu den Schutzpflichten gehören Rücksichtnahmen auf die erkennbar zu schützenden Rechtsgüter des Vertragspartners. Vertragspartner müssen sich so verhalten, dass Rechtsgüter des anderen Teils nicht geschädigt werden (vgl Seichter in jurisPK-BGB, 10. Aufl 2023, § 280 RdNr 40 ff mwN, Stand ). Auch diese Grundsätze gelten für öffentlich-rechtliche Verträge entsprechend, wenn es um die Pflicht zum Schutz vor Schäden geht, die erkennbar dem Vertragspartner drohen und die im Rahmen der Vertragsdurchführung abzuwenden geboten und zumutbar ist.
25Dieser Schutzpflicht konnte jedenfalls vorliegend nur genügt werden durch die Information einer gesetzlichen Krankenkasse vor der Abgabe von Zytostatikazubereitungen an ihre Versicherten seitens der Apotheke über die bei der Herstellung verwendeten Fertigarzneimittel und deren Beschaffungsweg, wenn und soweit dieser vom vertraglich vorausgesetzten Beschaffungsweg abweicht, und durch die Information vor der Abrechnung von Zytostatikazubereitungen unter Verwendung so beschaffter Fertigarzneimittel über deren Einkaufspreis, wenn und soweit dieser deutlich unter dem Preis liegt, der der vertraglichen Preisbestimmung zwischen den Vertragspartnern zugrunde lag. Denn für die Beklagte als in einer vertraglichen Rechtsbeziehung zu einer gesetzlichen Krankenkasse stehender Apothekeninhaberin war erkennbar, dass im Rahmen der Vertragsdurchführung sowohl die Abnahme der Leistungen der Apotheke durch die Klägerin zur Versorgung ihrer Versicherten als auch deren Vergütung unter dem gesetzlichen Gebot der Wirtschaftlichkeit der Versorgung stand (§ 70 Abs 1 SGB V), und dass die Klägerin dessen - für sie gesetzlich verpflichtende - Einhaltung zum ihr anvertrauten Schutz von Beitragsmitteln nur prüfen konnte, wenn sie über die hierfür erforderlichen Informationen verfügte. Erkennbar war für die Beklagte auch, dass die Klägerin sich diese Informationen im streitigen Zeitraum nicht selbst beschaffen und so ihre bzw die ihr anvertrauten Rechtsgüter nicht selbst schützen konnte, weil ihr durch die zutreffende Verwendung der deutschen Pharmazentralnummer für Rezepturarzneimittel die Prüfung versperrt war, welche Fertigarzneimittel eingekauft worden waren und bei der Herstellung Verwendung fanden sowie der Abrechnung zugrunde lagen.
26Ausgeschlossen ist, dass die Beklagte als Apothekeninhaberin nicht hätte erkennen können, dass es für die Klägerin als gesetzlicher Krankenkasse von maßgeblicher Bedeutung war, Leistungen nur in einer dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechenden Weise abzunehmen und zu vergüten. Dass die der Krankenkasse zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel zu den zu schützenden Rechtsgütern der Klägerin gehörten, lag für die Beklagte als deren Vertragspartner im System der gesetzlichen Krankenversicherung offen zutage.
27d) Zwar dienten der Konkretisierung der Vertragspflichten beider Beteiligter die vereinbarten vertraglichen Regelungen zwischen ihnen, doch weil diesen auch für die Beklagte erkennbar voraus und zugrunde lag, dass für die Abnahme von Zytostatikazubereitungen von der Verwendung für den deutschen Markt bestimmter Fertigarzneimittel und für die Vergütung von Zytostatikazubereitungen von den einheitlichen Apothekenabgabepreisen auf der Grundlage von Apothekeneinkaufspreisen für den deutschen Markt bestimmter Fertigarzneimittel ausgegangen worden war, war die Beklagte im Regelungszusammenhang hier verpflichtet, die Klägerin über ihren abweichenden Beschaffungsweg und die deutlich geringeren Einkaufspreise der von ihr verwendeten Fertigarzneimittel zu informieren. Nur so konnten im streitigen Zeitraum die Rechtsgüter und Interessen der Klägerin gewahrt werden, auf die Rücksicht zu nehmen und auch zu schützen die Beklagte verpflichtet war.
28e) Für das Bestehen der ungeschriebenen vertraglichen Nebenpflicht in der vorliegenden Konstellation streitet zudem der Schutz der ausdrücklichen leistungserbringungsrechtlichen Regelungen zum Rechtsverhältnis zwischen Krankenkassen und Apotheken im streitigen Zeitraum vor ihrer dem Vertragszweck widersprechenden einseitigen Aushöhlung durch von diesen Regelungen seinerzeit nicht eigens erfasstes Verhalten. Nur durch die Pflicht der Beklagten zur Information der Klägerin war diese als gesetzliche Krankenkasse in die Lage versetzt, die von den vertraglichen Leitvorstellungen abweichende Leistungserbringung durch die Beklagte zu prüfen und deren hierauf gestützten Anspruch auf eine Vergütung abzulehnen und damit ihren gesetzlichen wie vertraglichen Pflichten, von denen die Beklagte als Leistungserbringer im öffentlich-rechtlichen System der gesetzlichen Krankenversicherung Kenntnis hatte, nachzukommen. Auch dass geschriebene Abgabe- und Abrechnungsregelungen eng am Wortlaut orientiert auszulegen sind (vgl letztens nur - BSGE 135, 254 = SozR 4-2500 § 129 Nr 16, RdNr 15 mwN), hindert nicht die Annahme der ungeschriebenen vertraglichen Nebenpflicht hier; vielmehr bereitet sie deren vertragsgemäßer Anwendung in Konstellationen wie der vorliegenden überhaupt erst den Boden.
29f) Schließlich ist der Senat an der Begründung der vertraglichen Nebenpflicht der Apotheke hier nicht durch die Rechtsprechung des BGH in Strafsachen gehindert ( - juris). Diese Rechtsprechung bezieht sich auf die Frage nach der Einordnung des Abrechnungsverhaltens von Zytostatikazubereitungen herstellenden Apotheken als Betrug iS des § 263 StGB und verneint sie. Soweit in diesem Rahmen arzneimittelpreis- und sozialrechtliche Regelungen gewürdigt werden, kann dem keine für den Senat verbindlich vorgegebene Auslegung dieser Regelungen und der Vertragslage zwischen den Beteiligten entnommen werden. Im vorliegenden Kontext, in dem unabhängig von Fragen nach der Strafbarkeit ein vertraglicher Schadensersatzanspruch für die Vergütung von Zytostatikazubereitungen streitig ist, kann der Senat vielmehr eigenständig über das Bestehen von Rechten und Pflichten im Rechtsverhältnis der Beteiligten befinden. Soweit der BGH für den auch hier streitigen Zeitraum von einer Lücke im preisrechtlichen Regime für Zytostatikazubereitungen ausgegangen ist ( - juris RdNr 24 ff, 28, dort auch zu späteren Rechtsänderungen ab 2009; vgl zu diesen Änderungen auch Dettling/Kieser/Ulshöfer, PharmR 2009, 421, 426 ff und 546, 554 f; Saalfrank/Wesser, A&R 2010, 19, 22 ff), mag dies einer Betrugsstrafbarkeit im streitigen Zeitraum entgegengestanden haben (anders wohl - BGHSt 57, 312, juris RdNr 47, 51). Es steht aber nicht auch der Annahme einer ungeschriebenen vertraglichen Nebenpflicht Zytostatikazubereitungen herstellender Apotheken entgegen, gesetzliche Krankenkassen über die Verwendung von Fertigarzneimitteln bei deren Herstellung zu informieren, die von vornherein nicht vom vertraglich zugrunde gelegten preisrechtlichen Regime erfasst werden und deshalb grundsätzlich nicht abgegeben werden dürfen (aA Landesberufsgericht für Heilberufe Münster vom - 13 A 1126/15.T - juris; LSG Niedersachsen-Bremen vom - L 4 KR 274/18 - juris RdNr 27 ff).
307. Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt, indem sie im streitigen Zeitraum für die Herstellung von Zytostatikazubereitungen Fertigarzneimittel verwendete, die nicht für den deutschen Markt bestimmt und deshalb deutlich preisgünstiger waren als für den deutschen Markt bestimmte Fertigarzneimittel, deren deutlich höherer einheitlicher Herstellerabgabepreis als Apothekeneinkaufspreis dem einheitlichen Apothekenabgabepreis im Rahmen der vertraglichen Preisbestimmungen für die streitigen Zytostatikazubereitungen zugrunde lag, sie aber die Klägerin hierüber zu keinem Zeitpunkt informierte. Vielmehr rechnete die Beklagte jahrelang ihre Zytostatikazubereitungen nach den vertraglich vereinbarten Festpreisen bei Verwendung für den deutschen Markt bestimmter Fertigarzneimittel ab und sah die Differenz zu den Einkaufspreisen der tatsächlich verwendeten Fertigarzneimittel als ihren Gewinn an. Auch bei Anerkennung einer im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung systemkonformen Gewinnerzielungsabsicht von Apotheken verletzte diese Diskrepanz von Fiktion und Realität die offen zutage liegenden Interessen der Klägerin als gesetzlicher Krankenkasse, auf die Rücksicht zu nehmen die Beklagte verpflichtet war.
31Ihre Pflichtverletzung hat die Beklagte auch zu vertreten (vgl § 276 BGB). Anhaltspunkte dafür, dass sie das Unterlassen einer Information der Klägerin nicht zu vertreten haben könnte (vgl § 280 Abs 1 Satz 2 BGB), hat das LSG nicht festgestellt und sind auch nicht ersichtlich. Vielmehr lag es für sie als Inhaberin einer Zytostatika herstellenden und gegenüber gesetzlichen Krankenkassen abrechnenden Apotheke jedenfalls offen zutage, dass die vertraglichen Preisbestimmungen für Zytostatikazubereitungen auf den einheitlichen Herstellerabgabe- und Apothekeneinkaufspreisen für die verwendeten Fertigarzneimittel auf dem deutschen Markt beruhten ("Lauer-Taxe"). Ebenso offen lag es für sie als Vertragspartner einer gesetzlichen Krankenkasse zutage, dass ihr Gewinne aus der Beschaffung nicht für den deutschen Markt bestimmter und deshalb im Einkauf deutlich preisgünstigerer Fertigarzneimittel jedenfalls nicht verbleiben konnten, ohne zuvor die Klägerin über die verwendeten Fertigarzneimittel, deren Beschaffungsweg und deren Einkaufspreise zu informieren.
328. Der der Klägerin durch die von der Beklagten pflichtwidrig unterlassene Information kausal entstandene und zu ersetzende Schaden (vgl § 249 Abs 1 BGB) besteht hier in Höhe der gesamten geleisteten Vergütung für die unter Verletzung dieser Pflicht abgegebenen und abgerechneten streitigen Zytostatikazubereitungen.
33a) Bei Kenntnis der Klägerin vom Beschaffungsweg und den Einkaufspreisen der Beklagten hätte sie deren Zytostatikazubereitungen nicht abnehmen und nicht vergüten dürfen, weil die Abgabe und Abrechnung dieser Zubereitungen evident außerhalb der für beide Beteiligte geltenden Vertragsgrundlagen lagen. Diese Vertragsgrundlagen gingen auch für die Beklagte offenkundig von den Apothekeneinkaufspreisen für die Beschaffung von für den deutschen Markt bestimmten Fertigarzneimitteln auf dem deutschen Markt aus; Zytostatikazubereitungen unter Verwendung von Ausgangs-Fertigarzneimitteln, die nicht von diesem Preisbildungssystem erfasst waren, lagen außerhalb dieser Vertragsgrundlagen. Dass die Klägerin bei Kenntnis der gesamten Sachlage auch keine Vergütungen auf die Abrechnungen der Beklagten geleistet hätte, hat sie zu Protokoll vor dem LSG erklärt und hat das LSG unangegriffen festgestellt.
34b) Die Höhe des zu ersetzenden Schadens "neben der Leistung" (vgl Seichter in jurisPK-BGB, 10. Aufl 2023, § 280 RdNr 51, 56, Stand ) ist hier nicht auf die Differenz zwischen dem Einkaufspreis der Beklagten für die von ihr verwendeten Fertigarzneimittel (zuzüglich der Zuschläge für Zytostatikazubereitungen) und dem - auf den Apothekeneinkaufspreisen auf dem deutschen Markt für wirkstoffgleiche, für den deutschen Markt bestimmte Fertigarzneimittel beruhenden - einheitlichen Apothekenabgabepreis für Zytostatikazubereitungen als festen Vertragspreis zu begrenzen. Dies würde lediglich den Gewinn der Beklagten abschöpfen und an die Klägerin weiterreichen, aber nicht berücksichtigen, dass mit der Abgabe und Abrechnung durch die Beklagte unter pflichtwidrig unterlassener Information der Klägerin die vertragliche Vertrauensgrundlage für die Abgabe, Abrechnung und Vergütung der streitigen Zytostatikazubereitungen ganz entfallen war (vgl zur Störung der Vertrauensgrundlage in der vertragsärztlichen Versorgung bei Verletzung der Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung - BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 34 f; - BSGE 127, 43 = SozR 4-2500 § 106a Nr 19, RdNr 24; vgl zur Vertrauensgrundlage bei der Konkretisierung der Verwirkung in Krankenhausvergütungsstreitigkeiten - SozR 4-2500 § 109 Nr 80 RdNr 14). Denn die Pflichtverletzung der Beklagten traf insoweit die Vertragsbeziehung in ihrem Kern, weil hier nicht Verstöße gegen einzelne Abgabe- oder Abrechnungsregelungen in Rede stehen, sondern das Unterlaufen der diesen vorausliegenden Vertragsgrundlagen des Abgabe- und Preisregimes für Zytostatikazubereitungen über Jahre hinweg zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil, weshalb die Leistungserbringung insgesamt nicht den Vertragsgrundlagen entsprach, wofür die Beklagte mit der gesamten Vergütung und nicht nur der Differenz haftet (vgl dagegen zum Vergütungsanspruch eines Hörgeräteakustikers beim Versäumnis der Vorlage einer Versorgungsanzeige im Einzelfall - BSGE 133, 17 = SozR 4-2500 § 33 Nr 56, RdNr 19 ff).
35c) Das Festpreisregime für Zytostatikazubereitungen war auch bereits im streitigen Zeitraum nach seinem Sinn und Zweck von der Erwartung getragen, dass den abgebenden Apotheken regelmäßig Kosten beim Einkauf von für den deutschen Markt bestimmten Fertigarzneimitteln in einer Höhe entstünden, die mit dem Vertragspreis gedeckt werden können. Es war indes nicht als Anreiz ausgestaltet, durch die Beschaffung von nicht für den deutschen Markt bestimmten und deshalb von vornherein deutlich preisgünstigeren Fertigarzneimitteln die Gewinnmöglichkeit der Apotheken einseitig massiv zu erweitern, indem die Krankenkassen in erheblichem Umfang nicht entstandene Kosten zu vergüten haben.
36d) Die Klägerin traf kein Mitverschulden an der Entstehung des Schadens. Durch die im streitigen Zeitraum zutreffende Verwendung der einheitlichen deutschen Pharmazentralnummer für die von der Beklagten hergestellten Zytostatikazubereitungen als Rezepturarzneimitteln war für sie die Verwendung von Fertigarzneimitteln ohne deutsche Pharmazentralnummer, die nicht für den deutschen Markt bestimmt waren und für die kein einheitlicher Herstellerabgabe- und Apothekeneinkaufspreis auf dem deutschen Markt sowie hierauf gründender einheitlicher Apothekenabgabepreis für Zytostatikazubereitungen bestimmt war, nicht erkennbar.
379. Der noch streitige Schadensersatzanspruch der Klägerin für die Jahre 2004 bis 2007 ist nicht, auch nicht nur teilweise, verjährt. Einschlägig sind die gesetzlichen Verjährungsbestimmungen und nicht die vertraglichen - kürzeren - Fristen für Retaxationen (Rechnungs- und Taxbeanstandungen nach AV-Bay innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats, in dem der Apotheker die Verordnung beliefert hat), weil es vorliegend nicht um Retaxationen, sondern um die einen Schadensersatzanspruch begründende Verletzung einer ungeschriebenen vertraglichen Nebenpflicht zur Information geht.
38a) Der vertragliche Schadensersatzanspruch der Krankenkasse unterliegt nicht anders als der vertragliche Vergütungsanspruch des Leistungserbringers der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung, die in § 45 Abs 1 SGB I für Ansprüche auf Sozialleistungen bestimmt ist und die nach der Rechtsprechung des BSG im Leistungserbringungsrecht entsprechend anzuwenden ist (vgl für Rückzahlungs- und Schadensersatzansprüche von Krankenkassen - BSGE 128, 65 = SozR 4-2500 § 129a Nr 2, RdNr 37; vgl für Vergütungsansprüche von Krankenhäusern - SozR 4-2500 § 69 Nr 10 RdNr 12 ff; - SozR 4-2500 § 109 Nr 80 RdNr 11; vgl zuvor bereits - SozR 4-2500 § 69 Nr 1).
39b) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt entsprechend § 45 Abs 1 SGB I nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schadensersatzanspruch entstanden ist, hier durch Eintritt des Schadens infolge der Abnahme und Vergütung der Zytostatikazubereitungen durch die Klägerin in den Jahren 2004 bis 2007, und in der vorliegenden Konstellation zudem entsprechend § 199 Abs 1 Nr 2 BGB (§ 69 Satz 3 SGB V, § 61 Satz 2 SGB X) mit dem Schluss des Jahrs, in dem die Klägerin hiervon Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (vgl für einen "sonstigen Schaden" im Vertragszahnarztrecht - SozR 4-5545 § 23 Nr 2 RdNr 21). Denn jedenfalls in der hier vorliegenden, von § 45 Abs 1 SGB I ohnehin nicht unmittelbar erfassten leistungserbringungsrechtlichen Konstellation, in der der vertragliche Schadensersatzanspruch auf der Verletzung einer ungeschriebenen vertraglichen Nebenpflicht zur Information des Vertragspartners, deren Verletzung für die Klägerin zunächst nicht erkennbar war, beruht, konnte die Verjährung ausnahmsweise nicht zu laufen beginnen, bevor die Klägerin von der Pflichtverletzung und dem Schaden erstmals Kenntnis erlangt hat (oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen). Andernfalls liefe der auf § 69 Satz 3 SGB V und § 61 Satz 2 SGB X iVm § 241 Abs 2 und § 280 Abs 1 BGB gestützte Schadensersatzanspruch wegen einer - wie hier - zunächst nicht erkennbaren Informationspflichtverletzung durch die Beklagte für Teilzeiträume (2004 und 2005) leer.
40c) Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt hat die Klägerin in 2007. Anhaltspunkte dafür, dass sie ohne grobe Fahrlässigkeit bereits zuvor Kenntnis hätte erlangen müssen, hat das LSG nicht festgestellt und sind auch für den Senat nicht ersichtlich. Die Ermittlungen gegen die Beklagte begannen erst in 2007, von denen die Klägerin noch in 2007 Kenntnis erlangte. Ausgehend hiervon begann die vierjährige Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahrs 2007 und war weder bei der Erhebung der Feststellungsklage in 2010 noch bei der Bezifferung des Schadensersatzanspruchs für den streitigen Zeitraum in 2011 abgelaufen (§ 61 Satz 1 SGB X, § 45 Abs 2 SGB I, § 204 Abs 1 Nr 1 BGB).
4110. Verfassungsrecht steht der Schadensersatzpflicht der Beklagten nicht entgegen. Art 12 Abs 1 GG steht weder der Begründung einer vertraglichen Nebenpflicht von Apotheken noch der Pflicht zum Schadensersatz bei deren Verletzung entgegen (vgl zu Reichweite und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung in diesem Zusammenhang BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 3571/13, 1 BvR 3572/13 - juris RdNr 28 ff). Zwar schützt die grundrechtliche Berufsfreiheit auch für Apotheken die Erzielung von Gewinnen, dies jedoch nicht um jeden Preis (vgl BVerfG <Kammer> vom - 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12 - juris RdNr 24 mwN). Insbesondere verletzt es Art 12 Abs 1 GG nicht, Apotheken in ihrem Verhältnis zu gesetzlichen Krankenkassen für verpflichtet zu halten, bei der Leistungserbringung die Vertragsgrundlagen zu wahren und bei Verletzung dieser Pflicht Schadensersatz in Höhe der Vergütung zu leisten (vgl zu Verhältnismäßigkeitserwägungen in diesem Zusammenhang BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 3571/13, 1 BvR 3572/13 - juris RdNr 35 ff). Ist dies schon im allgemeinen Wirtschaftsverkehr anerkannt, wie § 241 Abs 2 und § 280 Abs 1 sowie § 249 Abs 1 BGB zeigen, gilt dies zumal im besonderen öffentlich-rechtlichen Verhältnis von Apotheken und gesetzlichen Krankenkassen, das geprägt ist durch das Ziel der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung und damit der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als einem überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 3571/13, 1 BvR 3572/13 - juris RdNr 34).
4212. Ausgehend hiervon hat die Klägerin noch Anspruch auf die ihr vom LSG zugesprochene Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 723,67 Euro, die Beklagte aber keinen Anspruch auf die mit ihrer Widerklage begehrte Zahlung der im Wege der Aufrechnung einbehaltenen Vergütungen für nicht im Streit stehende Arzneimittelabgaben in Höhe von 374 275,96 Euro nebst Zinsen (vgl zur Aufrechnung letztens - BSGE 135, 254 = SozR 4-2500 § 129 Nr 16, RdNr 18 mwN). Der Höhe dieser vom LSG zugrunde gelegten, wechselseitig eingeklagten Beträge sind die Beteiligten nicht entgegengetreten.
43Entgegen der Auffassung der Beklagten steht ihrer Verurteilung zur Zahlung von 723,67 Euro Schadensersatz an die Klägerin nicht entgegen, dass die Klägerin (auch) insoweit ihre Klage vor dem LSG zurückgenommen hätte. Die im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärte bezifferte Klagerücknahme bezog sich der Sache nach ersichtlich auf einen Schadensersatzanspruch nur für das Jahr 2003, nicht aber auf einen noch nicht aufgerechneten Schadensersatzanspruch für die Jahre 2004 bis 2007, und ist so zutreffend auch vom LSG berücksichtigt worden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:220224UB3KR1422R0
Fundstelle(n):
OAAAJ-64996