BGH Urteil v. - VI ZR 589/20

Inanspruchnahme eines Motorenherstellers wegen Erwerb eines Gebrauchtwagens mit unzulässiger Abschalteinrichtung im Jahr 2017

Leitsatz

Zur deliktischen Haftung des Motorherstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs.

Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 9a U 2292/19vorgehend Az: 4 O 3396/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines Dieselmotors wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.

2Der Kläger erwarb am bei einem Händler einen Gebrauchtwagen des Typs Skoda Superb. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Motorsteuerung des Fahrzeugs war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befand, und schaltete in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid-optimierten Modus. In diesem Modus fand eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

3Am hatte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. und eine im Wesentlichen gleichlautende Pressemitteilung veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) stehe. Das KBA sah die genannte Software als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 an und verpflichtete die Beklagte im Oktober 2015, die Abschalteinrichtung aus den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das auch in dem von dem Kläger erworbenen Fahrzeug installiert worden ist.

4Mit seiner Klage begehrt der Kläger zuletzt die Zahlung von 13.350,36 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme der Zug-um-Zug-Leistung sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Er macht insbesondere geltend, das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig gewesen und dies bis zum Abschluss des Kaufvertrags geblieben. Dass das Fahrzeug, das er erworben habe, von der Abgasproblematik betroffen gewesen sei, habe er im Erwerbszeitpunkt nicht gewusst. Die Klage hatte vor dem Landgericht überwiegend Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

I.

5Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheidet eine etwaige Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) aus, weil sich nicht feststellen lasse, dass der Kläger das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn ihm bei Vertragsschluss bekannt gewesen wäre, dass es von der Abgasproblematik betroffen war. Davon abgesehen fehle es nach in den Medien ausführlich dargestellter Offenlegung des Sachverhalts durch die Beklagte ab Herbst 2015 an dem für eine Haftung aus § 826 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Auch andere Ansprüche bestünden nicht.

II.

6Dies hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

71. Soweit das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) verneint, hält sich dies im Ergebnis im Rahmen der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

8Das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit einer unzulässigen Prüfstandserkennung im Verhältnis zu Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, ist zwar objektiv sittenwidrig und geeignet gewesen, die Haftung der Beklagten zu begründen (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. nur Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 16 mwN; ferner , NJW 2021, 3725 Rn. 17; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 16). Ein Anspruch des Klägers aus § 826 BGB besteht aber - wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat - nicht, weil sich nach den getroffenen Feststellungen das gesamte Verhalten der Beklagten im - maßgeblichen (vgl. nur , NJW 2020, 2798 Rn. 30 f.; vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 8; Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 13) - Zeitraum bis zum Eintritt des Schadens bei dem Kläger in der gebotenen Gesamtschau aufgrund einer zwischenzeitlichen Verhaltensänderung der Beklagten (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.; Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 15 ff.; , NJW 2021, 3725 Rn. 18 f.; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 17) nicht als sittenwidrig darstellt (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 8; Senatsbeschluss vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 7; auch VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 14).

9Die insoweit - wie auch bereits in diversen anderen Verfahren - gegen diese Bewertung vorgebrachten Einwände der Revision sind nicht begründet (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. zuletzt Senatsurteil vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 9 ff. mwN).

102. Revisionsrechtliche Bedenken gegen sein Urteil ergeben sich im Ergebnis auch nicht daraus, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht in Erwägung gezogen hat.

11Bei diesen Normen handelt es sich zwar - unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) - um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, in deren persönlichen Schutzbereich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs einbezogen ist.

12Einer Inanspruchnahme der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV steht jedoch entgegen, dass es sich bei ihr nicht um den Fahrzeughersteller handelt, den die europäischen Abgasnormen - soweit ihnen drittschützender Charakter zukommt - allein in die Pflicht nehmen (vgl. VIa ZR 1119/22, VersR 2023, 1246 Rn. 20).

13Einen vorsätzlichen Verstoß des Herstellers des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegen unionsrechtliche Vorgaben, an dem sich die Beklagte im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB hätte beteiligen können (vgl. VIa ZR 1119/22, VersR 2023, 1246 Rn. 21), hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Der von der Revisionsbegründung als übergangen gerügte Klägervortrag zeigt insoweit ebenfalls keine Anhaltspunkte auf. Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dem Fahrzeughersteller (Skoda) sei zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger das Fahrzeug bei einem Händler erwarb, die Prüfstandserkennungssoftware bekannt gewesen, reicht ein Vorsatz des Herstellers zu diesem Zeitpunkt nicht aus, um eine Vorsatztat des Herstellers, an der sich die Beklagte hätte beteiligen können, zu begründen (vgl. auch VIa ZR 340/22, WM 2024, 225 Rn. 12).

143. Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung ferner darauf hingewiesen hat, eine Haftung der Beklagten könne sich auch im Zusammenhang mit § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG - wohl in Verbindung mit § 37 EG-FGV - ergeben, erscheint dies zweifelhaft. Dies kann aber dahinstehen, da es zu den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG an jeglichen Feststellungen fehlt und die Revisionsbegründung keinen insoweit übergangenen Vortrag rügt. Allein der vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung insoweit angesprochene Umstand, dass das KBA die Beklagte verpflichtet hat, die Prüfstandserkennungssoftware aus den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen, und die Beklagte ein Software-Update entwickelt hat, könnte - ungeachtet der Frage, ob dies vom Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens erfasst ist (vgl. dazu Senatsurteil vom - VI ZR 934/20, VersR 2022, 852 Rn. 12; VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 34 mwN) - eine Haftung der Beklagten in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht begründen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:200224UVIZR589.20.0

Fundstelle(n):
WM 2024 S. 766 Nr. 16
GAAAJ-64818