BVerwG Beschluss v. - 10 B 12/23

Einsicht in Grundbuch

Gesetze: § 12 GBO, § 46 Abs 1 GBV CHE

Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 10 S 439/22 Urteilvorgehend Az: 1 K 3842/20 Urteil

Gründe

I

1Der Kläger begehrt von der beklagten Stadt M., ihm Zugang zu dem zwischen ihr und den Beigeladenen geschlossenen Kaufvertrag über die Veräußerung einer ehemaligen militärischen Liegenschaft (S.-A. in M.) zu gewähren. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufungen der Beigeladenen gegen diese Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beigeladenen.

II

2Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützten Beschwerden haben keinen Erfolg.

31. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

4Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom - 10 BN 3.23 - juris Rn. 4).

5Diesen Maßgaben genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Die von den Beschwerden als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

6Weder die von der Beigeladenen zu 1 formulierte Frage

"Handelt es sich bei dem Informationszugangsregime der GBO/GBV einschließlich der Regelungen des § 12 GBO und des § 46 GBV um eine abschließende und auch kraft Art. 31 GG Sperrwirkung entfaltende bundesrechtliche Spezialregelung mit der Folge, dass Informationen, die diesem Informationszugangsregime unterliegen, nicht unter Berufung auf landesrechtliche Vorschriften (wie bspw. Landesinformationsfreiheitsgesetze), die den Informationszugang nicht von der Darlegung eines berechtigten Interesses abhängig machen, herausverlangt werden können?"

noch die Fragen der Beigeladenen zu 2 und 3

"Regelt § 12 Abs. 1 GBO i. V. m. § 46 Abs. 1 GBV den Zugang zu Urkunden und Informationen, die in Grundakten enthalten sind bzw. auf die im Grundbuch zur Ergänzung einer Eintragung Bezug genommen ist, sowie die Voraussetzungen dieses Zugangs abschließend?"

"Steht § 12 Abs. 1 GBO i. V. m. § 46 Abs. 1 GBV einer landesrechtlichen Vorschrift entgegen, die einen Zugang zu Urkunden und Informationen, die dem Einsichtnahmerecht gemäß § 12 Abs. 1 GBO i. V. m. § 46 Abs. 1 GBV unterfallen, ermöglicht, ohne ein berechtigtes Interesse darlegen zu müssen?"

verleihen der Sache grundsätzliche Bedeutung. Soweit sich die Fragen im vorliegenden Verfahren überhaupt stellen, lassen sie sich ohne die Durchführung eines Revisionsverfahrens im Sinne der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. auch bereits VGH Mannheim, Urteil vom - 10 S 3607/21 - ZfBR 2023, 272 <275>) klären.

7Die aufgeworfenen Fragen einer etwaigen Normenkollision zwischen Bundes- und Landesrecht (vgl. Art. 31 GG) könnten sich nur stellen, wenn in Betracht zu ziehen wäre, dass sich das Grundbuchrecht, namentlich § 12 GBO oder § 46 der Verordnung zur Durchführung der Grundbuchordnung (Grundbuchverfügung - GBV) einen Regelungsgehalt beimisst, der über die Regularien für die Einsichtnahme in die bei den Amtsgerichten in ihrer Funktion als Grundbuchämter (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 GBO) geführten Grundbücher sowie in dort geführte Grundakten hinausreicht und den Zugang zu Informationen auch außerhalb von Grundbüchern und Grundakten betrifft. Ein solcher Regelungsgehalt ist jedoch nicht anzunehmen und wird auch von den Beschwerden nicht nachvollziehbar aufgezeigt.

8Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO ist die Einsicht des Grundbuchs jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Das gleiche gilt nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GBO von Urkunden, auf die im Grundbuch zur Ergänzung einer Eintragung Bezug genommen ist, sowie von noch nicht erledigten Eintragungsanträgen. Ergänzend ist nach § 46 Abs. 1 GBV auch über die in § 12 Abs. 1 Satz 2 GBO bezeichneten Urkunden hinaus die Einsicht von Grundakten jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Der nach diesen Vorschriften gewährte Einsichtsanspruch richtet sich gegen das jeweilige grundbuch- bzw. aktenführende Grundbuchamt und erfasst lediglich das Grundbuch sowie Grundakten.

9Zu den Voraussetzungen des Zugangs zu gegebenenfalls identischen Informationen, die außerhalb der Einflusssphäre der Grundbuchämter vorhanden sind, verhalten sich die Vorschriften nicht. Je nach Inhalt der Information und deren jeweiligem Inhaber unterliegt dieser Zugang jeweils eigenen Regularien. Die Annahme der Beschwerden, die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO und § 46 Abs. 1 GBV für die Grundbucheinsicht geltende Zugangsvoraussetzung des berechtigten Interesses drohe in erheblichem Umfang leerzulaufen, trifft hiernach schon im Ansatz nicht zu. § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO und § 46 Abs. 1 GBV oder sonstige Regelungen des Grundbuchrechts beinhalten keine über den Bereich des Grundbuchwesens hinausreichende allgemeine Informationszugangsschranke.

10Die Behauptung in der Beschwerde der Beigeladenen zu 1, der Bundesgesetzgeber habe einen Konflikt zwischen Grundbuchordnung und dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes "anerkanntermaßen über § 1 Abs. 3 IFG" zugunsten der Grundbuchordnung gelöst, trifft nicht zu und findet in der zitierten Literatur keine Stütze. Vielmehr wird im Schrifttum zutreffend dargelegt, dass sich die Vorrangfrage zwischen dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes und der Grundbuchordnung im Hinblick auf die Führung der Grundbücher durch Stellen des Landes gar nicht stellt (Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 324). Soweit nicht bereits dieser Zusammenhang in den Blick genommen wird, sind Anhaltspunkte für die Annahme eines über den Zugang zu Grundbuch und Grundakten hinausreichenden Regelungsgehalts von § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO oder § 46 Abs. 1 GBV nicht ersichtlich. Die weitere insoweit zitierte Literatur befasst sich ausschließlich mit dem Informationszugang zum Grundbuch (Rossi, IFG, § 1 Rn. 109) bzw. dem Informationszugang zu - beschränkt zugänglichen - öffentlichen Registern selbst (Brink, in: Brink/Polenz/Blatt, IFG, 1. Aufl. 2017, § 1 Rn. 136; Debus, in: Gersdorf/Paal, IFG, Stand , § 1 Rn. 206; vgl. auch Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 323).

11Auch auf die in Bezug genommene - soweit ersichtlich singulär gebliebene - Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (Urteil vom - 14 K 2520/20 -) können sich die Beschwerden nicht stützen. Maßgeblich für das Verwaltungsgericht war die Annahme, dass eine partielle Überschneidung des Umweltinformationsanspruchs nach baden-württembergischem Landesrecht und des Anspruchs auf Einsicht in das Grundbuch gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO nach Sinn und Zweck des Landesrechts den Informationszugang ausschließt ( - juris Rn. 71 f.; anders das diesbezügliche Berufungsurteil VGH Mannheim, Urteil vom - 10 S 3607/21 - ZfBR 2023, 272 <275 f.>). Für die in den Beschwerden aufgeworfenen Fragen des revisiblen Bundesrechts lässt sich hieraus nichts ableiten. Im Übrigen lässt sich dieser Entscheidung nichts entnehmen, was entgegen den obigen Erwägungen für eine von der landesrechtlichen Kollisionsregel losgelöste Sperrwirkung des § 12 GBO gegenüber dem Zugang zu anderen Datenbeständen als dem Grundbuch spräche.

122. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Weder aus dem Vorbringen der Beigeladenen zu 1 noch der Beigeladenen zu 2 und 3 ergibt sich das Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann.

13a) Die Verfahrensrügen der Beigeladenen zu 1 vermögen nicht durchzugreifen.

14aa) Die hinsichtlich der Prüfung der Frage einer Monopolstellung der Beigeladenen zu 1 beim Verkauf ehemals militärisch genutzter Konversionsflächen geltend gemachten Verstöße des Berufungsgerichts gegen den Überzeugungsgrundsatz und die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs sind nicht ersichtlich.

15Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Grenzen der "Freiheit" des Gerichts sind jedoch überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Solche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 5.18 - juris Rn. 6 m. w. N. und vom - 7 B 15.21 - NVwZ 2022, 1634 Rn. 44). Eine "aktenwidrige Entscheidung" liegt erst vor, wenn der Streitstoff, den das Tatsachengericht seiner Entscheidung zugrunde legt, von dem tatsächlichen Streitstoff, wie er sich aus den Akten ergibt, zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht, sei es, dass er darüber hinausgeht, indem aktenwidrig - "ins Blaue hinein" - Tatsachen angenommen werden, sei es, dass er dahinter zurückbleibt, indem Akteninhalt übergangen wird (vgl. 8 C 5.11 - Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 28 Rn. 25; Beschlüsse vom - 7 B 15.21 - NVwZ 2022, 1634 Rn. 44 und vom - 10 BN 2.23 - juris Rn. 7 f.; vgl. auch Beschluss vom - 10 BN 3.23 - juris Rn. 39).

16Von diesen Maßstäben ausgehend ist ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO nicht dargelegt. Die Rüge der Beigeladenen zu 1, für die Annahme einer Monopolstellung fehle es an tatsächlichen Feststellungen, führt für sich genommen auf keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz. Die Beschwerde legt nicht zugleich nachvollziehbar dar, dass das Berufungsgericht aktenwidrig von bestimmten Tatsachen ausgegangen wäre. Aus der vergleichenden Bezugnahme in den Urteilsgründen (UA S. 22) auf eine Literaturfundstelle (Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 6 Rn. 95), die von der Rechtsprechung entschiedene Fallgestaltungen auflistet, ergibt sich Derartiges nicht. Soweit sich die Beschwerde darüber hinaus gegen Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichtshofs wendet, ist ein Verstoß gegen Denkgesetze nicht erkennbar. Der Überzeugungsgrundsatz wird auch nicht dadurch verletzt, dass nach Annahme des Berufungsgerichts in der weiteren Umgebung keine Industriekonversionsflächen zur Verfügung stünden, die vergleichbaren Nutzungs- und Vermarktungsmöglichkeiten zugänglich wären wie die von der Beigeladenen zu 1 angebotenen Liegenschaften (UA S. 22).

17Auch eine aktenwidrige Wiedergabe des Vorbringens der Beigeladenen zu 1 im Berufungsurteil ist nicht ersichtlich. Der Verwaltungsgerichtshof ist entgegen dem Vorbringen der Beschwerde nicht davon ausgegangen, dass es nach dem Vortrag der Beigeladenen zu 1 bei der Frage nach einer Konkurrenzsituation ausschließlich darauf ankomme, ob in einem Gebiet auch Industriekonversionsflächen angeboten würden. Das Berufungsgericht hat diesen Gesichtspunkt in den Entscheidungsgründen vielmehr lediglich als besonders bedeutsam herausgegriffen und ausdrücklich gewürdigt.

18Die Beschwerde legt auch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO dar. Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind ( u. a. - BVerfGE 87, 363 <392 f.> m. w. N.; 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 S. 65 m. w. N. und vom - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22). Eine Gehörsverletzung ist allerdings nur dann dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben ( - BVerfGE 40, 101 <104 f.>). Dazu muss das Gericht nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (BVerfG, Beschlüsse vom a. a. O. und vom - 2 BvR 558/75 - BVerfGE 42, 364 <368>). Nur der wesentliche Kern des Tatsachenvorbringens einer Partei, der nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist, muss in den Gründen der Entscheidung behandelt werden ( a. a. O.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist dann festzustellen und gegeben, wenn auf den Einzelfall bezogene Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 <187 f.> und vom - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146>; 7 B 15.17 - Buchholz 451.224 § 36 KrWG Nr. 1 Rn. 7; vgl. auch Beschluss vom - 10 BN 3.23 - juris Rn. 29 f.).

19Solche Umstände sind im gegebenen Zusammenhang nicht erkennbar. Sowohl ausweislich des Tatbestands (UA S. 11) als auch der Gründe (UA S. 22) der angefochtenen Entscheidung hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit den Einwänden der Beigeladenen zu 1 gegen die Bejahung einer Monopolstellung auseinandergesetzt und dabei insbesondere auch den Gesichtspunkt der Vermarktung anderweitiger großflächiger Areale durch weitere Marktteilnehmer nicht übergangen. Anhaltspunkte dafür, dass er den über den Gesichtspunkt speziell der Industriekonversionsflächen hinausgehenden Vortrag der Beigeladenen zu 1 nicht zur Kenntnis genommen und erwogen hätte, bestehen nicht.

20Ein Gehörsverstoß ist auch unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Überraschungsentscheidung nicht gegeben. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs umfasst die Gelegenheit, sich zu allen Tatsachen und Rechtsfragen zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Hinweispflicht des Gerichts, vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verbietet es aber, dass das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. nur 10 C 10.23 - juris Rn. 3 m. w. N.).

21Eine derartige unzulässige Überraschungsentscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof nicht getroffen. Er hat auf keinen Gesichtspunkt abgestellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte. Wenn das Berufungsgericht sich in den Entscheidungsgründen mit dem Angebot von Konversionsflächen auseinandersetzt, hinsichtlich derer mit dem verfahrensgegenständlichen Objekt vergleichbare Nutzungs- und Vermarktungsmöglichkeiten in der weiteren Umgebung von M. bestünden (UA S. 22), reagiert es vielmehr auf Einwände der Beigeladenen zu 1 gegen die Annahme von deren Monopolstellung, mit denen sie in diesem Zusammenhang auf vorhandene strukturell vergleichbare Liegenschaften verweist (UA S. 11).

22Ein diesbezüglicher Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO ist schon insoweit nicht ersichtlich, als die Beigeladene zu 1 nicht darzulegen vermag, dass sie im Verfahren vor dem Tatsachengericht - namentlich durch einen entsprechenden Beweisantrag - auf die Vornahme der vermissten Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat (vgl. hierzu nur 7 B 9.21 - juris Rn. 24 m. w. N.). Vor dem Hintergrund dessen, dass die für defizitär erachteten tatrichterlichen Erwägungen - wie dargelegt - auf den Vortrag der Beigeladenen zu 1 hin erfolgt sind, ist ebenfalls nicht ersichtlich, dass sich dem Gericht dazu von Amts wegen weitere Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen.

23bb) Die weiteren im Zusammenhang mit der Frage nach vergleichbaren Liegenschaften erhobenen Rügen hinsichtlich der Annahme des Berufungsgerichts, es liege "auf der Hand, dass alle diese Liegenschaften jeweils eigene Besonderheiten aufweisen und auch ihre Lage sowie andere kaufpreisbildende Faktoren jeweils unterschiedlich sein werden, wovon auch ganz entscheidend die jeweilige Nachfrage abhängen wird" (UA S. 24), führen ebenfalls auf keinen Verfahrensfehler. Weder liegt ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz noch ein Gehörsverstoß vor.

24Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die gerügten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs auf der Annahme bestimmter Tatsachen beruhen, die mit dem Akteninhalt nicht in Einklang zu bringen sind. Die geäußerte Kritik, es handele sich um eine Mutmaßung "ins Blaue hinein", zu der es an Feststellungen fehle, begründet für sich genommen noch keine gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßende Aktenwidrigkeit im bereits oben dargelegten Sinne.

25Die Beschwerde legt auch keine diesbezügliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass der Verwaltungsgerichtshof den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens der Beigeladenen zu 1 zum Gesichtspunkt weiterer zur Veräußerung vorgesehener Konversionsliegenschaften behandelt hat. Namentlich verweist das Berufungsgericht darauf, die Beigeladene zu 1 habe den Umstand hervorgehoben, dass sie weitere Liegenschaften veräußern möchte, die zumindest regional betrachtet im näheren Umkreis belegen seien (UA S. 24). Dies genügt den ebenfalls bereits oben dargestellten rechtlichen Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs.

26cc) Auch die Rügen der Beigeladenen zu 1 im Zusammenhang mit der Frage nach dem Nutzungszweck des verfahrensgegenständlichen Areals bzw. von Teilen dieses Areals für die Bundesgartenschau 2023 greifen nicht durch. Insoweit ist schon mangels hinreichender Darlegungen der Beschwerde nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen oder einen Gehörsverstoß begangen hat. Aus der von der Beschwerde in Bezug genommenen Formulierung in den Entscheidungsgründen zum Nutzungszweck (UA S. 24) lässt sich nicht ableiten, dass der Verwaltungsgerichtshof einen ausschließlichen Nutzungszweck für die Bundesgartenschau annimmt. Vielmehr nimmt er - wie zitiert - ausdrücklich auch auf die geplante Entwicklung eines neuen Stadtquartiers Bezug.

27dd) Ein Gehörsverstoß wird auch hinsichtlich der berufungsgerichtlichen Einschätzung, es erschließe sich nicht, dass und warum die Beigeladene zu 1 beim Verkauf anderer Liegenschaften gezwungen sein sollte, ihrem Verhandlungspartner vergleichbare Konditionen wie beim verfahrensgegenständlichen Objekt anzubieten, nicht erkennbar. Die in den Urteilsgründen (UA S. 25) enthaltenen Erwägungen in der Sache zeigen, dass der Verwaltungsgerichtshof die von seiner eigenen Einschätzung abweichende Auffassung der Beigeladenen zu 1 zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat.

28b) Auch die Gehörsrüge der Beigeladenen zu 2 und 3 führen auf keinen beachtlichen Verfahrensmangel. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist auch insoweit nicht erkennbar. Wie oben dargelegt, muss das Gericht nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind. Gemessen an diesem Maßstab sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen der Beigeladenen zu 2 und 3 im angefochtenen Urteil (UA S. 20 ff.) revisionsrichterlich nicht zu beanstanden. Eine gegenüber der Auffassung der Beigeladenen zu 2 und 3 sachlich abweichende Würdigung führt auf keinen Gehörsverstoß.

29Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:270224B10B12.23.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-64780