Instanzenzug: Az: 33 U 631/21vorgehend LG Ingolstadt Az: 61 O 161/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.
2Er erwarb im Oktober 2014 bei einem Autohändler ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug Audi Q7, 3.0 l, TDI Euro 5 als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 19.907 zu einem Kaufpreis von 47.750,31 €. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor 897 oder 896 2Gen verbaut. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem temperaturgesteuert mittels eines sogenannten Thermofensters. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen.
3Der Kläger hat behauptet, der Motor seines Fahrzeugs enthalte eine Prüfstandserkennung in Gestalt einer sogenannten Lenkwinkelerkennung. Das Getriebe erkenne den Lenkwinkeleinschlag, der mit dem Prüfstand einhergehe, und passe die Schaltstrategie entsprechend so an, dass auf dem Prüfstand niedrigere NOx-Werte emittiert würden. Im realen Fahrbetrieb hingegen würden die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten.
4Der Kläger hat die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und abzüglich einer nicht bezifferten Nutzungsentschädigung verlangt.
5Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.
6Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
7Die Revision ist begründet und führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
8Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:
9Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu. In Bezug auf das in seinem Fahrzeug eingebaute Thermofenster habe er die für eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB erforderliche besondere Verwerflichkeit nicht dargelegt. Es fehle zudem an einem hinreichend substantiierten Vortrag des Klägers, dass neben dem Thermofenster weitere unzulässige Abschalteinrichtungen in seinem Fahrzeugmodell vorhanden seien. Für das Fahrzeug des Klägers liege kein verpflichtender Rückruf vor. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers betreffe der Rückruf 23x6 des KBA vom Dezember 2019 nicht seinen Fahrzeugtyp. Die Beklagte habe bereits erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass es bei denV6 TDI EU-5-Motoren unterschiedliche Motortypen gebe, so dass die Sachverhalte nicht übertragbar seien. Selbst wenn der Motor seines Fahrzeugs baugleich mit den Motoren der im Rückruf benannten Fahrzeugtypen wäre, habe der Kläger keine plausible Erklärung vorgetragen, warum das KBA seinen Fahrzeugtyp- trotz angeblich bestehender unzulässiger Abschalteinrichtungen - vom Rückruf ausgenommen habe. Dies lasse nur den Schluss zu, dass es bei seinem Fahrzeugtyp keine ausreichenden Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen gegeben habe. Der mit Schriftsatz vom gehaltene Vortrag zur Liste betroffener Fahrzeugvarianten sei zudem verspätet.
10Das auf freiwilliger Basis angebotene Software-Update der Beklagten biete ebenfalls keinen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Auf das von dem Landgericht Bielefeld zu einem Pkw Audi Q5 3.0 TDI 180 kW Euro 5 eingeholte Sachverständigengutachten könne sich der Kläger nicht stützen, weil es sich um neuen Vortrag handele, der gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen werden könne. Selbst bei Berücksichtigung des Vortrags ergäben sich daraus keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil der Sachverständige in seinem Gutachten lediglich das Vorhandensein eines Thermofensters bei dem Fahrzeugtyp festgestellt habe.
11Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom zur Manipulation am Getriebe vorgetragen habe, sei der Vortrag ebenfalls neu und nicht mehr gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Dies gelte insbesondere für den Vortrag zum achtstufigen Tiptronic und zum Automatikgetriebe AL 551 und dessen Verwendung im Fahrzeug des Klägers sowie zur konkreten Funktionsweise der Lenkwinkelerkennung, des Warmlaufprogramms und des Dynamischen Schaltprogramms sowie zur diesbezüglichen Kenntnis der Verantwortlichen der Beklagten und zur unterbliebenen Offenlegung gegenüber dem KBA. Der Kläger habe auch hier ohne greifbare Anhaltspunkte ins Blaue hinein vorgetragen, weil sich sein Vortrag und die vorgelegten Anlagen auf andere Fahrzeugtypen bezögen.
II.
12Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
13Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris) übergangen hätte.
14a) Entgegen der Annahme der Revision hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiierung des Klägervortrags nicht überspannt. Der Vortrag des Klägers erschöpft sich in der pauschalen Behauptung, dass in seinem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer "Lenkwinkelerkennung" verbaut sei, welche die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unzulässig reduziere. Der Kläger hat keine greifbaren Umstände angeführt, die den Verdacht begründen, dass sein Fahrzeug mit einer Software der behaupteten Art ausgestattet ist. Grundlage für den Vortrag des Klägers ist ein am2. Dezember 2019 veröffentlichter amtlicher Rückruf wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen für Fahrzeuge der Beklagten, der nach den nicht angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts nicht den Fahrzeugtyp des Klägers betrifft. Das Berufungsgericht hat sich zudem mit dem vom Landgericht Bielefeld eingeholten Gutachten des Dipl.-Ing. H. R. auseinandergesetzt und zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ausführungen des Sachverständigten nur das Vorhandensein eines Thermofensters bestätigten. Das Gutachten ist zudem hinsichtlich eines Audi Q5, also eines anderen Fahrzeugtyps, erstattet worden.
15b) Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO hinsichtlich der Behauptung des Klägers bejaht, sein Fahrzeug enthalte eine prüfstandsbezogene Getriebemanipulation in Form einer Warmlaufstrategie, kommt es darauf schon deswegen nicht an, weil das Berufungsgericht den Vortrag berücksichtigt und ihn als unsubstantiiert zurückgewiesen hat. Die Würdigung des Berufungsgerichts, der Vortrag des Klägers habe sich auf Fahrzeuge der Typen Audi A6, A7, A8 bezogen und lasse sich nicht auf seinen Fahrzeugtyp übertragen, ist nicht zu beanstanden, zumal nach dem Vortrag der Beklagten das klägerische Fahrzeug über die - als unzulässig eingestufte - Warmlaufstrategie nicht verfügt.
16c) Auch im Übrigen erachtet der Senat die von der Revision erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).
17d) Fehlt es damit an einem begründeten Angriff auf die Feststellung des Berufungsgerichts, eine Prüfstandsbezogenheit der behaupteten Abschalteinrichtung sei nicht substantiiert vorgetragen, zeigt die Revision auch keine anderen Umstände auf, die über die bloße Verwendung eines Thermofensters hinaus die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten indizieren würden und die vom Berufungsgericht übergangen worden wären.
182. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 1031/22 Rn. 24 ff., DAR 2023, 503; Urteil vom - VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., ZIP 2023, 1421).
19Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Überein-stimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., ZIP 2023, 1421; ebenso Urteil vom - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom26. Oktober 2023 - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).
20Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des Differenzschadens angepassten, unbeschränkten Zahlungsantrags ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( VIa ZR 335/21 Rn. 45, ZIP 2023, 1421).
III.
21Danach hat der angefochtene Beschluss keinen Bestand. Er ist im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:010224UVIIZR795.21.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-64770