Instanzenzug: Az: 21 U 5477/20vorgehend LG Ingolstadt Az: 51 O 273/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im März 2013 als Gebrauchtwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs Audi A6 Avant S-line 3.0 TDI (180 kw) in Anspruch. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger durch ein Darlehen der Audi Bank. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 897 oder EA 896 Gen. 2 (Euro 5) ausgestattet. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem temperaturgesteuert mittels eines sogenannten Thermofensters. Ob das Fahrzeug von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen ist, ist streitig.
2Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat er die Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 57.300 € nebst Delikts- und Verzugszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.337,68 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, insoweit hilfsweise die Rückabwicklung des Kaufvertrags unter Freistellung von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag mit der Audi Bank, weiter die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.
3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
Gründe
4Die Revision hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:
6Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung lägen nicht vor. Es könne offenbleiben, ob es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Denn das allein begründe eine Haftung nach § 826 BGB nicht. Anders als die "Umschaltlogik" unterscheide die hier eingesetzte temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses in Bezug auf das Thermofenster in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehandelt habe, habe der Kläger weder dargetan noch seien sie sonst ersichtlich. Auch in Bezug auf sonstige unzulässige Abschalteinrichtungen sei die Berufung erfolglos, weil der Kläger dazu keinen schlüssigen und erheblichen Sachvortrag gehalten habe. Zwar dürfe eine Partei eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände verlangen, über die sie kein zuverlässiges Wissen besitze und auch nicht erlangen könne. Eine Behauptung sei aber dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden sei. So liege es hier:
7Nicht zu beanstanden sei die landgerichtliche Feststellung, das Klägerfahrzeug sei nicht von einem Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Dies ergebe sich aus der vom KBA veröffentlichten, allgemein zugänglichen Übersicht zu Rückrufen. Der Klägervortrag zu einem Rückruf Nr. 7130 vom betreffend Fahrzeuge des Typs Audi A6, A7 und A8 wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Lenkwinkelerkennung, welche die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unzulässig reduziere, sei überholt. Ausweichlich der Rückrufdatenbank des KBA sei der Rückrufgrund dahin berichtigt worden, dass es um eine Konformitätsabweichung der Antriebssteuerungssoftware gehe, und der Rückruf sei auf Fahrzeuge des Typs Audi A7 und A8 beschränkt worden. Der erstmals in der Stellungnahme zum Hinweisbeschluss gehaltene Vortrag zu einem "Warmlaufprogramm", das mittels Lenkwinkelerkennung nur auf dem Prüfstand initiiert werde, sei verspätet. Der Vortrag sei jedenfalls unerheblich, da sich aus ihm kein Indiz für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ergebe. Der bloße Umstand, dass das Fahrzeug aufgrund bestimmter Parameter den Prüfstandslauf erkennen könne, genüge nicht zur Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur prüfstandsbezogenen Manipulation der Stickoxidemissionen. Die Prüfstandserkennung sei vielmehr erforderlich, um technische Einrichtungen wie etwa das ESP zur Vermeidung von Sicherheitsrisiken oder Messverfälschungen zu deaktivieren. Unzulässig und objektiv sittenwidrig seien solche Einrichtungen nur, wenn damit gezielt Emissionen in grenzwertrelevanter Weise zur Erschleichung der Typgenehmigung auf dem Prüfstand manipuliert würden. Dies behaupte der Kläger zwar, die vorgelegten Unterlagen bestätigten dies jedoch gerade nicht. Aus ihnen ergebe sich vielmehr, dass die NOx-Grenzwerte eingehalten oder zumeist eingehalten würden. Dies trage den Vorwurf des objektiv sittenwidrigen Verhaltens im Sinne des § 826 BGB nicht. Darüber hinaus habe das KBA diese Getriebesteuerung gerade nicht als unzulässige Abschalteinrichtung, sondern als bloße Konformitätsabweichung eingestuft. Der Vortrag zu einem Ergänzungsgutachten in einem Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld sei ebenfalls nicht nur verspätet, sondern ebenso unerheblich. Ohne greifbare Anhaltspunkte für das Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung stelle sich die Vorsatzproblematik nicht. Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheide mangels drittschützenden Charakters der Normen aus.
II.
8Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
91. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens verneint hat. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht insoweit bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. Rn. 14, VersR 2021, 1252; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 19, NJW 2021, 921; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom - VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris) übergangen hätte.
10Gegen die Abweisung eines Anspruchs gemäß § 826 BGB in Bezug auf das unstreitig im Klägerfahrzeug enthaltene Thermofenster mangels Vortrags zur Sittenwidrigkeit wendet sich die Revision nicht konkret.
11Das Berufungsgericht unterstellt zwar, dass das Klägerfahrzeug über eine Prüfstandserkennung in Form der Lenkwinkelerkennung verfügt. Das Berufungsgericht führt aber zutreffend aus, dass allein der bloße Umstand, dass das Fahrzeug aufgrund bestimmter Parameter den Prüfstandslauf erkennen könne, nicht die Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur prüfstandsbezogenen Manipulation der Stickoxidemissionen rechtfertige. Eine Prüfstandserkennung indiziert nur dann die für eine Haftung gemäß § 826 BGB erforderliche arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörden, wenn eine Manipulationssoftware ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert (vgl. Rn. 18, juris; Urteil vom - VII ZR 190/20 Rn. 19, WM 2021, 2108; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 27, VersR 2021, 661; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 18, ZIP 2021, 297). Die Behauptung des Klägers, mit der Prüfstandserkennung in Form der Lenkwinkelerkennung gehe analog zur "Umschaltlogik" bei dem den sogenannten Dieselskandal auslösenden Motortyp EA 189 ein Umschalten in den "gesetzlich vorgeschriebenen sauberen Modus" beziehungsweise in ein "Warmlaufprogramm" einher, hat das Berufungsgericht als prozessual unbeachtlich angesehen. Hieran ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Welche Anhaltspunkte das Berufungsgericht bei seiner Würdigung des Klägervortrags verfahrensfehlerhaft übergangen haben soll, legt die Revision nicht dar. Sie setzt nur ihre Bewertung des Klägervortrags an die Stelle der Würdigung des Berufungsgerichts.
12Entgegen der Auffassung der Revision kommt es damit auf eine sogenannte Grenzwertkausalität nicht an, wie die Revisionserwiderung zutreffend ausführt. Denn die Frage, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung lediglich dann als sittenwidrig-manipulativ einzustufen ist, wenn sie zu einer Einhaltung der Emissionsgrenzwerte nur auf dem Prüfstand führt, stellt sich hier nicht.
132. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 335/21, ZIP 2023, 1421 ff.).
14Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. Urteil vom - VIa ZR 335/21, ZIP 2023, 1421 ff.; ebenso Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).
III.
15Danach hat der angefochtene Beschluss keinen Bestand. Er ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:010224UVIIZR688.21.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-64568