BGH Urteil v. - V ZR 6/23

Wohnungseigentumsrecht: Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche in verwalterloser Zweiergemeinschaft

Leitsatz

1. Auch in einer verwalterlosen Zweiergemeinschaft können jedenfalls auf Beeinträchtigungen des gemeinschaftlichen Eigentums bezogene Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche (hier: Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung) nur von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und nicht im Wege der actio pro socio von einem einzelnen Wohnungseigentümer geltend gemacht werden (Fortführung von Senat, Urteil vom - V ZR 86/21, NJW-RR 2022, 733).

2. Die verwalterlose Zweiergemeinschaft wird bei der Geltendmachung von Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüchen, die sich auf Beeinträchtigungen des gemeinschaftlichen Eigentums durch einen der Wohnungseigentümer beziehen, von dem jeweils anderen Wohnungseigentümer vertreten; einer Vorbefassung der Eigentümerversammlung vor Klageerhebung bedarf es insoweit nicht (Fortführung von Senat, Urteil vom - V ZR 180/21, NJW 2022, 3577).

Gesetze: § 9a Abs 2 WoEigG, § 9b Abs 1 S 2 WoEigG, § 14 Abs 1 Nr 1 WoEigG, § 1004 Abs 1 BGB

Instanzenzug: Az: 11 S 135/21 Urteilvorgehend AG Pforzheim Az: 12 C 1055/21

Tatbestand

1Die Parteien sind die einzigen Mitglieder einer aus zwei Einheiten bestehenden Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE), für die jedenfalls in den Vorinstanzen kein Verwalter bestellt war. Den Beklagten steht Sonder- und Teileigentum an den im Aufteilungsplan mit Nr. 1 bezeichneten Wohn- und Gewerberäumen in Verbindung mit 60/100 Miteigentumsanteilen zu. Die Räume im Erdgeschoss werden in der Teilungserklärung wie folgt beschrieben: „Wohn- und Gewerberäume, bestehend aus Küche, Ladenstube, Laden, Ladenkühlraum, Flur, Büro, Wasch- und Bügelraum, Lagerraum, Kühlraum, Kuttelraum, Schlachthaus, Wurstküche, WC und Dusche“. Die Gewerberäume im Erdgeschoss, die früher als Metzgerei mit Schlachthaus genutzt wurden, stehen seit einigen Jahren leer.

2Mit ihrer im Jahr 2021 erhobenen Klage wenden sich die Kläger gegen die Absicht der Beklagten, die Gewerberäume einer Wohnnutzung zuzuführen. Das Amtsgericht hat die auf Unterlassung gerichtete Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen ist. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgen die Kläger ihr Unterlassungsbegehren weiter.

Gründe

I.

3Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung in ZWE 2023, 167 veröffentlicht ist, fehlt den Klägern die Prozessführungsbefugnis. Ob die beabsichtigte Wohnnutzung bei typisierender Betrachtung weniger störe als die gewerbliche Nutzung, könne daher offenbleiben. Nach der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes müsse die GdWE die Unterlassung einer gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG verstoßenden Nutzung geltend machen. Soweit eine zweckwidrige Nutzung das Eigentum aller Wohnungseigentümer mittelbar beeinträchtige, könnten diese zwar einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB haben; auch insoweit sei die Prozessführungsbefugnis aber der GdWE zugewiesen. Die Kläger könnten den Unterlassungsanspruch auch nicht für die GdWE geltend machen. Das aus dem Gesellschaftsrecht stammende Instrument der actio pro socio sei - auch im Falle einer verwalterlosen Zweiergemeinschaft - nicht anwendbar. Der Rechtsschutz des einzelnen Wohnungseigentümers werde hierdurch nicht unzumutbar erschwert.

II.

4Die Revision hat keinen Erfolg.

51. Die Kläger können, wie das Berufungsgericht zutreffend erkennt, den Anspruch auf Einhaltung des Binnenrechts nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG und den auf das gleiche Ziel gerichteten Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB nicht geltend machen.

6a) Der Senat hat bereits entschieden, dass der einzelne Wohnungseigentümer nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) nicht mehr von einem anderen Wohnungseigentümer die Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung des Wohnungseigentums verlangen kann. Vielmehr besteht nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG die von konkreten Beeinträchtigungen losgelöste Pflicht der Wohnungseigentümer, das in der Gemeinschaft geltende Regelwerk einzuhalten, nur gegenüber der GdWE. Soweit ein Verstoß gegen das Regelwerk keinen Wohnungseigentümer konkret beeinträchtigt, ist es nach der Auffassung des Gesetzgebers sachgerecht, dass die damit zusammenhängenden Auseinandersetzungen nicht zwischen einzelnen Wohnungseigentümern geführt werden, sondern mit der GdWE (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 86/21, NJW-RR 2022, 733 Rn. 22 f. mwN). Diese ist hiernach Anspruchsinhaberin und damit (allein) prozessführungsbefugt (s.a. Senat, Urteil vom - V ZR 284/19, ZfIR 2021, 489 Rn. 13).

7b) Nichts anderes folgt daraus, dass die einer Zweckbestimmung widersprechende Nutzung einer Sondereigentumseinheit sich zugleich als (mittelbare) Beeinträchtigung des Eigentums aller Wohnungseigentümer darstellt. Zwar begründet dies einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB, dessen Inhaber materiell-rechtlich nicht die GdWE ist; der Anspruch steht vielmehr den einzelnen Wohnungseigentümern zu. Die Wohnungseigentümer sind aber nicht (mehr) befugt, diesen Anspruch geltend zu machen. Prozessführungsbefugt ist nach § 9a Abs. 2 WEG nur die GdWE, die nach dem Willen des Gesetzgebers für die Abwehr von Verletzungen des Binnenrechts allein zuständig und damit prozessführungsbefugt sein soll. Hiermit verträgt es sich nicht, wenn der Anspruch auf Einhaltung des Binnenrechts nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG der Gemeinschaft zugeordnet wird und der auf das gleiche Ziel gerichtete Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB individuell von den einzelnen Wohnungseigentümern geltend gemacht werden könnte (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 86/21, NJW-RR 2022, 733 Rn. 24 mwN).

82. Diese Grundsätze zieht die Revision für sich genommen nicht in Zweifel. Sie meint aber, dass bei Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung in einer - wie hier - verwalterlosen Zweiergemeinschaft die Grundsätze der actio pro socio anzuwenden seien. Das trifft indes nicht zu. Auch in einer verwalterlosen Zweiergemeinschaft können jedenfalls auf Beeinträchtigungen des gemeinschaftlichen Eigentums bezogene Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche (hier: Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung) nur von der GdWE und nicht im Wege der actio pro socio von einem einzelnen Wohnungseigentümer geltend gemacht werden.

9a) Für das Revisionsverfahren ist mangels anderweitiger Feststellungen, die das Berufungsgericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, nicht treffen musste, davon auszugehen, dass die durch die Beklagten beabsichtigte Nutzungsänderung den Bestimmungen in der Teilungserklärung widerspricht.

10b) Die Unterlassung einer solchen beabsichtigten zweckwidrigen Nutzung kann nur die GdWE verlangen. Die Grundsätze der actio pro socio sind insoweit auch im Fall einer verwalterlosen Zweiergemeinschaft nicht übertragbar.

11aa) Allerdings wird es teilweise für geboten erachtet, die für das Gesellschaftsrecht entwickelten Grundsätze der actio pro socio (vgl. hierzu u.a. , BGHZ 232, 275 Rn. 12, 16 jeweils mwN, aaO Rn. 21 auch zu dem am in Kraft getretenen § 715b BGB) dergestalt zu übertragen, dass ein Wohnungseigentümer Leistungs-, aber auch Unterlassungsansprüche direkt gegen einen anderen Wohnungseigentümer geltend machen kann (vgl. BeckOK WEG/Elzer [], § 43 Rn. 72 f.; Lieder/Pordzik, ZWE 2021, 105, 111); dies entspreche einem angemessenen Maß an Minderheitenschutz (Lieder/Pordzik aaO). Jedenfalls dann, wenn die Geltendmachung durch die Gemeinschaft als Umweg und aussichtslos oder zumindest kaum realisierbar erscheine, müsse dies möglich sein (vgl. Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 9b Rn. 34).

12bb) Nach anderer Ansicht sind die Grundsätze der actio pro socio nicht übertragbar. Der Minderheitenschutz werde im Wohnungseigentumsrecht - auch in der verwalterlosen Zweiergemeinschaft - auf andere Weise gewährleistet (vgl. LG Frankfurt a.M., ZfIR 2021, 277, 278 f.; Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 43 ff. Rn. 34; BeckOK WEG/Müller [], § 14 Rn. 50a; Zschieschack in Jennißen, WEG, 8. Aufl., § 9b Rn. 113, 115; Staudinger/Lehmann-Richter [2023], § 14 WEG Rn. 70; Staudinger/Wobst [2023], Vorbemerkungen zu §§ 43-45 WEG Rn. 42; Hansen in Münchener Handbuch des Wohnungseigentumsrechts, 8. Aufl., § 32 Rn. 20 f.; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 64 f.; Suilmann, ZfIR 2021, 281, 282).

13cc) Zutreffend ist die zuletzt genannte Ansicht. Eine auf Leistung an die GdWE gerichtete Klage einzelner Wohnungseigentümer im Wege der actio pro socio kommt von vornherein nicht in Betracht, sofern ein Verwalter bestellt ist; es widerspräche nämlich der Zielsetzung des Reformgesetzgebers, wenn neben einem bestellten Verwalter einzelne Wohnungseigentümer Klage auf Leistung an die GdWE erheben könnten. Aber auch in einer - wie hier - verwalterlosen GdWE gilt jedenfalls für Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche nichts anderes.

14(1) Als actio pro socio wird regelmäßig die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Gesellschaftsverhältnis durch einen Gesellschafter im eigenen Namen gegen einen Mitgesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft bezeichnet. Die Befugnis wurzelt im Gesellschaftsverhältnis und ist Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts des Gesellschafters. Aufgrund dieser besonderen gesellschaftsrechtlichen Beziehung kann ein Gesellschafter einen Mitgesellschafter im Interesse der Gesellschaft in Anspruch nehmen. Der einzelne Gesellschafter kann eine Gesellschaftsforderung einklagen, wenn er an der Geltendmachung ein berechtigtes Interesse hat, die anderen Gesellschafter die Einziehung der Forderung aus gesellschaftswidrigen Gründen verweigern und zudem der verklagte Gesellschaftsschuldner an dem gesellschaftswidrigen Verhalten beteiligt ist. Den klagenden Gesellschafter in einem solchen Fall darauf zu verweisen, zunächst die anderen Gesellschafter auf Mitwirkung an der Geltendmachung der Forderung zu verklagen, wird bei Beteiligung des beklagten Gesellschafters am gesellschaftswidrigen Verhalten als unnötiger Umweg erachtet (vgl. , BGHZ 232, 275 Rn. 12, 16 jeweils mwN). Im Einzelfall werden diese Grundsätze auch angewandt, wenn es sich nicht um Ansprüche auf Leistung an die Gesellschaft handelt (vgl. etwa , BGHZ 237, 331 Rn. 14 ff.: Ausschließungsklage).

15(2) Diese speziellen Vorgaben sind auf die Geltendmachung eines Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruchs - wie des hier geltend gemachten Anspruchs auf Unterlassung einer (beabsichtigten) zweckwidrigen Nutzung - auch in einer verwalterlosen GdWE nicht übertragbar. Das ergibt sich schon daraus, dass, anders als im Grundfall der actio pro socio, kein Anspruch auf Leistung an die GdWE, sondern die Einhaltung der die Nutzung betreffenden Binnenregeln der GdWE durchgesetzt werden soll. Insoweit entspricht es gerade dem erklärten Willen des Gesetzgebers, den Verband zu stärken und für Ansprüche auf Einhaltung des Binnenrechts nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG nur noch die GdWE für prozessführungsbefugt zu erachten. Auseinandersetzungen über die von konkreten Beeinträchtigungen losgelöste Einhaltung des in der Gemeinschaft geltenden Regelwerks sollen nicht mehr zwischen einzelnen Wohnungseigentümern geführt werden (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 52 f.). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber diese von ihm gewollte Abkehr von der bisherigen Rechtslage (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 86/21, NJW-RR 2022, 733 Rn. 22) bei Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung in einer verwalterlosen Zweiergemeinschaft nicht intendiert und vielmehr insoweit eine Übertragung des im Gesellschaftsrecht entwickelten Instruments der actio pro socio für richtig gehalten haben könnte, sind nicht ersichtlich. Schließlich kommt die Übertragung der Grundsätze der actio pro socio auf einen (auch) aus § 1004 Abs. 1 BGB folgenden Unterlassungsanspruch einzelner Wohnungseigentümer wegen mittelbarer Beeinträchtigung ihres Sondereigentums durch eine zweckwidrige Nutzung schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich nicht um einen Anspruch der GdWE handelt, sondern um einen solchen der Wohnungseigentümer (s.o. Rn. 7).

16(3) Die Durchsetzung von Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüchen wird hierdurch auch nicht unzumutbar erschwert.

17(a) Dies gilt gerade bei einer verwalterlosen Zweiergemeinschaft. Denn die verwalterlose Zweiergemeinschaft wird bei der Geltendmachung von Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüchen, die sich auf Beeinträchtigungen des gemeinschaftlichen Eigentums durch einen der Wohnungseigentümer beziehen, von dem jeweils anderen Wohnungseigentümer vertreten; einer Vorbefassung der Eigentümerversammlung vor Klageerhebung bedarf es insoweit nicht.

18(aa) Die verwalterlose GdWE wird gemäß § 9b Abs. 1 Satz 2 WEG von den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich vertreten. Unterliegt ein Wohnungseigentümer einem Vertretungsverbot, ist er allerdings von der gemeinschaftlichen Vertretung ausgeschlossen. Verbleibt nur ein Wohnungseigentümer, der keinem Vertretungsverbot unterliegt, vertritt dieser die GdWE allein (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 202/21, NJW 2022, 3003 Rn. 36). Dies gilt, wie der Senat bereits entschieden hat, auch für Aktivprozesse, da andernfalls ohne erkennbaren Nutzen prozessuale Hürden für Klagen gegen einzelne Wohnungseigentümer, die ihre wohnungseigentumsrechtlichen Verpflichtungen nicht einhalten, entstünden (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 180/21, NJW 2022, 3577 Rn. 9 f.).

19(bb) Für Beitragsverfahren hat der Senat außerdem bereits entschieden, dass es in einer verwalterlosen GdWE vor Erhebung einer gegen einen einzelnen Wohnungseigentümer gerichteten Klage auf Zahlung einer Sonderumlage an die von den übrigen Wohnungseigentümern vertretene GdWE keiner vorherigen Beschlussfassung über die Klageerhebung bedarf (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 180/21, NJW 2022, 3577 Rn. 15). Denn der künftige Beklagte wäre hierbei, anders als die die Klageerhebung befürwortenden verbleibenden Wohnungseigentümer, nicht stimmberechtigt (§ 25 Abs. 4 Alt. 2 WEG). Eine förmliche Beschlussfassung zu verlangen, deren Ergebnis bereits zweifelsfrei feststeht, wäre eine unnötige Förmelei. Das gilt umso mehr, als die Einberufung und Durchführung einer Eigentümerversammlung in einer zerstrittenen verwalterlosen GdWE beträchtliche Probleme aufwirft (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom - V ZR 180/21, aaO). Soweit der Senatsrechtsprechung zufolge die üblichen Verwaltungsregeln auch in einer zerstrittenen Zweiergemeinschaft eingehalten werden müssen, bezieht sich dies auf Sachverhalte, in denen die Beschlussfassung gerade keine unnötige Förmelei ist, so dass ggf. eine Beschlussersetzung durch Gestaltungsurteil herbeigeführt werden muss; in diese Fallgruppe gehört auch die von den Parteien im Revisionsverfahren zitierte Senatsentscheidung zur Ausübung des Selbstbeseitigungsrechts (Urteil vom - V ZR 149/18, NJW 2020, 42 Rn. 17).

20(cc) Diese für Beitragsansprüche entwickelte Handhabung gilt auch für die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen. Insbesondere trägt die teilweise geäußerte Kritik, dass die GdWE auf beiden Seiten eines Verfahrens zu stehen drohe, wenn sie, vertreten durch einen Wohnungseigentümer, Unterlassung einer gegen die Binnenregeln verstoßenden Nutzung von dem anderen Wohnungseigentümer verlange, dieser aber deren Duldung begehre, nicht (so aber Abramenko, ZfIR 2023, 101, 102). Denn eine Klage auf Duldung einer gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG verstoßenden Nutzung wäre gegen die die Unterlassung begehrende GdWE zu richten, sodass die GdWE, ggf. nach einer Verfahrensverbindung (§ 147 ZPO), als Klägerin und Widerbeklagte gerade auf derselben Seite stünde; nichts anderes ergäbe sich bei einer auf § 1004 Abs. 1 BGB gestützten Unterlassungsklage durch die insoweit prozessführungsbefugte GdWE (vgl. Rn. 7). Die Austragung interner Streitigkeiten in zerstrittenen verwalterlosen Zweiergemeinschaften wird durch diese Lösung eher erleichtert denn erschwert (ebenso Zschieschack in Jennißen, WEG, 8. Aufl., § 9b Rn. 71). Ebenso wenig lässt sich ihr entgegenhalten, dass auf diese Weise - gerade in streitanfälligen verwalterlosen Zweiergemeinschaften - eine gerichtlich überprüfbare Willensbildung unterbleibe (so aber Abramenko aaO). Denn zum einen wird es im Regelfall - schon um der Kostenfolge des § 93 ZPO zu entgehen - vorab jedenfalls zu Gesprächen der Wohnungseigentümer gekommen sein. Und zum anderen lässt sich die Frage, ob eine beabsichtigte Nutzungsänderung zu unterlassen (oder zu dulden) ist, in einer zerstrittenen Zweiergemeinschaft naturgemäß nur durch das Gericht klären. Dann ist es aber sinnvoll und effizient, das (gleichermaßen) zuständige Gericht unmittelbar mit der Frage des Bestehens eines Unterlassungs- oder Duldungsanspruchs zu befassen.

21(b) In größeren verwalterlosen Gemeinschaften ist dagegen, wenn die Mehrheit der Wohnungseigentümer Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche nicht durchsetzen möchte, die Beschlussersetzungsklage gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG der richtige Weg, um den Minderheitenschutz zu gewährleisten. Die Beschlussersetzungsklage dient unter anderem der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 69/21, NJW 2023, 63 Rn. 8 mwN). Es ist aber nicht zwangsläufig so, dass (nur) die gerichtliche Verfolgung eventuell bestehender Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche ermessensgerecht wäre. Denn es mag durchaus beachtliche Gründe geben, warum die Mehrheit der Wohnungseigentümer von einer Rechtsverfolgung absieht; daher bedarf es einer Überprüfung und ggf. Ersetzung der gemeinschaftlichen Willensbildung durch das Gericht (vgl. Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 43 ff. Rn. 34; siehe auch Senat, Beschluss vom - V ZB 1/90, BGHZ 111, 148, 152).

22dd) Ob bezogen auf Beitragsverfahren einer verwalterlosen GdWE eine actio pro socio in Betracht kommen kann, lässt der Senat dagegen ausdrücklich offen. Es ist nämlich, auch wenn dies ein generelles Problem bei gesetzlich angeordneter Gesamtvertretung ist (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 202/21, NJW 2022, 3003 Rn. 50 mwN), nicht von der Hand zu weisen, dass die Rechtsdurchsetzung gerade bei größeren verwalterlosen Gemeinschaften - anders als im hier gegebenen Fall einer verwalterlosen Zweiergemeinschaft - seit dem ganz erheblich erschwert ist. Schon die Einberufung und Durchführung einer Eigentümerversammlung wirft beträchtliche Probleme auf (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 180/21, NJW 2022, 3577 Rn. 15). Selbst bei Durchführung einer Eigentümerversammlung und Fassung eines auf Erhebung einer Zahlungsklage gerichteten Mehrheitsbeschlusses wäre begründungsbedürftig, warum daraus eine persönliche Mitwirkungspflicht der (mit Ausnahme des künftigen Beklagten nur gemeinsam vertretungsberechtigten) Wohnungseigentümer folgen sollte (vgl. allg. zu der Begründung von Leistungs- und Mitwirkungspflichten Senat, Urteil vom - V ZR 193/09, NJW 2010, 2801 Rn. 11; Urteil vom - V ZR 161/11, NJW 2012, 1724 Rn. 11 f.). Vor allem aber müsste ggf. die Mitwirkung klageunwilliger Wohnungseigentümer ihrerseits im Klagewege durchgesetzt werden, da die Regelung des § 27 Abs. 3 Satz 3 WEG aF, die die mehrheitliche Ermächtigung eines einzelnen Wohnungseigentümers zur Vertretung der GdWE genügen ließ, entfallen ist. Dem steht die gewichtige Verpflichtung der Wohnungseigentümer gegenüber, für eine ordnungsgemäße Finanzausstattung der GdWE zu sorgen (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 92/21, NJW-RR 2022, 955 Rn. 12); die Finanzausstattung wird schon dadurch gefährdet, dass Beitragsansprüche der Verjährung unterliegen. Es bedarf hier aber keiner Entscheidung, ob den auf die verwalterlose GdWE bezogenen Problemen, solange der Gesetzgeber insoweit nicht tätig wird, trotz fortbestehender Bedenken (eingehend Senat, Beschluss vom - V ZB 1/90, BGHZ 111, 148, 152) mit Blick auf den Justizgewährungsanspruch durch die Anwendung der insbesondere für Beitragsansprüche entwickelten Grundsätze der actio pro socio (vgl. Rn. 14) oder vielmehr durch praktikable Anforderungen an die Bestellung eines Notverwalters zu begegnen ist.

233. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen haben ebenfalls keinen Erfolg. Insbesondere hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung seiner Neutralitätspflicht (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 140/22, NJW-RR 2023, 791 Rn. 32 mwN) die im Rahmen materieller Prozessleitung gebotenen Hinweise gemäß § 139 ZPO erteilt. Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen (§ 564 Satz 1 ZPO).

III.

24Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:090224UVZR6.23.0

Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2024 S. 12 Nr. 16
NJW 2024 S. 8 Nr. 17
NJW-RR 2024 S. 815 Nr. 13
UAAAJ-64459