Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei ungeeignetem Dateiformat und nicht gewahrter Hinweispflicht
Gesetze: § 5 Abs 1 Nr 1 ERVV, § 55a Abs 6 S 1 VwGO, § 55a Abs 6 S 2 VwGO, § 60 Abs 1 VwGO, § 60 Abs 2 S 1 VwGO, § 99 Abs 1 S 2 Alt 3 VwGO, § 99 Abs 1 S 2 Alt 1 VwGO
Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 10 F 25/21 Beschlussvorgehend VG Dresden Az: 6 K 849/19
Gründe
I
1In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt der Kläger u. a. Auskunft zu über ihn beim Beklagten gespeicherten Daten, die verschiedenen Institutionen übermittelt wurden.
2Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aufgefordert, die Aktenteile bzw. Daten vorzulegen, die der TU ..., ... gGmbH ... und dem ... übermittelt wurden.
3Daraufhin wurden 21 teilweise geschwärzte Aktenseiten und ein ungeschwärztes Behördenzeugnis vorgelegt, die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten hingegen unter Vorlage einer Sperrerklärung des Beigeladenen vom verweigert.
4Auf Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht das Verfahren zur Durchführung eines "In-camera-Verfahrens" an den Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts abgegeben. Dieser hat mit Beschluss vom festgestellt, dass die Weigerung des Beklagten, dem Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren Verwaltungsvorgänge über gespeicherte Daten des Klägers ohne Schwärzungen vorzulegen, rechtmäßig sei.
5Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat für diesen gegen den Beschluss am beim Oberverwaltungsgericht Beschwerde durch Übermittlung eines maschinenschriftlich signierten Beschwerdeschriftsatzes im Dateiformat "docx" über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingelegt. Ein weiteres, handschriftlich unterzeichnetes Exemplar der Beschwerdeschrift ist postalisch am beim Oberverwaltungsgericht eingegangen. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Der dort zuständige Berichterstatter hat unter dem ein Hinweisschreiben an den Prozessbevollmächtigten des Klägers verfügt, dass die Beschwerde unwirksam eingegangen sei. Sie sei im docx-Format und damit nicht in dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV vorgesehenen Dateiformat übermittelt worden. Das Dokument gelte aber als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreiche und glaubhaft mache, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimme. Die Verfügung ist mit einem Abfertigungsvermerk der Geschäftsstelle vom versehen. Nachdem darauf keine Reaktion erfolgt war, hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts die Beschwerde mit Beschluss vom verworfen, weil sie innerhalb der Beschwerdefrist nicht formgerecht eingereicht worden sei.
6Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der am eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses erhalten hat, hat am unter Beifügung des Beschwerdeschriftsatzes im Dateiformat PDF und Versicherung der inhaltlichen Identität mit dem ursprünglichen Beschwerdeschriftsatz an Eides Statt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er habe erst am erfahren, dass der Beschwerdeschriftsatz versehentlich im Dateiformat "docx" übermittelt worden sei. Das Hinweisschreiben vom habe er nicht erhalten. Die Umwandlung in das ihm als notwendig bekannte Dateiformat "PDF" sei Routine. Weshalb es unterlassen worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Das Büroversehen sei unbemerkt geblieben, weil vom besonderen elektronischen Anwaltspostfach Dokumente im Dateiformat "docx" akzeptiert würden.
7Der Beklagte ist der Ansicht, die Frist sei schuldhaft versäumt worden. Da der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beschwerde sowohl am 1. als auch am im falschen Dateiformat eingereicht habe, habe er nicht mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt. Ungeachtet dessen sei die Sperrerklärung rechtmäßig.
8Eine Prüfung durch die zuständige Sachbearbeiterin der Geschäftsstelle des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts hat ergeben, dass das richterliche Hinweisschreiben vom entgegen dem darauf in der Akte angebrachten Abfertigungsvermerk dem Prozessbevollmächtigten des Klägers versehentlich nicht übersandt worden ist.
II
9Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
101. Dem Kläger ist zwar Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist zu gewähren.
11a) Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig.
12Er ist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO statthaft, weil der Kläger die Beschwerdefrist nach § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO versäumt hat. Denn sein Prozessbevollmächtigter hat aus den im Beschluss des Senats vom aufgezeigten Gründen die Beschwerde innerhalb dieser Frist nicht formgerecht, sondern im falschen Dateiformat über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingereicht.
13Der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags steht nicht entgegen, dass das Beschwerdeverfahren durch die Verwerfung der Beschwerde bereits rechtskräftig abgeschlossen ist. Es kann nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fortgesetzt werden, wenn die Verwerfung auf der Fristversäumung beruht und sich die Fristversäumung nachträglich als entschuldbar herausstellt (vgl. 3 ER 414.60 - BVerwGE 11, 322 <323>).
14Der Wiedereinsetzungsantrag ist ferner fristgerecht nach § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt worden. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat glaubhaft gemacht, mangels Erhalt des richterlichen Hinweisschreibens vom erst durch den Verwerfungsbeschluss am Kenntnis von der versäumten Frist erhalten zu haben. Er hat den Wiedereinsetzungsantrag wenige Tage später am gestellt. Zugleich hat er gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO die versäumte Handlung nachgeholt, indem er den Beschwerdeschriftsatz unter Versicherung der inhaltlichen Identität mit dem ursprünglichen Beschwerdeschriftsatz an Eides Statt formgerecht im Dateiformat "PDF" über das besondere elektronische Anwaltspostfach übermittelt hat.
15b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet.
16Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Bei der Anwendung und Auslegung dieser Vorschrift ist das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zu berücksichtigen. Danach darf der Zugang zu den dem Rechtssuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer Weise erschwert werden. Insbesondere dürfen die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, nicht überspannt werden. Beruht eine Fristversäumung auch auf Fehlern des Gerichts, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben (vgl. - BVerfGE 110, 339 <342>; - NJW 2005, 3515 <3516>; 5 PB 15.18 - juris Rn. 12). Aus Fehlern des Gerichts dürfen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten abgeleitet werden (vgl. - NJW 2008, 2167 Rn. 22 m. w. N.). Dementsprechend ist eine Wiedereinsetzung unabhängig vom Verschulden eines Beteiligten zu gewähren, wenn dies wegen einer Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts geboten ist; in dem Fall tritt ein in der eigenen Sphäre des Beteiligten liegendes Verschulden hinter das staatliche Verschulden zurück (vgl. BSG, Beschlüsse vom - B 1 KR 7/18 B - juris Rn. 9 und vom - B 1 KR 46/22 BH - juris Rn. 5).
17Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, hat es dies dem Absender gemäß § 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 55a Abs. 6 Satz 2 VwGO). Der Hinweispflicht nach § 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO wurde hier im Ergebnis nicht genügt. Denn das richterliche Hinweisschreiben ist aufgrund eines Versehens der Geschäftsstelle dem Prozessbevollmächtigten des Klägers entgegen dem darauf in der Akte angebrachten Abfertigungsvermerk nicht übermittelt worden. Wäre dies geschehen, hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Beschwerdeschriftsatz unverzüglich im Dateiformat "PDF" über das besondere elektronische Anwaltspostfach nachreichen und damit die Fiktion eines fristgerechten Eingangs der Beschwerde bewirken können. In einem solchen Fall soll nach dem Willen des Gesetzgebers eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (vgl. BT-Drs. 15/4067 S. 37; siehe auch R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO 28. Aufl. 2022, § 55a Rn. 16).
18c) Der erfolgreiche Wiedereinsetzungsantrag hat zur Folge, dass der Beschluss des Fachsenats des gegenstandslos und das Beschwerdeverfahren fortzuführen ist (vgl. 2 B 75.89 - NJW 1990, 1806). Einer Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses vom bedarf es nicht (vgl. - juris).
192. Die danach zulässige Beschwerde ist aber unbegründet.
20a) Der Antrag des Klägers ist zwar zulässig. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten und gesperrten Aktenbestandteile ordnungsgemäß bejaht.
21b) Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Sperrerklärung vom rechtmäßig ist.
22aa) Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat das Vorliegen der mit der Sperrerklärung differenzierend für die einzelnen gesperrten Aktenbestandteile geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung rechtlich zutreffender Maßstäbe gewürdigt.
23(1) Danach ist ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde. Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert und damit dem Wohl eines Landes ein Nachteil bereitet werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen. Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen. Nachrichtendienstliche Belange in diesem Sinne können zum Schutz der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Aufklärungsarbeit der Verfassungsschutzbehörde die Weigerung rechtfertigen, Akten vollständig, insbesondere ungeschwärzt vorzulegen (vgl. 20 F 9.21 - juris Rn. 9 m. w. N.).
24(2) Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO. Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundgesetzlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht. Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter. Personenbezogene Angaben wie Name, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummer und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten. Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (vgl. 20 F 9.21 - juris Rn. 10 m. w. N.).
25bb) In Anwendung dieser Maßstäbe hat ein Abgleich der geschwärzten mit den ungeschwärzten Aktenseiten durch den Senat ergeben, dass die geltend gemachten Weigerungsgründe für alle Schwärzungen bestehen.
26Von einer weitergehenden Begründung wird abgesehen, weil die Entscheidungsgründe Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten und elektronischen Dokumente nicht erkennen lassen dürfen (§ 99 Abs. 2 Satz 14 i. V. m. Satz 10 Halbs. 2 VwGO).
27cc) Auch die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Ermessensausübung ist nicht zu beanstanden. In der Sperrerklärung wurde eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und die widerstreitenden Interessen der Beteiligten abwägende Ermessensentscheidung getroffen, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m. w. N.) genügt.
283. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:290323B20F15.22.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-64399