BGH Urteil v. - X ZR 105/21

Instanzenzug: Az: 3 Ni 22/19 (EP) Urteil

Tatbestand

1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 326 747 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme der Priorität einer französischen Anmeldung vom angemeldet worden ist und die Beschichtung von Substratoberflächen mit Metall betrifft. Patentanspruch 1, auf den sich sechs weitere Patentansprüche zurückbeziehen, lautet in der Verfahrenssprache:

Procédé de métallisation de la surface d'un substrat caractérisé en ce que I'on met en œuvre les étapes suivantes:

a. traitement physique du substrat avant métallisation de sorte que l'énergie de surface du substrat soit supérieure ou égale à 50 dynes, le traitement physique étant choisi parmi les traitements suivants : un flammage, un traitement corona, un traitement plasma et leurs combinaisons,

b. métallisation non électrolytique de la surface du substrat traitée à l'étape a., par projection d'une ou plusieurs solutions oxydo-réductrices sous forme d'aérosol(s),

c. réalisation d'une couche de finition sur la surface métallisée qui est l'application d'une composition liquide réticulable ou un épaississement électrolytique de la surface métallisée.

2Patentanspruch 8 schützt eine Vorrichtung zur Umsetzung eines solchen Verfahrens. Die Patentansprüche 9 und 10 schützen verschiedene metallisierte Substrate, die durch ein solches Verfahren hergestellt sind.

3Die Klägerin hat geltend gemacht, die Erfindung sei nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent zuletzt mit einem Hauptantrag und fünf Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.

4Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Mit ihrer Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit ihren erstinstanzlichen Anträgen und sechs weiteren Hilfsanträgen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

5Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

6I. Das Streitpatent betrifft die Beschichtung von Substratoberflächen mit Metall.

71. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, bei der Versilberung von Glas zur industriellen Herstellung von Spiegeln werde die Glasoberfläche üblicherweise in ein Bad mit einer Lösung aus einem Metallsalz, einem Reduktionsmittel und einem Komplexbildner eingetaucht. Zuvor müsse die Oberfläche durch Anwendung einer sauren Lösung aus Zinn(II)-Chlorid sensibilisiert werden. Dieser Schritt könne durch eine Aktivierung mit einer sauren Lösung aus Palladium-Chlorid vervollständigt werden.

8Diese klassischen Verfahrensschritte erforderten hohen Aufwand an Energie, Zeit und Wasser und gingen mit der Verwendung gefährlicher Produkte einher. Als Substrat komme nur Glas mit flacher Oberfläche in Frage. Die Abscheidungsbäder seien instabil und die Abscheidegeschwindigkeit sei auf 20 Pikometer pro Stunde begrenzt. Die gleichzeitige Abscheidung verschiedener Metalle sei technisch schwierig. Zudem könne nur eine begrenzte Anzahl von Metallen und Legierungen abgeschieden werden. Lokale Abscheidungen seien nicht möglich. Ferner sei die Haftung der abgeschiedenen Metalle auf den Substraten verbesserungsfähig (Abs. 3).

9Die französische Offenlegungsschrift 2 763 962 und die französische Patentanmeldung 06 10287 offenbarten ein Verfahren, bei dem ein Substrat durch Spritzen eines Aerosols nicht-elektrolytisch metallisiert werde. Das Aerosol enthalte ein Metall in kationischer Form als Oxidationsmittel und ein Reduktionsmittel. Dieses Verfahren erfordere nicht die Aktivierung der Oberfläche. Die Haftung des Films werde vielmehr durch eine vorherige Benetzung der Substratoberfläche verbessert. Es bedürfe aber noch einer Optimierung des Verfahrens zur Verwendung im industriellen Maßstab und einer Verbesserung der Haftung je nach Substrat (Abs. 4).

102. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, die geschilderten Nachteile des klassischen Verfahrens möglichst zu überwinden.

11Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, das die sechs weitergehenden Ziele, die das Streitpatent in Abs. 8 der Beschreibung aufzählt, für die Definition des technischen Problems demgegenüber nicht in ihrer Gesamtheit maßgeblich sind.

12Gegen die Auffassung der Berufung, dass alle diese Ziele zu berücksichtigen sind, spricht schon der Umstand, dass die Beschreibung es an der genannten Stelle lediglich als wünschenswert bezeichnet, wenn mindestens eine der dort aufgezählten sechs Aufgaben gelöst wird (Abs. 8).

13Anhaltspunkte, dass das Streitpatent darüber hinaus zwingend die Verwirklichung aller dieser Ziele erfordert, sind der Patentschrift nicht zu entnehmen. Die in Patentanspruch 1 vorgesehenen Merkmale mögen einen Weg eröffnen, auf dem diese Ziele durch zusätzliche Maßnahmen erreicht werden können. Patentanspruch 1 sieht solche Maßnahmen - etwa das Aufbringen von Aluminium, um die in der Beschreibung als eines von mehreren Zielen genannte Herstellung einer dekorativen Metallabscheidung zu erreichen, die sich durch "weiß" kennzeichnet und die Aluminiumabscheidung unter Vakuum perfekt ersetzt - aber nicht zwingend vor.

143. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in der in erster Linie verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (die Änderung gegenüber der erteilten Fassung ist hervorgehoben):

164. Die Vorrichtung nach Patentanspruch 8 und die Substrate nach den Patentansprüchen 9 und 10 werden durch das geschützte Herstellungsverfahren charakterisiert. Diese Gegenstände unterliegen deshalb derselben Beurteilung wie das Verfahren nach Patentanspruch 1.

175. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung.

18a) Das zu beschichtende Substrat ist in Merkmal 1 nicht näher festgelegt.

19In der Beschreibung werden als geeignete Beispiele Glas, Kunststoffe, Metalle und Verbundwerkstoffe aufgeführt (Abs. 19). Diese - ohnehin nicht abschließende - Aufzählung ist in Patentanspruch 1 nicht enthalten.

20Als bevorzugte Ausführungsform bezeichnet die Beschreibung die Beschichtung eines starren Substrats (Abs. 19). Diese Festlegung hat ebenfalls keine Aufnahme in Patentanspruch 1 gefunden.

21b) Die Ausgestaltung der in Merkmal 2 vorgesehenen Oberflächenbehandlung durch Flammspritzen, Plasmabehandlung oder eine Kombination dieser Methoden bleibt ebenfalls dem Fachmann überlassen.

22Beim Beflammen wird das Substrat nach der Beschreibung des Streitpatents einer Flamme ausgesetzt, deren Temperatur zum Beispiel zwischen 1200 und 1700°C liegen kann. Die Dauer der Behandlung beträgt danach im Allgemeinen 4 bis 50 Sekunden (Abs. 12). Auch diese rudimentären Merkmale sind in Patentanspruch 1 nicht zwingend vorgesehen.

23Bei der Plasmabehandlung wird das Substrat einem Plasmabrenner ausgesetzt. Die Beschreibung benennt hierfür beispielhaft zwei Anbieter solcher Geräte (Abs. 21). Dies hat in Patentanspruch 1 ebenfalls keinen Niederschlag gefunden.

24c) Die in Merkmal 2 enthaltene Vorgabe, dass die Oberflächenbehandlung zu einer Oberflächenenergie von mindestens 50 dyne führen muss, dient der Verbesserung der Haftung.

25aa) Nach der Beschreibung des Streitpatents ist dieser Mindestwert erforderlich, um eine zureichende Benetzung des Substrats zu ermöglichen (Abs. 24). Dies beruhe darauf, dass die Benetzbarkeit erhöht werde, wenn sich die Oberflächenspannung des Substrats verringere (Abs. 25), und dass der Wert der Oberflächenenergie umgekehrt proportional zum Wert der Oberflächenspannung sei (Abs. 24).

26bb) Patentanspruch 1 lässt offen, mit welcher Methode die Einhaltung des in Merkmal 2 vorgegebenen Mindestwerts zu messen ist.

27Ob sich hieraus ergibt, dass Merkmal 2 schon dann verwirklicht wird, wenn eine beliebige Messmethode einen oberhalb der maßgeblichen Grenze liegenden Wert liefert, kann dahingestellt bleiben. Für die Beurteilung des Rechtsbestands kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass Merkmal 2 nur dann verwirklicht ist, wenn zumindest zwei übliche Messmethoden einen ausreichend hohen Wert ergeben.

28(1) Zu den in Frage kommenden Methoden gehört nach der Beschreibung des Streitpatents jedenfalls das Auftragen einer spezifischen Lösung mit einem Pinsel oder einem Filzstift und die Messung der Schrumpfung (Abs. 24).

29Hierbei werden, wie die Parteien unter Bezugnahme auf die technischen Normen ASTM D2578-17 (D11) und DIN 53364 im Kern übereinstimmend vortragen, mehrere Testflüssigkeiten mit bekannter, jeweils unterschiedlicher Oberflächenspannung auf ein festes Substrat aufgetragen. Die Oberflächenenergie des Substrats wird mit derjenigen Oberflächenspannung gleichgesetzt, bei der es gerade zu einer vollständigen Benetzung kommt (D11 S. 1 unter 3.1).

30Laut einer Veröffentlichung der Krüss GmbH (Warum Testtinten nicht die ganze Wahrheit über die freie Oberflächenenergie sagen, D12) weichen die so ermittelten Werte häufig von den Ergebnissen ab, die sich aus einer Messung des Kontaktwinkels und der daran anknüpfenden Methode von Owens, Wendt, Rabel und Kaelble (OWRK) ergeben (vgl. die Tabelle in D12 S. 3). Ausweislich einer Veröffentlichung von Biolin Scientific (Surface free energy - theory and calculations, B24) gibt es zudem alternative Methoden zu OWRK, die ebenfalls an die Messung des Kontaktwinkels anknüpfen, aber nicht zwingend zum gleichen Ergebnis führen (B24 S. 2).

31(2) Trotz dieser Abweichungen lassen die Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents hinreichend deutlich erkennen, dass Merkmal 2 jedenfalls dann verwirklicht ist, wenn sowohl der Einsatz von Testflüssigkeiten als auch eine Berechnung anhand des gemessenen Kontaktwinkels einen im Wesentlichen übereinstimmenden Wert ergeben.

32Die in D12 aufgezeigten Abweichungen gegenüber dem mit Testtinte ermittelten Wert liegen im Bereich bis knapp über 10 %. Die deutlich höhere Abweichung für Polydimethylsiloxan (PDMS: <= 30mN/m mit Testtinten, 21,6 mN/m nach OWRK) beruht auf dem Umstand, dass die Oberflächenspannung der eingesetzten Tinten im Bereich zwischen 30 und 56 mN/m lag, Werte unterhalb von 30 mN/m damit also nicht zuverlässig ermittelt werden können.

33Angesichts dieser Übereinstimmungen erscheinen beide Methoden im Zusammenhang mit dem Streitpatent jedenfalls dann gleichermaßen geeignet, wenn sie keine auffälligen Abweichungen zeigen.

34cc) Die in Merkmal 2 angegebene Einheit "dyne" hat das Patentgericht zu Recht im Sinne von "dyne/cm" verstanden.

35Wie das Patentgericht unangegriffen festgestellt hat, werden die (spezifische) Oberflächenenergie und die Oberflächenspannung üblicherweise als Kraft pro Längeneinheit definiert.

36Die Einheit "dyne" (1 dyne = 1 g * 1 cm/s² = 10-5 N; deutsche Abkürzung: dyn) gibt lediglich eine Kraft an. Um das Verhältnis zwischen Kraft und Längeneinheit anzugeben, ist die Einheit "dyn/cm" geeignet. Diese ist im Zusammenhang mit Angaben zu (spezifischer) Oberflächenenergie und Oberflächenspannung gebräuchlich und entspricht der in D12 verwendeten SI-Einheit "mN/m".

37d) Entgegen der Auffassung der Berufung erfordert das Spritzen (la projection) der in Form von Aerosolen vorliegenden Reduktionslösungen nicht zwingend ein Auswerfen in Richtung auf das Substrat. Ausreichend ist vielmehr, dass die Lösung durch Einwirken einer Kraft in Bewegung versetzt wird, so dass sie über den Luftweg - d. h. ohne unmittelbaren Kontakt zwischen Werkzeug und Werkstück - auf das Substrat gelangt.

38aa) Für dieses Verständnis spricht entgegen der Auffassung der Beklagten schon die Erläuterung des Begriffs "projection" in dem Wörterbuch von Robert (Nouvelle Édition du Petit Robert, Réimpression mars 1995, B26).

39Danach impliziert der Begriff "projection" das Herausschleudern oder Verspritzen von Flüssigkeit oder Dampf, das Werfen oder Schießen von Projektilen, das Schleudern von Steinen oder Granaten oder das Auswerfen von Asche oder anderem Material durch einen Vulkan.

40Diesen Bedeutungen ist gemeinsam, dass Material durch Einwirken einer Kraft in Bewegung versetzt wird. Daraus ergibt sich jedoch keine Vorgabe in Bezug auf die Richtung, in der die Beschleunigung erfolgt. Wie die Berufungserwiderung zu Recht geltend macht, zeigt insbesondere das Beispiel des Ascheauswurfs aus einem Vulkan, dass die zu Beginn erzeugte Bewegung nicht in Richtung auf denjenigen Ort erfolgen muss, an dem das Material wieder in eine Ruhestellung gelangt.

41bb) Der Beschreibung des Streitpatents lässt sich kein engeres Verständnis entnehmen.

42(1) Das Streitpatent verwendet den Begriff "projection" nicht nur im Zusammenhang mit dem Aufbringen von Reduktionslösungen im Sinne von Merkmal 3 (Abs. 53, 74, 76, 96, 105, 110, 118), sondern auch im Zusammenhang mit dem Auftragen eines Basislacks vor Beginn der Oberflächenbehandlung im Sinne von Merkmal 1 (Abs. 99, 112), von chemischen Lösungen oder Fluor bei der Behandlung nach Merkmal 1 (Abs. 75), einer Sensibilisierungslösung zur Vorbereitung der Metallbeschichtung im Sinne von Merkmal 3 (Abs. 105, 108, 113, 117), von destilliertem Wasser zum Spülen (Abs. 109, 113), einer optionalen Haftgrundierung, die die Kohäsion zwischen Metall- und Decklackschicht optimieren soll (Abs. 55), und der Endschicht im Sinne von Merkmal 4 (Abs. 78, 98, 106).

43Als geeignete Mittel zur Metallisierung benennt die Beschreibung geläufige Mittel zum Spritzen von Lösungen (des moyens courants de projection de solutions), wie sie insbesondere aus dem als Stand der Technik angeführten Dokument D23 bekannt seien. Als Beispiel wird eine Reihe von HVLP-Spritzpistolen (High Volume Low Pressure) angeführt, die jeweils mit einer oder mehreren Pumpen verbunden sind (Abs. 76).

44(2) Diesen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, dass die Richtung, in der das Material aus dem Spritzwerkzeug austritt, von Bedeutung ist.

45Selbst wenn dies als übliche Vorgehensweise beim Einsatz von HVLP-Spritzpistolen angesehen werden könnte, ergäbe sich daraus keine abweichende Beurteilung, weil auch diese Mittel nur als Beispiel benannt werden und die Beschreibung nicht erkennen lässt, dass solche Pistolen gerade wegen der Spritzrichtung vorteilhaft sind.

46(3) Darüber hinaus lassen sich den aufgezeigten Ausführungen keine Mindestanforderungen in Bezug auf den Druck entnehmen, mit dem das Material ausgestoßen wird.

47Um das Material in Bewegung zu versetzen, muss zwar eine Krafteinwirkung erfolgen. Schon der Hinweis auf die Eignung von Spritzpistolen mit geringem Druck zeigt aber, dass die Kraft und die Beschleunigung nicht zwingend hoch sein müssen.

48II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

49Der mit dem Hauptantrag verteidigte Gegenstand sei dem Fachmann, einem Verfahrenstechniker oder Ingenieur (FH) der Fachrichtung Chemie auf dem Gebiet der Oberflächenbeschichtung mit besonderen Kenntnissen in der chemischen Metallbeschichtung, ausgehend von der Übersetzung des europäischen Patents 1 023 723 (DE 698 14 125 T2, D13) nahegelegt.

50D13 offenbare ein Verfahren, bei dem die Haftung einer nicht-elektrolytisch aufgebrachten Metallschicht durch vorherige Erhöhung der kritischen Oberflächenenergie auf 50 bis 85 dyn/cm verbessert worden sei. D13 enthalte keine konkreten Angaben zur Durchführung der Metallbeschichtung. Insoweit habe der Fachmann auf sein Fachwissen und im Stand der Technik bekannte Metallisierungsverfahren zurückgreifen können. Dazu gehörten das im britischen Patent 691 171 (D18) offenbarte Verfahren des herkömmlichen Silberspritzens und das in der deutschen Offenlegungsschrift 35 17 984 (D17) offenbarte Verfahren des Versprühens eines Aerosols aus einer Lösung mit einem Metallsalz und einer Reduktionslösung. Technische Lehren in einer Patentanmeldung gehörten nach deren Veröffentlichung nicht nur zu dem für die Beurteilung der Patentfähigkeit berücksichtigungsfähigen Stand der Technik; sie würden damit auch Teil des Fachwissens, da es zur Zielsetzung des Patentwesens gehöre, das technische Fachwissen zu bereichern.

51Die von der Beklagten durch Vorlage von Versuchs- und Testberichten (B5, B6, B11, B12, B13) dargelegten technischen Effekte und Vorteile der Erfindung könnten eine erfinderische Tätigkeit nicht stützen, da Anlass bestanden habe, die im Stand der Technik beschriebenen Maßnahmen durch nahegelegte Kombinationen zu verwirklichen. Deshalb folge eine erfinderische Leistung auch nicht aus einem synergistischen Effekt. Darüber hinaus seien die Ergebnisse der Testberichte B11 und B13 hinsichtlich des Aerosolauftrags nicht überraschend; die diesbezüglichen Vorteile würden auch in D17 beschrieben.

52Die mit den erstinstanzlichen Hilfsanträgen verteidigten Gegenstände seien durch die genannten Entgegenhaltungen ebenfalls nahegelegt.

53III. Dies hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.

541. Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass der mit dem Hauptantrag verteidigte Gegenstand ausgehend von D13 naheliegend war.

55a) D13 betrifft ein Kohlenwasserstoffsubstrat mit verbesserten Hafteigenschaften.

56Nach der Beschreibung von D13 sind amorphe gesättigte Kohlenwasserstoffthermoplaste, etwa Polyvinylcyclohexan, in einer Vielzahl von Anwendungen gebräuchlich, etwa bei optischen Plattenmedien. Metalle oder Polymere zeigten auf der Oberfläche solcher Polymere eine schlechte Haftung (Abs. 2).

57Zur Verbesserung der Hafteigenschaften schlägt D13 vor, die Oberfläche mit einer Technik der angeregten Gasphase so zu behandeln, dass eine kritische Oberflächenenergie von mindestens 35 dyn/cm erzielt wird (Abs. 9). Dies erspare den im Stand der Technik vorgeschlagenen Einsatz korrosiver oder toxischer Stoffe (Abs. 10).

58Mit der vorgeschlagenen Behandlung werde eine kritische Oberflächenenergie im Bereich zwischen 35 bis 80 dyn/cm erzielt. Sowohl für die Ober- als auch für die Untergrenze werden gestaffelt mehrere Vorzugswerte angegeben. Der engste Bereich liegt zwischen 50 bis 70 dyn/cm (Abs. 17).

59Die kritische Oberflächenenergie werde üblicherweise durch die Grenzflächenbeziehung zwischen einer Oberfläche und einer Flüssigkeit oder einem Gas bestimmt. Sie sei in Veröffentlichungen von Adamson (Physical Chemistry of Surfaces, 5. Aufl., 1990) und Koberstein (lnterfacial Properties, in: Encyclopedia of Polymer Science and Technology, 2. Aufl., 1987, Band 8, Seiten 272 bis 275) diskutiert (Abs. 17).

60Die wohl bekannten Techniken der angeregten Gasphase umfassten Coronaentladungs-, Plasma-, Flammen- und Ozonbehandlung. Bei allen diesen Methoden werde ein gasförmiger Strom mit einer Hochenergiequelle in Berührung gebracht (Abs. 18-22).

61Die so behandelten Polymersubstrate hätten ein verbessertes Haftvermögen. Zur Anhaftung seien beliebige, bezüglich des Substrats inerte Metalle geeignet (Abs. 23 f.). Die Verfahren zur Aufbringung der Metalle umfassten jedes übliche, bekannte Verfahren, wie etwa das Beschichten, das Sputtern, die Vakuumabscheidung, die Abscheidung von Lösungsmitteln, die Vakuumverdampfung und das Nassversilbern (Abs. 26).

62In den geschilderten Ausführungsbeispielen wurden insgesamt sechs Kompaktdisks untersucht, von denen zwei ohne Oberflächenbehandlung blieben, zwei mit einem Argonplasma und zwei mit einem Stickstoffplasma behandelt wurden. Die jeweils erste Disk jedes Paars wurde mittels Röntgen-Photoelektronen-Spektroskopie (CXPS) und Kontaktwinkelanalyse untersucht, um Oberflächenzusammensetzung und -energie unter Verwendung der Zismann-Technik zu bestimmen. Hierzu wurden Wasser, Formamid, Ethylenglykol und Dimethylsulfoxid eingesetzt. Die jeweils zweite Disk wurde mit Aluminium metallisiert. Anschließend wurde die Haftung des Metalls an das Substrat nach ASTM-Verfahren 03359 getestet (Abs. 29-34).

63Die Ergebnisse werden wie folgt ausgewiesen:

64Danach führen beide Plasma-Behandlungen zu verbesserten Hafteigenschaften, wobei das Stickstoff-Plasma das beste Ergebnis liefert.

65b) Damit ist, wie auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, ein Verfahren im Sinne von Merkmal 1 offenbart.

66c) Zu Recht hat das Patentgericht auch Merkmal 2 als offenbart angesehen.

67aa) Entgegen der Auffassung der Berufung ist der in D13 verwendete Begriff "kritische Oberflächenenergie" im Wesentlichen gleichbedeutend mit dem Begriff der Oberflächenenergie im Sinne von Merkmal 2.

68Dabei kann zugunsten der Berufung unterstellt werden, dass die kritische Oberflächenenergie im Sinne von D13 mit der Oberflächenspannung einer aufgetragenen Flüssigkeit gleichzusetzen ist, bei der nach der im Ausführungsbeispiel von D13 eingesetzten Zisman-Methode gerade eine vollständige Benetzung der Oberfläche erreicht wird. Wie bereits oben dargelegt wurde, ist dies eine Methode, die auch nach dem Streitpatent zur Bestimmung der (spezifischen) Oberflächenenergie in Betracht kommt. Dass dieser Wert unter Umständen kein vollständig genaues Ergebnis liefert, ist unerheblich, weil auch das Streitpatent insoweit einen gewissen Spielraum zulässt.

69bb) Entgegen der Auffassung der Berufung sind die Angaben in D13 nicht deshalb unbeachtlich, weil die Oberflächenspannung von Dimethylsulfoxid 43,5 dyn/cm beträgt und damit niedriger ist als die in D13 ausgewiesenen Messwerte für die beiden plasmabehandelten Disks.

70Wie die Berufungserwiderung im Ausgangspunkt zutreffend geltend macht, besteht der Offenbarungsgehalt von D13 nicht nur aus den dort geschilderten Ausführungsbeispielen und den dafür ausgewiesenen Werten der Oberflächenenergie, sondern auch aus der daraus abgeleiteten Schlussfolgerung, dass eine möglichst hohe Oberflächenenergie bis hin zu 70 oder gar 85 dyn/cm zu verbesserten Hafteigenschaften führt.

71Diese Schlussfolgerung könnte allenfalls dann als zweifelhaft anzusehen sein, wenn sich die in D13 dargestellten Versuchsergebnisse als unplausibel darstellten. Letzteres ist entgegen der Auffassung der Berufung nicht der Fall.

72Ein logischer Widerspruch, wie ihn die Berufung geltend macht, läge allenfalls dann vor, wenn die in D13 eingesetzte Zisman-Methode zwingend erfordern würde, dass die Oberflächenspannung aller Testflüssigkeiten größer ist als die (spezifische) Oberflächenenergie des untersuchten Substrats. Die bereits erwähnte, von der Beklagten vorgelegten Veröffentlichung B24 belegt indes, dass ein solches Erfordernis nicht besteht. In dem dort beispielhaft dargestellten Diagramm sind mehrere Flüssigkeiten dargestellt, deren Oberflächenspannung geringer ist als der mit 22,8 mJ/m ermittelte Wert für die Oberflächenenergie des untersuchten Substrats.

73B24 erläutert hierzu, dass das Ergebnis umso genauer wird, je mehr Testflüssigkeiten mit einer Oberflächenspannung oberhalb des kritischen Werts eingesetzt werden (S. 3). Ein Mindestwert ist damit nicht vorgegeben.

74Vor diesem Hintergrund ergeben sich aus den Ausführungen in D13, dass die Zisman-Methode unter Einsatz von vier Testflüssigkeiten angewendet worden sei, zwar Hinweise darauf, dass die ermittelten Messergebnisse mit gewissen Unsicherheiten behaftet sind. Dies erlaubt jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass es sich um derart unzuverlässige Werte handelt, dass das aus den Versuchsergebnissen in D13 gezogene Fazit in Frage gestellt sein könnte.

75cc) An einer hinreichenden Offenbarung von Merkmal 2 fehlt es in D13 auch nicht deshalb, weil kein konkreter Weg aufgezeigt ist, wie eine (spezifische) Oberflächenenergie von 65 dyn/cm und mehr erreicht werden kann.

76Die in D13 geschilderten Ausführungsbeispiele weisen als höchsten Wert zwar nur 54 dyn/cm aus. Mit dem Hinweis, dass neben der in den Beispielen eingesetzten Plasmatechnik auch weitere Methoden zur Oberflächenbehandlung zur Verfügung stehen, zeigt D13 aber hinreichend Alternativen auf, um zu höheren Ergebnissen zu gelangen. Auch das Streitpatent begnügt sich insoweit mit einem Hinweis auf verschiedene Behandlungsmethoden, ohne auf Einzelheiten einzugehen.

77d) Ebenfalls zutreffend ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass die Merkmale 3 und 4 in D13 nicht offenbart sind.

78e) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass die Merkmale 3 und 4 ausgehend von D13 durch D17 und D18 nahegelegt waren.

79aa) Ob die Einreichung von D17 und D18 und der hierauf bezogene Vortrag der Klägerin wegen Verspätung präkludiert waren, ist für die Entscheidung über die Berufung unerheblich.

80Wenn ein Gericht Vorbringen trotz einer Präklusionsrüge des Gegners zulässt, kann dies in der Rechtsmittelinstanz nicht angefochten werden (vgl. nur , GRUR 2015, 976 Rn. 62 - Einspritzventil).

81bb) Zutreffend hat das Patentgericht D13 als geeigneten Ausgangspunkt für weitergehende technische Überlegungen angesehen.

82(1) Der von der Berufung erörterten Frage, ob D13 im Vergleich zum Streitpatent als nächstliegender Stand der Technik anzusehen ist, kommt hierbei keine Bedeutung zu.

83Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Einordnung eines bestimmten Ausgangspunkts als - aus der Sicht ex post - nächstkommender Stand der Technik weder ausreichend noch erforderlich (, GRUR 2018, 509 Rn. 102 - Spinfrequenz; Urteil vom - X ZR 40/19, GRUR 2021, 1049 Rn. 31 - Zahnimplantat).

84(2) Ebenfalls unerheblich ist, ob D13 Anhaltspunkte für die Erwartung bot, dass die dort offenbarte Methode geeignet ist, alle in Abs. 8 des Streitpatents aufgezählten Ziele zu erreichen.

85Wie bereits oben aufgezeigt wurde, beansprucht auch das Streitpatent nicht die Erreichung aller dieser Ziele.

86(3) Anlass, D13 als Ausgangspunkt für weitere technische Überlegungen heranzuziehen, boten jedenfalls die darin enthaltenen Hinweise auf mögliche Alternativen.

87Zu diesen Alternativen gehören nicht nur die in D13 offenbarten Methoden zur Oberflächenbehandlung, wie sie auch in Merkmal 2 des Streitpatents vorgesehen sind, sondern auch der Einsatz der in D13 vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der Hafteigenschaften in Verbindung mit anderen Beschichtungstechniken. Dies gilt insbesondere für diejenigen Methoden, die D13 insoweit ausdrücklich als geeignet anführt. Hierzu gehört, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, das in D13 (Abs. 26) als üblich bezeichnete Verfahren des Nassversilberns, zumal D13 (Abs. 24) Silber - neben zahlreichen anderen Metallen - ausdrücklich als geeigneten Stoff für eine Beschichtung benennt.

88Dass D13 weder zum Nassversilbern noch zu den anderen als mögliche Alternativen aufgeführten Verfahren nähere Angaben enthält, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Schon der Hinweis auf die Eignung solcher Verfahren gab Anlass, sich näher mit diesen zu befassen und hierzu auf Veröffentlichungen zurückzugreifen, in denen diese Verfahren näher dargestellt sind.

89cc) Unerheblich ist auch, dass D13 Nassversilbern nur als eines von mehreren in Betracht kommenden Verfahren anführt.

90D13 befasst sich im Wesentlichen mit dem der eigentlichen Beschichtung vorangehenden Verfahrensschritt der Bearbeitung der zu beschichtenden Oberfläche, um eine möglichst gute Haftung zu ermöglichen. Die Ausführungen in D13 lassen erkennen, dass die dort beschriebene Verbesserung der Haftungseigenschaften nicht vom Einsatz einer bestimmten Beschichtungsmethode abhängt. Angesichts dessen bestand Anlass, die in D13 beschriebene Vorgehensweise grundsätzlich für jede Beschichtungsart als Maßnahme zur Verbesserung der Haftungseigenschaften in Betracht zu ziehen.

91dd) Entgegen der Auffassung der Berufung spricht gegen eine Anwendung des in D13 offenbarten Verfahrens im Zusammenhang mit Nassversilbern auch nicht der Umstand, dass es in D13 als erstrebenswert bezeichnet wird, die Verwendung oder Erzeugung von nasskorrosiven Stoffen, die Degradierung der Gerätschaften bewirken, zu vermeiden (Abs. 8), und als Vorteil von Techniken der angeregten Gasphase hervorgehoben wird, diese erlaubten eine verbesserte Haftung ohne Verwendung solcher Stoffe (Abs. 10).

92Diese Ausführungen beziehen sich schon nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang nicht auf ein Verfahren der Metallbeschichtung in seiner Gesamtheit, sondern lediglich auf den in D13 behandelten Verfahrensschritt der Haftungsverbesserung durch Techniken der angeregten Gasphase.

93Dieses Verständnis wird bestätigt durch den bereits erwähnten Umstand, dass der Verfahrensschritt des Nassversilberns in D13 ausdrücklich als geeignet bezeichnet wird.

94ee) Zu den sich danach als zusätzliche Erkenntnisquelle anbietenden Veröffentlichungen gehörten D17 und D18.

95Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Ausführungen in D17 und D18 schon deshalb als ohne weiteres heranzuziehendes Fachwissen anzusehen sind, weil es sich um veröffentlichte Patentunterlagen handelt. Eine ergänzende Heranziehung der darin enthaltenen Informationen lag ausgehend von D13 jedenfalls deshalb nahe, weil beide Entgegenhaltungen sich mit der in D13 ausdrücklich als geeignet bezeichneten Technik des Nassversilberns befassen und diese als Alternative zum traditionellen Eintauchen empfehlen.

96Vor diesem Hintergrund sprach gegen die Heranziehung von D17 und D18 auch nicht der Umstand, dass diese lange Zeit vor D13 veröffentlicht worden sind, nämlich in den Jahren 1986 bzw. 1953, während D13 im Jahr 1999 offengelegt wurde. Der Hinweis auf D13 bezieht sich ausdrücklich auf übliche Beschichtungsverfahren. Dazu gehören auch solche, die schon seit mehreren Jahren oder Jahrzehnten etabliert sind. Ein Vergleich von D17 und D18 zeigt zudem, dass das Verfahren des Nassversilberns über Jahrzehnte hinweg als geeignetes Beschichtungsverfahren angesehen worden ist. Dies stützt die in D13 geäußerte Einschätzung, dass es sich um ein übliches Verfahren handelt.

97Darüber hinaus gehörte das Verfahren der chemischen Spritzmetallisierung, mit dem sich D18 befasst, nach den Feststellungen des Patentgerichts im Prioritätszeitpunkt zum handwerklichen Wissen und Können. Die Berufung zeigt keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Feststellung begründen.

98ff) Durch D18 war die Ergänzung des in D13 offenbarten Verfahrens um die Merkmale 3 und 4 nahegelegt.

99(1) D18 schildert als übliches Verfahren zur Versilberung von Oberflächen deren Eintauchen in eine Flüssigkeit. Als Alternative schlägt die Entgegenhaltung vor, die Beschichtung mittels einer Spritzpistole aufzubringen (S. 3 Z. 4 ff.). Hierbei kommen eine aus Silbernitrat, Ammoniak und Wasser bestehende Silberlösung und ein aus Zucker, Formaldehyd, Ammoniak und Wasser bestehendes Reduktionsmittel zum Einsatz (S. 3 Z. 7 ff. und Z. 85 ff.).

100Ergänzend schlägt D18 die Aufbringung einer Deckschicht vor, die zugleich zur Dekoration und zum Schutz der darunterliegenden Silberschicht dient (S. 3 Z. 104 ff.).

101(2) Damit sind die Merkmale 3 und 4 offenbart.

102(3) Die Kombination dieser Merkmale mit dem aus D13 offenbarten Verfahren lag nahe, weil D18 zur vorbereitenden Oberflächenbehandlung auf bekannte Methoden setzt, während D13 insoweit Möglichkeiten zur Verbesserung aufzeigt und zwischen der Ausgestaltung der beiden Verfahrensschritte keine grundlegenden Abhängigkeiten erkennbar waren.

103Dass D18 das Aufbringen einer Silberschicht als leitende Schicht für eine Galvanisierung schildert und eine solche Schicht unter Umständen wieder entfernt wird, führt schon deshalb nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil D18 diesen Anwendungsfall ausdrücklich als eine von mehreren Möglichkeiten der Nutzung schildert (S. 3 Z. 110 ff.).

104(4) Das auf einen Versuchsbericht (B31) gestützte Vorbringen der Beklagten, wonach das in D18 offenbarte Verfahren in Kombination mit einer Oberflächenbearbeitung nach Merkmal 2 zu schlechteren Ergebnissen führe als das von der Beklagten angewendete Verfahren, vermag schon deshalb nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu führen, weil das Streitpatent insofern weder Mindeststandards noch die zusätzlichen Maßnahmen vorsieht, aus denen sich nach dem Vorbringen der Beklagten die Qualitätsvorteile ergeben.

105Der Bericht mag belegen, dass die Merkmale von Patentanspruch 1 für sich gesehen nicht zwingend zu einer signifikanten Steigerung der Qualität führen. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass die Auswahl eines ausschließlich aus diesen Merkmalen bestehenden Verfahrens als erfinderisch zu beurteilen ist.

106gg) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war ausgehend von D13 auch durch D17 nahegelegt.

107(1) D17 befasst sich ebenfalls mit dem Verfahren des Nassversilberns.

108D17 führt aus, im Stand der Technik würden im diskontinuierlichen Betrieb häufig Spritzpistolen eingesetzt. Für den kontinuierlichen Betrieb seien mehrere aufeinanderfolgende Stationen mit Behandlungskammern vorgesehen, die über Düsen mit den jeweiligen Lösungen beaufschlagbar seien. In beiden Fällen würden die Düsen relativ zum Material auf insbesondere zickzackartigen Bahnen bewegt. Dadurch komme es zu unterschiedlichen Materialdicken und einem erheblichen Lösungsüberschuss (S. 3 Z. 24-36).

109Zur Verbesserung schlägt D17 vor, die zu versprühende Lösung mit Ultraschall zu zerstäuben (S. 4 Z. 21-24). In einem Ausführungsbeispiel wird einer ersten Reihe von stationär, aber verschiebbar angeordneten Ultraschallzerstäubern eine Silbersalzlösung und einer in gleicher Weise, aber versetzt angeordneten zweiten Reihe von Ultraschallzerstäubern eine Reduktionslösung zugeführt (S. 8 Z. 16-20; S. 9 Z. 4-14). Für den Handbetrieb wird eine Handpistole vorgeschlagen, an deren vorderem Ende zwei Ultraschallzerstäuber angeordnet sind (S. 9 Z. 16-20).

110(2) Damit ist die Aufbringung von Aerosolen durch Spritzen im Sinne von Merkmal 3 offenbart.

111Wie bereits oben dargelegt wurde, reicht es für ein Spritzen im Sinne von Merkmal 3 aus, dass das Material durch Einwirken einer Kraft in Bewegung versetzt wird. Diese Anforderung ist bei den in D17 offenbarten Ultraschallzerstäubern erfüllt, weil diese die beiden Lösungen in die Umgebung freisetzen.

112Wie ebenfalls bereits dargelegt wurde, erfordert Merkmal 3 weder einen bestimmten Mindestdruck noch eine bestimmte Richtung.

113Deshalb ist unerheblich, mit welcher Geschwindigkeit die Lösungen aus den in D17 offenbarten Ultraschallzerstäubern austreten und auf welchem Weg sie auf das Substrat gelangen.

114(3) Merkmal 4 ist in D17 nicht offenbart. Die Aufbringung einer Deckschicht ist nach den Feststellungen des Patentgerichts aber fachüblich. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Feststellung begründen, sind nicht ersichtlich.

115(4) Die Kombination von D13 und D17 war aus denselben Gründen naheliegend wie die Kombination mit D18.

116(5) Die von der Beklagten angestellten Versuche sind aus den bereits im Zusammenhang mit D18 angeführten Gründen auch im Zusammenhang mit D17 nicht entscheidungserheblich.

1172. Ebenfalls zutreffend hat das Patentgericht die mit den erstinstanzlichen Hilfsanträgen verteidigten Gegenstände als nicht patentfähig angesehen.

118a) Nach Hilfsantrag I soll die mit dem Hauptantrag verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 dahin geändert werden, dass der Mindestwert der Oberflächenenergie von 50 dyne auf 65 dyne erhöht wird.

119Dies führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil die in D13 vorgeschlagenen Werte sich bis in einen Bereich von deutlich über 65 dyn/cm erstrecken.

120b) Der mit Hilfsantrag II verteidigte Gegenstand ist ebenfalls nicht patentfähig.

121aa) Nach Hilfsantrag II soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag I wie folgt geändert werden:

123bb) Die Merkmale 0, 2', 5, 5b und 6 sind, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, durch D18 nahegelegt.

124(1) D18 offenbart das Aufbringen einer oder mehrerer Grundierungsschichten zur Behandlung der Oberfläche vor dem Aufbringen der Silberschicht (S. 3 Z. 72 ff.). Dieser Schritt lag auch in Kombination mit den in D13 offenbarten Methoden zur Oberflächenbehandlung nahe.

125D13 offenbart eine Oberflächenbehandlung im Sinne von Merkmal 2' zwar nur als Alternative zu bekannten Methoden. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, bei Bedarf zusätzliche Verfahrensschritte zur weiteren Verbesserung der Hafteigenschaften vorzusehen, wie dies im Stand der Technik bekannt war.

126(2) D18 schlägt als zusätzlichen Verfahrensschritt die Sensibilisierung der Substratoberfläche mit einer zerstäubt aufgebrachten Lösung mit Zinnchlorid und einem Netzmittel vor (S. 2 Z. 71 ff.).

127Damit ist Merkmal 5b offenbart.

128Dem steht nicht entgegen, dass D18 vorgibt, die sensibilisierte Oberfläche nicht zu trocknen, während Merkmal 5b ein Trocknen zwingend vorsieht.

129Merkmal 5b schreibt ein Trocknen erst nach dem Aufbringen der Metallschicht vor. In diesem Stadium erfolgt auch nach D18 eine Trocknung (D18 S. 3 Z. 100 ff.).

130(3) Die in Merkmal 6 vorgesehenen Einzelheiten der Trocknung mit Druckluft waren nach den Feststellungen des Patentgerichts fachüblich. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Vollständigkeit oder Richtigkeit dieser Feststellung begründen, sind nicht ersichtlich.

131c) Nach den Hilfsanträgen III bis V soll Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags bzw. der Hilfsanträge I und II jeweils um das folgende Merkmal ergänzt werden:

133Zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass dieses Merkmal durch D18 und D17 ebenfalls nahegelegt ist.

1343. Hinsichtlich der Hilfsanträge VI bis XI ergibt sich keine abweichende Beurteilung.

135a) Nach den Hilfsanträgen VI bis XI soll Patentanspruch 1 in den Fassungen der bereits erstinstanzlich gestellten Anträge jeweils wie folgt ergänzt werden:

137b) Damit ist lediglich vorgegeben, dass die beiden Lösungen jeweils getrennt in die Umgebung abgegeben werden, nicht aber, dass die einzelnen Vorgänge zeitlich hintereinander erfolgen müssen, wie dies in der Beschreibung des Streitpatents (Abs. 38) als besonders vorteilhaft bezeichnet wird. Ebenfalls nicht vorgegeben ist die Stelle, an der sich die beiden Aerosole nach dem Austritt in die Luft vermischen.

138c) Zu Recht macht die Berufungserwiderung geltend, dass dieses Merkmal in D17 offenbart ist.

139Wie bereits oben erwähnt wurde, werden in D17 das Metalloxidationsmittel und das Reduktionsmittel jeweils einzeln zerstäubt.

140Die beiden Aerosole werden zwar schon vor dem Auftreffen auf die Substratoberfläche miteinander vermischt, und zwar vorzugsweise etwa in der Mitte zwischen den Ultraschallzerstäubern und der zu verspiegelnden Oberfläche (S. 5 Z. 8 ff.). Dies ist nach Merkmal 5d aber nicht ausgeschlossen.

141d) Nach allem braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Hilfsanträge VI bis XI schon im ersten Rechtszug veranlasst waren und deshalb im zweiten Rechtszug präkludiert sind.

142IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:051223UXZR105.21.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-64385