BGH Beschluss v. - XIII ZB 75/22

Instanzenzug: Az: 19 T 44/22vorgehend Az: 526 XIV 81/22 B

Gründe

1I. Der Betroffene, ein sri-lankischer Staatsangehöriger, reiste am nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag am ab und drohte ihm die Abschiebung nach Sri Lanka an. Die dagegen erhobene Klage wurde am rechtskräftig abgewiesen. Der Betroffene wurde zunächst geduldet, weil er keine Reisedokumente hatte. Nachdem die beteiligte Behörde Passersatzpapiere beschafft hatte, ordnete das Amtsgericht am zunächst durch einstweilige Anordnung Sicherungshaft bis spätestens an. Sowohl im darauf gerichteten Haftantrag der beteiligten Behörde als auch im amtsgerichtlichen Beschluss ist als Bevollmächtigter des Betroffenen Rechtsanwalt O benannt. Am wurde der Betroffene festgenommen. Am gleichen Tag hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen, zu der Rechtsanwalt O nicht geladen worden ist, eine Haftanordnung bis zum erlassen. Auch der auf diese Anordnung gerichtete Haftantrag und der Beschluss führen Rechtanwalt O als Bevollmächtigten des Betroffenen auf. Die gegen die Haftanordnung am eingelegte und nach der Abschiebung des Betroffenen am auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft umgestellte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Begehren weiter.

2II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

31. Das Beschwerdegericht hat - soweit hier erheblich - angenommen, der vom Betroffenen gerügte Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens sei nicht gegeben. Es bestehe nur dann eine Verpflichtung des Gerichts, den Rechtsanwalt zum Anhörungstermin zu laden, wenn der Betroffene für das Verfahren tatsächlich einen Bevollmächtigten beauftragt habe oder den Wunsch äußere, einen früher bestellten oder anderen Verfahrensbevollmächtigten hinzuziehen zu wollen. Die Beschwerde mache aber nicht geltend, dass das Amtsgericht zu Unrecht einen vom Betroffenen bevollmächtigten Rechtsanwalt nicht hinzugezogen habe. Sie behaupte nicht, dass der von der beteiligten Behörde in der Antragsschrift genannte Rechtsanwalt eine Vollmacht habe. Die Bestellung in einem anderen Verfahren begründe keine Bestellung in einem späteren Verfahren. Aus der Ausländerakte ergebe sich lediglich, dass Rechtsanwalt O den Betroffenen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertreten habe. Das Amtsgericht habe keine bestehende Bevollmächtigung übergangen. Eine Ladung sei im Hinblick auf die unzutreffende Angabe über die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts O im Haftantrag nicht geboten gewesen. Das Amtsgericht sei auch nicht gehalten gewesen, den Betroffenen zu fragen, ob er den Rechtsanwalt hinzuziehen wolle. Es könne von einem volljährigen Betroffenen erwartet werden, dass er einen solchen Wunsch selbst zum Ausdruck bringe.

42. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde ist sie nicht deshalb unzulässig, weil der Betroffene im Rechtsbeschwerdeverfahren keine ladungsfähige Anschrift angegeben hat.

5a) Das Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift des anwaltlich vertretenen Rechtsbeschwerdeführers führt nur dann zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, wenn der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens ohne eine solche Angabe gefährdet ist oder die fehlende Angabe Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt (st. Rspr., BGH, Beschlüsse vom - V ZB 54/14, InfAuslR 2015, 104 Rn. 5 mwN; vom - XIII ZB 22/21, NVwZ-RR 2022, 883 Rn. 4). Dafür zeigt die beteiligte Behörde keine Anhaltspunkte auf und solche sind auch nicht ersichtlich.

6b) Der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde steht nicht die von der beteiligten Behörde benannte Entscheidung des , juris Rn. 15) entgegen. Sie betrifft eine andere Fallgestaltung. Der von der Behörde genannte Beschluss und das entsprechende Hauptsacheverfahren (Urteil vom - 1 A 7/19, juris) beziehen sich auf eine Klage und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit erstinstanzlicher Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, so dass gemäß § 82 Abs. 1 VwGO die Bezeichnung des dortigen Klägers und Antragstellers in Klage- und Antragsschrift erforderlich war. Ein solches Erfordernis gibt es für die Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeschrift nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit schon nicht (§§ 64, 65, 71 FamFG). Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift im Rechtsbeschwerdeverfahren ist nach der oben genannten ständigen Rechtsprechung im Regelfall nicht erforderlich.

73. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.

8a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 21/19, juris Rn. 14). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser vom Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.; vom - XIII ZB 28/20, juris Rn. 16). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 70/21, Asylmagazin 2023, 275 Rn. 9).

9b) Dem hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht entsprochen.

10aa) Es hat den ihm im Haftantrag benannten Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen nach dessen Verhaftung nicht über den Termin informiert, obwohl es selbst angenommen hat, dass Rechtsanwalt O den Betroffenen im Haftanordnungsverfahren vertrat. Soweit die beteiligte Behörde geltend macht, es habe sich bei der Angabe von Rechtsanwalt O im Haftantrag um ein offensichtliches Schreibversehen gehandelt, das für das Amtsgericht aus der Ausländerakte erkennbar gewesen sei, greift das schon deshalb nicht durch, weil das Amtsgericht ausweislich seines Rubrums sowohl in dem Beschluss über die einstweilige Anordnung als auch in der Haftanordnung - anders als in der der Entscheidung vom (XIII ZB 14/20, juris Rn. 17) zugrundeliegenden Fallgestaltung - davon ausgegangen ist, dass Rechtsanwalt O im Haftanordnungsverfahren bestellt sei.

11bb) Entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde ist ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich nachfolgend nicht Rechtsanwalt O, sondern Rechtsanwalt F für das Beschwerdeverfahren bestellt hat und eine vor dem Haftanordnungsbeschluss bestehende Mandatierung von Rechtsanwalt O vom Betroffenen nicht vorgetragen worden ist. Das Haftanordnungsverfahren beginnt gemäß § 417 FamFG in Verbindung mit § 23 Abs. 1 FamFG mit der Einreichung des Haftantrags. Erfährt der vom Betroffenen in seinen Angelegenheiten üblicherweise oder laufend bevollmächtigte Rechtsanwalt nicht von der Verhaftung des Betroffenen, kann er sich für das Verfahren nicht bestellen. Benennt daher die beteiligte Behörde, der aus dem teilweise langjährigen Kontakt mit dem Betroffenen bekannt ist, dass er üblicherweise oder laufend einen bestimmten Rechtsanwalt hinzuzieht, im Haftantrag einen Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen, hat das Haftgericht den Rechtsanwalt regelmäßig von der Verhaftung des Betroffenen zu benachrichtigen und zum Anhörungstermin zu laden. Nur so erhält der Rechtsanwalt Gelegenheit, sich als Verfahrensbevollmächtigter zu bestellen.

12cc) Der Betroffene hat auf den Beistand eines Verfahrensbevollmächtigten bei der Anhörung auch nicht verzichtet. Ein solcher Verzicht ist zwar möglich (, juris Rn. 11). Er liegt hier aber schon deshalb nicht vor, weil das Amtsgericht den Betroffenen ausweislich des Protokolls - anders als in der der Entscheidung vom (XIII ZB 14/20, juris Rn. 17) zugrundeliegenden Fallgestaltung - nicht über sein Recht, einen Rechtsanwalt zur Anhörung hinzuzuziehen, belehrt hat (, juris Rn. 10). Dass der Betroffene sich in seinen Angelegenheiten weiterhin durch Rechtsanwalt O vertreten lassen wollte, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass er nach Erlass des Beschlusses darum bat, diesem das Protokoll der Anhörung und den Beschluss zu übersenden.

134. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:050324BXIIIZB75.22.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-64384