Instanzenzug: LG Offenburg Az: 1 T 32/22vorgehend AG Offenburg Az: 1 XIV 671/21 B
Gründe
1I. Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste 2016 nach Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde 2017 abgelehnt und ihm die Abschiebung angedroht. Die Abschiebungsandrohung ist seit 2017 vollziehbar. Der Betroffene befand sich ab dem in Strafhaft. Aus der Haft heraus wurde er am zur Identitätsklärung bei der algerischen Botschaft vorgeführt und als algerischer Staatsangehöriger identifiziert. Nachdem die algerischen Behörden nach pandemiebedingter Aussetzung die Ausstellung von Passersatzpapieren Ende Oktober 2021 wiederaufgenommen hatten, ermittelte die beteiligte Behörde durch eine Nachfrage bei der Justizvollzugsanstalt die Erforderlichkeit einer Sicherheitsbegleitung für den zu buchenden Flug. Nach Eingang der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt bat sie die zuständige Zentralstelle am um eine Flugbuchung mit der Bitte um Beachtung des Haftendes am . Die Flugbuchung erfolgte am für den .
2Auf den am per Telefax übermittelten Haftantrag für den Zeitraum vom 31. Januar bis , der nach einer Verlegung des gebuchten Flugs auf den am sowie erneut am 20. und ergänzt wurde, sowie nach Anhörung des Betroffenen am , 17. und hat das Amtsgericht Sicherungshaft vom 24. Januar bis angeordnet. Die Sicherungshaft für den hat es sodann wieder aufgehoben, nachdem das Ende der Strafhaft auf den festgelegt worden war. Der Betroffene hat am Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.
3Nachdem der Betroffene am abgeschoben worden war, hat das Landgericht die nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die mit einem Verfahrenskostenhilfeantrag verbundene Rechtsbeschwerde und verfolgt die Feststellung weiter.
4II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
51. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt, es liege ein zulässiger Haftantrag vor. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig und es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Betroffene sei mehrfach zu Geld- und Freiheitsstrafen verurteilt worden. Der Betroffene habe unmittelbar nach seiner Einreise und bis zur Inhaftierung Straftaten begangen und die Verurteilungen hätten ihn nicht zu einer Änderung seines Verhaltens veranlassen können. Da er zudem mehrfach geäußert habe, nicht ausreisen zu wollen, sei nicht zu erwarten, dass er für eine Abschiebung zur Verfügung stehen werde. Die beteiligte Behörde habe auch dem Beschleunigungsgebot ausreichend Rechnung getragen. Sie habe im Haftantrag ausgeführt, dass es sich bei dem Flug am um den frühestmöglichen Flug nach Algerien handele. Zunächst habe die Staatsangehörigkeit des Betroffenen ermittelt und hätten Passersatzpapiere beschafft werden müssen. Aufgrund der Pandemie sei eine Abschiebung nach Algerien nur in beschränktem Umfang und nicht jeden Tag möglich. Die Flugverlegung gehe darauf zurück, dass die Fluggesellschaft den Flug nicht durchgeführt habe.
62. Die gemäß § 70 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
7a) Zutreffend geht die Rechtsbeschwerde davon aus, dass die Vorschrift des § 14b Abs. 1 FamFG auf den Haftantrag nicht anwendbar ist (, juris Rn. 6 ff.). Sie macht aber geltend, es habe wegen § 14b Abs. 2 Satz 1 FamFG, wonach andere Anträge als elektronisches Dokument übermittelt werden sollen, der behördenseitigen Begründung bedurft, aus welchen Gründen von der elektronischen Übermittlung abgesehen worden sei. In der anderweitigen Behördenpraxis liege eine Missachtung des Gesetzes. Eine Unzulässigkeit des Haftantrags ergibt sich aus diesem Vorbringen indes schon nicht und ist auch nicht ersichtlich. Auch im Übrigen ist der Haftantrag entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde zulässig.
8aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).
9bb) Nach diesen Maßstäben enthält der Haftantrag in der Form, wie er unter Berücksichtigung der Ergänzungen vom , 20. und im Anhörungstermin vom gestellt worden ist, ausreichende Darlegungen zur Erforderlichkeit der Haftdauer und zur Durchführbarkeit der Abschiebung. Die beteiligte Behörde führt aus, da die Ausstellung von Passersatzpapieren und die Durchführung von Abschiebungen nach Algerien pandemiebedingt einige Monate geruht habe sowie auf fünf Personen wöchentlich beschränkt sei, habe ein Flug erst für den gebucht werden können. Unter Hinweis auf ein Schreiben der Zentralstelle für Flugabschiebungen hat sie den Haftantrag sodann dahin ergänzt, dass die Umbuchung der Maßnahme erforderlich gewesen sei, nachdem der ursprüngliche Flug gestrichen worden sei. Ein früherer Flugtermin sei nicht möglich, da Algerien nur noch zweimal pro Woche angeflogen werde. Da nur sehr begrenzte Flugverbindungen zur Rückführung nach Algerien zur Verfügung stünden, bestehe keine Möglichkeit zur weiteren Beschleunigung. Aus diesen Angaben ergibt sich in ausreichendem Maße die Erforderlichkeit der beantragten Haft und die Durchführbarkeit der Abschiebung; sie ermöglichten diesbezügliche Rückfragen des Haftrichters. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war insbesondere nicht erforderlich, dass die beteiligte Behörde das von ihr während der Strafhaft Veranlasste im Einzelnen im Haftantrag darlegte.
10b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht auch keinen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz darin gesehen, dass die Abschiebung nicht aus der Strafhaft heraus, sondern erst am erfolgt ist.
11aa) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus, verlangt aber, dass die Behörde die Abschiebung ohne unnötige Verzögerung betreibt und die Dauer der Sicherungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird (, juris Rn. 18 mwN). Während der Untersuchungshaft oder bei Vollstreckung einer Freiheitsstrafe darf die Behörde nicht untätig bleiben (, BGHZ 203, 323 Rn. 8). Ein Verstoß gegen dieses Gebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (st. Rspr., vgl. nur , NVwZ 2023, 1523 Rn. 11 mwN).
12bb) Diesen rechtlichen Maßstab hat das Beschwerdegericht seiner Prüfung zutreffend zugrunde gelegt. Seine Würdigung, dass die beteiligte Behörde bei der Planung und Durchführung der Abschiebung den sich aus dem Beschleunigungsgebot ergebenden Anforderungen gerecht geworden ist, unterliegt im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkter Überprüfung (st. Rspr., vgl. nur BGH, NVwZ 2023, 1523 Rn. 12 mwN) und lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
13(1) Der Betroffene wurde aus der Strafhaft heraus am zur Identitätsklärung bei der algerischen Botschaft vorgeführt und als algerischer Staatsangehöriger identifiziert. Aus dem der beteiligten Behörde übersandten Protokoll ergibt sich, dass die Zusage zur Ausstellung eines Passersatzpapiers (PEP) erteilt wurde. Die Flugbuchung mit einer Vorlaufzeit von sechs Wochen (bei Haftfällen drei Wochen) könne veranlasst werden, sobald der Flugverkehr nach Algerien sowie die Ausstellung von Passersatzpapieren durch das Generalkonsulat wiederaufgenommen worden sei. Die beteiligte Behörde beantragte am nächsten Tag die vorzeitige Haftentlassung zum Zweck der Abschiebung; ein entsprechender Beschluss erging am . Nach Mitteilung der Zentralen Ausländerbehörde vom ruhte - was die Rechtsbeschwerde übergeht - die Ausstellung von Passersatzpapieren durch das algerische Generalkonsulat weiterhin und Rückführungen waren nicht möglich. Es bestehe aber die Absicht der algerischen Behörden, freiwilligen Rückkehrern vorrangig ein Passersatzpapier auszustellen, sobald dies möglich sei. Der daraufhin in der Strafhaft befragte Betroffene lehnte eine freiwillige Rückkehr indes ab, so dass er nicht auf die Liste derjenigen gelangte, die vorrangig ein Passersatzpapier erhalten sollten.
14Am teilte die Zentrale Ausländerbehörde der beteiligten Behörde mit, die algerischen Heimatbehörden hätten nunmehr teilweise die Ausstellung von Laissez Passez genehmigt. Das Generalkonsulat habe darum gebeten, zunächst nur Anträge für dringende Fälle zu übersenden, für die bereits eine PEP-Zusage vorliege und alle Rechtsmittel ausgeschöpft seien. Für den Betroffenen könne daher nun ein Flug mit mindestens sechs Wochen Vorlaufzeit (bei Haftfällen drei Wochen) gebucht werden. Die beteiligte Behörde wandte sich daraufhin mit dem Ziel der Klärung, ob für einen zu buchenden Flug eine Sicherheitsbegleitung erforderlich sei, am an die Justizvollzugsanstalt, und bat um kurzfristige Stellungnahme zum Haftverhalten und zur Einstellung des Betroffenen zur geplanten Abschiebung. Die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt lag am vor. Daraufhin forderte die beteiligte Behörde am die zuständige Zentralstelle mit der Bitte um Beachtung des Haftendes am zur Buchung eines Fluges auf. Die Flugbuchung erfolgte am für den .
15(2) Vor diesem Hintergrund ist die Wertung des Beschwerdegerichts, die Abschiebung sei vorliegend ohne unnötige Verzögerung betrieben worden, nicht zu beanstanden.
16(a) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, die beteiligte Behörde habe im Schreiben vom an die Zentralstelle für Flugbuchungen durch den - behauptet unwahren - Hinweis, eine frühere Fluganmeldung sei aufgrund der erst Ende Oktober erfolgten Identifizierung nicht möglich gewesen, verschleiern wollen, dass die Abschiebung seit dem verschleppt worden sei, trifft das nicht zu. Wie ausgeführt, war eine Abschiebung im Zeitraum vom 21. Juni bis schon deshalb nicht möglich, weil das algerische Generalkonsulat keine Passersatzpapiere ausstellte. Die Möglichkeit seiner vorrangigen Berücksichtigung durch eine freiwillige Ausreise hatte der Betroffene ausdrücklich abgelehnt. Von einer Verschleppung der Abschiebung durch die beteiligte Behörde in diesem Zeitraum kann daher keine Rede sein. Den Hinweis im Schreiben vom hat die beteiligte Behörde ohne weiteres nachvollziehbar dahin erläutert, dass damit die bis dahin fehlende Möglichkeit des Erhalts von Passersatzpapieren gemeint gewesen sei.
17(b) Nachdem sodann Ende Oktober 2021 die Ausstellung von Passersatzpapieren auch für Abschiebungen wieder möglich war, hat die beteiligte Behörde unverzüglich und unter Hinweis auf die grundsätzlich gebotene Beschleunigung ("kurzfristig") ermittelt, ob nach dem damaligen Sachstand ein Flug mit Sicherheitsbegleitung gebucht werden musste. Dass diese Ermittlung aufgrund der erforderlichen Anhörung der in der Justizvollzugsanstalt beteiligten Personen fast vier Wochen in Anspruch genommen hat, durfte das Beschwerdegericht unter den Umständen des vorliegenden Falls als noch vertretbar ansehen. Da das Ende der Strafhaft am anstand, am aufgrund der bis dahin erfolgten pandemiebedingten Aussetzung der Abschiebungen noch keine Erfahrungen im Hinblick auf die für eine Flugbuchung erforderlichen Vorlaufzeiten vorliegen konnten und für die Passersatzpapiere ein Vorlauf von sechs Wochen sowie in Haftfällen von drei Wochen angekündigt war, durfte die beteiligte Behörde im November 2021 davon ausgehen, dass die Abschiebung noch innerhalb des Haftzeitraums werde erfolgen können. Sie musste daher nicht bereits nach zwei Wochen auf eine Antwort der Justizvollzugsanstalt drängen. Es lag (noch) in ihrem organisatorischen Spielraum, den vorliegenden Fall einer laufenden Strafhaft mit einem Haftende am als weniger eilbedürftig anzusehen als Fälle von bereits in Sicherungshaft befindlichen Personen.
18III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG. Der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe war mangels Erfolgsaussicht der Rechtsbeschwerde und mangels Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 76 Abs. 1 FamFG, § 117 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:050324BXIIIZB41.22.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-64383