BVerwG Beschluss v. - 4 BN 17/22

Erfolglose Beschwerde einer Gemeinde gegen die Unwirksamkeitserklärung eines Bebauungsplans im Normenkontrollverfahren

Gesetze: § 2 Abs 3 BauGB, § 3 Abs 1 BImSchG, § 48 BImSchG, § 47 Abs 6 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Az: 1 C 11300/20 Urteil

Gründe

1Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

21. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Beschwerde beimisst.

3Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, siehe z. B. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4 und vom - 4 BN 3.20 - juris Rn. 3). Daran fehlt es hier.

4a) Die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,

ob die Einhaltung der nach Raumordnungsrecht vorgegebenen Mindestabstände bei der Ausweisung eines Wohngebiets eine Verletzung der den Betreiber einer Windenergieanlage treffenden Betreiberpflichten im Hinblick auf die Einhaltung der Vorgaben der TA Lärm ausschließt,

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Hierauf lässt sich antworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf (stRspr, vgl. etwa 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>). Die Frage ist zu verneinen. Zum einen kann sich die Regionalplanung als landesrechtliche Regelung nicht über die zwingenden Anforderungen des Bundes-Immissionsschutzrechts, namentlich die zur Konkretisierung der schädlichen Umweltauswirkungen i. S. v. § 3 Abs. 1 BImSchG erlassene und auf § 48 BImSchG beruhende TA Lärm, die auch für Windenergieanlagen gilt ( 4 CN 3.18 - BVerwGE 164, 74 Rn. 20), hinwegsetzen. Zum anderen enthält die Regionalplanung keine rechtsverbindliche Grundentscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens und bedarf der Umsetzung und Konkretisierung in weiteren Planungsschritten ( 4 BN 1.05 - NVwZ 2005, 584 <586>); das folgt aus dem Charakter der Regionalplanung als einer zusammenfassenden, übergeordneten Planung, die aufgrund ihrer weiträumigen Sichtweise und ihrem Rahmencharakter den Planungsträger (auch) zur Typisierung berechtigt ( 4 C 4.02 - BVerwGE 118, 33 <44>; Beschluss vom - 4 BN 37.15 - ZfBR 2016, 376 Rn. 9). Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass es selbst bei Einhaltung der in einem Regionalplan vorgesehenen Mindestabstände zwischen Wohnnutzung und Windenergieanlagen zur Überschreitung der nach der TA Lärm einschlägigen Immissionsrichtwerte kommt und in der Folge der Betrieb der Windenergieanlagen von der hierfür zuständigen Immissionsschutzbehörde eingeschränkt, gegebenenfalls sogar untersagt wird (§§ 17 ff. BImSchG).

5b) Weiter möchte die Beschwerde grundsätzlich klären lassen,

ob sich der planenden Gemeinde die eingehende Ermittlung von Lärmvorbelastungen durch weiter entfernt liegende Windenergieanlagen aufdrängen muss, wenn die Lärmvorbelastung bezüglich näher am Plangebiet liegender Windenergieanlagen untersucht und festgestellt wurde, dass negative Auswirkungen auf ein geplantes Wohngebiet nicht gegeben sind.

6Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, denn sie kann nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise geklärt werden. Ob abwägungserhebliche Umstände - hier die Berücksichtigung weiter entfernt liegender Windenergieanlagen - zutreffend ermittelt und bewertet worden sind (§ 2 Abs. 3 BauGB), lässt sich vielmehr nur bezogen auf die Besonderheiten des Einzelfalles beantworten (BVerwG, Beschlüsse vom - 4 BN 42.20 - juris Rn. 4 und vom - 4 BN 40.17 - juris Rn. 5).

72. Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) lassen sich dem Beschwerdevortrag ebenfalls nicht entnehmen. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist nicht schlüssig dargetan.

8Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich als eine das rechtliche Gehör (§ 108 Abs. 2, § 104 Abs. 1 und § 86 Abs. 3 VwGO) verletzende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. 4 BN 44.18 - juris Rn. 12).

9Nach Auffassung der Antragsgegnerin hätte das Oberverwaltungsgericht die Beteiligten zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung darüber aufklären müssen, dass und warum es von seiner im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO vertretenen Rechtsauffassung abweichen will. Damit ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht dargelegt. Das Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Streitstoffes hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung nach der mündlichen Verhandlung ergibt ( 6 C 9.12 - NVwZ 2013, 1614 Rn. 38 m. w. N.). Das gilt auch dann, wenn sich das Gericht zuvor bereits in einem Eilverfahren zu den entscheidungserheblichen Fragen geäußert hat. Denn das Gericht entscheidet in der Hauptsache anhand anderer Prüfungsmaßstäbe und ohne Bindung an seine vorangegangene Beurteilung im Eilverfahren ( 4 BN 37.13 - juris Rn. 12 m. w. N.). Vorliegend hatte sich im Übrigen das Oberverwaltungsgericht im Eilverfahren noch gar nicht festgelegt, sondern lediglich ausgeführt, es dürfte rechtlich zumindest zweifelhaft sein, ob etwaige Vorbelastungen, die bei summarischer Betrachtung durch die nördlich der Ortslage befindlichen Windenergieanlagen eines anderen Betreibers hervorgerufen werden könnten, hier rechtlich relevant seien (BA S. 5). Angesichts dessen musste die Antragsgegnerin davon ausgehen, dass das Oberverwaltungsgericht die Relevanz dieser Vorbelastungen im Hauptsacheverfahren auch bejahen könnte.

10Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:230822B4BN17.22.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-64341