BGH Beschluss v. - 2 StR 443/23

Überlassen von Betäubungsmitteln an Minderjährige; Strafzumessung bei Betäubungsmittelstraftaten

Gesetze: § 29a Abs 1 Nr 1 BtMG, § 52 StGB, § 53 StGB

Instanzenzug: LG Meiningen Az: 2 KLs 494 Js 1325/23 jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubter“ Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige, „unerlaubter“ Verabreichung von Betäubungsmitteln an Minderjährige, „unerlaubter“ Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Überlassen von Betäubungsmitteln an Minderjährige zum unmittelbaren Verbrauch sowie „unerlaubten“ Überlassens von Betäubungsmitteln an Minderjährige zum unmittelbaren Verbrauch in 38 Fällen unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Die Überprüfung des Schuldspruchs in den Fällen II. 1 bis 17, 19 und 21 bis 41 der Urteilsgründe hat durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben. Hingegen erweisen sich die Schuldsprüche in den Fällen II. 18 und 20 der Urteilsgründe als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

3a) Im Fall II. 19 der Urteilsgründe ist hinsichtlich des Überlassens von Betäubungsmitteln um 8.00 Uhr und am selben Tag um 22.00 Uhr nicht lediglich eine Tat gegeben, vielmehr liegen zwei selbständig konkurrierende Taten vor. Bei Verbrauchsüberlassungen aus einer Betäubungsmittelmenge ohne Gewinnerzielungsabsicht, hier einmal in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, gelten die Grundsätze einer Bewertungseinheit nicht (vgl. Patzak, in: Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1237). Auch liegen bei weit auseinanderliegenden Tathandlungen die Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit nicht vor. Die einzelnen Tathandlungen stehen vielmehr in Tatmehrheit zueinander. Durch die Verurteilung wegen nur einer Tat ist der Angeklagte aber nicht beschwert, weswegen der Senat insoweit von einer Schuldspruchänderung absieht. Die Korrektur des Schuldspruchs ist auch nicht deshalb erforderlich, weil die Sache hinsichtlich des Strafausspruchs teilweise zurückverwiesen wird (vgl. , StV 2008, 123, 124; BayOblGSt 1980, 13, 15). Dies wäre nur dann angezeigt, wenn gerade die Strafe zu der Tat, hinsichtlich derer der Schuldspruch fehlerhaft ist, aus anderen Gründen ohnehin neu zu bemessen wäre und der Tatrichter an einen unzutreffenden Schuldspruch anknüpfen müsste. Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Strafbemessung im Fall II. 19 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung stand. Der Entscheidung des Senats im Beschlussverfahren steht im Übrigen nicht entgegen, dass der Generalbundesanwalt insoweit die Berichtigung des Schuldspruchs beantragt hat. Es handelt sich insoweit um einen Antrag zum Nachteil des Angeklagten, von dem im Beschlussverfahren abgewichen werden kann.

4b) Weil der Angeklagte insoweit nicht beschwert und der Strafausspruch insoweit nicht aus anderen Gründen unrichtig ist, sieht der Senat weiter im Fall II. 1, in sieben der Fälle II. 2 bis 10, in den Fällen II. 17, II. 19 und im Fall II. 40 der Urteilsgründe davon ab, wegen der Überlassung von Betäubungsmitteln jeweils an mehrere Minderjährige den Schuldspruch in das Überlassen von Betäubungsmitteln in zwei (oder mehr) tateinheitlichen Fällen abzuändern (vgl. zum Konkurrenzverhältnis , NStZ 2014, 717 f.).

5c) Hinsichtlich Fall II. 18 der Urteilsgründe belegen die Feststellungen nicht den Schuldspruch wegen Verabreichung von Betäubungsmitteln an Minderjährige. Stattdessen ist ein Überlassen von Betäubungsmitteln an Minderjährige zum unmittelbaren Verbrauch in zwei tateinheitlichen Fällen gegeben, wenn der Angeklagte – wie hier – zwei Minderjährigen eine von diesen überlassene Menge an Amphetamin heimlich mit Methamphetamin versetzt und ihnen dieses hergestellte Betäubungsmittelgemisch zur Verfügung stellt, damit diese es anschließend selbst zu sich nehmen (vgl. , NStZ-RR 2022, 139). Der Schuldspruch ist entsprechend abzuändern (§ 354 Abs. 1 analog StPO), weil die der Tat II. 18 der Urteilsgründe zugrundeliegende Strafe rechtsfehlerhaft ist (dazu unten unter 2.) und neu bemessen werden muss. § 265 StPO steht nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

6d) Im Fall II. 20 der Urteilsgründe ist das Landgericht rechtsfehlerhaft vom Vorliegen nur einer Tat ausgegangen; die Übergabe von Betäubungsmitteln zur Verbrauchsüberlassung an eine Minderjährige an sechs verschiedenen Tagen stellt nicht deshalb eine Bewertungseinheit dar, weil die Betäubungsmittel aus einer einzigen zuvor besorgten Betäubungsmittelmenge stammen (s. dazu schon oben unter 1.a.). Es liegen sechs realkonkurrierende Taten vor. Der Senat ändert auch hier den Schuldspruch, weil die der Tat II. 20 der Urteilsgründe zugrundeliegende Strafe rechtsfehlerhaft ist (dazu unten unter 2.) und ebenfalls neu bemessen werden muss. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte dagegen nicht hätte anders verteidigen können. Die vorgenommene rechtliche Bewertung der Konkurrenzen entspricht derjenigen der Anklageschrift.

72. Die Überprüfung des Strafausspruchs ergibt Rechtsfehler hinsichtlich der Taten II. 12, 14 bis 16, 18 und 20 der Urteilsgründe. Im Übrigen erweist er sich als rechtlich unbedenklich.

8a) In den genannten Fällen hat das Landgericht ohne weitere Ausführungen bei der Strafrahmenwahl zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich nicht um Cannabisprodukte, sondern um „weitaus gefährlichere Drogen“ gehandelt habe. Zudem hat es hinsichtlich der Taten II. 18 und 20 der Urteilsgründe bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten angeführt, dass der Angeklagte die „besonders gefährliche Droge Methamphetamin“ Minderjährigen überlassen habe. Damit hat die Strafkammer erkennbar die Betäubungsmittel Amphetamin und Ecstasy auf der Schwereskala der Gefährlichkeit von Betäubungsmitteln unzutreffend zum Nachteil des Angeklagten eingeordnet, diese nehmen insoweit lediglich einen mittleren Platz ein (vgl. , NStZ-RR 2023, 51; Urteil vom – 2 StR 366/22, NStZ 2023, 757). Die Formulierungen lassen zudem auch hinsichtlich von Methamphetamin besorgen, dass das Landgericht eine unzutreffende Einordnung vorgenommen hat. Es ist in der Rechtsprechung zwar umstritten, wie Methamphetamin einzuordnen ist (vgl. zum Streitstand im Einzelnen Maier, in: Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vorbem. zu §§ 29 ff., Rn. 947). Allerdings wird in der Literatur nachvollziehbar davon ausgegangen, dass es verschiedene Formen gibt, die nicht sämtlich als besonders gefährlich oder hart einzustufen sind (s. Patzak, aaO, Vorbem. zu §§ 29 ff., Rn. 207a; Maier aaO, Rn. 947). Der Senat kann offen lassen, ob die grundsätzliche Einstufung als „besonders gefährliche Droge“ in keinem Fall trägt und schon deshalb hier zu beanstanden wäre. Denn es ist mangels Feststellungen zur Art des überlassenen Methamphetamins nicht auszuschließen, dass der Angeklagte den Minderjährigen die weniger gefährliche Form überlassen hat und die auch vom Generalbundesanwalt beanstandete Erwägung deshalb rechtsfehlerhaft ist. Da der Senat nicht auszuschließen vermag, dass die Strafkammer ohne diese Erwägungen zur Annahme minder schwerer Fälle gelangt wäre bzw. geringere Einzelstrafen verhängt hätte, hebt er die betroffenen Einzelstrafen auf. Die Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich lediglich um Wertungsfehler handelt. Der Tatrichter ist freilich nicht gehindert, neue Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

9b) Die Änderung des Schuldspruchs im Fall II. 20 der Urteilsgründe sowie die Aufhebung der weiteren Einzelstrafen entziehen dem Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:090124B2STR443.23.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-64271