Instanzenzug: LG Aachen Az: 68 KLs 2/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit versuchter Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
21. Nach den Feststellungen des Landgerichts sollte der Angeklagte am gegen 06.50 Uhr aus seinem Haftraum in der Justizvollzugsanstalt in die Einzelfreistunde herausgeführt werden. Als ihn ein Justizvollzugsbeamter deswegen zunächst durchsuchte und dabei in die Hocke ging, führte der Angeklagte mit seinen gefesselten Händen „eine schlagende Bewegung in Richtung Kopf“ des Beamten aus, um die Durchsuchung zu erschweren. Der Beamte konnte dem Schlag ausweichen; zwei weitere Beamte brachten den Angeklagten sodann zu Boden, wobei er sich wehrte, „indem er schnelle Bewegungen in Richtung der Zeugen vollzog.“
3Während des Tatgeschehens war das Handeln des Angeklagten durch die Auswirkungen seiner „tiefverwurzelten anhaltenden Persönlichkeitsstörung, mit einer Kombination aus narzisstischer, akzentuierter und dissozialer Ausprägung, die ihrem Schweregrad einer psychotischen Erkrankung gleichsteht“, bestimmt. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, den aufkommenden Impulsen zu widerstehen.
42. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
5Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB setzt nach ständiger Rechtsprechung unter anderem die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet. Die Voraussetzungen zumindest des § 21 StGB zum Zeitpunkt der Anlasstat müssen danach zweifelsfrei festgestellt sein (vgl. , juris Rn. 4; Cirener, StraFo 2018, 373, 374).
6Daran fehlt es hier. Zwar hat die sachverständig beratene Strafkammer ausgeführt, dass bei der Tat „die Fähigkeit des Angeklagten nach der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln aufgrund seiner tiefverwurzelten anhaltenden Persönlichkeitsstörung, mit einer Kombination aus narzisstischer, akzentuierter und dissozialer Ausprägung, die ihrem Schweregrad einer psychotischen Erkrankung gleichsteht, erheblich vermindert“ gewesen sei. An anderer Stelle hat das Landgericht im Urteil jedoch mehrfach ausgeführt, es sei „nicht ausschließbar“, dass der Angeklagte im Zustand eingeschränkter Schuldfähigkeit gehandelt habe. Angesichts der mehrfachen Verwendung dieser Formulierung schließt der Senat aus, dass es sich dabei lediglich um ein „Redaktionsversehen“ handelt.
73.Der aufgezeigte Rechtsfehler bei Erörterung der Voraussetzungen des § 21 StGB führt hier ausnahmsweise auch zur Aufhebung des Schuldspruchs. Der Senat kann letztlich nicht ausschließen, dass die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer von einer Tatbegehung sogar im schuldunfähigen Zustand ausgehen und deshalb zu einem Freispruch gelangen könnte. Der Senat hebt deshalb das Urteil insgesamt mit den zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatrichter insbesondere auf der Grundlage neu getroffener gutachterlicher Erwägungen zur Schuldfähigkeit eine in sich stimmige Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten zu ermöglichen. Dabei wird gegebenenfalls sorgfältiger als bisher zu prüfen sein, ob von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. auch , juris Rn. 16 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:200224B2STR349.23.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-64269