BGH Urteil v. - VII ZR 274/21

Instanzenzug: Az: 21 U 5209/20vorgehend LG Ingolstadt Az: 53 O 1355/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im Juni 2016 als Gebrauchtwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs Audi SQ5 in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem 3.0 l V6 Turbo-Dieselmotor (Euro 5) ausgestattet. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem temperaturgesteuert mittels eines sogenannten Thermofensters. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen.

2Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat er zuletzt die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung gekürzten Kaufpreises in Höhe von 45.598 € nebst Prozesszinsen aus 39.085,22 € Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.

3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter, den Antrag zu Ziffer 1 der Höhe nach beschränkt auf 39.085,22 €.

Gründe

4Die Revision hat im Umfang der Anfechtung Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung seien nicht dargetan. Für einen der Beweisaufnahme zugänglichen Sachvortrag genüge es auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des ) nicht, sich auf die Verwendung eines Thermofensters und die Abweichung der Emissionen im Normalbetrieb gegenüber den Messungen im Verfahren nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) auf dem Rollenprüfstand zu berufen. Zwar möge ein Rückruf seitens des KBA nicht erforderlich sein, um von greifbaren Anhaltspunkten für eine Manipulation des Emissionsverhaltens auszugehen. Dann sei aber die Darlegung anderer konkreter Anhaltspunkte erforderlich, die dafür sprächen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses in Bezug auf das Thermofenster in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehandelt habe. Solche habe der Kläger weder vorgetragen noch seien sie anderweitig ersichtlich. Selbst wenn unterstellt werde, das im Fahrzeug verbaute Thermofenster stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, könne eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nicht festgestellt werden, weil nicht belastbar auf eine von einem entsprechenden Vorsatz getragene, arglistige und sittenwidrige Schädigungshandlung der Fahrzeug- und Motorherstellerin geschlossen werden könne. Anders als die "Umschaltlogik" unterscheide die hier eingesetzte temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde.

II.

7Die Revision ist begründet. Sie führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

81. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens verneint hat. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris; Urteil vom - VI ZR 128/20 Rn. 14, VersR 2021, 1252;Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 19, NJW 2021, 921 ) übergangen hätte.

92. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ff.).

10Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenz-hypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalt-einrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausge-rüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungs-bescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs ab-gesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungs-widersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245; Urteil vom - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).

III.

11Danach hat der angefochtene Beschluss keinen Bestand. Er ist im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290224UVIIZR274.21.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-64121