Diesel-Abgasskandal: Deliktische Haftung des Motorenherstellers; Darlegungsanforderungen des Fahrzeugkäufers
Leitsatz
Zur deliktischen Haftung des Motorherstellers, der nicht zugleich Fahrzeughersteller ist, gemäß § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in einem sogenannten Dieselfall.
Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007
Instanzenzug: OLG Braunschweig Az: 7 U 189/18vorgehend LG Braunschweig Az: 3 O 1270/17 (131) Urteil
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines Dieselmotors wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
2Der Kläger erwarb am bei einem Händler einen nicht von der Beklagten hergestellten Neuwagen des Typs Audi A6 Avant 3.0 TDI (Schadstoffklasse Euro 5), der mit einem Dieselmotor vom Typ EA896Gen2, im Berufungsverfahren auch als Typ EA897 bezeichnet, ausgestattet ist. Das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) hat - auch nach Anhörung des Fahrzeugherstellers zum Emissionsverhalten - hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps keine verpflichtende Anordnung eines Rückrufs ausgesprochen. Im Wesentlichen mit der Behauptung, der in dem von ihm erworbenen Fahrzeug verbaute Motor sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung ausgestattet, und zwar zum einen mit einer Prüfstanderkennungssoftware vergleichbar mit den VW-Motoren des Typs EA189, zum anderen mit einem sogenannten "Thermofenster", begehrt der Kläger die Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer noch zu beziffernden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, den Ersatz von Finanzierungskosten und verschiedener auf das Fahrzeug getätigter Aufwendungen, die Feststellung des Annahmeverzuges sowie den Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die von ihm geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang weiter.
Gründe
I.
4Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner unter BeckRS 2020, 16626 veröffentlichten Entscheidung unter anderem ausgeführt, dem Kläger stünden unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Ansprüche auf Schadensersatz wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungs-Software des von ihm erworbenen Fahrzeugs gegen die Beklagte zu. Zwar sei die Beklagte Herstellerin des Dieselmotors im Pkw des Klägers. Der Kläger habe aber schon nicht mit Substanz darlegen können, dass die Motorsteuerungs-Software des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltung zwischen Prüfstand- und Realbetrieb enthalte, wie sie das KBA bei den im Volkswagen-Konzern hergestellten Fahrzeugen mit dem Dieselmotor vom Typ EA189 beanstandet habe. Eine Beweisaufnahme hierzu würde die Erhebung eines unzulässigen Ausforschungsbeweises darstellen. Soweit der Kläger die Verwendung eines sogenannten "Thermofensters" bei der Motorsteuerung rüge, d.h. die Reduzierung der stickoxidmindernden Abgasrückführung in bestimmten Außentemperaturbereichen, handele es sich um eine von allen Herstellern verwendete Motorschutzeinrichtung. Da auch das KBA diese Schaltung bisher akzeptiert habe, insbesondere auch die verpflichtende Anordnung des Rückrufs von Fahrzeugen mit dem Motortyp EA189 bekanntlich nicht darauf gestützt habe, sondern nur auf die unzulässige Prüfstanderkennung, könne im sogenannten "Thermofenster" keine unzulässige Abschalteinrichtung gesehen werden. Soweit der Kläger auch das im Fahrzeug eingebaute On-Board-Diagnosesystem ohne Anzeige der seiner Meinung nach im Realbetrieb unzulässigen Schadstoffwerte für fehlerhaft halte, würde es sich nur um einen Nebeneffekt einer unzulässigen Abschaltvorrichtung handeln, deren Vorhandensein der Kläger nicht habe dartun können.
5Aber auch unabhängig davon, dass der Kläger das Vorhandensein einer unzulässigen, abgasbeeinflussenden Software in seinem Pkw nicht habe darlegen können, mithin bei einer Unterstellung des Vorhandenseins einer solchen zu seinen Gunsten, habe er unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte als Herstellerin des Motors in seinem Fahrzeug. Denn für die erhobenen Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung fehle es dem Grunde nach auch an weiteren objektiven wie subjektiven Tatbestandsmerkmalen.
II.
6Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
71. Das Berufungsgericht hat die Revision im Tenor seines Urteils ohne Einschränkungen zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Revision sei wegen Grundsatzbedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, soweit die Ausführungen im Berufungsurteil unter Ziffer 4 betroffen seien. Diese befassen sich nicht mit dem Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, sondern mit der Frage des Vorliegens weiterer Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch des Klägers dem Grunde nach. Insoweit kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht damit die Zulassung der Revision beschränken wollte. Denn eine Beschränkung auf einzelne Rechtsfragen oder Elemente des Anspruchsgrunds wäre unzulässig (vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 575/20, ZIP 2021, 1922 Rn. 14 mwN).
82. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach dem Kläger gegen die Beklagte aufgrund des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs bereits dem Grunde nach keine Schadensersatzansprüche zustehen, hält der revisionsrechtlichen Prüfung im Ergebnis stand. Insbesondere hat das Berufungsgericht deliktische Ansprüche wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) oder wegen Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB) zu Recht verneint. Dabei ist aufgrund der von der Revision insoweit als ihr günstig hingenommenen Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass die Beklagte zwar nicht Fahrzeughersteller, aber Hersteller des im Fahrzeug verbauten Dieselmotors ist.
9a) Soweit der Kläger einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB aus der behaupteten Verwendung einer Prüfstanderkennungssoftware, vergleichbar mit der bei VW-Motoren des Typs EA189 vom KBA beanstandeten "Umschaltlogik" herleiten will, rügt die Revision zu Unrecht, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die Darlegungslast hinsichtlich einer Manipulationssoftware, die den Prüfstandzyklus erkennt und den Stickoxidausstoß dann in vergleichbarer Weise wie bei Motoren des Typs EA189 optimiert, überspannt und so den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Vielmehr hat das Berufungsgericht - gemessen an den höchstrichterlich abstrakt geklärten Substantiierungsanforderungen - den Vortrag des Klägers in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise tatrichterlich dahin gewürdigt, dass dieser keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Existenz einer solchen Manipulationssoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug dargelegt habe. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist nicht zu erkennen.
10aa) Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt - auch bei Kenntnisnahme des Vorbringens durch den Tatrichter - dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft offenkundig überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 212/19, VersR 2021, 601 Rn. 10; vom - VI ZR 42/18, VersR 2019, 1385 Rn. 5; vom - VI ZR 12/17, VersR 2019, 1372 Rn. 9; jeweils mwN).
11Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (vgl. zur st. Rspr. nur , VersR 2021, 1252 Rn. 20; vom - VI ZR 401/19, VersR 2021, 1046 Rn. 19; jeweils mwN).
12Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat (vgl. zur st. Rspr. nur , VersR 2021, 1252 Rn. 21; vom - VI ZR 401/19, VersR 2021, 1046 Rn. 19; jeweils mwN). Gemäß § 403 ZPO hat die Partei, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen will, die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in die Sachkenntnis des Sachverständigen gestellten Behauptung habe (Senatsbeschluss vom - VI ZR 97/19, VersR 2020, 1069 Rn. 8).
13Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (zur st. Rspr. vgl. nur , VersR 2021, 1252 Rn. 22; vom - VI ZR 401/19, VersR 2020, 1069 Rn. 20; jeweils mwN).
14In den sogenannten "Dieselfällen" bedeutet dies, dass der Erwerber eines möglicherweise betroffenen Fahrzeugs greifbare Anhaltspunkte anführen muss, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine unzulässige Abschalteinrichtung auf. Dabei ist freilich zu beachten, dass er mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Motors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung regelmäßig keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann und letztlich auf Vermutungen angewiesen ist, die er nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält und auf ausreichend greifbare Gesichtspunkte stützen kann, so dass etwa - wie beim Motor EA189 des Volkswagenkonzerns - der Vortrag genügen kann, der Hersteller habe öffentlich zugegeben, der Motor weise eine illegale Abschalteinrichtung auf, und das KBA habe eine aktuelle Überprüfung eingeleitet, weil es davon ausgehe, dass dieser Motor in das konkrete Fahrzeug eingebaut worden sei; dass das KBA bezüglich des konkreten Fahrzeugtyps bereits eine Rückrufaktion angeordnet hat, ist - wie die Revision zutreffend geltend macht - nicht erforderlich (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 435/20, VersR 2022, 1122 Rn. 13 mwN).
15bb) Nach diesen Grundsätzen verfehlt der Vortrag des Klägers die Substantiierungsanforderungen. Insbesondere ist der von der Revision in Bezug genommene Vortrag des Klägers zur Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (vgl. , VersR 2022, 1122 Rn. 15; vom - VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 23; , juris Rn. 30).
16Soweit die Revision geltend macht, der Kläger habe vorgetragen, durch eine "Und-Verknüpfung" verschiedener Parameter wie Außentemperatur, Lenkwinkel und bestimmter Lastzustände des Motors, die sich an den Prüfstandbedingungen orientierten, werde ein Prüfstandtest mit hoher Zuverlässigkeit erkannt und nur bei Erkennung dieser Prüfstandsituation bzw. -parameter werde die Abgasreinigung so konditioniert, dass die Emissionsgrenzwerte der Euro 5 Norm eingehalten würden, während dies im realen Fahrbetrieb nicht der Fall sei, findet sich diese Behauptung einer Verknüpfung bestimmter Parameter mit einer "Umschaltlogik" an den von der Revision bezeichneten Fundstellen so schon nicht (vgl. zu den Anforderungen an die ordnungsgemäße Begründung einer Verfahrensrüge Senatsurteil vom - VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 16 mwN). Im Übrigen genügt die bloße Behauptung einer derartigen Abschalteinrichtung ohne greifbare Anhaltspunkte für deren Vorliegen nach den oben genannten Grundsätzen nicht.
17Auch die von der Revision als vom Berufungsgericht übergangen gerügte Behauptung, das Fahrzeug unterscheide zwischen einem Warmlaufschaltprogramm und einem dynamischen Schaltprogramm, wobei ersteres ausschließlich im Fahrzyklus des NEFZ aktiv sei, hat der Kläger an der von der Revision bezeichneten Stelle in dieser Form nicht aufgestellt. Vielmehr hat die Beklagte - worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist - auf den dort zu findenden Vortrag des Klägers, durch die Steuerung des Automatikgetriebes werde auf dem Prüfstand unrealistisch früh geschaltet, erwidert, dass das streitgegenständliche Fahrzeug zwar über ein Warmlaufschaltprogramm und ein dynamisches Schaltprogramm verfüge, es zwischen den beiden Schaltprogrammen aber zu keinen relevanten Unterschieden bei den Schadstoffemissionen komme. Die Revision zeigt nicht auf, ob der Kläger diesen ersichtlich eine Reaktion erfordernden Sachvortrag der Beklagten bestritten und wenn ja, was er darauf erwidert hat. Damit fehlt es jedenfalls an der für eine Verfahrensrüge erforderlichen Darlegung, dass das angeblich übergangene Vorbringen prozessual beachtlich war (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 17).
18b) Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht auch eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen des im Fahrzeug des Klägers zum Einsatz kommenden sogenannten Thermofensters verneint. Es fehlt insoweit bereits an einem objektiv sittenwidrigen Verhalten der Beklagten.
19aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Ob das Verhalten des Anspruchsgegners sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (vgl. zur st. Rspr. nur Senatsurteil vom - VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 11 f. mwN).
20bb) Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag bei kühleren Temperaturen ab 17 Grad Celsius zurückgefahren wird, wobei eine signifikante Reduktion jedenfalls bei einer Temperatur von 5 Grad Celsius erfolgt, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine derartige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. , NJW 2022, 2605 Rn. 31 ff.). Wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, reichte selbst ein solcher Gesetzesverstoß nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates, die das Berufungsgericht hier nicht festgestellt hat und zu denen die Revision keinen relevanten übergangenen Tatsachenvortrag des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 29 mwN) aufzeigt (vgl. näher Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 25 ff.; Senatsurteil vom - VI ZR 839/20, NJW-RR 2022, 309 Rn. 19 f.; , NJW 2021, 3725 Rn. 21 ff.; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 21 ff.; siehe auch Senatsurteil vom - VI ZR 934/20, VersR 2022, 852 Rn. 19).
21Insbesondere folgen entgegen der Auffassung der Revision aus dem Klägervortrag zur unterbliebenen Offenlegung der Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA im Typgenehmigungsverfahren keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte tätigen Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Die Revision weist insoweit auf das Vorbringen des Klägers hin, wonach davon auszugehen sei, dass alle Hersteller das Thermofenster vor Erteilung der Typgenehmigung nicht gegenüber dem KBA offengelegt haben. Dies gehe aus Mitteilungen des KBA hervor, aus denen sich ergebe, dass es sich stets auf die Aussagen des Herstellers verlassen habe. Diese Schlussfolgerung ist angesichts der von der Revision nicht angegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts, wonach das KBA die Verwendung des Thermofensters akzeptiert hat, bereits im Hinblick auf die in den vom Kläger vorgelegten Schreiben des KBA genannten, am Typgenehmigungsverfahren beteiligten Fahrzeughersteller nicht nachvollziehbar. Erst recht ergeben sich aus diesem Vorbringen keine Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten, die nicht Hersteller des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist, gegenüber dem KBA, die auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden (vgl. , juris Rn. 17). Dass das On-Board-Diagnose-System (OBD) nach dem Vortrag des Klägers Überschreitungen der Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb bei Einsatz des Thermofensters nicht als Fehlermeldung angezeigt haben soll, lässt ebenfalls nicht darauf schließen, dass für die Beklagte tätige Personen das Thermofenster für eine unzulässige Abschalteinrichtung hielten (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 839/20, NJW-RR 2022, 309 Rn. 20; , NJW-RR 2022, 243 Rn. 27).
22c) Soweit das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint hat, hält sein Urteil revisionsrechtlicher Prüfung im Ergebnis ebenfalls stand.
23Bei diesen Normen handelt es sich zwar - unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) - um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, in deren persönlichen Schutzbereich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs einbezogen ist.
24Einer Inanspruchnahme der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV steht jedoch entgegen, dass es sich bei ihr nicht um den Fahrzeughersteller handelt, den die europäischen Abgasnormen - soweit ihnen drittschützender Charakter zukommt - allein in die Pflicht nehmen (vgl. VIa ZR 1119/22, VersR 2023, 1246 Rn. 20). Einen vorsätzlichen Verstoß des Herstellers des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegen unionsrechtliche Vorgaben, an dem sich die Beklagte im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB hätte beteiligen können (vgl. VIa ZR 1119/22, VersR 2023, 1246 Rn. 21), hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Der von der Revision als übergangen gerügte Klägervortrag zeigt - wie oben ausgeführt - insoweit ebenfalls keine Anhaltspunkte auf.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060224UVIZR526.20.0
Fundstelle(n):
WM 2024 S. 761 Nr. 16
YAAAJ-64099