BFH Beschluss v. - IX B 24/23

Nichtzulassungsbeschwerde: Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung, Divergenz und Verfahrensfehlern; Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichterteilen eines Hinweises und Nichtgewährung einer Schriftsatzfrist

Leitsatz

1. NV: Die Frage, ob ein Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 17 des Einkommensteuergesetzes) gesondert und einheitlich festgestellt wird oder die Erfassung im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung zu erfolgen hat, ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geklärt.

2. NV: Wurden die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im finanzgerichtlichen Verfahren angesprochen und ist der Kläger vor dem Finanzgericht rechtskundig vertreten, bedarf es in der mündlichen Verhandlung keines richterlichen Hinweises.

Gesetze: FGO § 155; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 und 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 76 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1; EStG § 17; ZPO § 283

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist nicht begründet.

2 Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor. Es ist weder eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, dazu unter 1.) noch zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO, dazu unter 2.) oder wegen eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO, dazu unter 3.) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO, dazu unter 4.) möglich. Auch die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, dazu unter 5.) liegen nicht vor.

3 1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

4 a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (vgl. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 100, m.w.N.).

5 b) Dies ist hier nicht der Fall. Die Frage, wonach ein Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 17 des EinkommensteuergesetzesEStG—) nicht gesondert und einheitlich festgestellt wird und die Erfassung im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung zu erfolgen hat, ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits geklärt. Danach sind Kapitalbeteiligungen einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft den Gesellschaftern der Personengesellschaft für die Bestimmung des Veräußerungstatbestands nach § 17 EStG anteilig zuzurechnen (sogenannte Bruchteilsbetrachtung, vgl. , BFHE 190, 87, BStBl II 1999, 820, unter II.1.; vom  - VIII R 41/99, BFHE 192, 273, BStBl II 2000, 686 und vom  - VIII R 21/17, BFHE 271, 482, BStBl II 2021, 609, Rz 39). Dies gilt auch für Erbengemeinschaften. Denn die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften (§§ 179, 180 der Abgabenordnung —AO—) setzt nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO voraus, dass an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Daran fehlt es, wenn die Einkünfte aufgrund der materiell-rechtlich vorrangigen Bruchteilsbetrachtung von jedem Mitglied der Erbengemeinschaft einzeln erzielt werden. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus dem Gesetz (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO und § 17 EStG).

6 Die Beschwerde führt hierzu keine Argumente an, die eine erneute Überprüfung erforderlich machen. Der Beschluss des Großen Senats des (BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679) ist zu sogenannten „Zebra-Gesellschaften“ ergangen. Dazu zählt die Erbengemeinschaft nicht. Zudem hält der Kläger die Beteiligung an der Erbengemeinschaft nicht in einem Betriebsvermögen. Im Übrigen sind im Bereich des § 17 EStG zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, in denen sich das Überschreiten der maßgeblichen Beteiligungsgrenze (Relevanzschwelle) erst auf Ebene des Gesellschafters und damit in der Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamts ergibt.

7 2. Aus demselben Grund kommt eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) nicht in Betracht.

8 3. Die Revision ist auch nicht wegen eines schweren materiellen Rechtsfehlers oder Willkür (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) des Finanzgerichts (FG) zuzulassen, dessen Fortbestand das Ansehen der Justiz gefährden würde. Das FG ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt und nicht davon abgewichen. Von einer gesetzwidrigen oder willkürlichen Rechtsprechung kann —wie dargelegt— keine Rede sein.

9 4. Ebenso wenig erfordert im Streitfall die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).

10 a) Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom  - IX B 37/21, Rz 7).

11 b) Demnach liegt eine Divergenz der angefochtenen Entscheidung zu anderen Entscheidungen nicht vor. Soweit der Kläger eine Abweichung vom (juris) rügt, fehlt es an einem vergleichbaren Sachverhalt. Dort befand sich der Anteil an der Kapitalgesellschaft nicht in einem Gesamthandsvermögen und die Frage einer gesonderten und einheitlichen Feststellung des Veräußerungsgewinns stellte sich nicht.

12 5. Die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

13 a) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—) wegen Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) ist nicht gegeben.

14 aa) Die Verletzung der richterlichen Hinweispflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO bedeutet regelmäßig die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet den Beteiligten das Recht, sich vor der Entscheidung des Gerichts zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und zur Rechtslage ausreichend äußern zu können. Das Gericht verletzt daher das Recht auf Gehör, wenn die Verfahrensbeteiligten von einer Entscheidung überrascht werden, weil das Urteil auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gegründet ist, zu denen sie sich nicht geäußert haben und zu denen sich zu äußern sie nach dem vorherigen Verlauf des Verfahrens auch keine Veranlassung hatten. Art. 103 Abs. 1 GG schützt daher die Beteiligten davor, von neuen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten überfahren zu werden, die dem Rechtsstreit eine Wendung geben, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte.

15 Wurden die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte hingegen sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im finanzgerichtlichen Verfahren angesprochen und ist der Kläger vor dem FG rechtskundig vertreten, bedarf es in der mündlichen Verhandlung keines richterlichen Hinweises, sich zu diesem entscheidungserheblichen Sachverhalt erneut zu äußern (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. , BFHE 265, 14, BStBl II 2020, 394, Rz 10, m.w.N.). Bei einem im Klageverfahren durch einen sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten stellt das Unterlassen eines (seiner Ansicht nach notwendigen) Hinweises gemäß § 76 Abs. 2 FGO regelmäßig keinen Verfahrensmangel dar. Ein sachkundig vertretener Beteiligter muss gerade bei umstrittener Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (vgl. Senatsbeschluss vom  - IX B 18/21, Rz 20; , BFHE 265, 14, BStBl II 2020, 394, Rz 13, jeweils m.w.N.; , BVerfGE 86, 133, unter C.III.1.a; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 119 Rz 15, m.w.N.).

16 bb) Demnach hat das FG seine Hinweispflicht nicht verletzt. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen der Erfassung des Gewinns aus § 17 EStG im Feststellungs- oder im Veranlagungsverfahren, der Bindungswirkung eines Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung und der Umqualifizierung der Einkünfte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung waren im Einspruchs- und im Klageverfahren streitig. Der Bevollmächtigte des Klägers hatte dazu in seiner Klagebegründung vom sowie mit Schriftsatz vom vorgetragen. Der Bevollmächtigte hatte zudem auf den Inhalt der „eindeutigen BFH-Rechtsprechung zu dieser Thematik“ hingewiesen. Die Bezugnahme des FG in der mündlichen Verhandlung auf den Beschluss des Großen Senats des (BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679) konnte daher für die Prozessbeteiligten nicht überraschend sein.

17 Der Kläger bringt auch nicht vor, dass ihm zu dieser Frage in der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend Gelegenheit zur mündlichen Stellungnahme eingeräumt worden war und er deswegen zwingend auf eine nachfolgende schriftliche Stellungnahme angewiesen war (vgl. zur Äußerungsmöglichkeit in der mündlichen Verhandlung , Rz 9). Ebenfalls legt der Kläger nicht dar, was er noch vorgetragen hätte, falls seinem Prozessbevollmächtigten die beantragte Schriftsatzfrist gewährt worden wäre. Insoweit beschränkt sich sein Vortrag auf das nicht weiter konkretisierte Vorbringen, er hätte dann weiter Stellung genommen und das FG von seiner Ansicht überzeugen können.

18 Zudem lagen auch die Voraussetzungen für das Nachreichen eines Schriftsatzes gemäß § 283 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO nicht vor. § 283 ZPO setzt voraus, dass sich eine Partei in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Der Kläger hat jedoch nicht vorgetragen, dass der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt) im Termin zur mündlichen Verhandlung neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorgebracht hat. Dass der Kläger nach Gewährung einer weiteren Schriftsatzfrist seinen Sachvortrag hätte vertiefen und das FG von der Richtigkeit seiner Rechtsauffassung überzeugen können, genügt nicht zur Darlegung einer Gehörsverletzung (vgl. Senatsbeschluss vom  - IX B 105/18, Rz 9).

19 b) Aus den vorgenannten Gründen liegt auch keine Überraschungsentscheidung des FG vor. Während des gesamten finanzgerichtlichen Verfahrens war die Frage streitig, ob ein Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 17 EStG gesondert und einheitlich festgestellt wird, ob eine Bindungswirkung eines solchen Feststellungsbescheids besteht oder ob eine eigenständige Ermittlung und gegebenenfalls Umqualifizierung der Einkünfte durch das Wohnsitzfinanzamt im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung erfolgt. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage war mithin bekannt und hat sich in der angefochtenen Entscheidung auch nicht geändert. Insoweit wurde mit dem Hinweis des FG auf den Beschluss des Großen Senats des (BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679) kein neuer überraschender Gesichtspunkt in das Verfahren eingeführt, sondern nur die bisherige Streitfrage erläutert.

20 6. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

21 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:B.120324.IXB24.23.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2024 S. 534 Nr. 5
ZAAAJ-63776