Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags
Leitsatz
1. NV: Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf (vor Anwendbarkeit des § 357a Abs. 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB— a.F.; jetzt § 357b BGB) begründet keinen steuerbaren Kapitalertrag, da er nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit beruht und mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre angefallen ist.
2. NV: Das infolge des Widerrufs entstandene Rückgewährschuldverhältnis ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln.
3. NV: Der bezogene Nutzungsersatz ist auch nicht gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes steuerbar.
Gesetze: AO § 38; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7; EStG § 22 Nr. 3; BGB § 346; BGB § 348; BGB § 357b
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei der von einer Bank aufgrund eines widerrufenen Darlehensvertrags gezahlten Nutzungsentschädigung für bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen um steuerbare Einkünfte handelt.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) schloss im Jahr 2005 mit der X-Bank einen Darlehensvertrag über 137.000 € zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. Die X-Bank kehrte die Darlehensvaluta aus und die Klägerin leistete in der Folgezeit monatliche Annuitäten.
3 Im Jahr 2016 widerrief die Klägerin gegenüber der X-Bank unter Verweis auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung ihre auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Außerdem kündigte sie gegenüber der Bank den Darlehensvertrag zum unter Rückzahlung der noch bestehenden Valuta.
4 Mit Schriftsatz vom erhob die Klägerin vor dem Landgericht Z Klage gegen die Bank „wegen Rückabwicklung des Darlehensvertrages aufgrund Widerrufs“. Sie machte gegenüber der Bank unter anderem einen von ihr errechneten Betrag in Höhe von 37.047,95 € als zu leistenden Nutzungsersatz für die von ihr erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen geltend.
5 Die X-Bank verpflichtete sich in einem im Jahr 2018 (Streitjahr) geschlossenen Vergleich eine „Nutzungsentschädigung in Höhe von 12.403,26 € an die Klägerin zu zahlen. In dem Vergleich wurde unter anderem auch vereinbart, dass „mit Abschluss der vorliegenden Vereinbarung weitere Ansprüche der Klägerin gegenüber der Beklagten aus/oder im Zusammenhang mit dem Darlehen (...) und dessen Abwicklung bzw. Rückabwicklung —gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt— vollständig abgegolten und erledigt“ sind. Die Bank zahlte im Streitjahr den Betrag in Höhe von 12.403,26 € unter Einbehalt von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag aus und erteilte eine entsprechende Steuerbescheinigung.
6 Die Klägerin wandte sich in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr gegen den Einbehalt der Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) folgte dem nicht und berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom den streitigen Betrag bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG). Die beantragte Günstigerprüfung ergab, dass die Besteuerung der Kapitalerträge zum gesonderten Tarif günstiger als eine Hinzurechnung der Kapitalerträge zu den übrigen Einkünften war.
7 Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1203 mitgeteilten Gründen nur in geringem Umfang Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass ein Betrag in Höhe von 12.300 € gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu besteuern sei; insoweit sei der Vergleichsbetrag als Ersatz für Nutzungsvorteile geleistet worden, die die X-Bank aus den laufend erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen gezogen habe. Auch könne der an die Bank als Wertersatz für die Überlassung des zur Verfügung gestellten Kapitals gezahlte Betrag aufgrund des Werbungskostenabzugsverbots gemäß § 20 Abs. 9 EStG nicht gegengerechnet werden. Ein vom FG geschätzter Teilbetrag der Vergleichssumme in Höhe von 103 € (0,83 % des Vergleichsbetrags) sei nicht steuerbar, da dieser Betrag der Rückerstattung von Zinsen und geleisteten Tilgungsbeträgen zuzuordnen sei.
8 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Bundesrechts.
9 Die Klägerin beantragt,
das und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom dahingehend zu ändern, dass ein Betrag in Höhe von 12.403 € als nicht steuerbar behandelt wird.
10 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
II.
11 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Der im Rahmen der Rückabwicklung des Darlehensvertrags von der X-Bank an die Klägerin geleistete Nutzungsersatz in Höhe von 12.300 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (unter II.1.). Die Rückabwicklung des Darlehensvertrags führt bei der Klägerin auch nicht zu Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG, sodass sich die Vorentscheidung auch nicht gemäß § 126 Abs. 4 FGO im Ergebnis als richtig darstellt (unter II.2.). Auch der Teilbetrag in Höhe von 103 € für die Rückerstattung von Zins- und Tilgungsleistungen an die Klägerin ist nicht steuerbar (unter II.3.). Die Sache ist spruchreif (unter II.4.). Der Senat gibt der Klage wie beantragt statt.
12 1. Die Entscheidung des FG, dass der im Rahmen der Rückabwicklung des Darlehensvertrags von der Bank an die Klägerin geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 12.300 € zu einem Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führt, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Nutzungsersatz ist nicht steuerbar. Er beruht nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit der Klägerin und ist mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre angefallen.
13 a) Im Streitfall hat das FG den zwischen der Klägerin und der X-Bank geschlossenen Vergleich dahingehend ausgelegt, dass in ihm ausschließlich die wechselseitigen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens erledigt werden sollten und die an die Klägerin geleistete Vergleichssumme in Höhe von 12.300 € als Nutzungsersatz und in Höhe von 103 € als Rückgewähr von geleisteten Zinszahlungen anzusehen sei. Dagegen sind keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden. Die Auslegung des FG verstößt auch nicht gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze oder Denk- und Erfahrungssätze und ist daher für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom - VIII B 30/01, BFH/NV 2002, 191, m.w.N.; vom - VIII B 4/06, BFH/NV 2007, 490, unter 2.c [Rz 10]). Dies gilt auch für die vom FG im Schätzungswege vorgenommene Aufteilung der Vergleichssumme. Soweit sich die Klägerin im Revisionsverfahren erstmals auf eine abweichende Berechnung beruft und vorträgt, dass gegenüber der Bank kein Nutzungsersatz, sondern überzahlte Zins- und Tilgungsleistungen geltend gemacht worden seien, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der gemäß § 118 Abs. 2 FGO nicht zu berücksichtigen ist (vgl. z.B. , BFHE 209, 5, BStBl II 2005, 514; vom - I R 5/10, BFH/NV 2012, 271, Rz 35; vom - XI R 37/11, BFHE 240, 394, BStBl II 2014, 831, Rz 38).
14 b) Der von der Klägerin vereinnahmte Nutzungsersatz in Höhe von 12.300 € ist nicht steuerbar. Im Streitfall ist die Rückabwicklung des Darlehensvertrags nach den in den Urteilen des Senats vom - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (jeweils zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen) dargelegten Maßstäben keine steuerbare erwerbsgerichtete Tätigkeit. Das Rückgewährschuldverhältnis ist bei wirtschaftlicher Betrachtung ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückabwicklung einvernehmlich, durch Vergleich, durch zivilgerichtliches Urteil oder auf andere Weise vollzogen wird und ob die Parteien des ursprünglichen Darlehensvertrags —wie im Streitfall— anstelle der Leistung von Wertersatz an die Bank auf eine Rückabwicklung der vom Darlehensnehmer geleisteten Zinsen verzichten. Die Klägerin und die X-Bank haben im Rahmen ihrer vergleichsweisen Einigung über die Rückabwicklung des Darlehens hinaus auch keine weiteren Vereinbarungen getroffen, die zu steuerbaren Kapitalerträgen führen könnten.
15 2. Die Entscheidung des FG stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Der von der Bank geleistete Nutzungsersatz ist nicht nach der allein in Betracht kommenden Regelung zu den Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG steuerbar, da es sich bei der Rückabwicklung des Darlehensvertrags nicht um einen Leistungsaustausch in der Erwerbssphäre handelt. Wegen der weiteren Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit auf seine Urteile vom - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (jeweils zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen) Bezug.
16 3. Auch die Rückgewähr der geleisteten Zins- und Tilgungszahlungen in Höhe von 103 € führte nicht zu steuerbaren Einnahmen der Klägerin bei den Einkünften aus Kapitalvermögen oder einer anderen Einkunftsart, denn die Rückzahlung von Aufwendungen, die außerhalb der Erwerbssphäre angefallen sind, ist ihrerseits nicht durch die Einkünfteerzielung veranlasst (vgl. , BFHE 278, 319, BStBl II 2023, 142; vom - IX R 18/20, BFHE 278, 85, BStBl II 2023, 173; Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 9 Rz 112, 113). So liegt hier der Fall, da der Zweck der ursprünglichen Darlehensaufnahme in der Finanzierung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Immobilie der Klägerin bestand und die Zinszahlungen dementsprechend gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht steuermindernd zu berücksichtigen waren. Der Senat stimmt insofern der Würdigung des FG, die noch nicht Ausdruck in einem Änderungsbescheid gefunden hat, zu.
17 4. Das FG ist von anderen Rechtsgrundlagen ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat gibt der Klage statt.
18 Der von der X-Bank an die Klägerin geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 12.300 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und keine steuerbare Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG. Auch die Rückgewähr der Zins- und Tilgungszahlungen in Höhe von 103 € führt nicht zu steuerbaren Einkünften der Klägerin. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom ist wie beantragt dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 EStG ein Betrag in Höhe von 12.403 € nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird.
19 Die Berechnung der Steuer wird dem FA übertragen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
20 5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:U.071123.VIIIR6.22.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2024 S. 506 Nr. 5
FAAAJ-63774