BGH Urteil v. - VII ZR 599/21

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 1 U 104/19 Urteilvorgehend Az: 11 O 20/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2Er erwarb im Mai 2017 bei einem Autohändler einen von der Beklagten hergestellten VW Touareg TDI als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 60.308 zu einem Kaufpreis von 29.200 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der AUDI AG hergestellten Dieselmotor des Typs V6 3.0 l TDI EA 896 G2 oder 897 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse 5 erteilt. Das Klägerfahrzeug ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen.

3Der Kläger hat in den Vorinstanzen die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs (abzüglich einer nicht bezifferten Nutzungsentschädigung) und die Feststellung verlangt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befinde sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemacht.

4Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg.

5Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

6Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (Az. 1 U 104/19, veröffentlicht in juris), soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

8Die Beklagte hafte nicht unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB. Der Kläger habe keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Ausstattung seines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung dargelegt. Sein Sachvortrag erschöpfe sich in wesentlichen Teilen in Textbausteinen, die sich auf den Motortyp VW EA189 oder den V6-Dieselmotor der Schadstoffklasse Euro 6 bezögen und damit keinen konkreten Bezug zu seinem Fahrzeug aufwiesen. Die unterschiedliche Bezeichnung verschiedener Motorversionen, Motortypen und Fahrzeugbaureihen deute gerade auf Unterschiede der technischen Ausgestaltungen hin, die ohne weiteres auch in der Ausgestaltung der Regelung der Abgasrückführung und des Schadstoffverhaltens liegen könnten.

9Zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Form einer sogenannten "Aufheizstrategie" habe der Kläger in der Klageschrift nur zu Fahrzeugen der Marke AUDI mit 3.0-TDI-Motoren der Schadstoffklasse Euro 6 vorgetragen. Dies könne auf Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 5 und damit auf das vom Kläger erworbene Fahrzeug VW Touareg nicht übertragen werden. Soweit der Kläger dabei auf den am erfolgten Rückruf des KBA von Fahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 5 verwiesen habe, habe er nicht dargelegt, welche konkreten Fahrzeuge hiervon betroffen gewesen seien. Auf den Einwand der Beklagten, dass sich der Rückruf auf andere Fahrzeugtypen bezogen habe, sei eine Ergänzung und Konkretisierung des Sachvortrags des Klägers nicht erfolgt. Deshalb sei weder die Einholung einer Auskunft des KBA noch eine Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten.

10Auf den Vortrag des Klägers hinsichtlich eines am erfolgten Rückrufs von Fahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 5 habe die Beklagte vorgebracht, dass das KBA die Eintragung in die Rückrufdatenbank zwischenzeitlich korrigiert habe und nicht mehr von einer unzulässigen Abschalteinrichtung, sondern nur noch einer Konformitätsabweichung der Antriebssteuerungssoftware ausgehe. Dem sei der Kläger nicht entgegengetreten, weshalb auch dieser Rückruf des KBA kein taugliches Anzeichen für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei. Gleiches gelte für das Anhörungsschreiben des KBA vom zum Emissionsverhalten von Fahrzeugen des Typs VW Touareg 3,0 l EU 5. Die Beklagte habe dazu unstreitig vorgetragen, dass dieses Anhörungsverfahren nicht zu einem verpflichtenden Rückrufbescheid des KBA wegen des Emissionsverhaltens des betroffenen Fahrzeugtyps geführt habe. Selbst ein das Fahrzeug des Klägers betreffender Rückruf hätte jedenfalls nicht ohne weiteres den weitergehenden Schluss auf das Vorliegen eines zumindest bedingten Schädigungsvorsatzes der Beklagten zugelassen.

11Weiter seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Fahrzeug des Klägers mit einer "Lenkwinkelerkennung" versehen sei, die bei einem Erkennen des Prüfstandsbetriebs einen - niedrigere Schadstoffwerte herbeiführenden - Betriebsmodus des Fahrzeugs einschalte. Da der Vortrag des Klägers zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung ohne greifbare konkrete Anhaltspunkte und damit letztlich ins Blaue hinein erfolgt sei, fehle es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage für die Annahme eines - objektiv - sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten.

12Aus den vorgenannten Gründen habe der Kläger keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB, weil es für die Annahme einer Täuschung des Klägers durch die Beklagte gleichfalls an einer tragfähigen Tatsachengrundlage fehle.

13Für Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG sei ebenfalls kein Raum, da diese Vorschriften nach ihrem Schutzzweck nicht für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs auf Erstattung des Kaufpreises herangezogen werden könnten.

II.

14Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

151. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris) übergangen hätte.

16a) Entgegen der Annahme der Revision hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiierung des Klägervortrags nicht überspannt.

17Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger keine tragfähigen Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug und dessen Betroffenheit von einem Rückruf des KBA dargelegt hat. Die von der Revision gegen diese Feststellungen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet, § 564 Satz 1 ZPO.

18Im Übrigen würde der Umstand, dass die Beklagte rechtswidrig manipulierte Motoren in ihre Fahrzeuge eingebaut hat, die von ihrer Tochtergesellschaft entwickelt und hergestellt worden sind, allein nicht genügen, um eine objektiv sittenwidrige Handlung annehmen zu können ( Rn. 16, MDR 2023, 291). Die Revision zeigt keine Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Beklagten und der für sie handelnden Personen auf, dass die von ihrer Tochtergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet worden sind, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versehen in den Verkehr gebracht wurden (vgl. Rn. 17, MDR 2023, 291, Urteil vom - VI ZR 505/19 Rn. 21, ZIP 2021, 799).

192. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 1031/22 Rn. 24 ff., DAR 2023, 503; Urteil vom - VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., ZIP 2023, 1421).

20Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., ZIP 2023, 1421; ebenso Urteil vom - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).

21Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des Differenzschadens angepassten, unbeschränkten Zahlungsantrags ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( VIa ZR 335/21 Rn. 45, ZIP 2023, 1421).

III.

22Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:010224UVIIZR599.21.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-63746