Begriff der Versorgungsbezüge im Rahmen der Härtefallleistung nach dem Opferentschädigungsgesetz
Leitsatz
Zum Begriff der Versorgungsbezüge in § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG (hier: Härtefallleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz).
Gesetze: § 12 Abs 1 S 3 PflVG, § 5 OEG, § 81a BVG
Instanzenzug: Az: I-11 U 192/21 Urteilvorgehend Az: 0 16 O 67/21 Urteil
Tatbestand
1Das klagende Land (im Folgenden: der Kläger) macht gegen den Beklagten, den von den Kfz-Haftpflichtversicherern gegründeten Verkehrsopferhilfeverein zur Wahrnehmung der Aufgaben des in § 12 PflVG genannten "Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen", im Rahmen einer Feststellungsklage Ersatzansprüche aus gemäß § 5 Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. § 81a Bundesversorgungsgesetz (BVG) übergegangenem Recht der Opfer und Hinterbliebenen einer Amokfahrt geltend. Am fuhr A. mit einem Kleinbus vorsätzlich auf die Außenterrassen eines in der Innenstadt der Stadt M. gelegenen Restaurants. Er tötete dabei vier Menschen, verletzte weitere zwanzig Personen teilweise schwer und beging anschließend Suizid. Der Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs lehnte gemäß § 103 VVG seine Einstandspflicht wegen der vorsätzlichen Begehung der Tat ab.
2In § 1 Abs. 11 OEG in der zum Zeitpunkt der Amokfahrt und bis zum gültigen Fassung des Gesetzes (im Folgenden OEG a.F.) war geregelt, dass das Opferentschädigungsgesetz nicht auf Schäden aus einem tätlichen Angriff anzuwenden ist, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verursacht worden sind. Diese - ab in § 1 Abs. 8 OEG verortete - Vorschrift wurde mit Wirkung ab durch eine Regelung ersetzt, wonach Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz auch im Falle eines durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges verübten tätlichen Angriffs erbracht werden. § 1 Abs. 12 OEG a.F. (ab : § 1 Abs. 9 OEG) sah vor, dass unter anderem die in § 89 BVG getroffene Regelung zur Gewährung eines Ausgleichs in Härtefällen mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist.
3Mit Erlass vom teilte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Klägers den örtlichen Landschaftsverbänden u.a. Folgendes mit:
"Hiermit stimme ich gem. § 1 Abs. 12 Opferentschädigungsgesetz (OEG) dem Grunde nach zu, den Opfern und Hinterbliebenen der Amokfahrt am in M[...] Versorgung in Anwendung des OEG zu gewähren. Eine Nichtanwendung des OEG erachte ich in der Gesamtschau als eine für die Betroffenen unbillige Härte".
4In der Folgezeit erließ der Kläger durch die örtlichen Landschaftsverbände im Zeitraum vom bis zum auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes in seiner in der Zeit vom bis zum gültigen Fassung in 45 Fällen Bescheide, mit denen den Opfern und Hinterbliebenen Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz gewährt wurden und erbrachte auf der Grundlage dieser Bescheide bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung Leistungen (z.B. als "Versorgungsbezüge" bezeichnete Rentenzahlungen, Bestattungsgelder) in Höhe von insgesamt 332.001,60 €.
5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Klägers das landgerichtliche Urteil abgeändert und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die von ihm auf der Grundlage bestandskräftiger Bescheide an die Opfer der Tat vom und deren Hinterbliebenen erbrachten und noch zu erbringenden Leistungen insoweit zu ersetzen, als der Beklagte im Falle seiner Inanspruchnahme durch die Opfer und deren Hinterbliebenen in zeitlicher und sachlicher Hinsicht diesen gegenüber selbst zur Erbringung gleicher Leistungen verpflichtet gewesen wäre und soweit dem Kläger diese nicht von Dritten erstattet werden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Gründe
I.
6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner unter anderen in VersR 2022, 1533 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, der gegen den Beklagten gerichtete Feststellungsantrag sei gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig und in der Sache begründet.
7Der Beklagte sei zum Ersatz der bewilligten Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz aus übergegangenem Recht nach § 5 OEG, § 81a BVG, § 12 Abs. 1 PflVG i.V.m. § 823 Abs. 1 und 2 BGB, §§ 211, 223, 224, 226, 227 StGB verpflichtet.
8Die Voraussetzungen des Anspruchsübergangs nach § 5 OEG i.V.m. § 81a BVG seien gegeben. Dies stehe bereits aufgrund der von den örtlichen Landschaftsverbänden an die Opfer und Hinterbliebenen erteilten, bestandskräftigen Leistungsbescheide gemäß § 118 SGB X fest. Die Vorschrift des § 118 SGB X, nach welcher ein Gericht, das über einen nach § 116 SGB X übergegangenen Anspruch zu entscheiden hat, an eine unanfechtbare Entscheidung gebunden ist, dass und in welchem Umfang der Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist, sei entsprechend auf den Fall anzuwenden, in dem der Rechtsübergang nicht auf § 116 SGB X, sondern wie vorliegend auf § 5 OEG i.V.m. § 81a BVG beruhe. Der prozessökonomische Zweck dieser Vorschrift, sozialrechtliche Vorfragen aus dem Prozessstoff der zivilgerichtlichen Verfahren herauszunehmen und voneinander abweichende Entscheidungen der sozialen Leistungsträger und Verwaltungs- sowie Sozialgerichte auf der einen Seite und der zur Entscheidung über den Anspruchsübergang berufenen ordentlichen Gerichte auf der anderen Seite zu vermeiden, gelte auch in anderen von § 118 SGB X nicht ausdrücklich erfassten Fällen. Die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschrift sei nicht auf den Fall des Regresses zwischen zwei Sozialleistungsträgern beschränkt. Dem Anspruch stehe auch nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen, nach der § 118 SGB X dann keine Anwendung finde, wenn ein von vornherein unzuständiger Leistungsträger in der irrtümlichen Annahme seiner Zuständigkeit Leistungen aufgrund eines rechtswidrigen, ihn selbst aber bindenden Verwaltungsakts erbringe. Denn der Kläger und die für ihn tätig gewordenen Landschaftsverbände seien grundsätzlich für die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zuständig und mit § 1 Abs. 12 OEG a.F. i.V.m. § 89 BVG liege grundsätzlich eine gesetzliche Regelung vor, die zumindest nach ihrem Wortlaut geeignet sei, eine Zuständigkeit des Klägers auch im konkreten Fall zu begründen.
9Die Haftung des Beklagten sei auch nicht durch die Subsidiaritätsklausel des § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG ausgeschlossen. Der insoweit verwendete Begriff der "Versorgungsbezüge" meine allein die von öffentlich-rechtlichen Dienstherren im Rahmen eines Beamtenverhältnisses gezahlten Versorgungsbezüge. Eine analoge Anwendung der Vorschrift komme ebenfalls nicht in Betracht.
II.
10Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Gegenstand der Feststellungsklage ist die Ersatzpflicht des Beklagten nach § 5 OEG, § 81a BVG, § 12 Abs. 1 PflVG für Leistungen, die der Kläger gemäß den im Zeitraum vom bis zum auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes in seiner vom bis zum gültigen Fassung ergangenen Bescheiden unter Berufung auf die Möglichkeit eines Härteausgleichs nach § 1 Abs. 12 OEG a.F. i.V.m. § 89 BVG erbracht hat bzw. erbringen wird. Die Gewährung dieser Härtefallleistungen kann jedenfalls deshalb nicht zu einem Übergang von Ansprüchen der Leistungsempfänger gegen den Beklagten auf den Kläger nach § 5 OEG i.V.m. § 81a BVG führen, weil der Entschädigungsfonds (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 PflVG) für durch derartige Leistungen abgedeckte Schäden aufgrund der Subsidiaritätsregel des § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG den Geschädigten gegenüber nicht haftet.
111. Soweit den nach dem Opferentschädigungsgesetz Versorgungsberechtigten ein gesetzlicher Schadensersatzanspruch gegen Dritte zusteht, geht dieser Anspruch gemäß § 5 OEG i.V.m. § 81a BVG auf das zur Gewährung der Leistungen verpflichtete Land über. Der gesetzliche Forderungsübergang bezieht sich auf die Leistungen, die mit dem vom Dritten zu leistenden Schadensersatz zeitlich und sachlich deckungsgleich (kongruent) sind (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 244/94, NJW 1995, 2413, 2414, juris Rn. 11; Rademacker, OEG, 2012, § 5 Rn. 3).
12Als Grundlage für Ansprüche der Betroffenen der Amokfahrt vom gegen den Beklagten, die gemäß § 5 OEG i.V.m. § 81a BVG auf das klagende Land übergehen könnten, kommt § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PflVG in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann derjenige, dem wegen eines durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verursachten Personen- oder Sachschadens Ersatzansprüche gegen den Halter, den Eigentümer oder den Fahrer des Fahrzeugs zustehen, diese Ersatzansprüche auch gegen den Entschädigungsfonds geltend machen, wenn für den Schaden eine Haftpflichtversicherung deswegen keine Deckung gewährt oder gewähren würde, weil der Ersatzpflichtige den Eintritt der Tatsache, für die er dem Ersatzberechtigten verantwortlich ist, vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt hat.
13Nach § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG entfällt die Leistungspflicht des Entschädigungsfonds jedoch, soweit der Ersatzberechtigte in der Lage ist, Ersatz seines Schadens nach den Vorschriften über die Amtspflichtverletzung zu erlangen, oder soweit der Schaden durch Leistungen eines Sozialversicherungsträgers, durch Fortzahlung von Dienst- oder Amtsbezügen, Vergütung oder Lohn oder durch Gewährung von Versorgungsbezügen ausgeglichen wird. Soweit der Entschädigungsfonds aufgrund dieser Subsidiaritätsregel gegenüber den Geschädigten leistungsfrei ist, ist ein Regress gemäß § 5 OEG i.V.m. § 81a BVG mangels übergangsfähiger Ansprüche ausgeschlossen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 64/99, BGHZ 143, 344, 349, juris Rn. 19).
142. Danach kann der Kläger hinsichtlich der von ihm auf der Grundlage von § 1 Abs. 12 OEG a.F. i.V.m. § 89 BVG gewährten bzw. noch zu gewährenden Härtefallleistungen den Beklagten nicht aus übergegangenem Recht in Anspruch nehmen. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass er - aufgrund der ergangenen Bescheide (vgl. zum konstitutiven Charakter des Bewilligungsbescheids für den Anspruch auf Gewährung von Härtefallleistungen nach § 89 BVG BVerfG, BVerfGE 60, 16, 39, juris Rn. 71; , juris Rn. 11) - gegenüber den Geschädigten zur Erbringung dieser Leistungen verpflichtet war bzw. ist, wie es gemäß § 5 OEG i.V.m. § 81a BVG für den Anspruchsübergang erforderlich ist (vgl. zum Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur Senatsurteil vom - VI ZR 1177/20, r+s 2023, 35 Rn. 14 mwN). Selbst bei Erfüllung dieser Voraussetzung steht der Inanspruchnahme des Beklagten nämlich entgegen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Härtefallleistungen um Versorgungsbezüge im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG handelt, in deren Umfang der etwaige - ansonsten von der Beklagten nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PflVG zu ersetzende - kongruente Schaden der Opfer der Amokfahrt und deren Hinterbliebenen ausgeglichen wurde.
15a) Ob Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz bzw. dem Bundesversorgungsgesetz, auf das das Opferentschädigungsgesetz hinsichtlich der Rechtsfolgen eines gegebenen Versorgungsanspruchs verweist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 8 Satz 1 OEG; vgl. auch BT-Drucks. 7/2506, S. 11), unter die Subsidiaritätsklausel des § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG fallen, ist umstritten. In der Literatur gibt es Stimmen, die die Auffassung des Berufungsgerichts teilen, in dieser Vorschrift seien mit "Versorgungsbezüge" allein die von öffentlich-rechtlichen Dienstherren im Rahmen eines Beamtenverhältnisses gezahlten Versorgungsbezüge gemeint (vgl. Fehl, VersorgB 1972, 54 f.; Weber, DAR 1987, 333, 354 mwN auch zur Gegenansicht). Nach anderer Auffassung bezieht sich die in § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG angeordnete Subsidiarität auch auf Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungs- bzw. Opferentschädigungsgesetz (vgl. Baumann, Leistungspflicht und Regress des Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen, 1969, S. 50 f.; Frey-Simon in 58. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 2020, 303, 308).
16b) Der Senat schließt sich hinsichtlich der für den Streitfall maßgeblichen Fassung des Opferentschädigungsgesetzes und der auf dessen Grundlage erbrachten Härtefallleistungen der letztgenannten Ansicht an.
17aa) Dem Wortlaut nach umfasst der in § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG verwendete und dort nicht näher definierte Begriff der Versorgungsbezüge sowohl die seitens eines öffentlich-rechtlichen Dienstherren gewährten Bezüge (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 192/76, BGHZ 69, 315, 318, juris Rn. 11) als auch Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz. Das Bundesversorgungsgesetz, das bereits bei Einführung des § 12 PflVG im Jahr 1965 existierte und wie das Opferentschädigungsgesetz Ansprüche auf Versorgung im Sinne des § 5 Satz 1 SGB I regelt (vgl. § 1 OEG, §§ 1, 9 BVG), bezeichnet die zu zahlenden Leistungen als Versorgungsbezüge (z.B. in § 66 Abs. 1 Satz 1 BVG). Durch die Rechtsfolgenverweisung des Opferentschädigungsgesetzes auf das Bundesversorgungsgesetz erhalten auch die Opfer von Gewalttaten Versorgungsbezüge in diesem Sinne. Dementsprechend hat auch der Kläger ausweislich der von ihm vorgelegten Bescheide diesen Begriff für die von ihm erbrachten Leistungen verwendet.
18bb) Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG sprechen ebenfalls dafür, die im Streitfall auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes erbrachten Leistungen unter den Begriff der Versorgungsbezüge zu fassen. Grundgedanke der Subsidiaritätsregelung ist, dass der Entschädigungsfonds die wesentlichsten Lücken schließen soll, die nach Einführung der Pflichtversicherung im Schutz der Verkehrsopfer noch verblieben sind. Seiner Zweckbestimmung entsprechend soll der Entschädigungsfonds, anders als ein Haftpflichtversicherer, dem Geschädigten nur subsidiär leistungspflichtig sein, nämlich dann, "wenn der Geschädigte von den in erster Linie in Betracht kommenden Leistungspflichtigen Ersatz seines Schadens nicht erlangen kann" (BT-Drucks. IV/2252, S. 24). Der Fonds soll also im Falle der in § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG genannten anderweitigen Ersatzmöglichkeiten leistungsfrei sein, weil die dritte Seite dem Schaden näher steht (vgl. Elvers in Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl., § 12 PflVG Rn. 62). Dies ist hinsichtlich der durch die Härtefallleistungen des Klägers ausgeglichenen Nachteile der durch die Amokfahrt Geschädigten der Fall.
19(1) Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes ist die Erkenntnis, dass der Staat ein Monopol für die Verbrechensbekämpfung hat und deswegen für den Schutz seiner Bürger vor Schädigungen durch Gewalttaten im Bereich seines Hoheitsgebietes zuständig ist. Kann der Staat diese Schutzpflicht nicht erfüllen, übernimmt die staatliche Gemeinschaft die Entschädigung des Opfers (vgl. BT-Drucks. 7/2506, S. 7; , juris Rn. 31 mwN). Damit besteht im Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes - ähnlich wie im Falle einer Amtspflichtverletzung - ein besonderes Näheverhältnis zwischen der öffentlichen Hand und dem Geschädigten, das über die Fürsorgepflicht nach dem Bedürftigkeitsprinzip hinausgeht (vgl. BT-Drucks. 7/2506, S. 7). Daher entspricht es grundsätzlich dem oben dargelegten Sinn der Subsidiaritätsregelung des § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG, sie auf nach dem Opferentschädigungsgesetz erbrachte Leistungen zu erstrecken.
20(2) Eine hiervon abweichende Bewertung ergibt sich für die im Streitfall in Rede stehenden Härtefallleistungen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht daraus, dass bis zu der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Neuregelung des § 1 Abs. 8 OEG, der wortgleich an die Stelle der zum Zeitpunkt der Amokfahrt und bis zum geltenden Bestimmung in § 1 Abs. 11 OEG a.F. getreten war, das Opferentschädigungsgesetz keine Anwendung auf Schäden aus einem tätlichen Angriff finden sollte, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verursacht worden sind. Zwar wollte der Gesetzgeber durch diese Regelung in Verbindung mit der Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PflVG sicherstellen, dass der Entschädigungsfonds für diese Schäden leistungspflichtig ist (vgl. BT-Drucks. 7/2506, S. 14). Er ist dabei aber ersichtlich davon ausgegangen, dass daneben - anders als nach der aktuellen Fassung des § 1 Abs. 8 OEG bzw. der das Opferentschädigungs- und das Bundesversorgungsgesetz ab ersetzenden Neuregelung des Sozialen Entschädigungsrechts (vgl. § 18 SGB XIV) - Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz ausgeschlossen sind.
21Aus § 1 Abs. 11 bzw. § 1 Abs. 8 OEG a.F. kann deshalb keine Entscheidung des Gesetzgebers für eine primäre Leistungspflicht des Entschädigungsfonds in Fällen abgeleitet werden, in denen - wie im Streitfall - abweichend von der gesetzlichen Grundregel im Wege einer Ermessensentscheidung der zuständigen Behörden (vgl. § 89 Abs. 1 BVG) Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz gewährt werden, weil der Verweis auf die ausschließliche Haftung des Entschädigungsfonds als besondere Härte für die Geschädigten, also als unbillig, bewertet wird. Insoweit muss also auf den oben beschriebenen Grundgedanken des § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG zurückgegriffen werden. Gerade die im Streitfall zum Ausgleich unbilliger Härten in Ausübung behördlichen Ermessens gewährten Leistungen dienen aber dazu, der besonderen Verantwortung des Staates für die Opfer von Gewalttaten gerecht zu werden, und sind daher Ausdruck des Näheverhältnisses zwischen ihnen und der öffentlichen Hand. Nach der Ratio der Subsidiaritätsklausel ist der Entschädigungsfonds daher nicht für Schäden eintrittspflichtig, die durch diese Leistungen abgedeckt werden.
22(3) Dass der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht hat, den Beklagten durch die den Geschädigten gewährten Leistungen nicht entlasten, sondern nur die Durchführung des Entschädigungsverfahrens beschleunigen und erleichtern wollte, steht der Anwendung der Subsidiaritätsregel nicht entgegen. Die Intention des Klägers bei Erbringung der Leistungen ändert nichts daran, dass in Höhe der Zahlungen der Schaden der Empfänger ausgeglichen wurde, was nach § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG zur Leistungsfreiheit der Beklagten führt. Zu etwaigen Absprachen des Klägers mit dem Beklagten hinsichtlich des Zusammenwirkens bei der Entschädigung der Opfer der Amokfahrt und deren Hinterbliebenen hat das Berufungsgericht weder Feststellungen getroffen, noch macht der Kläger insoweit im Wege der Gegenrüge zu berücksichtigenden Vortrag geltend.
III.
23Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:121223UVIZR297.22.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-63542