Versorgungsausgleichssache: Wegfall des Versorgungsausgleichs bei vermögenden Ehegatten
Leitsatz
Zum Vorliegen eines Härtefalls iSv § 27 VersAusglG bei vermögenden Ehegatten.
Gesetze: § 27 VersAusglG, § 286 ZPO
Instanzenzug: Az: II-5 UF 66/22vorgehend AG Hagen (Westfalen) Az: 60 F 42/20
Gründe
I.
1Auf den am zugestellten Antrag hat das Familiengericht die am geschlossene Ehe des Antragstellers (im Folgenden: Ehemann) und der Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Während der Ehezeit ( bis ; § 3 Abs. 1 VersAusglG) erwarb der Ehemann ein Anrecht in der Ärzteversorgung bei der Beteiligten zu 1 in Höhe einer Grundversorgung von monatlich 3.515,86 € mit einem Ausgleichswert von 1.757,93 € und korrespondierendem Kapitalwert von 317.960,05 € sowie einer freiwilligen Zusatzversorgung mit einem Kapitalwert von 9.857,80 € und einem Ausgleichswert von 4.928,90 €. Die Ehefrau erwarb in der Ärzteversorgung ein Anrecht von 18,9218 Steigerungszahlen, entsprechend einem monatlichen Rentenanspruch von 768,29 €, mit einem Ausgleichswert von 9,4609 Steigerungszahlen und einem korrespondierenden Kapitalwert von 69.480,85 €. Darüber hinaus erwarb sie ein Anrecht in Höhe von mindestens 0,8236 Entgeltpunkten aus einem nicht vollständig geklärten Konto in der gesetzlichen Rentenversicherung, bei dem jedenfalls Kindererziehungszeiten bisher unberücksichtigt sind.
2Das Familiengericht hat von einem Ausgleich der Anrechte nach § 27 VersAusglG abgesehen, weil die Ehefrau gegen ihre Mitwirkungspflichten bei der Klärung ihres Rentenkontos verstoßen habe. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde mit der abgeänderten Begründung zurückgewiesen, dass zwischen den Ehegatten ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht bestehe, welches den Versorgungsausgleich grob unbillig mache. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.
II.
3Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, da das Oberlandesgericht sie zugelassen hat, wenngleich ein konkreter Zulassungsgrund weder in der angefochtenen Entscheidung benannt noch ersichtlich ist. Sie ist auch ansonsten zulässig, jedoch nicht begründet.
41. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig wäre. Zwischen den Ehegatten bestehe ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht. Die Ehefrau verfüge über ein geerbtes, für ihre Altersversorgung ausreichendes Vermögen, dessen Wert sie 2011 mit insgesamt 4 Mio. € angegeben habe. Darüber hinaus habe sie von dem ehelichen Zugewinn, den allein der Ehemann erwirtschaftet habe, bereits in Form einer Ausgleichszahlung in Höhe von 342.500 € zuzüglich eines Miteigentumsanteils an einer Ferienimmobilie profitiert. Auf den Versorgungsausgleich sei sie nicht angewiesen. Ihr stünden eigene Anrechte in der Ärzteversorgung und in der gesetzlichen Rentenversicherung zu, die sich noch um die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten erhöhten. Vor allem könne sie ihren Lebensunterhalt im Alter aus ihren weiteren regelmäßigen Einkünften, unter anderem Mieteinnahmen von monatlich 16.500 €, und ihrem Vermögen bestreiten.
5Demgegenüber verfüge der Ehemann für seinen Altersunterhalt nur über eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert - Stand 2011 - von 60.000 € sowie einen möglicherweise realisierbaren Verkaufspreis für seine Arztpraxis. Ihm sei auch eine versäumte Altersvorsorge nicht vorzuwerfen, da er während des gemeinsamen Zusammenlebens darauf habe vertrauen dürfen, wegen des vorhandenen Immobilienvermögens der Ehefrau hierauf nicht angewiesen zu sein. Nach Aufhebung der Zugewinngemeinschaft habe er etwa sieben Jahre lang monatlich 5.000 € an die Ehefrau zahlen müssen. Er sei daher auf seine ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte voll angewiesen.
62. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
7a) Gemäß § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen.
8aa) Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig erscheint, unterliegt grundsätzlich der tatrichterlichen Beurteilung. Diese ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde nur daraufhin zu überprüfen, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden und das Ermessen in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgeübt worden ist (Senatsbeschluss vom - XII ZB 211/15 - FamRZ 2016, 35 Rn. 19 mwN).
9Dabei erfordert § 27 VersAusglG für einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des Wertausgleichs eine grobe Unbilligkeit, d.h. eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs muss unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen. Die grobe Unbilligkeit muss sich wegen des Ausnahmecharakters von § 27 VersAusglG im Einzelfall aus einer Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten ergeben (Senatsbeschluss vom - XII ZB 211/15 - FamRZ 2016, 35 Rn. 20 mwN).
10Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich erst dann der Fall, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den Versorgungsausgleich klar abzusehen ist, dass zum einen der auf Grundlage einer Vorsorgevermögensbilanz insgesamt ausgleichsberechtigte Ehegatte über so hohes Einkommen bzw. Vermögen verfügen wird, dass seine Altersversorgung voll abgesichert ist, während zum anderen der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts dringend angewiesen ist (Senatsbeschluss vom - XII ZB 428/12 - FamRZ 2015, 1001 Rn. 21 mwN).
11bb) Nach diesen Maßstäben hätte das Oberlandesgericht das Vorliegen eines Härtefalls iSd § 27 VersAusglG nicht annehmen dürfen. Nach den getroffenen Feststellungen ist zwar die Altersvorsorge der Ehefrau bereits aufgrund ihres vorhandenen Vermögens, der daraus zu erzielenden Einkünfte und ihrer selbst erworbenen Anrechte vollständig gesichert und ist sie nicht auf die Übertragung weiterer Anrechte durch den Ehemann als insgesamt ausgleichspflichtigen Ehegatten angewiesen.
12Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts fehlt es nach den getroffenen Feststellungen jedoch an der Voraussetzung, dass der Ehemann auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts in einer Weise dringend angewiesen ist, die es rechtfertigt, von dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, abzuweichen. Er verfügt über ehezeitliche Versorgungsanrechte in der berufsständischen Versorgung, die auch nach der Teilung noch eine bei ihm verbleibende Versorgung oberhalb eines durchschnittlichen Renteneinkommens gewährleisten. Hinzu kommt der Erwerb von ehezeitlichen Anrechten der Ehefrau in der Ärzteversorgung und in der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Versorgungsausgleich. Vermögenswerte sind festgestellt im Umfang einer Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von mindestens 60.000 € zuzüglich eines möglicherweise realisierbaren Verkaufspreises für die derzeit noch betriebene Arztpraxis.
133. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da noch weitere Feststellungen zu treffen sind.
14Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Der Senatsbeschluss vom wird wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers dahin berichtigt, dass unter den Gründen zu II. (Rn. 3 der Entscheidung) der zweite Satz richtig lauten muss:
„Sie ist auch ansonsten zulässig und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.“
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:310124BXIIZB259.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 1347 Nr. 19
NJW 2024 S. 1348 Nr. 19
CAAAJ-63386