Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c – Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen gegen Entgelt – Art. 9 Abs. 1 – Begriffe ‚Steuerpflichtiger‘ und ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ – Gemeinde, die den Ausbau erneuerbarer Energien im Gemeindegebiet für diejenigen ihrer Einwohner organsiert, die Eigentümer einer Liegenschaft sind und den Wunsch geäußert haben, mit Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien ausgestattet zu werden – Eigenbeteiligung der Eigentümer in Höhe von 25 % der förderfähigen Kosten, die eine zwischen der Gemeinde und dem betreffenden Eigentümer vereinbarte Obergrenze nicht überschreiten darf – Erstattung von 75 % der förderfähigen Kosten an die Gemeinde durch einen Zuschuss der zuständigen Woiwodschaft – Art. 13 Abs. 1 – Keine Steuerpflichtigkeit der Gemeinden für Tätigkeiten oder Umsätze, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen
Leitsatz
Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
sind dahin auszulegen, dass
es keine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung von Gegenständen und Dienstleistung darstellt, wenn eine Gemeinde über ein Unternehmen zugunsten derjenigen ihrer Einwohner, die Eigentümer sind und den Wunsch geäußert haben, damit ausgestattet zu werden, Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien liefert und installiert, sofern eine solche Tätigkeit nicht auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen gerichtet ist und seitens der Einwohner nur zu einer Zahlung führt, die höchstens ein Viertel der entstandenen Kosten deckt, wobei der Restbetrag aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.
Gesetze: Art 2 Abs 1 EGRL 112/2006, Art 9 Abs 1 EGRL 112/2006, Art 13 Abs 1 EGRL 112/2006, Art 73 EGRL 112/2006
Instanzenzug:
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 und Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gmina O. (Gemeinde O.) in Polen und dem Dyrektor Krajowej Informacji Skarbowej (Direktor der nationalen Steuerinformationsbehörde, Polen) wegen eines an diese Gemeinde gerichteten Steuervorbescheids über die Mehrwertsteuerpflichtigkeit der Gemeinde in Bezug auf Umsätze, die darin bestehen, dass die Gemeinde mit einigen ihrer Einwohner einen Vertrag über die Installation von Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien (im Folgenden: EE‑Anlagen) auf deren Liegenschaften gegen eine finanzielle Gegenleistung dieser Einwohner schließt.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;
…“
4 Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
5 In Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 heißt es:
„Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Falls sie solche Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
Die Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten in Bezug auf die in Anhang I genannten Tätigkeiten in jedem Fall als Steuerpflichtige, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.“
6 Art. 73 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“
Polnisches Recht
7 Die Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom (Dz. U. 2004, Nr. 54, Position 535) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung dient der Umsetzung der Richtlinie 2006/112 in polnisches Recht.
8 Art. 29a Abs. 1 dieses Gesetzes, der die Bemessungsgrundlage betrifft, bestimmt:
„Als Bemessungsgrundlage gilt, vorbehaltlich der Abs. 2, 3 und 5, der Art. 30a bis 30c, von Art. 32, Art. 119 und Art. 120 Abs. 4 und 5, alles, was die Zahlung darstellt, die der Lieferant bzw. Dienstleistungserbringer aufgrund des Verkaufs vom Erwerber, Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhalten hat bzw. erhalten soll, einschließlich der erhaltenen Zuschüsse, Subventionen und sonstigen Zuzahlungen ähnlicher Art, die einen unmittelbaren Einfluss auf den Preis der durch den Steuerpflichtigen gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen haben.“
9 Art. 400a Abs. 1 der Ustawa Prawo ochrony środowiska (Umweltschutzgesetz) vom (Dz. U. 2001, Nr. 62, Position 627) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung sieht vor:
„Die Finanzierung des Umweltschutzes und der Wasserwirtschaft umfasst:
…
21) Maßnahmen zum Schutz der Luft;
22) Förderung der Nutzung lokaler erneuerbarer Energiequellen und der Einführung umweltfreundlicherer Energieträger;
…“
10 In Art. 403 Abs. 2 des Umweltschutzgesetzes heißt es:
„Zu den eigenen Aufgaben der Gemeinden gehört die Finanzierung des Umweltschutzes in dem in Art. 400a Abs. 1 Nrn. 2, 5, 8, 9, 15, 16, 21 bis 25, 29, 31, 32 und 38 bis 42 genannten Umfang, und zwar mindestens in Höhe der Einnahmen aus den in Art. 402 Abs. 4, 5 und 6 genannten Gebühren und Bußgeldern, die zu den Einnahmen der Gemeindehaushalte gehören, abzüglich des Überschusses aus diesen Einnahmen, der an die Haushalte der Woiwodschaften abgeführt wird.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11 Die Gemeinde O., die in Polen über eine Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer verfügt, schloss mit einer Stadtgemeinde und zwei weiteren Gemeinden, die ebenfalls in Polen liegen, einen Partnerschaftsvertrag über die Durchführung eines Projekts zur Errichtung von EE‑Anlagen im Gebiet dieser vier Gebietskörperschaften (im Folgenden: Projekt).
12 Das Projekt ist Teil des regionalen operationellen Programms der betreffenden Woiwodschaft für den Zeitraum 2014–2020 und soll den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft ermöglichen. Die Stadtgemeinde, die in dem Projekt als federführend auftrat, schloss im Namen der vier betreffenden Gebietskörperschaften mit der Woiwodschaft eine Vereinbarung über die Finanzierung des Projekts. Nach dieser Vereinbarung erhält die Projektführerin die Subventionen der Woiwodschaft, die nur einen Teil der förderfähigen Kosten decken, woraufhin sie ihren Partnern den ihnen zustehenden Anteil weitergibt. Die Gemeinde O. erhält eine Finanzierung in Höhe von 75 % der gesamten förderfähigen Kosten.
13 Jede vertragschließende Körperschaft rechnet mit dem nach einer Ausschreibung ausgewählten Unternehmen getrennt ab. Dieses Unternehmen stellt demnach den einzelnen Gemeinden Rechnungen über ihren jeweiligen Auftrag aus.
14 Für den Teil, der zu ihren Lasten geht, steht es jeder vertragschließenden Körperschaft frei, über die Modalitäten seiner Finanzierung zu entscheiden. Die Gemeinde O. beschloss, von den Liegenschaftseigentümern, die auf ihren Antrag hin EE‑Anlagen erhalten, eine Eigenbeteiligung in Höhe von 25 % der förderfähigen Kosten zu erheben, wobei jedoch die vertraglich vereinbarte Obergrenze nicht überschritten werden darf. Im Übrigen ist in dem von der Gemeinde O. mit den betreffenden Eigentümern geschlossenen Mustervertrag vorgesehen, dass alle installierten EE‑Anlagen während der Laufzeit des Projekts im Eigentum der Gemeinde bleiben, d. h. während eines Zeitraums von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt des Erhalts der letzten Zahlung, die die Gemeinde als Erstattung in Form des ihr zustehenden Anteils der von der Woiwodschaft gezahlten Subventionen erhält. Nach Ablauf dieses Zeitraums geht das Eigentum an den EE‑Anlagen auf den Eigentümer der betreffenden Liegenschaft über.
15 In diesem Zusammenhang beantragte die Gemeinde O. beim Direktor der nationalen Steuerinformationsbehörde einen Steuervorbescheid, um in Erfahrung zu bringen, ob die von den Eigentümern gezahlte Eigenbeteiligung und die von der Woiwodschaft erhaltene Subvention von der Mehrwertsteuer zu befreien seien.
16 In seinem Steuervorbescheid vom vertrat der Direktor der nationalen Steuerinformationsbehörde die Auffassung, dass die Gemeinde O. im Rahmen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze als „Mehrwertsteuerpflichtige“ anzusehen sei.
17 Die Gemeinde O. focht diesen Steuervorbescheid beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau, Polen) an. Mit Urteil vom wies dieses Gericht die Klage mit der Begründung ab, dass die Gemeinde im Rahmen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe und dass diese von der Gemeinde O. nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt werde.
18 Die Gemeinde O. legte gegen dieses Urteil beim Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein.
19 Dieses Gericht fragt sich erstens, welche Konsequenzen aus dem Umstand, dass die Gemeinde O. Partei des mit dem Unternehmen, das den Zuschlag erhalten hat, geschlossenen Vertrags ist und die diesem Unternehmen geschuldeten Beträge zahlt, von dem sie eine auf ihren Namen ausgestellte Rechnung erhält, für die etwaige Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch diese Gemeinde zu ziehen sind. Zweitens fragt es sich für den Fall, dass die Gemeinde tatsächlich eine solche Tätigkeit ausübt, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Regelung getätigt werden. Drittens fragt es sich, wie die Bemessungsgrundlage für diese Umsätze zu bestimmen ist, wenn es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt, die nicht im Rahmen einer solchen Regelung ausgeübt wird.
20 Unter diesen Umständen hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112, insbesondere Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 dieser Richtlinie, dahin auszulegen, dass eine Gemeinde (ein Organ der öffentlichen Gewalt) mehrwertsteuerpflichtig ist, wenn sie ein Projekt umsetzt, das darauf abzielt, den Anteil erneuerbarer Energiequellen zu erhöhen, indem sie sich mittels eines mit Liegenschaftseigentümern geschlossenen privatrechtlichen Vertrags verpflichtet, Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien auf deren Liegenschaften zu errichten und nach einer gewissen Zeit das Eigentum an diesen Anlagen auf die Liegenschaftseigentümer zu übertragen?
Für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird: Sind die von einer Gemeinde (einem Organ der öffentlichen Gewalt) für die Umsetzung von Projekten zur Nutzung von erneuerbaren Energiequellen aus europäischen Mitteln erhaltenen Subventionen in die Steuerbemessungsgrundlage im Sinne von Art. 73 dieser Richtlinie einzubeziehen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass es eine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung von Gegenständen und Dienstleistung darstellt, wenn eine Gemeinde über ein Unternehmen zugunsten derjenigen ihrer Einwohner, die Eigentümer sind und den Wunsch geäußert haben, damit ausgestattet zu werden, EE‑Anlagen liefert und installiert, sofern eine solche Tätigkeit nicht auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen gerichtet ist und seitens dieser Einwohner nur zu einer Zahlung führt, die höchstens ein Viertel der entstandenen Kosten deckt, wobei der Restbetrag aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.
22 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es Sache des für die Würdigung des Sachverhalts allein zuständigen vorlegenden Gerichts ist, die Art der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze zu bestimmen (Urteil vom , Termas Sulfurosas de Alcafache, C‑513/20, EU:C:2022:18, Rn. 36).
23 Allerdings hat der Gerichtshof diesem Gericht nichtsdestoweniger alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können (Urteil vom , Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Um insoweit unter die Richtlinie 2006/112 zu fallen, müssen die Tätigkeiten, die eine Gemeinde im Rahmen der Förderung erneuerbarer Energien ausübt, erstens eine gegen Entgelt vorgenommene Lieferung oder Dienstleistung dieser Gemeinde an ihre Einwohner im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c dieser Richtlinie darstellen und zweitens im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie ausgeübt worden sein, so dass die Gemeinde auch als Steuerpflichtige gehandelt hat.
Zum Vorliegen einer Lieferung von Gegenständen und einer Dienstleistung gegen Entgelt
25 Nach ständiger Rechtsprechung werden solche Umsätze nur dann „gegen Entgelt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 bewirkt, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und einer vom Steuerpflichtigen tatsächlich empfangenen Gegenleistung besteht. Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang liegt vor, wenn zwischen dem Leistenden, d. h. dem Lieferer der Gegenstände oder dem Erbringer der Dienstleistungen, und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die Lieferung oder die Dienstleistung an den Leistungsempfänger bildet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 36).
26 Insoweit ist es zum einen, damit diese Umsätze als „gegen Entgelt“ im Sinne der Richtlinie 2006/112 bewirkt angesehen werden können, nicht erforderlich – wie sich auch aus Art. 73 dieser Richtlinie ergibt –, dass die Gegenleistung für die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistung unmittelbar von ihrem Empfänger erbracht wird, vielmehr kann diese Gegenleistung auch von einem Dritten erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Zum anderen ist der Umstand, dass die betreffenden Umsätze zu einem Preis über oder unter dem Selbstkostenpreis und somit zu einem Preis über oder unter dem normalen Marktpreis bewirkt werden, unerheblich, wenn es um die Qualifizierung als entgeltliche Leistung geht, da er den unmittelbaren Zusammenhang zwischen den bewirkten oder zu bewirkenden Umsätzen und der empfangenen oder zu empfangenden Gegenleistung, deren Betrag im Voraus und nach genau festgelegten Kriterien bestimmt wird, nicht beeinträchtigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Im vorliegenden Fall geht aus den Ausführungen des vorlegenden Gerichts hervor, dass die Gemeinde O. das Unternehmen, das den Zuschlag erhalten hat, damit beauftragt, EE‑Anlagen zu liefern und auf den Liegenschaften der Eigentümer, die ihr Interesse an der Teilnahme an dieser Initiative bekundet haben, zu installieren. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Übertragung des Eigentums an solchen Anlagen eine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2006/112 darstellt und dass ihre Zurverfügungstellung zur Nutzung einer Dienstleistung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie entspricht.
29 Es steht außer Zweifel, dass das Bestehen eines Vertrags zwischen der Gemeinde O. und diesem Unternehmen über die Installation der EE‑Anlagen und die Übertragung des Eigentums daran auf die Gemeinde während der Laufzeit des Projekts die Annahme zulässt, dass dieses Unternehmen für die Gemeinde einen Umsatz gegen Entgelt bewirkt, zumal die Gemeinde hierüber im Übrigen von dem Unternehmen eine individuelle Rechnung erhält, die allein sie begleicht. Dieser Umsatz umfasst nach den in der vorstehenden Randnummer dargelegten Erwägungen zum Teil eine Lieferung von Gegenständen an die Gemeinde O., nämlich der EE‑Anlagen, deren Eigentümerin sie wird, und zum Teil eine Dienstleistung, die in der Installation der EE‑Anlagen auf den Liegenschaften der betreffenden Einwohner besteht. Der dieser Gemeinde als Gegenleistung für die Zahlung gewährte Vorteil besteht nicht nur in dem Eigentum an den EE‑Anlagen, sondern auch in der Verbesserung der Lebensqualität ihrer Einwohner insgesamt aufgrund einer umweltfreundlicheren Art der Energieerzeugung.
30 Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Eigentümer der Liegenschaften, auf denen die EE‑Anlagen installiert wurden oder werden sollen, die Endbegünstigten dieser Lieferung von Gegenständen und dieser Dienstleistung sind, die in diesem Fall von der Gemeinde O. über das nach Abschluss der Ausschreibung ausgewählte Unternehmen bewirkt worden wären, was von dem vorlegenden Gericht festzustellen sein wird.
31 Zum einen steht nämlich fest, dass diese Einwohner aufgrund des zwischen jedem von ihnen und der Gemeinde geschlossenen Vertrags am Ende des Projekts Eigentümer der EE‑Anlagen werden und dass sie von ihnen ab ihrer Installation profitieren, und zum anderen, dass sie, wie in Rn. 14 des vorliegenden Urteils dargelegt, grundsätzlich in Höhe von 25 % der förderfähigen Kosten – ohne dass dieser Prozentsatz jedoch einen in dem Vertrag vereinbarten Betrag übersteigen könnte – zur Finanzierung der Lieferung der EE‑Anlagen und ihrer Installation beitragen. Ein Hindernis bilden insoweit in Anbetracht der in den Rn. 25 bis 27 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung weder der Umstand, dass ein Dritter, nämlich die betreffende Woiwodschaft, 75 % der förderfähigen Kosten über eine an die Gemeinde O. gezahlte Subvention übernimmt, noch die Tatsache, dass die gesamten Beträge, die diesen Prozentsätzen von 25 % und 75 % entsprechen, niedriger sind als die Marktkosten, d. h. der Betrag, den die Gemeinde tatsächlich an das Unternehmen, das den Zuschlag erhalten hat, gezahlt hat, da sich sowohl der Beitrag der Einwohner als auch die Subvention der Woiwodschaft nur auf die förderfähigen Kosten und nicht auf die tatsächlichen Gesamtkosten beziehen.
32 Sollte das vorlegende Gericht in Anbetracht dieser Erwägungen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Gemeinde O. für ihre Einwohner eine Lieferung von Gegenständen und eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 erbringt, müsste es ermitteln, ob diese Umsätze im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit bewirkt werden, wobei eine Tätigkeit nach der Rechtsprechung nur dann als „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie eingestuft werden kann, wenn mit ihr einer der in ihrem Art. 2 Abs. 1 genannten Steuertatbestände erfüllt wird (Urteil vom , Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zur Bewirkung einer Lieferung von Gegenständen und einer Dienstleistung im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit
33 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Prüfung des Wortlauts von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 deutlich den Umfang des Anwendungsbereichs des Begriffs der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ und zugleich auch seinen objektiven Charakter zeigt, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird (Urteil vom , Gmina Wrocław [Umwandlung des Nießbrauchsrechts], C‑604/19, EU:C:2021:132, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).
34 Eine Tätigkeit wird somit im Allgemeinen als „wirtschaftliche“ Tätigkeit angesehen, wenn sie nachhaltig ist und gegen ein Entgelt ausgeübt wird, das derjenige erhält, der die Leistung erbringt (Urteil vom , Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
35 Angesichts der Schwierigkeit einer genauen Definition der wirtschaftlichen Tätigkeit sind alle Umstände zu prüfen, unter denen die Tätigkeit erfolgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Gemeente Borsele und Staatssecretaris van Financiën, C‑520/14, EU:C:2016:334, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung), indem eine Beurteilung von Fall zu Fall vorgenommen wird, bei der darauf abgestellt wird, worin die typische Tätigkeit eines in dem betreffenden Bereich tätigen Unternehmers, hier also eines Installateurs von EE‑Anlagen, bestehen würde.
36 Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass ein Unternehmer mit seiner Tätigkeit nachhaltig Einnahmen zu erzielen sucht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , AJFP Sibiu und DGRFP Braşov, C‑655/19, EU:C:2021:40, Rn. 27 bis 29 und die dort angeführte Rechtsprechung), wohingegen die Gemeinde O. nach den Ausführungen in der Vorlageentscheidung in ihrem Antrag auf Erteilung eines Steuervorbescheids angegeben hat, dass sie nicht beabsichtige, Dienstleistungen der Installation von EE‑Anlagen regelmäßig zu erbringen oder Arbeitnehmer zu diesem Zweck zu beschäftigen, was sie auch nicht in Erwägung ziehe, was die vorliegende Rechtssache von denjenigen unterscheidet, in denen die kommunalen Leistungen dauerhaft waren.
37 Zweitens ergibt sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, dass sich die Gemeinde O. offenbar darauf beschränkt, denjenigen ihrer Einwohner, die Eigentümer von Liegenschaften sind und an EE‑Anlagen interessiert sein könnten, im Rahmen eines regionalen Programms, das den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft ermöglichen soll, die EE‑Anlagen über ein nach einer Ausschreibung ausgewähltes Unternehmen gegen einen Beitrag, der 25 % der mit der Lieferung und der Installation verbundenen förderfähigen Kosten nicht übersteigt, zu liefern und bei ihnen zu installieren, während die Gemeinde das fragliche Unternehmen für diese Lieferung und Installierung zum Marktpreis vergütet.
38 Der Gerichtshof hat indessen bereits entschieden, dass dann, wenn eine Gemeinde über die Beiträge, die sie erhält, nur einen kleinen Teil der ihr entstehenden Kosten deckt, während der verbleibende Teil mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, ein solcher Unterschied zwischen den Kosten und den als Gegenleistung für die angebotenen Dienstleistungen erhaltenen Beträgen darauf hindeutet, dass die betreffenden Beiträge eher einer Gebühr als einem Entgelt gleichzusetzen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Gemeente Borsele und Staatssecretaris van Financiën, C‑520/14, EU:C:2016:334, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). Selbst unter Berücksichtigung der Zahlungen, die die betreffende Woiwodschaft an die Gemeinde O. leistet und die 75 % der förderfähigen Kosten betreffen, bleibt die Summe der zum einen von den Eigentümern und zum anderen von der Woiwodschaft erhaltenen Beträge, wie in Rn. 31 des vorliegenden Urteils ausgeführt, strukturell niedriger als die dieser Gemeinde tatsächlich entstandenen Gesamtkosten, was nicht dem Vorgehen entspricht, das ein Installateur von EE‑Anlagen gegebenenfalls an den Tag gelegt hätte, der sich durch die Festsetzung seiner Preise bemüht hätte, seine Kosten zu decken und eine Gewinnspanne zu erzielen. Die Gemeinde dagegen trägt nur das Risiko von Verlusten, ohne eine Aussicht auf Gewinn zu haben.
39 Drittens erscheint es für einen solchen Installateur von EE‑Anlagen wirtschaftlich nicht tragbar, den Empfängern seiner Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen höchstens ein Viertel der ihm entstandenen Kosten aufzuerlegen, während er auf einen Ausgleich des wesentlichen Teils der restlichen drei Viertel dieser Kosten durch eine Subvention wartet. Ein solcher Mechanismus würde nicht nur seine Liquidität in eine strukturell defizitäre Lage versetzen, sondern ihm darüber hinaus eine für einen Steuerpflichtigen ungewöhnliche Unsicherheit aufbürden, da die Frage, ob und in welchem Umfang ein Dritter einen so großen Teil der entstandenen Kosten erstatten wird, tatsächlich bis zur Entscheidung dieses Dritten nach den fraglichen Umsätzen offenbleibt.
40 Folglich ist vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht nicht ersichtlich, dass die Gemeinde O. im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112 ausübt.
Zur fehlenden Steuerpflicht aufgrund der Bewirkung von Umsätzen, die einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen
41 Da die Gemeinde O. angesichts der vorstehenden Erwägungen keine Tätigkeit ausübt, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/112 fällt, braucht nicht geklärt zu werden, ob diese Tätigkeit auch nach Art. 13 Abs. 1 dieser Richtlinie von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen gewesen wäre.
42 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass es keine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung von Gegenständen und Dienstleistung darstellt, wenn eine Gemeinde über ein Unternehmen zugunsten derjenigen ihrer Einwohner, die Eigentümer sind und den Wunsch geäußert haben, damit ausgestattet zu werden, EE‑Anlagen liefert und installiert, sofern eine solche Tätigkeit nicht auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen gerichtet ist und seitens der Einwohner nur zu einer Zahlung führt, die höchstens ein Viertel der entstandenen Kosten deckt, wobei der Restbetrag aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.
Zur zweiten Frage
43 Angesichts der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Kosten
44 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
sind dahin auszulegen, dass
es keine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung von Gegenständen und Dienstleistung darstellt, wenn eine Gemeinde über ein Unternehmen zugunsten derjenigen ihrer Einwohner, die Eigentümer sind und den Wunsch geäußert haben, damit ausgestattet zu werden, Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien liefert und installiert, sofern eine solche Tätigkeit nicht auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen gerichtet ist und seitens der Einwohner nur zu einer Zahlung führt, die höchstens ein Viertel der entstandenen Kosten deckt, wobei der Restbetrag aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2023:279
Fundstelle(n):
EAAAJ-63141