BGH Beschluss v. - IV ZB 34/23

Instanzenzug: Hanseatisches Az: 9 U 22/23vorgehend Az: 332 O 355/11

Gründe

1I. Der Kläger macht gegen den beklagten Versicherer Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend.

2Der Kläger war zuletzt ab dem Jahre 1992 als selbständiger Berufskraftfahrer im Fernverkehr tätig. Im April 2001 erlitt er eine Beinvenenthrombose und gab daraufhin seinen Beruf auf. Einen ersten Antrag auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab April 2001 lehnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten ab. Eine daraufhin vom Kläger erhobene erste Klage, gerichtet unter anderem auf die Zahlung rückständiger Rentenleistungen sowie auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Rente und Gewährung von Beitragsfreiheit, wurde rechtskräftig mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei zwar aufgrund eines postthrombotischen Syndroms nicht mehr in der Lage, seinen Beruf als LKW-Fahrer weiter auszuüben, er könne jedoch bedingungsgemäß auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden, so dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht vorliege.

3Am stellte der Kläger bei der Beklagten einen weiteren Leistungsantrag, gestützt auf eine Verschlechterung der medizinischen Befundlage bei Eintritt einer Rezidivthrombose, den die Beklagte nach erneuter Leistungsprüfung ablehnte.

4Mit seiner daraufhin erhobenen Klage hat der Kläger erstinstanzlich zuletzt Zahlung rückständiger Rentenleistungen in Höhe von 306.744,07 € nebst Zinsen sowie die Feststellung der Gewährung von Beitragsfreiheit begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger könne die Zahlung der - infolge einer nach wirksamer Kündigung des Versicherungsverhältnisses durch die Beklagte zwischenzeitlich erfolgten Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung - allenfalls in Betracht kommenden Rentenleistungen in Höhe von monatlich 694 € nicht verlangen, da nicht feststehe, dass bei ihm seit dem Jahr 2011 Berufsunfähigkeit bestanden habe. Anzuknüpfen sei nicht an das Erkrankungsbild Thrombose, denn der Berücksichtigung dieses Krankheitsbildes stehe entgegen, dass der Kläger mit seinem Anspruch auf Leistungen auf der Grundlage des Versicherungsfalls "Thrombose" bereits rechtskräftig abgewiesen worden sei. Ein neuer Versicherungsfall würde nur vorliegen, wenn es sich bei der im Jahr 2011 aufgetretenen Thrombose um eine neue Erkrankung oder eine nicht vorhersehbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers gehandelt hätte. Hieran fehle es. Im Übrigen stehe auch unter Zugrundelegung der Annahme, dass es sich bei der im Jahr 2011 aufgetretenen Thrombose um eine neue Erkrankung im Sinne eines neuen Versicherungsfalls gehandelt habe, nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit fest, dass diese zu einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit des Klägers geführt habe.

5Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers, mit der er noch Zahlung von 70.094 € nebst Zinsen begehrt hat, hat das Oberlandesgericht durch den angegriffenen Beschluss nach vorausgegangenem Hinweis als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

6II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

71. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. , juris Rn. 12 m.w.N.).

82. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hätte das Rechtsmittel nicht wegen einer Nichterfüllung der Mindestanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO durch die Berufungsbegründung des Klägers als unzulässig verwerfen dürfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).

9a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Berufung des Klägers sei mangels Auseinandersetzung mit allen selbständig tragenden Gründen des klagabweisenden Urteils nicht in der gesetzlich beschriebenen Form begründet worden. Das Landgericht habe die Klagabweisung - neben der Annahme einer entgegenstehenden Rechtskraft - ausdrücklich auch darauf gestützt, dass es auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme bereits nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen könne, die zur Begründung der Berufsunfähigkeit vorgetragenen körperlichen Beeinträchtigungen lägen überhaupt vor. Auf die Frage, ob diese - nach Bewertung des Landgerichts gerade nicht feststellbaren - körperlichen Beeinträchtigungen auf die im Jahr 2001 oder die im Jahr 2011 erlittene Thrombose ursächlich zurückzuführen seien, sei das Landgericht demgegenüber nicht eingegangen, erst recht habe es die Klagabweisung insoweit nicht darauf gestützt, dass bestimmte körperliche Beeinträchtigungen bei der Beurteilung des Vorliegens einer bestimmungsgemäßen Berufsunfähigkeit infolge entgegenstehender Rechtskraft von vornherein außer Betracht zu bleiben hätten. Das vom Kläger gerügte Defizit einer fehlenden Berücksichtigung aller Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Bewertung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit greife damit die insoweit tragenden Erwägungen des Landgerichts hinsichtlich einer Nichtfeststellbarkeit dieser behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht an.

10b) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

11aa) Nach § 520 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Zur Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZB 17/23, juris Rn. 9 m.w.N.; , WM 2003, 1581 [juris Rn. 17], insoweit in BGHZ 155, 199 nicht abgedruckt).

12Diese Anforderungen sind gewahrt, wenn die Berufungsbegründung erkennen lässt, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, und zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit die Umstände mitteilt, die das Urteil aus seiner Sicht in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen an diesbezügliche Darlegungen des Berufungsklägers bestehen zwar nicht. Für die Zulässigkeit der Berufung ist es auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (vgl. Senatsbeschluss vom aaO; VIa ZB 8/23, juris Rn. 9 m.w.N.). Dabei ist stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom aaO m.w.N.; VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 7). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschlüsse vom - VIa ZB 8/23, juris Rn. 9; vom - VI ZB 68/19, NJW-RR 2020, 1187 Rn. 10; jeweils m.w.N.; st. Rspr.).

13bb) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers noch gerecht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts greift sein Berufungsangriff die tragenden Erwägungen der erstinstanzlichen Entscheidung auch insoweit hinreichend an, als das Landgericht eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers auch unter Zugrundelegung der Annahme verneint hat, es handele sich bei der im Jahr 2011 aufgetretenen Thrombose um eine neue Erkrankung im Sinne eines neuen Versicherungsfalls.

14(1) Der Kläger hat in der Berufungsbegründung die vom Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtskraftwirkung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung als rechtsfehlerhaft bezeichnet und die Auffassung vertreten, das Landgericht habe die Frage nicht gewürdigt, ob die Rezidivthrombose des Jahres 2011 im Zusammenwirken mit den weiteren vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen - dem Zustand nach der Erstthrombose 2001 bei bestehendem posttraumatischen Syndrom - zu bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit geführt habe; das 2011 bestehende Erkrankungsbild habe das Landgericht umfassend und unter Einbeziehung aller Erkrankungsmerkmale und Symptomatiken würdigen müssen, die auch bereits vor dem Versicherungsfall und Leistungsantrag des Jahres 2011 angelegt gewesen seien und bestanden hätten.

15(2) Durch diese Ausführungen ist der Kläger zugleich der weiteren Annahme des Landgerichts entgegengetreten, auch bei Bewertung der im Jahr 2011 aufgetretenen Rezidivthrombose als neuer Versicherungsfall stehe nicht fest, dass "diese" zu einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit des Klägers geführt habe. Soweit das Berufungsgericht demgegenüber seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, das Landgericht habe das Vorliegen der vom Kläger behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen unabhängig vom Zeitpunkt ihres Eintritts nicht feststellen können, hat es - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - aus dem Blick verloren, dass sich die Beweiserhebung ausdrücklich nur auf die Auswirkungen der Rezidivthrombose erstreckte und sich das Landgericht bei seiner Bewertung des Beweisergebnisses auch nur auf die Einschätzung des Sachverständigen bezogen hat, eine durch die Rezidivthrombose und ihre Folgen bedingte Berufsunfähigkeit bestehe in bedingungsgemäßem Umfang weder im ursprünglichen Beruf noch in einem der von der Beklagten aufgezeigten Verweisungsberufe.

16cc) Ob das Vorbringen der Berufungsbegründung geeignet ist, die Rügen inhaltlich zu rechtfertigen und die Argumentation des Landgerichts zu entkräften, ist eine Frage der Begründetheit der Berufung, über die mit der Feststellung, die Berufungsbegründung erfülle die Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, nicht vorentschieden ist (vgl. VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 15 m.w.N.).

17III. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über das Rechtsmittel an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070224BIVZB34.23.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-61883