BGH Urteil v. - X ZR 8/22

Patentrecht: Beurteilung der Neuheit eines Patents; Offenbarung des Gegenstands in der Entgegenhaltung - Aufbaupfosten

Leitsatz

Aufbaupfosten

Anders als für die Frage, ob der Gegenstand eines Patents über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht, ist für die Beurteilung der Neuheitsfrage nicht erheblich, ob ein bestimmter Gegenstand als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Ausreichend ist vielmehr, dass der Gegenstand in der Entgegenhaltung unmittelbar und eindeutig offenbart ist.

Gesetze: Art 54 Abs 2 EuPatÜbk, § 3 Abs 1 PatG

Instanzenzug: Az: 6 Ni 7/20 (EP) Urteil

Tatbestand

1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 106 766 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom angemeldet wurde und einen Aufbaupfosten für ein Dentalimplantat betrifft.

2Patentanspruch 1, auf den fünf weitere Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

Kombination aus einen Aufbaupfosten (10) und einem Dentalimplantat, wobei der Aufbaupfosten (10) folgendes umfasst:

ein mit profilierten Abschnitten versehenes apikales Basisteil (2) mit einer durchgehenden Bohrung (12),

ein an das apikale Basisteil (2) koronal anschließendes rotationssymmetrisches Übergangsteil (14), und

einen an das Übergangsteil (14) koronal anschließenden okklusalen Abschnitt (15), in den das Übergangsteil (14) übergeht,

dadurch gekennzeichnet, dass das apikale Basisteil (2) im Wesentlichen zylindrisch oder kegelstumpfförmig ausgebildet ist, und dass die profilierten Abschnitte als planare Flächen (11) in der Mantelfläche (4) des apikalen Basisteils (2) ausgebildet sind, wobei jede ebene Fläche (11) des profilierten Abschnitts in einer Ebene liegt, die von den zwei Generatrixen des apikalen Basisteils (2) bestimmt wird, die die ebene Fläche (11) in axialer Richtung des Aufbaupfostens (10) begrenzen, und dass

das apikale Basisteil (2) des Aufbaupfostens (10) zur Aufnahme in das Dentalimplantat ausgebildet ist.

3Die Klägerin hat das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1, 2 und 4 sowie im Umfang der Patentansprüche 5 und 6, soweit sich diese ausschließlich auf die Patentansprüche 1, 2 und 4 beziehen, angegriffen. Sie hat geltend gemacht, die Erfindung sei nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und der angegriffene Gegenstand sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit insgesamt 56 Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.

4Das Patentgericht hat das Patent im angegriffenen Umfang für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das Patent in der erteilten Fassung und mit ihren erstinstanzlichen Hilfsanträgen 1 bis 35 verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

5Die zulässige Berufung ist unbegründet.

6I. Das Streitpatent betrifft einen Aufbaupfosten für ein Dentalimplantat.

71. Nach der Beschreibung des Streitpatents war aus der europäischen Patentanmeldung 1 894 541 (BM8) ein Aufbaupfosten bekannt, der mit vier Nuten versehen ist, die zur rotationsgesicherten Aufnahme in ein Implantat ausgebildet sind (Abs. 2).

8Ein Ausführungsbeispiel für einen solchen Aufbaupfosten stellt die Streitpatentschrift schematisch in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dar.

9An der mit dem Bezugszeichen 3 bezeichneten Stelle, welche die am tiefsten gelegene Position der Nut betreffe, sei es schwer, mit gängigen maschinellen Verarbeitungsverfahren wie zum Beispiel Fräsen die für Dentalimplantate erforderliche Präzision zu erzielen (Abs. 8). Die mit dem Bezugszeichen 5 bezeichnete Stelle, welche die am höchsten gelegene Position betreffe, sei insbesondere im Hinblick auf die Brüchigkeit empfindlich (Abs. 9).

102. Dem Streitpatent liegt das technische Problem zugrunde, einen Aufbaupfosten bereitzustellen, der zur rotationsgesicherten Aufnahme in ein Implantat geeignet ist und eine hohe Präzision sowie eine geringe Brüchigkeit aufweist.

113. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 eine Kombination zweier Vorrichtungen mit folgenden Merkmalen vor:

1. Kombination aus

1.1 einem Aufbaupfosten (10) und

1.2 einem Dentalimplantat

2. Der Aufbaupfosten (10) umfasst

2.1 ein Basisteil (2),

2.2 ein Übergangsteil (14) und

2.3 einen okklusalen Abschnitt (15).

3. Das Basisteil (2) ist

3.1 apikal angeordnet,

3.2 mit profilierten Abschnitten versehen,

3.2.1 die als planare Flächen (11) in der Mantelfläche (4) des apikalen Basisteils (2) ausgebildet sind und

3.2.2 deren ebene Fläche (11) jeweils in einer Ebene liegt, die von den zwei Generatrixen des apikalen Basisteils (2) bestimmt wird, die die ebene Fläche (11) in axialer Richtung des Aufbaupfostens (10) begrenzen,

3.3 mit einer durchgehenden Bohrung (12) versehen,

3.4 im Wesentlichen zylindrisch oder kegelstumpfförmig und

3.5 zur Aufnahme in das Dentalimplantat ausgebildet.

4. Das Übergangsteil (14)

4.1 schließt an das apikale Basisteil (2) koronal an,

4.2 ist rotationssymmetrisch und

4.3 geht in den okklusalen Abschnitt über.

5. Der okklusale Abschnitt (15)

5.1 schließt an das Übergangsteil (14) koronal an.

12Ein Ausführungsbeispiel ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 3a bis 3c dargestellt.

134. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung:

14a) Ein Dentalimplantat im Sinne von Merkmal 1.2 ist nach dem allgemeinen, auch dem Streitpatent zugrundeliegenden Sprachgebrauch ein Bauteil, das dauerhaft in einen Kiefer implantiert und als Ankerpunkt für künstlichen Zahnersatz eingesetzt werden kann.

15Das Streitpatent befasst sich nicht näher mit der Ausgestaltung des Implantats und zeigt auch kein Ausführungsbeispiel dafür.

16Aus dem Umstand, dass das Basisteil des im Streitpatent im Mittelpunkt stehenden Aufnahmepfostens gemäß Merkmal 3.5 zur Aufnahme in das Implantat ausgebildet sein muss, ergibt sich, dass das Implantat seinerseits zur Aufnahme eines patentgemäß ausgestalteten Basisteils geeignet sein muss.

17b) Ein Aufbaupfosten (abutment) dient nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als Verbindungsglied zwischen dem Implantat und einer künstlichen Zahnkrone.

18Das Streitpatent enthält auch insoweit keine abweichende Definition. Es legt auch nicht näher fest, in welcher Weise der Aufbaupfosten mit einer gegebenenfalls darauf angebrachten Zahnkrone zu verbinden ist.

19c) Das in Merkmalsgruppe 3 spezifizierte Basisteil (2) dient nach Merkmal 3.5 der Aufnahme des Aufbaupfostens in das Implantat.

20aa) Im Streitfall bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob die in Merkmal 3.4 bezüglich der Form des Basisteils definierte Vorgabe "zylindrisch oder kegelstumpfförmig" geometrisch zu verstehen ist und damit Körper mit beliebigen Grundflächen einschließt oder ob darunter nur gerade Zylinder und Kegelstümpfe mit einem Kreis als Grundfläche fallen.

21bb) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass sich die in Merkmalsgruppe 3.2 vorgesehenen profilierten Abschnitte nicht zwingend über die gesamte Höhe des Basisteils erstrecken müssen.

22Dies ergibt sich aus dem im Streitpatent als ebenfalls erfindungsgemäß bezeichneten Ausführungsbeispiel gemäß den Figuren 3a bis 3c, bei dem der apikale Bereich des Basisteils keine profilierten Abschnitte im Sinne von Merkmalsgruppe 3.2 aufweist, um das Einführen und Führen des Aufbaupfostens in das Implantat zu erleichtern (Abs. 25).

23cc) Die in Merkmalsgruppe 3.2 vorgesehene Ausgestaltung der profilierten Abschnitte als planare, d.h. ebene Flächen, die in axialer Richtung durch die zwei Generatrixen des Basisteils begrenzt sind, ermöglicht eine Rotationssicherung ohne Ausbildung von Nuten.

24(1) Die Generatrixen im Sinne von Merkmal 3.2.2 sind Geraden, die die Mantelfläche des Zylinders oder Kegelstumpfes definieren.

25Wie das Patentgericht unter Bezugnahme auf das allgemeine Werk von Bronstein und Semendjajew (Taschenbuch der Mathematik, 23. Aufl., Leipzig 1987, S. 198 f., P01) näher dargelegt hat, kann ein Zylinder aus geometrischer Sicht als räumliches Gebilde definiert werden, das durch Parallelverschiebung einer Geraden (der Erzeugenden oder Generatrix) entlang einer so genannten Leitkurve (der Directrix) entsteht. Eine Kegelfläche entsteht durch Bewegung einer Erzeugenden, die durch einen festen Punkt geht und längs der Leitkurve gleitet.

26Wenn die ebene Fläche eines profilierten Abschnitts auf beiden Seiten axial durch eine Generatrix in diesem Sinne begrenzt wird, kann am Übergang zwischen dem profilierten Abschnitt und den benachbarten Bereichen der Mantelfläche keine Vertiefung entstehen. Damit ist eine Nutenbildung ausgeschlossen.

27(2) Der Umstand, dass die in Merkmalsgruppe 3.2 definierte Ausgestaltung nur für Abschnitte des Basisteils vorgesehen ist, hat zur Folge, dass es andere Abschnitte geben muss, die eine andere Form haben.

28Aus dem Zusammenhang mit Merkmal 3.4 ergibt sich, dass es sich bei dieser Form um die mit der Leitkurve definierte Form des Zylinder- oder Kegelstumpfmantels handeln muss.

29(3) Wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, ergeben sich daraus keine Festlegungen hinsichtlich des Herstellungsverfahrens.

30Entgegen der Auffassung der Beklagten bezieht sich der Ausdruck "mit profilierten Abschnitten versehen" nicht auf die Art und Weise, in der diese Abschnitte gebildet werden, sondern lediglich auf die geometrische Ausgestaltung.

31Deshalb ist insbesondere nicht erforderlich, dass die profilierten Abschnitte durch Materialabtrag aus einer zuvor hergestellten, vollständig dem Verlauf der Leitkurve entsprechenden Mantelfläche gebildet werden. Vielmehr kommt jedes Herstellungsverfahren in Betracht, das die Ausbildung der in Merkmalsgruppe 3.2 definierten geometrischen Form ermöglicht.

32d) Hinsichtlich der Form des zwischen dem Basisteil und dem okklusalen Abschnitt angeordneten Übergangsteils sieht Patentanspruch 1 in Merkmal 4.2 lediglich vor, dass dieses Teil rotationssymmetrisch ist.

33II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

34Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei gegenüber der deutschen Offenlegungsschrift 10 2004 002 190 (D3) nicht neu. D3 zeige eine Kombination aus Dentalimplantat und Implantat-Hilfsteil. Letzteres sei als Aufbaupfosten im Sinne des Streitpatents aufzufassen, weil es eine Kopplung zwischen Krone und Implantat ermögliche. Das in D3 als Fortsatz bezeichnete Basisteil sei im Wesentlichen zylindrisch oder kegelstumpfförmig ausgebildet. D3 gebe dazu an, der von der Kreisform abweichende Querschnitt des Fortsatzes könne eine beliebige Form haben, vorzugsweise die Form unter anderem einer Raute, eines Trapezes, eines Rechteckes oder eines Vielecks bis zum Oktagon, wobei die Ecken abgerundet sein könnten. Bei abgerundeten Ecken könne die Fläche als eine gekrümmte Mantelfläche gemäß Merkmal 3.4 aufgefasst werden.

35Die mit den Hilfsanträgen 1 bis 3 verteidigten Gegenstände würden von der Lehre der D3 ebenfalls neuheitsschädlich getroffen.

36Die mit den Hilfsanträgen 4 bis 7 verteidigten Gegenstände, die eine kreiszylindrische Form zwingend umfassten, beruhten nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Ausgehend von der in D3 enthaltenen Anregung, das apikale Basisteil in einem oberen Bereich kreisförmig und in einem unteren Bereich insbesondere mit planaren Flächen wie etwa bei einem Quadrat, einem Rechteck oder einer Raute auszubilden und hierfür abgerundete Ecken vorzusehen, sei es der einfachste Herstellungsweg, zunächst einen für beide Bereiche gemeinsamen Kreiszylinder zu fertigen und sodann planare Flächen zum Beispiel für einen quadratischen Querschnitt zu fräsen.

37Die mit den Hilfsanträgen 8 bis 35 verteidigten Gegenstände seien ebenfalls nicht patentfähig.

38III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren hinsichtlich der erteilten Fassung und der Fassung nach Hilfsantrag 4 schon deshalb stand, weil ein als Kreiszylinder ausgebildetes Basisteil mit profilierten Abschnitten im Sinne von Merkmalsgruppe 3.2, wie es nach Hilfsantrag 4 zwingend vorgesehen und nach der erteilten Fassung jedenfalls vom geschützten Gegenstand umfasst ist, ausgehend von D3 nahelag.

391. D3 befasst sich mit der Modellierung von Zahnkronen, die mit einem Implantat verankert sind.

40Die Beschreibung von D3 führt aus, im Stand der Technik würden Hilfsteile eingesetzt, die als Schnittstelle zwischen dem im Kieferknochen sitzenden Metallkörper eines Implantats und dem später in die Mundhöhle hineinragenden Anteil, etwa einer zahntechnisch hergestellten Krone dienten. Der Zahntechniker müsse die Krone in Wachs modellieren und zusammen mit dem metallischen, angussfähigen Hilfsteil oder Kupplungselement gießen (Abs. 3 f.).

41Die im damaligen Stand der Technik bekannten Hilfsteile erforderten eine Übertragung der Position des Implantats in der Mundhöhle auf eine Anordnung von Übertragungsstümpfen. Dies sei komplex, zeitaufwändig und kostenintensiv (Abs. 5 f.).

422. Vor diesem Hintergrund schlägt D3 ein Hilfsteil vor, das aus einem beschleifbaren Kunststoff besteht.

43Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dargestellt.

44Das Hilfsteil (1) umfasst einen koronalen Kopf (1.1) mit einer Bohrung (1.1.1) zum Einbringen eines Befestigungselements (2.1) zum wieder lösbaren, haftfesten Verbinden des Hilfsteils mit einem Implantat (2) (Abs. 8). Der koronale Kopf ist größer als der hieraus zu modellierende Kronenkörper (1.1.K). Er weist bevorzugt einen kreisförmigen Querschnitt auf (Abs. 30).

45Das Hilfsteil (1) umfasst ferner einen Fortsatz (1.2.E) zur passgenauen Kupplung mit einer entsprechenden Aussparung (2.2.A) des Implantats (2) (Abs. 28). Vorzugsweise weist der Fortsatz einen oberen Bereich (1.2.E.2) mit einem kreisförmigen Querschnitt und einen unteren Bereich (1.2.E.3) mit einem von der Kreisform abweichenden Querschnitt auf (Abs. 33). Letzterer kann eine beliebige geometrische Form haben. Als geeignet bezeichnet D3 unter anderem die Form einer Raute, eines Trapezes, eines Rechtecks, eines Quadrats oder eines Penta-, Hexa-, Hepta- oder Oktagons. Mindestens eine Ecke oder alle Ecken dieser geometrischen Figuren können abgerundet sein (Abs. 40).

46Nach Fixierung des Hilfsteils (1) in der Mundhöhle wird der koronale Kopf abgeschliffen, so dass daraus ein Positiv (1.1.P) des Kronenkörpers (1.1.K) resultiert. Das Positiv kann bereits die Form der fertigen Krone aufweisen oder wie ein Zahnstumpf geformt sein (Abs. 52).

47Im weiteren Verlauf wird mittels des Positivs (1.1.P) ein Negativ (1.N) geformt, zum Beispiel durch Ummantelung des Hilfsteils (1) mit einem plastischen und härtbaren Abdruckmaterial. Danach wird der Kunststoff (1.M) des Hilfsteils (1) vollständig entfernt, zum Beispiel durch thermische Zersetzung. Der daraus resultierende Hohlraum wird mit einer Dentalmasse ausgegossen, wodurch ein Positiv (1.P) des gesamten modellierten erfindungsgemäßen Hilfsteils (1) gebildet wird. Hierfür können alle üblichen härtbaren Dentalmassen verwendet werden. Das so erhaltene Positiv (1.P) wird vom Negativ (1.N) getrennt und auf dem Implantat (2) wieder lösbar und haftfest fixiert. Anschließend kann der Kronenkörper des fixierten Positivs (1.P) verblendet oder mit einer dentalen Suprastruktur, etwa einer teleskopierenden Brücke verbunden werden (Abs. 54-57).

483. Damit sind die Merkmale 1, 1.2, 2.1, 2.3, 3.1, 3.3, 3.5, 5 und 5.1 offenbart.

494. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist jedenfalls das am Ende des in D3 geschilderten Verfahrens aus Dentalmasse durch Gießen hergestellte Positiv (1.P) ein Aufbaupfosten im Sinne der Merkmale 1.1 und 2.

50a) In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob dieses Positiv in D3 als zur Erfindung gehörend offenbart ist, obwohl die in D3 formulierten Patentansprüche nur auf den Schutz des zum Modellieren eingesetzten Hilfsteils und dessen Verwendung für den weiteren Herstellungsprozess gerichtet sind.

51Anders als für die Frage, ob der Gegenstand eines Patents über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht, ist für die Beurteilung der Neuheitsfrage nicht erheblich, ob ein bestimmter Gegenstand als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Ausreichend ist vielmehr, dass der Gegenstand in der Entgegenhaltung unmittelbar und eindeutig offenbart ist.

52b) Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des Merkmals 1.1 in D3 erfüllt.

53aa) Nach den oben wiedergegebenen Ausführungen in D3 ist das am Ende des Verfahrens hergestellte Positiv (1.P) zur dauerhaften Anbringung in der Mundhöhle und zur Verblendung oder zur Verbindung mit einer dentalen Suprastruktur geeignet.

54Zumindest dann, wenn das Positiv als Zahnstumpf ausgeführt ist, stellt es einen Aufbaupfosten im Sinne des Streitpatents dar.

55bb) Den oben wiedergegebenen Ausführungen in D3 ist ferner zu entnehmen, dass das im weiteren Verlauf hergestellte Positiv (1.P) ein Abbild des gesamten Hilfsteils (1) darstellt.

56Daraus ergibt sich, dass die Ausführungen zur geometrischen Ausgestaltung des Hilfsteils (1) in gleicher Weise für das Positiv (1.P) gelten.

57c) Ob der zur Herstellung des Negativs (1.N) eingesetzte und im weiteren Verfahrensverlauf zerstörte Hilfskörper (1) ebenfalls das Merkmal 1.1 verwirklicht, bedarf vor diesem Hintergrund keiner abschließenden Entscheidung.

585. D3 offenbart auch ein Übergangsteil im Sinne der Merkmalsgruppe 4.

59Aus der oben wiedergegebenen Figur 1 ist ersichtlich, dass der koronale Kopf (1.1) einen Bereich aufweist, dessen Querschnitt sich in Richtung auf den Fortsatz (1.2.E) hin verjüngt. Damit bildet dieser Bereich einen Übergang zwischen dem ein Basisteil im Sinne von Merkmal 2.1 darstellenden Fortsatz (1.2.E) und dem okklusalen Abschnitt des koronalen Kopfs (1.1). Der Angabe, dass der koronale Kopf (1.1) vorzugsweise einen kreisförmigen Querschnitt hat, ist zu entnehmen, dass auch der zum Kopf gehörende Übergangsbereich rotationssymmetrisch ist.

60Entgegen der Auffassung der Berufung ist den Ausführungen in D3, wonach das Implantat-Hilfsteil (1) in der Mundhöhle durch Abschleifen modelliert werden kann (Abs. 16) nicht zu entnehmen, dass der Bereich oberhalb des sich verjüngenden Abschnitt durch Abschleifen vollständig entfernt wird. Durch ein Entfernen von Material in solchem Ausmaß wäre eine Modellierung, wie sie durch das Abschleifen erreicht werden soll, nicht mehr möglich.

616. Wie das Patentgericht im Zusammenhang mit Hilfsantrag 4 zutreffend ausgeführt hat, ist eine Ausgestaltung des Basisteils als gerader Kreiszylinder im Sinne von Merkmal 3.4 mit profilierten Abschnitten im Sinne der Merkmalsgruppe 3.2 ausgehend von D3 nahegelegt.

62Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob diese Merkmale auf der Grundlage der erteilten Fassung durch D3 sogar unmittelbar und eindeutig offenbart sind.

63a) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts führt die in D3 als Möglichkeit aufgezeigte Ausgestaltung als Vieleck mit abgerundeten Ecken allerdings nicht ohne weiteres zur Verwirklichung des Merkmals 3.4 und der Merkmalsgruppe 3.2.

64aa) Wie die Klägerin anhand der nachfolgend wiedergegebenen ergänzten Fassung von Figur 3c des Streitpatents zutreffend dargelegt hat, kann eine den Anforderungen dieser Merkmale entsprechende Ausgestaltung geometrisch durch Überlagerung eines Kreises und eines Quadrats dargestellt werden.

65Bei dieser Ausgestaltung sind das Merkmal 3.4 und die Merkmalsgruppe 3.2 verwirklicht. Der Fortsatz 1.2.E, der im oberen Bereich (1.2.E.2) einen kreisförmigen Querschnitt aufweist (Abs. 33), weist dann im unteren Bereich (1.2.E.3) einen nicht kreisförmigen Querschnitt auf, der abwechselnd aus planaren Abschnitten im Sinne von Merkmal 3.2.1 und aus Teilen der Mantelfläche eines Zylinders - und zwar eines geraden Kreiszylinders - besteht. Die planaren Abschnitte werden auf beiden Seiten axial von der Mantelfläche des Kreiszylinders begrenzt, wie dies Merkmal 3.2.2 vorsieht.

66bb) Wie die Berufung im Ansatz zutreffend geltend macht, kann ein Abrunden der Ecken auch dergestalt erfolgen, dass der untere Bereich (1.2.E.3) zunächst als Quader mit quadratischer Grundfläche ausgestaltet wird, dessen Kanten in einem zweiten Schritt gerundet werden.

67Bei dieser Ausgestaltung ist die Kombination von Merkmal 3.4 mit der Merkmalsgruppe 3.2 jedenfalls dann nicht verwirklicht, wenn die mit gestrichelten Linien dargestellten Bereiche der Mantelfläche nicht die Form eines Kreisbogens haben oder wenn der jeweilige Kreismittelpunkt nicht mit dem Mittelpunkt des Quadrats übereinstimmt.

68b) Zu Recht macht die Klägerin jedoch geltend, dass eine Auswahl zwischen diesen unterschiedlichen Ausgestaltungen keine erfinderische Tätigkeit zu begründen vermag.

69aa) Wie die Berufung im Ausgangspunkt zu Recht geltend macht, schlägt D3 allerdings eine Vielzahl von unterschiedlichen Ausgestaltungen vor, ohne auf Einzelheiten und auf mögliche Herstellungsverfahren näher einzugehen.

70bb) Ausschlaggebend ist indes, dass D3 den für eine Sicherung gegen Rotation entscheidenden Gesichtspunkt hervorhebt, nämlich die Abweichung von einer Kreisform.

71Der Hintergrund dieses Hinweises erschließt sich ohne weiteres: Bei einer Kreisform kann eine Rotation allenfalls durch Reibung oder besondere Maßnahmen zur Fixierung verhindert werden. Eine abweichende Gestaltung kann einer Rotation hingegen schon aufgrund der Form entgegenwirken.

72Durch den Hinweis auf abgerundete Ecken zeigt D3 zudem auf, dass auch eine geometrische Gestaltung mit teilweise gerundeten Formen eine ausreichende Sicherung gegen Rotation bewirken kann, sofern nur insgesamt eine deutliche Abweichung von der Kreisform erreicht wird.

73cc) Ausgehend von diesen Hinweisen lag es nahe, eine Kombination zwischen ebenen und runden Bereichen der Umfangsfläche dadurch zu erreichen, dass ein kreisförmiger Querschnitt mit einzelnen Abflachungen versehen wird.

74Hierzu bedurfte es nicht der abstrakten Erwägungen, die die Klägerin anhand von Figur 3c des Streitpatents aufgezeigt hat. Ausreichend war vielmehr die in D3 enthaltene Anregung, eine vorhandene Kreisform in irgendeiner Weise zu modifizieren. Wie das Patentgericht zutreffend dargelegt hat, lag es dieser Anregung folgend nahe, von einer Kreisform auszugehen, wie sie in D3 für den oberen Bereich (1.2.E.2) des Fortsatzes (1.2.E) in D3 ohnehin als bevorzugt bezeichnet wird, und für den unteren Bereich (1.2.E.3) dadurch eine Abweichung von der Kreisform herbeizuführen, dass einzelne Abschnitte des Mantels flach ausgestaltet werden.

75dd) Entgegen der Auffassung der Berufung ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob D3 das Abrunden von Ecken als Vorgang oder als Zustand beschreibt.

76Wenn nur ein Zustand beschrieben ist, wie dies die Berufung geltend macht, ergab sich gerade daraus Anlass, nach geeigneten geometrischen Formen und erst in einem zweiten Schritt nach geeigneten Herstellungsverfahren zu suchen. Ausgehend von D3 bot sich diese Vorgehensweise schon deshalb an, weil die für Kunststoffteile mögliche Herstellungsform des Spritzgießens, wie auch die Berufung vorträgt, zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.

77Wenn D3 auch einen Vorgang beschreibt, gilt nichts anderes. Auch von diesem Ausgangspunkt aus eröffnete die Möglichkeit einer Herstellung durch Spritzgießen einen weiten Gestaltungsspielraum, der es ermöglichte, die in D3 gegebenen Hinweise in vielfältiger Weise umzusetzen.

78ee) Vor diesem Hintergrund kommt dem Einwand, die Ausgestaltung gemäß Merkmal 3.4 und der Merkmalsgruppe 3.2 sei allenfalls ausgehend von einer Grundform mit kreiszylindrischem Querschnitt naheliegend, nicht aber ausgehend von einer quadratischen Grundform, keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

79Ausgehend von D3 bot sich ein Kreiszylinder schon deshalb als Ausgangsform an, weil D3 diese Ausgestaltung für den oberen Bereich (1.2.E.2) des Fortsatzes (1.2.E) bevorzugt.

80IV. Hinsichtlich der Hilfsanträge ergibt sich keine abweichende Beurteilung.

811. Hilfsantrag 1 und eine Reihe weiterer Hilfsanträge sehen als zusätzliches Merkmal vor, dass die profilierten Abschnitte zur Rotationssicherung des Aufbaupfostens (10) im Dentalimplantat ausgebildet sind.

82Selbst wenn sich aus dieser Festlegung ergäbe, dass das Basisteil die Form eines geraden Kreiszylinders oder Kreiskegels aufweisen muss, führte dies nicht zur Bejahung der erfinderischen Tätigkeit. Eine solche Ausgestaltung war aus den oben dargelegten Gründen ausgehend von D3 naheliegend.

832. Nach Hilfsantrag 2 und weiteren Hilfsanträgen sollen in Merkmal 3.4 die Wörter "im Wesentlichen" entfallen.

84Dies führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil D3 eine Ausgestaltung als Kreiszylinder offenbart.

853. Nach Hilfsantrag 5 und weiteren Hilfsanträgen sollen in Merkmal 3.4 das Wort "zylindrisch" ersetzt werden durch "als gerader Kreiszylinder".

86Auch diese Grundform des Basisteils ist in D3 offenbart.

874. Nach Hilfsantrag 8 und weiteren Hilfsanträgen soll Patentanspruch 1 dahin ergänzt werden, dass die ebenen Flächen (11) durch einen Abschnitt der Mantelfläche (4) beabstandet sind.

88Diese Anforderung ergibt sich bei einer aus einem geraden Kreiszylinder bestehenden Grundform bereits aus der Kombination der Merkmale 3.2.1 und 3.2.2. Eine solche Ausgestaltung ist aus den oben dargelegten Gründen ausgehend von D3 nahegelegt.

895. Nach Hilfsantrag 15 und weiteren Hilfsanträgen soll Patentanspruch 1 dahin ergänzt werden, dass sich die ebene Fläche (11) - in apikaler Ansicht von unten - bis zur angrenzenden Mantelfläche (4) erstreckt.

90Diese Anforderung ergibt sich bei einem geraden Kreiszylinder ebenfalls bereits aus der Kombination der Merkmale 3.2.1 und 3.2.2.

916. Nach Hilfsantrag 22 und weiteren Hilfsanträgen soll Patentanspruch 1 um das zusätzliche Merkmal aus dem erteilten Patentanspruch 2 ergänzt werden, wonach das apikale Basisteil (2) vier ebene Flächen (11) hat, die gleich groß sind.

92Eine solche Ausgestaltung lag ausgehend von dem in D3 unter anderem vorgeschlagenen Quadrat mit abgerundeten Ecken nahe.

937. Nach Hilfsantrag 29 und weiteren Hilfsanträgen soll Patentanspruch 1 um die in den erteilten Patentansprüchen 5 und 6 vorgesehenen Merkmale ergänzt werden, wonach der Aufbaupfosten (10) aus Keramik oder Titan hergestellt ist.

94Eine solche Ausgestaltung hat das Patentgericht zu Recht als naheliegend angesehen, weil Keramik und Titan im Stand der Technik als geeignete Materialien für Aufbaupfosten bekannt waren.

95a) Aus D3 ergeben sich allerdings keine Hinweise darauf, dass Keramik oder Titan anstelle der dort eingesetzten gießbaren Dentalmasse zur Herstellung des zum Einsetzen in den Mund bestimmten Positivs (1.P) in Betracht kommen.

96b) Ein Rückgriff auf die in D3 enthaltenen Hinweise zur Sicherung eines Aufbauteils gegen Rotation lag jedoch auch unabhängig von dem dort im Mittelpunkt stehenden Herstellungsverfahren nahe.

97Wie die Klägerin mit Bezug auf die Feststellungen des Patentgerichts zu Recht geltend macht, waren Titan und Keramik als geeignete Materialien für die Fertigung von Aufbaupfosten bekannt. Auch bei diesen Materialien stellte sich die Frage, wie eine Rotationssicherung zu erreichen ist.

98Auf der Suche nach hierfür geeigneten Lösungen lag eine Heranziehung von D3 nahe, weil die darin enthaltenen Ausführungen zur Rotationssicherung sich auf die Form des Aufbaupfostens beziehen und keinen zwingenden Zusammenhang zu der dort offenbarten Herstellungsmethode erkennen lassen.

99Demnach bestand Anlass, auch für einen Aufbaupfosten aus Titan oder Keramik einen von einer Kreisform abweichenden Querschnitt zu wählen. Eine Ausgestaltung als Kreiszylinder mit einzelnen flachen Bereichen lag damit auch für diese Materialien nahe.

100V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060224UXZR8.22.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-61865