BGH Urteil v. - VIa ZR 1324/22

Instanzenzug: Az: VIa ZR 1324/22 Beschlussvorgehend OLG Dresden Az: 18a U 2518/21vorgehend LG Chemnitz Az: 5 O 152/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz B 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Den Kaufpreis finanzierte er teilweise mithilfe eines Darlehens der Mercedes-Benz Bank AG, an die er das Fahrzeug sicherungsübereignete. Zur Finanzierung der Schlussrate des Darlehens nahm der Kläger ein weiteres Darlehen sowie zur Finanzierung der diesbezüglichen Schlussrate ein drittes Darlehen bei der Mercedes-Benz Bank AG auf.

3In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei bestimmten Außentemperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die unter gewissen Bedingungen die Kühlmitteltemperatur absenkt.

4Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Abtretung aller seiner Rechte auf Übereignung des Fahrzeugs, hilfsweise die Erstattung der geleisteten Anzahlung und geleisteter Darlehensraten nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Abtretung aller seiner Rechte auf Übereignung des Fahrzeugs und seine Freistellung von weiteren Darlehensraten sowie weiter hilfsweise die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen an die Mercedes-Benz Bank AG Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs begehrt (Berufungsantrag zu I). Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu II) sowie den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangt (Berufungsantrag zu III).

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.

Gründe

6Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

7Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Es könne dahinstehen, ob der Kläger aufgrund der formularmäßigen Abtretung von Ansprüchen an die finanzierende Bank aktivlegitimiert sei. Er habe gegen die Beklagte jedenfalls keinen Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Schadens.

9Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB stehe dem Kläger nicht zu. Er habe ein sittenwidriges vorsätzliches Verhalten der Beklagten nicht schlüssig dargetan. Weder sei die Arbeitsweise des Thermofensters oder der KSR exakt auf die Prüfstandsbedingungen zugeschnitten noch lägen sonstige Anhaltspunkte für ein besonders verwerfliches Handeln der Beklagten vor.

10Der Kläger könne den eingeklagten Anspruch auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Die Bestimmungen der EG-FGV dienten nicht dem Interesse eines Fahrzeugkäufers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden. Sie gewährten allenfalls Schutz vor Schäden, die aus der Verweigerung der Zulassung des Fahrzeugs zum Straßenverkehr, aus der Unmöglichkeit des Weiterverkaufs des Fahrzeugs wegen seines Minderwerts aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder aus immateriellen Beeinträchtigungen resultierten. Derartige Schäden mache der Kläger jedoch nicht geltend.

II.

11Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

121. Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist verfahrensfehlerhaft, soweit es - was im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten ist (vgl. , BGHZ 207, 71 Rn. 63; Urteil vom - VIa ZR 189/22, juris Rn. 7; Urteil vom - VIa ZR 1136/22, juris Rn. 8) - unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO über den weiter hilfsweise gestellten Berufungsantrag zu I entschieden hat. Der Kläger wollte den auf Zahlung an die Mercedes-Benz Bank AG gerichteten zweiten Hilfsantrag ersichtlich nur zur Entscheidung stellen, falls das Berufungsgericht seine Aktivlegitimation verneinen würde. Diese Bedingung ist jedoch - was im Revisionsverfahren ebenfalls von Amts wegen zu beachten ist (vgl. aaO; Urteil vom , aaO; Urteil vom , aaO) - nicht eingetreten. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der Kläger ihm zustehende deliktische Schadensersatzansprüche wirksam an die Mercedes-Benz Bank AG abgetreten hat.

132. In der Sache begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

143. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

15Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

16Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

17Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben der (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245; - VIa ZR 1657/22, BGHZ 237, 281 Rn. 11 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu der Aktivlegitimation des Klägers, zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060224UVIAZR1324.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-61662