BGH Urteil v. - IV ZR 311/22

Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung: Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers

Leitsatz

Zum Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers in der privaten Krankenversicherung (Anschluss an Senatsurteil vom - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514).

Gesetze: § 242 BGB, § 7 Abs 4 VVG

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 3 U 176/21vorgehend LG Hanau Az: 9 O 1448/20

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.

2Der Kläger hält eine Kranken- und Pflegeversicherung bei der Beklagten, die ab dem Jahr 2013 die Beiträge mehrfach anpasste. Sie teilte dem Kläger eine Prämienerhöhung im Tarif T.     zum um 7,72 € mit.

3Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit seiner Klage die Rückzahlung der auf die genannte Erhöhung entfallenden Prämienanteile in Höhe von zunächst 331,96 € nebst Zinsen begehrt. Außerdem hat er die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhung unwirksam und er nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrags verpflichtet ist. Des Weiteren hat er Auskunft über alle Beitragsanpassungen verlangt, die die Beklagte in dem Versicherungsvertrag in den Jahren 2013 bis 2016 vorgenommen hat; insoweit hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die Höhe der Beitragserhöhungen unter Benennung der jeweiligen Tarife, die dem Kläger übermittelten Informationen in Form von Anschreiben und Nachträgen zum Versicherungsschein und die ihm übermittelten Begründungen sowie Beiblätter enthalten sind. Darüber hinaus hat er die Feststellung verlangt, dass die noch genauer zu bezeichnenden Erhöhungen unwirksam seien und er nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet sowie der monatlich fällige Gesamtbetrag auf einen nach Erteilung der Auskunft zu beziffernden Betrag zu reduzieren sei, außerdem die Zahlung eines nach Erteilung der Auskunft noch zu beziffernden Betrags.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger seinen Zahlungsantrag um 54,04 € erweitert. Soweit für die Revision noch von Interesse, hat das Oberlandesgericht die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung zur Zahlung von 386 € nebst Zinsen aus 331,96 € ab dem verurteilt. Es hat die Unwirksamkeit der Beitragserhöhung und das Nichtbestehen einer Pflicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrags festgestellt sowie die Beklagte antragsgemäß zur Auskunftserteilung verurteilt.

5Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, soweit sie zur Erteilung von Auskünften sowie zur Zahlung von mehr als 362,84 € verurteilt worden und die Unwirksamkeit der Neufestsetzung des Beitrags im Tarif T.    zum und das Fehlen einer Verpflichtung zur Zahlung des Erhöhungsbetrags über den hinaus festgestellt worden ist.

Gründe

6Die Revision hat Erfolg. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Beitragserhöhung formell unwirksam ist. Der Kläger habe damit Anspruch auf Rückzahlung des Erhöhungsbetrags von April 2017 bis Beginn des zweiten Monats nach Zugang der Klageerwiderung mit der nachgeholten Begründung am . Ein Auskunftsanspruch stehe dem Kläger jedenfalls aus § 242 BGB zu. Daraus sei ein Versicherer nicht nur zur Übermittlung von Versicherungsscheinen (hier greife schon § 3 Abs. 3 VVG), sondern auch zur Information über den Inhalt der übersandten Mitteilung verpflichtet, wenn der Kunde nur glaubhaft erkläre, die Unterlagen ständen ihm nicht mehr zur Verfügung. Es komme nicht entscheidend darauf an, wie und warum der Versicherungsnehmer in die Lage geraten sei, erneut um Auskunft bitten zu müssen. Im Übrigen habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass alten Versicherungsscheinen und den damit übersandten Anschreiben und Informationsblättern kein Eigenwert mehr zukomme. Es bestehe weiterhin ein Informationsinteresse des Klägers, da für die ab dem Jahr 2017 überzahlten Beiträge aufgrund etwaiger unwirksamer Beitragserhöhungen aus den Jahren 2013 bis 2016 die Klageerhebung im Jahr 2020 die Verjährung noch habe hemmen können.

8II. Das hält rechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.

91. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Mitteilung der Prämienanpassung den Anforderungen aus § 203 Abs. 5 VVG nicht genügt, wird von der Revision zu Recht nicht angegriffen. Das Berufungsgericht ist auch noch zutreffend davon ausgegangen, dass die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt wird, wenn der Versicherer eine ordnungsgemäße Begründung später nachholt (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 42), es hat aber trotz Annahme einer solchen Heilung keinen Endzeitpunkt für die Unwirksamkeit der Prämienanpassung und die fehlende Zahlungspflicht im Urteilstenor ausgesprochen. Darüber hinaus hätte es mit der gegebenen Begründung auch keine Heilung der Unwirksamkeit der Prämienanpassung erst zum feststellen dürfen. Es hat nicht geprüft, ob die Begründung bereits früher als in der Klageerwiderung nachgeholt worden ist. Die Beklagte rügt mit Erfolg eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), da sie in der Klageerwiderung vorgetragen hat, die erforderlichen Angaben seien bereits im Nachbelehrungsschreiben vom enthalten gewesen. Ob dieses Schreiben die Begründungsanforderungen erfüllt und wenn ja, wann es dem Kläger zugegangen ist, wird das Berufungsgericht daher noch festzustellen haben.

102. Aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen hätte das Berufungsgericht ferner nicht annehmen dürfen, dass dem Kläger der geltend gemachte Auskunftsanspruch zusteht.

11a) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings entgegen der Ansicht der Revision von der Zulässigkeit der Klage auch für den Auskunftsantrag ausgegangen. Die Umdeutung der zunächst erhobenen Stufenklage in eine von der Stufung unabhängige objektive Klagehäufung, die ein - zumindest für die Rechtsschutzgewährung ausreichendes - berechtigtes Interesse des Klägers voraussetzt (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 26 m.w.N.), begegnet keinen Bedenken. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dies hier der Fall ist. Nach seinem Vorbringen benötigt der Kläger die Auskunft, um zu prüfen, ob vergangene Beitragserhöhungen wirksam waren und ob ihm auf dieser Grundlage Rückzahlungsansprüche zustehen oder er seine laufende Beitragszahlung kürzen darf.

12b) Ebenfalls rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass dem Kläger der geltend gemachte Auskunftsanspruch aus § 242 BGB zustehen könnte. Nach § 242 BGB trifft den Schuldner im Rahmen einer Rechtsbeziehung ausnahmsweise eine Auskunftspflicht, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Die Zubilligung des Auskunftsanspruchs hat unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 30). Wie der Senat in seinem Urteil vom (aaO Rn. 31) entschieden und im Einzelnen begründet hat, kommt ein solcher Anspruch grundsätzlich in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer in der privaten Krankenversicherung Auskunft über vergangene Beitragserhöhungen verlangt.

13c) Das Berufungsgericht ist im Ergebnis auch zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger Rückzahlungsansprüche aufgrund unwirksamer Prämienerhöhungen aus den Jahren 2013 bis 2016 als Grundlage eines Auskunftsanspruchs zustehen können. Auch ohne Hemmung der Verjährung von Rückzahlungsansprüchen durch die vorliegende Klage kommen nicht verjährte Ansprüche in Betracht. Der Auskunftsanspruch richtet sich auch auf Tarife im Versicherungsvertrag des Klägers, die im Übrigen - nämlich hinsichtlich der Zahlungs- und Feststellungsanträge - nicht in den Rechtsstreit eingeführt sind. Da noch folgende wirksame Beitragserhöhungen in diesen Tarifen nicht festgestellt sind, ist nicht ausgeschlossen, dass sich Prämienerhöhungen aus den Jahren 2013 bis 2016 bis jetzt auswirken und neu entstehende Rückzahlungsansprüche auslösen.

14d) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber angenommen, nach § 242 BGB sei ein Versicherer zur Auskunft über den Inhalt der bereits übersandten Mitteilungen bereits dann verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer nur glaubhaft erkläre, die betreffenden Unterlagen ständen ihm jedenfalls nicht mehr zur Verfügung. Wie der Senat in seinem Urteil vom (IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 37) entschieden und im Einzelnen begründet hat, gilt dies nicht für das Auskunftsverlangen des Versicherungsnehmers bezüglich vergangener Prämienerhöhungen. Der Auskunftsanspruch setzt vielmehr Feststellungen dazu voraus, dass der Kläger nicht mehr über die im Auskunftsantrag bezeichneten Unterlagen verfügt - was die Beklagte hier bestritten hat - und warum es zum Verlust kam. Erst die Darlegung der Gründe des Verlusts durch den Versicherungsnehmer ermöglicht die Beurteilung, ob dem Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zusteht (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 40 m.w.N.). Die allgemeine Annahme, dass ein Versicherungsnehmer Schreiben des Versicherers nicht für aufbewahrungswürdig halten muss, reicht insoweit nicht aus.

153. Die Entscheidung über den Auskunftsantrag erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).

16a) Zu Unrecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Auskunftsantrag, soweit er sich auf die Übermittlung von Nachträgen zum Versicherungsschein aus den Jahren 2013 bis 2016 richtet, bereits aus § 3 Abs. 3 VVG begründet sei. Wie der Senat mit Urteil vom (IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 42) entschieden und im Einzelnen begründet hat, erfasst diese Vorschrift nur den Versicherungsschein einschließlich solcher Nachträge, die den derzeit geltenden Vertragsinhalt wiedergeben, nicht dagegen bereits überholte Nachträge.

17b) Der Senat hat außerdem entschieden und im Einzelnen begründet, dass ein Anspruch auf eine Abschrift der gesamten Begründungsschreiben samt Anlagen - worauf der Klageantrag auch hier abzielt - nicht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO folgt (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 45 ff.).

18c) Ein Auskunftsantrag dieses Inhalts kann auch nicht auf § 7 Abs. 4 VVG gestützt werden (a.A. , juris Rn. 51). Der Kläger begehrt keine Auskunft zu den Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, deren Übermittlung in einer Urkunde der Versicherungsnehmer nach dieser Vorschrift verlangen kann. Der Inhalt des Anspruchs aus § 7 Abs. 4 VVG bestimmt sich nicht außerhalb des Wortlauts der Vorschrift danach, welche Unterlagen zur Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen benötigt werden könnten. Der Begriff "Vertragsbestimmungen" erfasst sämtliche Bedingungen des Vertrags (vgl. PK-VVG/Ebers, 4. Aufl. § 7 Rn. 53). Die verlangten Anschreiben nebst Beiblättern, in denen eine Beitragserhöhung angekündigt und begründet wird, sind aber keine Vertragsbestimmungen, sondern Mitteilungen des Versicherers. Zu den Vertragsbestimmungen zählt die Höhe der geschuldeten Prämie, jedoch schon nicht die vom Kläger verlangte Information über den Vorgang der Beitragserhöhung als Veränderung der Prämienhöhe in den einzelnen Tarifen zu bestimmten Zeitpunkten. § 7 Abs. 4 VVG begründet auch keinen Anspruch auf Übersendung früherer Nachträge zum Versicherungsschein, sondern nur auf eine schriftliche Übermittlung der Vertragsbestimmungen unabhängig davon, ob diese ggf. auch im Versicherungsschein enthalten sind. § 3 Abs. 3 VVG ergänzt § 7 Abs. 4 VVG bezüglich verlorener Versicherungsscheine (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 61) und regelt den Anspruch auf Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins abschließend.

19III. Die Sache ist sowohl hinsichtlich des Auskunftsanspruchs als auch zur Dauer der Unwirksamkeit der Prämienanpassung und der daraus folgenden Höhe des Rückzahlungsanspruchs zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:210224UIVZR311.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 1590 Nr. 22
WM 2024 S. 832 Nr. 18
TAAAJ-61555