BGH Urteil v. - VI ZR 62/23

Instanzenzug: OLG Celle Az: 8 U 109/22vorgehend Az: 2 O 176/21

Tatbestand

1Die Klägerin ist bei dem Beklagten privat kranken- und pflegeversichert. Der Beklagte erhöhte im Laufe der Jahre mehrfach die Beiträge. Die Klägerin hält die Beitragserhöhungen für unrechtmäßig und fordert, soweit für das Revisionsverfahren relevant, den Beklagten auf, ihr Auskunft über alle in den Jahren 2012 bis 2020 erfolgten Beitragserhöhungen zu erteilen und ihr hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die folgenden Angaben enthalten sind:

• die Höhe der Beitragsanpassungen für die Jahre 2012 bis 2020, unter Benennung der jeweiligen Tarife im Versicherungsverhältnis der Klägerin,

• die der Klägerin zu diesem Zweck übermittelten Informationen in Form von Versicherungsscheinen und Nachträgen zum Versicherungsschein der Jahre 2012 bis 2020.

2Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - dem Auskunftsbegehren im Wesentlichen stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht hinsichtlich des Auskunftsanspruchs zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen diesbezüglichen Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

I.

3Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin der geltend gemachte Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO zu. Schreiben des Versicherers an den Versicherungsnehmer seien grundsätzlich ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten gem. Art. 4 Nr. 1 DSGVO anzusehen. Die personenbezogene Information bestehe bereits darin, dass sich der Versicherer dem Schreiben gemäß geäußert habe. Die anlässlich der Beitragsanpassungen vom Beklagten an die Klägerin übersandten Nachträge zum Versicherungsschein hätten den konkreten, zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag zum Gegenstand und gestalteten diesen teilweise neu. Auch die anlässlich der Beitragsanpassung übersandten Mitteilungsschreiben unterfielen in ihrer Gesamtheit dem Begriff der personenbezogenen Daten.

4Der Auskunftsanspruch sei weder exzessiv noch anderweitig rechtsmissbräuchlich; es komme auch nicht darauf an, ob die Klägerin noch im Besitz der ihr ursprünglich ermittelten Unterlagen sei. Die Datenschutz-Grundverordnung sei auch zeitlich anwendbar.

5Inhaltlich sei der Anspruch nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO auf die Übersendung einer Datenkopie gerichtet. Dabei beschränke sich der Anspruch nicht auf die Übermittlung von Informationen, die der von der Datenspeicherung betroffenen Person gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO zustünden. Der Auskunftspflichtige habe die Informationen vielmehr in der Rohfassung zu übermitteln, in der sie bei ihm gespeichert seien. Denn Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO stelle eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar. Hieraus folge, dass die Klägerin auch eine Kopie von Versicherungsscheinen und Nachträgen zum Versicherungsschein verlangen könne, wenn sie denn als solche (und nicht nur deren reiner Informationsinhalt) bei dem Beklagten gespeichert seien. Sollte der Inhalt etwa eines Versicherungsscheines sowohl in Form des Versicherungsscheins als auch in Gestalt lediglich der im Versicherungsschein enthaltenen Informationen gespeichert sein, seien von dem Beklagten grundsätzlich beide Datensätze in Gestalt einer Datenkopie herauszugeben. Denn andernfalls könne die Klägerin die mit dem Auskunftsanspruch bezweckte Überprüfung einer ordnungsgemäßen Verarbeitung aller von dem Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten nicht sinnvoll ausüben.

II.

6Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann der von der Klägerin geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht bejaht werden.

71. Der geltend gemachte Anspruch lässt sich, wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat (Urteil vom - IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 45 ff.), nicht auf Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 DSGVO stützen.

8a) Allerdings ist Art. 15 DSGVO entgegen der Auffassung der Revision im Streitfall in zeitlicher Hinsicht anwendbar, obwohl die Verarbeitungsvorgänge, auf die sich das Auskunftsersuchen bezieht, teilweise in den Jahren 2012 bis 2017 und damit vor dem als dem Anwendungsdatum der Datenschutz-Grundverordnung (Art. 99 Abs. 2 DSGVO) ausgeführt wurden. Denn das streitgegenständliche Auskunftsersuchen selbst wurde erst nach diesem Datum vorgebracht (vgl. , NJW 2023, 2555 Rn. 36).

9b) Art. 15 Abs. 1 DSGVO gibt der betroffenen Person gegenüber dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) ein Auskunftsrecht über die Verarbeitung personenbezogener Daten. Gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person ("betroffene Person") beziehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff weit zu verstehen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (vgl. , NJW 2023, 2253 Rn. 23 f.; vgl. auch Senat, Urteil vom - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 22 mwN).

10Nach diesen Grundsätzen sind Schreiben der betroffenen Person an den Verantwortlichen ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten einzustufen, da die personenbezogene Information bereits darin besteht, dass die betroffene Person sich dem Schreiben gemäß geäußert hat, umgekehrt aber - wie hier maßgeblich - Schreiben des Verantwortlichen an die betroffene Person nur insoweit, als sie Informationen über die betroffene Person nach den oben genannten Kriterien enthalten. Dementsprechend sind auch nur die personenbezogenen Daten eines Versicherungsscheins nicht kategorisch vom Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 DSGVO ausgeschlossen (, NJW 2023, 3490 Rn. 48; vgl. auch Senat, Urteil vom - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 25).

11c) Der klägerische Antrag zielt, wie sich unter Heranziehung der Klagebegründung (vgl. hierzu Senat, Urteil vom - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 32 mwN) ergibt, nicht auf die Übermittlung von irgendwelchen „geeigneten Unterlagen“ (so der Antragswortlaut) ab, aus denen sich Informationen über mindestens die Höhe der in den Jahren 2012 bis 2020 erfolgten Beitragsanpassungen ergeben. Die Klägerin ist vielmehr der Auffassung, dass sich diese Informationen „allein“ aus den Versicherungsscheinen bzw. deren Nachträgen ergäben, welche der Beklagte Jahr für Jahr anlässlich der Beitragsanpassungen versendet habe. Entsprechend hat auch das Berufungsgericht den Antrag verstanden und, nachdem es den Auskunftsantrag insoweit wie beantragt zugesprochen hat, in den Gründen der angegriffenen Entscheidung ausgeführt, dass sich der Auskunftsanspruch der Klägerin nicht auf die Übermittlung von Informationen beschränke, die der betroffenen Person gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO zustünden, sondern der Auskunftspflichtige die Daten grundsätzlich in der Rohfassung zu übermitteln habe, wie sie bei ihm gespeichert seien, weshalb die Klägerin auch eine Kopie von Versicherungsscheinen und Nachträgen vom Versicherungsschein verlangen könne, wenn sie denn als solche noch bei dem Beklagten gespeichert seien (vgl. zur Maßgeblichkeit der Entscheidungsgründe für die Auslegung des Urteilstenors , NJW-RR 2017, 763 Rn. 2 mwN).

12Einzelne Teile der Versicherungsscheine und Nachträge hierzu enthalten zwar einzelne personenbezogene Daten der Klägerin als Versicherungsnehmerin des Beklagten, es handelt sich aber nicht in ihrer Gesamtheit um personenbezogene Daten der Klägerin. Eine Beschränkung des geltend gemachten Anspruchs und ihres Antrags auf die in den Schreiben enthaltenen personenbezogenen Daten hat die Klägerin jedoch nicht vorgenommen (vgl. , NJW 2023, 3490 Rn. 46 ff.).

13d) Auch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO kann die Klägerin keinen Anspruch auf Ausfolgung einer Kopie der genannten Unterlagen herleiten. Art. 15 Abs. 3 DSGVO legt die praktischen Modalitäten für die Erfüllung des Anspruchs aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO fest, gewährt aber keinen weitergehenden eigenen Anspruch. Der Begriff „Kopie“ in Art. 15 Abs. 3 DSGVO bezieht sich nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält. Die Kopie muss daher alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind. Die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken kann sich aber dann als unerlässlich erweisen, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten und der betroffenen Person die wirksame Ausübung ihrer Rechte zu gewährleisten (vgl. , NJW 2023, 2253 Rn. 31 f., 41, 45; vom - C-579/21, NJW 2023, 2555 Rn. 66; vom - C-307/22, NJW 2023, 3481 Rn. 74 f.; , NJW 2023, 3490 Rn. 51 ff.).

14Diese Ausnahme greift vorliegend nicht. Denn die Klägerin hat weder dazu vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich wäre, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten, sodass ausnahmsweise die Übermittlung einer Kopie des jeweiligen vollständigen Versicherungsscheins oder Nachtrags hierzu nötig wäre (vgl. , NJW 2023, 3490 Rn. 55).

152. Die Entscheidung über den Auskunftsantrag erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).

16a) Ein Auskunftsanspruch ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 3 VVG. Nach dieser Vorschrift kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins verlangen, wenn ein Versicherungsschein abhandengekommen oder vernichtet ist. Soweit die Klägerin beantragt hat, ihr die Nachträge zum Versicherungsschein aus den Jahren 2012 bis 2019 zur Verfügung zu stellen, kann dies nicht auf § 3 Abs. 3 VVG gestützt werden. Der Versicherungsschein hat eine Informations-, Legitimierungs- und Beweisfunktion. Damit sich der Versicherungsnehmer über die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag informieren und diese nachweisen kann, gibt ihm § 3 Abs. 3 VVG einen Anspruch auf Ersatzausstellung des Versicherungsscheins. Dieser erfasst daher nur den Versicherungsschein einschließlich solcher Nachträge, die den derzeit geltenden Vertragsinhalt wiedergeben, nicht dagegen bereits überholte Nachträge (, NJW 2023, 3490 Rn. 42 mwN). Hinsichtlich des etwaigen Nachtrags zum Versicherungsschein aus dem Jahr 2020 fehlt es zumindest an der Feststellung, dass es sich hierbei um den aktuellen Nachtrag handelt.

17b) § 3 Abs. 4 Satz 1 VVG bezieht sich nur auf eigene Erklärungen des Versicherungsnehmers, nicht solche des Versicherers, und scheidet deshalb ebenfalls als Anspruchsgrundlage aus (BGH, aaO Rn. 43 mwN).

18c) Auch auf § 810 BGB kann der Anspruch nicht gestützt werden, da er lediglich die Gestattung der Einsichtnahme in eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde ermöglicht (BGH, aaO Rn. 44 mwN).

19d) Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen kann die Klägerin ihr streitgegenständliches Auskunftsbegehren auch nicht auf Treu und Glauben nach § 242 BGB stützen.

20aa) Nach § 242 BGB trifft den Schuldner im Rahmen einer Rechtsbeziehung ausnahmsweise eine Auskunftspflicht, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Die Zubilligung des Auskunftsanspruchs hat unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen. Innerhalb vertraglicher Beziehungen - wie hier - kann der Auskunftsanspruch auch die Funktion haben, dem Berechtigten Informationen über das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach zu verschaffen. Es müssen dann ausreichende Anhaltspunkte für das Bestehen eines Hauptanspruchs gegeben sein, der mit Hilfe der Auskunft geltend gemacht werden soll (, NJW 2023, 3490 Rn. 30 ff. mwN).

21Zudem sind Feststellungen dazu zu treffen, dass der Berechtigte nicht mehr über die im Auskunftsantrag bezeichneten Unterlagen verfügt. Nur dann kann feststehen, dass er über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann. Treu und Glauben erfordern es nicht, dem Auskunftssuchenden Mühe auf Kosten des Auskunftsverpflichteten zu ersparen (BGH, aaO Rn. 38 mwN).

22Schließlich bedarf es Feststellungen zu den Gründen des Verlusts. Der Versicherungsnehmer ist nicht schon dann entschuldbar über seine Rechte im Ungewissen, wenn er die Unterlagen über die Beitragsanpassungen nicht mehr besitzt und zu den Gründen des Verlusts nicht weiter vorträgt. Erst die Darlegung der Gründe des Verlusts durch den Versicherungsnehmer ermöglicht die Beurteilung, ob dem Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zusteht (BGH, aaO Rn. 40 mwN).

23bb) Weder zu dem - von dem Beklagten bestrittenen - Umstand des Verlusts der Unterlagen als solchem noch zu den Gründen dieses Verlustes hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus konsequent - Feststellungen getroffen.

III.

24Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen dazu treffen kann, ob der Nachtrag zum Versicherungsschein des Jahres 2020 den geltenden Vertragsinhalt wiedergibt (§ 3 Abs. 1 VVG) und ob die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 242 BGB gegeben sind.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060224UVIZR62.23.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-61502