Instanzenzug: LG Dresden Az: 15 KLs 731 Js 18835/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Brandstiftung, wegen versuchter schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Sachbeschädigung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Nach den Urteilsfeststellungen besteht bei dem Angeklagten, der seit seinem 17. Lebensjahr regelmäßig Alkohol trinkt, eine leichte Intelligenzminderung (Gesamt-IQ 57) und eine Alkoholkonsumstörung leichten bis mittleren Schweregrades. Im Tatzeitraum (Ende April 2020 bis Anfang Mai 2022) legte er mehrfach Feuer innerhalb der Betriebsstätte seines Arbeitgebers (Fälle II.1 bis II.3) und in dem von seiner Familie und ihm bewohnten Mietshaus (Fälle II.4. bis II.7). Bei allen Taten war seine Steuerungsfähigkeit infolge der leichten Intelligenzminderung erheblich vermindert. Die Taten dienten dem Angeklagten der Bewältigung von Überforderungserleben, insbesondere im Zusammenhang mit seiner Arbeitstätigkeit und Ehestreitigkeiten, die er aufgrund seiner Intelligenzminderung nicht anderweitig zu kompensieren vermochte. Außerdem nutzte er das Geschehen rund um die Brände, um sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und als Retter zu gerieren, was positive Gefühle erzeugte und seinen Selbstwert stabilisierte.
3Das sachverständig beratene Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 Satz 1 StGB), weil infolge der bei ihm bestehenden leichten Intelligenzminderung die Gefahr erheblicher, auf Zerstörung angelegter Taten, insbesondere Brandstiftungen, bestehe. Von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hat es abgesehen, da es nach Einschätzung des Sachverständigen am symptomatischen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Taten fehle. Zudem könne allein die Behandlung der Alkoholkonsumstörung die Gefahr für die Allgemeinheit nicht ausreichend abwenden.
II.
4Der Schuldspruch im Fall II.7 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil die Prüfung der Schuldfähigkeit durchgreifende Rechtsfehler aufweist.
51. Insoweit hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
6a) Nach einem Ehestreit entzündete der Angeklagte am in dem von ihm genutzten Kellerabteil des Mehrfamilienwohnhauses unter Verwendung brandfördernder Substanzen mit Textilien gefüllte Pappkartons. Anschließend verschloss er das Kellerabteil und verließ den Brandort, wobei er das Übergreifen des Feuers auf wesentliche Gebäudeteile ebenso wie eine dauerhafte Unbewohnbarkeit des Hauses durch Raucheinwirkung für möglich hielt und billigend in Kauf nahm. Als im weiteren Verlauf des Geschehens deutlich sichtbar Rauch durch die Kellertür ins Treppenhaus drang, alarmierte er die anwesenden Hausbewohner und forderte sie auf, das Haus sofort zu verlassen. Obwohl die Warnung der Mieter durch den Angeklagten „dringlich und beinahe theatralisch“ ablief, kümmerte er sich um die in seiner Wohnung verbliebene Ehefrau und Tochter erst, nachdem eine Nachbarin ihn danach fragte. Die von einer anderen Mieterin gerufene Feuerwehr löschte den Brand, bevor wesentliche Gebäudeteile dauerhaft beschädigt oder unbewohnbar wurden. Vor dem Haus schrie der Angeklagte aufgeregt herum und schleuderte eine Wasserflasche durch die Gegend. Durch Hitzeeinwirkung und Rauchgas entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 30.000 Euro. Eine beim Angeklagten etwas mehr als drei Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,25 Promille auf. Zur Tatzeit ergab sich durch Rückrechnung eine solche von etwa 2,1 Promille.
7b) Das Landgericht hat die Tat als versuchte schwere Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung gewertet (§ 306a Abs. 1 Nr. 1, § 22, § 303 Abs. 1 StGB). Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war bei der Tatbegehung erheblich eingeschränkt.
8Dem Sachverständigen folgend hat es ausgeführt, dass die beim Angeklagten bestehende leichte Intelligenzminderung das Eingangsmerkmal des § 20 Var. 3 StGB erfülle. Er sei deshalb nur eingeschränkt in der Lage gewesen, auf Konfliktlagen angemessen zu reagieren. Jedoch zeige das konkrete, zum Teil nachweislich gezielte und planvolle Vorgehen bei allen Brandlegungen und sein Nachtatverhalten einschließlich rationaler Rettungsbemühungen, dass seine Steuerungsfähigkeit nicht gänzlich aufgehoben gewesen sei.
92. Auf dieser Tatsachengrundlage kann die Annahme des Landgerichts, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht vollständig aufgehoben gewesen sei, keinen Bestand haben. Die Beweiswürdigung erweist sich insoweit als lückenhaft und widersprüchlich.
10a) Mit der Frage der Auswirkungen der festgestellten erheblichen Alkoholisierung zur Tatzeit von 2,1 Promille auf die Schuldfähigkeit hat sich die Strafkammer weder für sich genommen noch im Hinblick auf ein etwaiges Zusammenwirken mit dem festgestellten Eingangsmerkmal einer Intelligenzminderung befasst. Erstmals im Rahmen der Prüfung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) wird im Urteil die Alkoholisierung des Angeklagten thematisiert. Insoweit teilt das Landgericht lediglich die weitgehend tatübergreifenden Ausführungen des Sachverständigen mit, die zu dem Ergebnis kommen, dass trotz Bestehens eines Hangs ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Taten und Alkoholkonsum nicht bestehe (UA S. 66). Bei den Taten II.1 bis II.3 habe schon keine Alkoholisierung vorgelegen; bei den übrigen Taten sei zwar vorheriger Alkoholkonsum festgestellt worden, jedoch hätten Zeugen keinerlei Ausfallerscheinungen beschrieben. Da mehrere Zeugen berichtet hätten, den Angeklagten trotz erheblichen Bierkonsums nie betrunken erlebt zu haben, sei zudem von einer beträchtlichen Alkoholgewöhnung auszugehen. Bei Tat II.7 habe zwar eine Blutalkoholkonzentration von 2,1 Promille bestanden, weder die „beteiligten“ Polizeibeamten noch die Zeugin H. hätten aber konkrete Ausfallerscheinungen geschildert, ausgenommen das Werfen der Wasserflasche, was eher auf einen emotionalen Erregungszustand zurückzuführen sei.
11Die Ausführungen lassen bereits die gebotene eigene Überprüfung der Feststellungen und Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen durch das Landgericht vermissen (vgl. , NStZ-RR 2022, 337 f.; Beschlüsse vom – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 f.; vom – 1 StR 651/18, NStZ-RR 2019, 334, 336). Auf dieser Grundlage ist eine revisionsgerichtliche Überprüfung der tatgerichtlichen Annahme, die Steuerungsfähigkeit sei eingeschränkt, aber nicht vollständig aufgehoben gewesen, nicht möglich. Es wird schon nicht erkennbar, ob die Strafkammer im Hinblick auf die Intoxikation des Angeklagten zur Tatzeit, gegebenenfalls mit Blick auf die vom Sachverständigen diagnostizierte Alkoholkonsumstörung leichten bis mittleren Schweregrades, vom Vorliegen eines (weiteren) Eingangsmerkmals im Sinne des § 20 StGB ausgegangen ist. Dessen ungeachtet wird die Aufhebung der Schuldfähigkeit (in allen Fällen) auch allein mit dem Hinweis auf das gezielte Vorgehen und das Nachtatverhalten mit rationalen Rettungsbemühungen abgelehnt. Für Tat II.7 ist das aber gerade nicht belegt. Vielmehr vermitteln die im Urteil wiedergegebenen Zeugenaussagen ein gegenteiliges Bild. Anders als bei den Taten II.1 bis II.6 der Urteilsgründe beschrieb die Zeugin H. eine starke emotionale Erregung des Angeklagten und auffällige Verhaltensweisen. Er schrie „aufgeregt“ herum und schleuderte eine Wasserflasche in die Gegend. Bemerkenswert erschien der Zeugin auch, dass er zwar die Hausbewohner „emotional übertrieben“, „beinahe theatralisch“ alarmiert hatte, an die noch in seiner Wohnung verbliebene Ehefrau und Tochter schien er jedoch nicht gedacht zu haben. Erst auf Nachfrage der Zeugin K. begab er sich nochmals ins Haus, um seine Familie zu warnen.
12b) Darüber hinaus fehlt im Urteil die notwendige gesamtwürdigende Erörterung der Auswirkungen des Zusammenwirkens der hohen Alkoholisierung des Angeklagten und der nach den Feststellungen bereits für sich genommen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit führenden leichten Intelligenzminderung auf dessen Schuldfähigkeit zur Tatzeit.
13Insoweit gilt: Beim Zusammentreffen mehrerer die Schuldfähigkeit möglicherweise beeinträchtigender Faktoren – hier die leichte Intelligenzminderung und hohe Alkoholisierung bei bestehender Alkoholkonsumstörung – bedarf die Schuldfähigkeitsbeurteilung eingehender Erörterung (vgl. ). Kommen mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen sie nicht isoliert betrachtet, sondern müssen im Rahmen einer umfassenden Gesamtbetrachtung gewürdigt werden (vgl. , NStZ-RR 2022, 7 ff. mwN).
14Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht. Es fehlt an der notwendigen Zusammenschau aller Umstände. Für eine solche bestand hier aufgrund der oben erwähnten Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten besonderer Anlass. Die im Urteil mitgeteilte Einschätzung des Sachverständigen, dass die „beteiligten“ Polizeibeamten und die Zeugin H. keine konkreten Ausfallerscheinungen geschildert hätten, steht deshalb auch im Widerspruch zu dem gerade von dieser Zeugin beschriebenen auffälligen Verhalten des Angeklagten.
III.
15Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.7 der Urteilsgründe. Die Schuldsprüche in den Fällen II.1 bis II.6 der Urteilsgründe sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen, weil dem Fall II.7 vergleichbare Besonderheiten, insbesondere eine erhebliche Alkoholisierung, insoweit nicht festgestellt sind.
16Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht auch der Einzelstrafe im Fall II.7, dem Gesamtstrafausspruch und der Maßregelentscheidung die Grundlage. Die im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können mit Ausnahme derjenigen zur Schuldfähigkeit und dem Maßregelausspruch bestehen bleiben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:061223B5STR372.23.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-61496