Instanzenzug: LG Kempten Az: 53 S 205/23vorgehend AG Kempten Az: 2 C 149/21
Gründe
I.
1Die Beklagten sind Eigentümer eines Wegegrundstücks, an dem für die Eigentümer eines Nachbargrundstücks eine Grunddienstbarkeit (Geh- und Fahrrecht) im Grundbuch eingetragen ist. Die Kläger sind Eigentümer eines anderen benachbarten Grundstücks. Die Kläger zu 1 und 3 benutzen den Weg, wenn sie die Dienstbarkeitsberechtigten besuchen wollen, oder wenn sie sich in deren Abwesenheit um das Grundstück kümmern. Die Beklagten untersagten den Klägern die Nutzung des Weges.
2Das Amtsgericht hat die Kläger zu 1 und 3 - soweit von Interesse - auf die Widerklage der Beklagten verurteilt, die Nutzung des Wegegrundstücks der Beklagten zu unterlassen, außer um die Dienstbarkeitsberechtigten zu besuchen oder zu deren Grundstück zu gelangen. Soweit sich die Widerklage gegen die Klägerin zu 2 richtet, hat es sie abgewiesen. Das Landgericht hat die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Kläger zu 1 und 3 als unzulässig verworfen und den Berufungsklägern die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt. Gegen diesen Beschluss wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
3Das Berufungsgericht sieht die Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO als unzulässig an, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € nicht übersteige, sondern auf 500 € festzusetzen sei. Das Interesse der Kläger an der Nutzung des Weges sei nur auf den Besuch der Dienstbarkeitsberechtigten bzw. deren Grundstücks gerichtet und insoweit überdies vom Amtsgericht erlaubt worden. Jegliches wirtschaftliche und bei Nichtausübung für die Klägerseite schadensträchtige Interesse liege nicht vor.
III.
4Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
51. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 2 ist bereits nicht statthaft. Das Berufungsgericht führt die Klägerin zu 2 zwar im Rubrum als Berufungsklägerin auf, es nimmt aber ausweislich der Beschlussgründe an, dass nur die Kläger zu 1 und 3 gegen das - sie allein beschwerende - Urteil des Amtsgerichts Berufung eingelegt haben. Es hat folgerichtig nur deren Berufung verworfen, nicht aber eine etwaige Berufung der Klägerin zu 2. Deren Rechtsbeschwerde ist daher nicht nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO von Gesetzes wegen statthaft.
62. Die Rechtsbeschwerde der Kläger zu 1 und 3 (nachfolgend Kläger) ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft; sie ist aber unzulässig, da die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 50/16, NJOZ 2018, 583 Rn. 3; , NJW 2023, 1062 Rn. 6 mwN), nicht gegeben sind. Die von der Rechtsbeschwerde allein geltend gemachte Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erfordert keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Kläger nicht in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).
7a) Entgegen der Darstellung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht den Vortrag der Kläger zu ihrer Beschwer aus der Verurteilung durch das Amtsgericht nicht im Kern verkannt.
8aa) Die Kläger machen geltend, sie hätten zu ihrer Beschwer vorgetragen, dass sie durch die Verurteilung zur Unterlassung der Nutzung des Wegs „massiv“ in ihren Grundrechten beeinträchtigt würden, weil sie bestimmte Wege, die unmittelbar von ihrem Grundstück ausgingen, nicht mehr nutzen dürften. Es sei für sie von entscheidender Bedeutung, den Weg der Beklagten uneingeschränkt nutzen zu dürfen, ohne jedes Mal einen „Rechtfertigungsnachweis“ erbringen zu müssen. Sie beführen oder begingen den Weg täglich mehrfach, um die Dienstbarkeitsberechtigten zu besuchen oder nach deren Grundstück zu schauen. Die von dem Amtsgericht ausgesprochene Unterlassungsverpflichtung erschwere ihnen dies erheblich. Das Berufungsgericht habe sich mit dem Kern dieses Vorbringens nicht auseinandergesetzt, sondern lediglich versucht, das Interesse der Kläger vermögensrechtlich zu erfassen.
9bb) Damit ist ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör nicht dargelegt.
10(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verpflichtet das Gebot rechtlichen Gehörs das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dazu gehört, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZR 19/20, juris Rn. 6 mwN).
11(2) So liegt es hier nicht. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass es sich bei der Klage auf Unterlassung einer Eigentumsstörung um eine vermögensrechtliche Streitigkeit handelt (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 75/21, NJW-RR 2022, 1669 Rn. 7). Die Beschwer der klagenden Partei bemisst sich nach ihrem Interesse an der Unterlassung der Störung, das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gemäß § 3 ZPO zu bestimmen ist (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 75/21, aaO mwN). Die Beschwer der Beklagten - hier der Kläger als Widerbeklagten - bemisst sich nach ihrem ebenfalls unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bestimmenden Interesse daran, die Nutzung, deren Unterlassung verlangt wird, fortzusetzen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZR 48/20, WuM 2021, 134 Rn. 6). Das Berufungsgericht hat folglich nicht den Kern des klägerischen Vorbringens zur Beschwer verkannt, sondern angenommen, dass diesem Vorbringen Anhaltspunkte für ein wirtschaftlich bewertbares - 600 € übersteigendes - Interesse der Kläger an der Nutzung des Weges der Beklagten nicht zu entnehmen sind und ein so zu bewertendes Interesse auch sonst nicht ersichtlich ist. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden, zumal den Klägern die nach eigenem Vorbringen einzig in ihrem Interesse liegende Nutzung des Weges, nämlich das Begehen oder Befahren des Weges, um die Dienstbarkeitsberechtigten zu besuchen oder sich um deren Grundstück zu kümmern, weiterhin erlaubt ist.
12b) Das Berufungsgericht hat die Kläger auch nicht in ihrem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt, welches den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. hierzu etwa Senat, Beschluss vom - V ZB 137/19, NJW-RR 2020, 1004 Rn. 4 ff.). Die Kläger machen insoweit geltend, dass die Beschwer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit bei nicht ausreichenden Anhaltspunkten für ein höheres oder geringeres Interesse in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG nach dem Auffangwert von 5.000 € bestimmt werden kann (vgl. , WM 2016, 96 Rn. 13 mwN). Wie oben ausgeführt handelt es sich aber vorliegend um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Eine Orientierung an dem Auffangwert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG oder § 52 Abs. 2 GKG kommt daher nicht in Betracht (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 75/21, NJW-RR 2022, 1669 Rn. 7).
IV.
13Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts orientiert sich an der Festsetzung des Berufungsgerichts.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:150224BVZB54.23.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-61341