BGH Urteil v. - VIa ZR 1513/22

Instanzenzug: Az: VIa ZR 1513/22 Beschlussvorgehend Az: I-22 U 119/21vorgehend Az: 16 O 195/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb am einen von der Beklagten hergestellten Audi Q7, der mit einem von der Beklagten hergestellten 3,0l-V6-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3Das Landgericht hat die Beklagte unter Abzug des Werts der gezogenen Nutzungen zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 66.750,15 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Nachdem die Beklagte hiergegen Berufung eingelegt hat, hat der Kläger mitgeteilt, er habe das Fahrzeug für 30.000 € veräußert, und die Klage in Höhe dieses Betrags für erledigt erklärt. Das Berufungsgericht hat das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Senat im tenorierten Umfang zugelassene Revision des Klägers, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils mit der Maßgabe eines Abzugs in Höhe des Veräußerungserlöses und insoweit Feststellung der Erledigung anstrebt.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Dem Kläger stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Soweit der Kläger die Verwendung einer Aufheizstrategie und einer Software behauptet habe, die für normgerechte Emissionen im Prüfstand und deutlich höhere Emissionen im gewöhnlichen Fahrbetrieb sorge, benenne der Kläger hierfür auch vor dem Hintergrund der Bewertung des Kraftfahrt-Bundesamts keine Anhaltspunkte. Die als solche nicht streitige Verwendung eines Thermofensters könne nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Sittenwidrigkeit nicht begründen, zumal die Verwendung eines Thermofensters dem KBA prinzipiell bekannt gewesen sei.

7Auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV könne der Kläger den geltend gemachten Schadensersatz schon deshalb nicht stützen, weil es sich dabei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht um Schutzgesetze handele. Jedenfalls aber liege mit Rücksicht auf die Äußerungen des KBA ein unvermeidbarer Verbotsirrtum der Beklagten vor und mache der Kläger einen Schaden geltend, der nach dem Schutzzweck der maßgebenden Bestimmungen nicht ersatzfähig sei.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).

12Mit den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen zu einem unvermeidbaren Verbotsirrtum der Beklagten kann ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat. Dem steht schon entgegen, dass der Fahrzeughersteller, will er sich zur Widerlegung der Verschuldensvermutung ( aaO, Rn. 59 f.) auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen, einen Irrtum konkret darlegen und beweisen muss ( aaO, Rn. 63), und zwar in Bezug auf die nach § 31 BGB Verantwortlichen (vgl. VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 14).

III.

13Die Berufungsentscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:300124UVIAZR1513.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-61152