BGH Urteil v. - VIa ZR 1356/22

Instanzenzug: Az: I-8 U 89/21vorgehend LG Bielefeld Az: 18 O 344/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten AUDI A6 Avant 3.0 TDI, der mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten V6-Turbodieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug verfügt auch über einen SCR-Katalysator. Das Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) veranlasste einen Rückruf des Fahrzeugs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.

3Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen sowie Feststellung des Annahmeverzugs gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Dem Kläger stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu, denn er habe die nach § 826 BGB erforderliche vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht hinreichend dargetan. In Bezug auf eine behauptete Aufheizstrategie fehle es an greifbaren Anhaltspunkten, weil der Rückruf des KBA die AdBlue-Eindüsung bei einer bestimmten Restreichweite betreffe. Die seitens der Beklagten eingeräumte Warmlaufmodusfunktion sei nicht grenzwertkausal und vom KBA nicht als unzulässig beanstandet worden. Dementsprechend sei die Verwendung dieser Funktion nicht sittenwidrig. Auch die Restreichweitenerkennung und die davon abhängige Steuerung der AdBlue-Eindüsung begründe nicht die Sittenwidrigkeit. Auswirkungen des Software-Updates könnten nicht die Sittenwidrigkeit begründen. In einer Lenkwinkelerkennung liege keine Abschalteinrichtung. Die Behauptungen des Klägers zum Thermofenster seien als neue Angriffsmittel im zweiten Rechtszug nach § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigen, weil die Beklagte die konkrete Ausgestaltung in Abrede gestellt habe und überdies eine Erforderlichkeit des Thermofensters zum Motorschutz behauptet habe.

7Schließlich bestehe kein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. Dabei könne die Rechtsnatur der zuletzt genannten Vorschrift als Schutzgesetz offenbleiben. Denn jedenfalls fehle es an einem Schaden des Klägers, weil die Gefahr einer Betriebsbeschränkung durch das Aufspielen des freigegebenen Software-Updates habe ausgeräumt werden können.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.

91. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings eine Schadensersatzhaftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint.

10a) In Bezug auf die als solche nicht bestrittene Verwendung eines Thermofensters ergibt sich dies schon aus einer mangelnden Prüfstandsbezogenheit und dem Fehlen weiterer Umstände (vgl. , NJW 2021, 3721 Rn. 15 ff.; Urteil vom - III ZR 221/20, juris Rn. 15; Beschluss vom - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.). Dementsprechend kommt es hier nicht darauf an, dass das Berufungsgericht bei seinen Ausführungen zur Präklusion neuen Vorbringens im zweiten Rechtszug nach § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht berücksichtigt hat, dass die Beklagte nur die behauptete Ausgestaltung des Thermofensters, nicht aber die Verwendung eines Thermofensters als solche bestritten hatte und dass das Vorbringen des Klägers insoweit zu berücksichtigen war, weil es unstreitig war (vgl. , BGHZ 161, 138, 141 ff.; Urteil vom - II ZR 394/02, NJW-RR 2005, 437).

11b) Zutreffend hat das Berufungsgericht ferner hinsichtlich der Warmlaufmodusfunktion auf die Grenzwertkausalität abgestellt. Denn bei fehlender Grenzwertkausalität bestehen keine Anhaltspunkte für eine Täuschung der Genehmigungsbehörde (vgl. , juris Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11).

12c) Richtig hat das Berufungsgericht ferner die Sittenwidrigkeit im Hinblick auf die Steuerung der AdBlue-Eindüsung mit Rücksicht auf eine bestimmte Restreichweite verneint. Insofern gelten die zur Funktion eines Thermofensters angestellten Erwägungen sinngemäß.

13d) Dass ein aufgespieltes Software-Update den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht zu begründen vermag, folgt bereits aus dem seitens des Klägers geltend gemachten Schaden in Form der Belastung mit einem nicht gewollten Vertrag. Hierfür kann ein später aufgespieltes Software-Update nicht ursächlich sein. Hinzu kommt, dass - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - ein Software-Update auch dann nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit zu begründen vermag, wenn damit nicht nur die unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern damit auch nachteilige Veränderungen einhergehen (, NJW 2021, 1814 Rn. 30).

14e) Richtig hat das Berufungsgericht schließlich ausgeführt, dass in einer Lenkwinkelerkennung für sich betrachtet keine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 liegt. Erforderlich ist vielmehr ein Bezug der Parametererkennung zur Emissionskontrolle.

152. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

16Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Dieser Schaden kann auch nicht unter Verweis auf die Beurteilung des Sachverhalts durch das KBA (vgl. aaO, Rn. 42) und eine nach dem Aufspielen eines vom KBA freigegebenen Software-Updates nicht mehr bestehende Gefahr von Betriebsbeschränkungen verneint werden. Vielmehr setzt das voraus, dass das betreffende Software-Update nicht seinerseits eine unzulässige Abschalteinrichtung umfasst. Da es sich um einen Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung handelt, liegt die Darlegungs- und Beweislast insofern allerdings bei der Beklagten (vgl. aaO, Rn. 80). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen noch hat es die Darlegungen der Beklagten an dem erwähnten Maßstab gemessen und entsprechende Feststellungen zum Software-Update getroffen.

III.

17Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

18Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130224UVIAZR1356.22.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-61151