BGH Beschluss v. - 5 StR 383/23

Instanzenzug: LG Dresden Az: 7 KLs 619 Js 41468/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (Fall B.I) und in einem Fall mit vorsätzlicher Körperverletzung (Fall B.II), sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexueller Nötigung (Fälle B.III und B.IV), verurteilt und eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verhängt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen dringen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen nicht durch.

II.

3Demgegenüber erweist sich die Sachrüge zum Teil als erfolgreich.

41. Der Schuldspruch im Fall B.IV der Urteilsgründe hat keinen Bestand.

5a) Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte den elfjährigen    D.       , der mit zwei befreundeten Mitschülern im Bereich einer Grünfläche spielte, unter Vortäuschung von Ortsunkundigkeit dazu veranlasste, ihm den Weg zu einem D.     er Aussichtspunkt zu zeigen und ihn zu begleiten. Auf diese Weise lenkte der Angeklagte das Kind bewusst von seinen Freunden weg, um auf dieses an einer entlegenen Stelle einen sexuellen Übergriff vornehmen zu können. Auf einer hinter einem Hügel gelegenen, von den Mitschülern des Kindes nicht mehr einsehbaren und menschenleeren Wiesenfläche, wo es dem Angeklagten schutzlos ausgeliefert war, fragte er das Kind nach einem bestimmten Kampfsportler und zeigte ihm ein entsprechendes Foto auf seinem Handy. Unter dem Vorwand, dem Kind Kampfsporttechniken vorführen zu wollen, legte sich der Angeklagte rücklings auf den Boden und forderte das Kind auf, sich auf ihn zu legen. Nachdem dieses der Aufforderung nachgekommen war, strich ihm der Angeklagte über den Rücken, griff an dessen bedecktes Gesäß und versuchte, mit der Hand das Geschlechtsteil des Kindes zu ertasten. Dieses stand unvermittelt auf, um den nach seinem Empfinden unangenehmen Berührungen zu entgehen. Der Angeklagte, der sich ebenfalls erhob, hielt das Kind mit beiden Händen fest. Er redete auf dieses ein und veranlasste es, sich seinerseits auf den Rücken zu legen, damit er ihm zeigen könne, wie man „richtig kämpft“. Der Angeklagte legte sich mit seiner gesamten Körperlänge, Bauch an Bauch auf das Kind und berührte dessen Wange mit der seinen. Auch als das Kind, dessen entgegenstehenden Willen der Angeklagte erkannte, ihn aufforderte, die Handlungen zu beenden, blieb er auf ihm liegen und zwang es unter Einsatz seines Körpers, die Einwirkung zu erdulden. Erst als das Kind zu weinen anfing, ließ er es gehen und äußerte: „E.   traurig“.

6Das Landgericht hat die Tat als sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexueller Nötigung (§ 176 Abs. 1 Nr. 1, § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 und Nr. 3 StGB) gewertet.

7b) Die Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten beruhen auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung. Diese ist – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. , NJW 2020, 2741 mwN) – nicht tragfähig begründet.

8aa) Zum Tatvorwurf hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung geschwiegen. Er hat aber bei seiner Vernehmung durch die Polizei, die Vorfälle zum Nachteil unterschiedlicher Kinder betraf, geäußert, dass er Kinder „im Allgemeinen“ „umarme“. Der Geschädigte    D.        hatte ihn (anlässlich einer Wahllichtbildvorlage) nicht als Täter wiedererkannt.

9Das Landgericht hat seine Überzeugung allein auf DNA-Spuren an Jacke und Hose des Kindes gestützt, durch die der Angeklagte als Täter überführt werde.

10Nach dem Sachverständigengutachten handelte es sich bei den an der Kleidung des Kindes gesicherten DNA-Spuren um Mischspuren, die Beimengungen erblicher Merkmale, wie sie der Angeklagte besitzt, „teilweise unvollständig bzw. im Bereich der technischen Nachweisgrenze“, enthielten. Nach sachverständiger Einschätzung sei deshalb eine Mitverursachung der Spuren durch den Angeklagten „in Betracht zu ziehen“ (Spuren 01.01, 01.12, 01.6 und 02.7) oder „nicht auszuschließen“ (Spuren 01.2, 01.3, 01.4, 01.9, 02.8 und 02.9). Dieser Bewertung hat sich das Landgericht einerseits angeschlossen, andererseits insoweit aber ausgeführt, der Angeklagte sei „schon aufgrund der Spurenlage“ als überführt anzusehen und „als Täter identifiziert“, da er „erwiesenermaßen“ mit dem Jungen in Kontakt getreten sei. Die Spurentreffer belegten, dass es zu einer „intensiven“ Berührung zwischen dem Angeklagten und dem Jungen gekommen sei. Die Lage der Spuren (Brustbereich, Bauchbereich, Gesäßbereich) sei zudem ein Indiz für die Richtigkeit der Angaben des geschädigten Kindes zu einem Positionswechsel.

11bb) Dieses Vorgehen des Landgerichts erweist sich als rechtsfehlerhaft. Es hat zwar – insoweit zutreffend – im Nachweis von DNA des Angeklagten an tatrelevanten Stellen der Bekleidung des geschädigten Kindes (nur) ein Indiz für seine Täterschaft gesehen (vgl. Rn. 12; Beschluss vom – 5 StR 148/15 Rn. 3). Ohne gesamtwürdigende Bewertung dieses Indizes (vgl. , NJW 2013, 2612 ff.; Beschlüsse vom – 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741; vom – 4 StR 480/20 Rn. 3 mwN) hat es sodann aber seine volle Überzeugung hierauf gestützt. Damit hat es augenscheinlich das Wesen von Indizien verkannt, welches darin liegt, dass diese keine zwingenden Schlüsse erlauben, sondern ihren Beweiswert erst im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller dafür und dagegen sprechenden Gesichtspunkte gewinnen ( Rn. 13). Eine solche Gesamtwürdigung war hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. , NJW 2013, 2612 ff.). Denn den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass aus sachverständiger Sicht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass gerade der Angeklagte (Mit-)Verursacher der DNA-Spuren war (vgl. , NStZ-RR 2017, 91 f. für Spuren, die einen sicheren Schluss auf einen Hauptverursacher zulassen; Schneider/Fimmers/Schneider/Brinkmann, NStZ 2007, 447 ff.; Ulbrich/Anslinger/Bäßler u.a., NStZ 2017, 135 ff.).

12Hinzu kommt, dass die Darstellung der DNA-Mischspuren im Urteil ohnehin nicht den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt (st. Rspr.; vgl. ; Urteil vom – 4 StR 46/21).

13c) Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht der Schuldspruch. Zwar ergeben sich aus den Urteilsgründen gewichtige weitere Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen könnten, insbesondere der zeitliche und räumliche Zusammenhang mit Fall B.III zu Lasten eines anderen Kindes und zu weiteren Vorfällen, bei denen der Angeklagte Kinder in ähnlicher Weise angesprochen hatte. Hinzu kommt seine auf mehrere Tatvorwürfe bezogene Äußerung, dass er Kinder „im Allgemeinen“ „umarme“, die zu seinem Mobiltelefon passende Beschreibung der Farbe der Handyhülle des Täters durch den Geschädigten sowie dessen Erkennen von arabischen Schriftzeichen auf dem Bildschirm des Geräts. Diese Indizien hat das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung indes nicht in den Blick genommen und sie gerade nicht gesamtwürdigend seiner Überzeugungsbildung zugrunde gelegt.

14d) Mit der Aufhebung des Schuldspruchs entfällt die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe. Dies entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

152. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.

16a) Soweit das Landgericht im Fall B.II der Urteilsgründe davon ausgegangen ist, dass an die Beweiswürdigung und ihre Darlegung in den schriftlichen Urteilsgründen nicht die erhöhten Anforderungen einer „Aussage gegen Aussage“-Konstellation zu stellen sind, hat es allerdings verkannt, dass eine solche Verfahrenskonstellation auch dann gegeben sein kann, wenn der Angeklagte sich schweigend verteidigt (vgl. Rn. 19; Beschlüsse vom – 4 StR 299/21 Rn. 8; vom – 5 StR 599/15 Rn. 2 f.). Die Strafkammer hat aber dessen ungeachtet alle in diesem Fall für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände in einer umfassenden Beweiswürdigung berücksichtigt und insbesondere die Angaben der Geschädigten einer eingehenden Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen.

17b) Zutreffend hat das Landgericht im Fall B.III der Urteilsgründe angenommen, dass die sexuellen Handlungen des Angeklagten bezogen auf das von § 176 Abs. 1 StGB geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB waren. Dies gilt schon angesichts des unvermittelten Umarmens, der mindestens zwei Küsse auf den Hals und des Riechens („Schnüffeln“) daran, zumal der Angeklagte die verängstigte und sich windende Nebenklägerin erst nach mehrmaliger Aufforderung losließ. Auch der Handlungsrahmen (zu dessen Bedeutung vgl. Rn. 27, NStZ-RR 2023, 139, 140 f.) war davon geprägt, dass der Angeklagte das Mädchen zuvor gezielt vereinzelte, so dass es seinem Einfluss schutzlos ausgeliefert war.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:061223B5STR383.23.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-61046