Vertragsärztliche Versorgung - Nachfolgezulassung - anderer entscheidungserheblicher Zeitpunkt als der der letzten mündlichen Verhandlung - Grundsatz des Abstellens auf die günstigste Rechtslage bis zum Abschluss der Revisionsinstanz - möglich Abweichung auch in anderen Konstellationen als für die Bewertung der Fortführungsfähigkeit einer Praxis
Gesetze: § 103 Abs 4 SGB 5, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG
Instanzenzug: Sozialgericht für das Saarland Az: S 2 KA 6/18 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Saarland Az: L 3 KA 1/21 Urteil
Gründe
1I. Die Klägerin, eine aus mehreren zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Fachärzten für Radiologie bestehende Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit Praxissitz in S, wendet sich als unterlegene Mitbewerberin gegen die Erteilung einer Nachfolgezulassung für zwei Vertragsarztsitze an die zu 1. beigeladene GbR sowie die dieser zeitgleich erteilten Anstellungsgenehmigungen.
2Der Zulassungsausschuss für das Saarland gab den unter Verzicht auf ihre Zulassung gestellten Anträgen des zu 9. Beigeladenen und des mittlerweile verstorbenen F, ihre Vertragsarztsitze in ihrer gemeinsam als BAG betriebenen radiologischen Praxis in D nachzubesetzen, statt (bestandskräftiger Beschluss vom ). Der Mietvertrag über die Praxisräume in D endete zum und konnte nicht verlängert werden. Auf die Ausschreibung bewarben sich die Klägerin und die Beigeladene zu 1. Die Klägerin beabsichtigte die Vertragsarztsitze durch zwei angestellte Ärzte in ihrer bestehenden Praxis in S weiterzuführen. Die Beigeladene zu 1. wollte dagegen die Vertragsarztsitze mit vier angestellten Ärzten besetzen und die Praxis bis Ende August 2017 am bisherigen Standort und danach in I weiterführen.
3Mit Beschluss vom erteilte der Zulassungsausschuss der Beigeladenen zu 1. die Nachfolgezulassungen, ordnete den Sofortvollzug an und genehmigte die Anstellung für die vier Ärzte (Anrechnungsfaktoren 1,0, 0,5 und zweimal 0,25) . Den Widerspruch der Klägerin wies der beklagte Berufungsausschuss zurück (Beschluss vom ; Bescheid vom ). Die Entscheidung des Zulassungsausschusses sei nicht zu beanstanden. Dies gelte insbesondere auch, soweit er darauf abgestellt habe, dass die Absicht der Beigeladenen zu 1., die Praxis am bisherigen Vertragsarztsitz fortzuführen, ein wichtiges Entscheidungskriterium darstelle. Der Zulassungsausschuss habe auch das Lebensalter des von der Klägerin anzustellenden Arztes, der das 72. Lebensjahr bereits vollendet habe, unter dem Aspekt der Versorgungskontinuität berücksichtigen dürfen. Zwar mache das Konzept der Beigeladenen zu 1. mit vier Angestellten eine intensivere Dienstplangestaltung erforderlich, dies führe aber nicht zu einer mangelnden Versorgungskontinuität. Dagegen sei bei dem Konzept der Klägerin die vom BSG geforderte räumliche Komponente bei der Praxisfortführung nicht mehr zu erkennen gewesen.
4Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (; ). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der angegriffene Bescheid sei formell rechtmäßig. Er sei insbesondere hinreichend bestimmt. Aus dem Verfügungssatz werde hinreichend deutlich, dass der Beigeladenen zu 1. Anstellungsgenehmigungen im Umfang von zwei Vertragsarztsitzen erteilt worden seien; eine weitere Differenzierung, welche Anstellungsgenehmigung sich auf welchen Vertragsarztsitz beziehe, sei nicht erforderlich. Auch materiell sei die Auswahl der Beigeladenen zu 1. nicht zu beanstanden. Einer Berücksichtigung der Klägerin im Nachbesetzungsverfahren stehe - unabhängig von der konkreten Bewerberauswahl - bereits entgegen, dass diese nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Nachbesetzung der ausgeschriebenen Sitze erfülle, weil es ihr an dem für eine Praxisnachfolge nach § 103 Abs 4 Satz 4 SGB V erforderlichen Fortführungswillen fehle. Eine Praxis werde nur dann fortgeführt, wenn der sich um die Nachfolge bewerbende Arzt am bisherigen Praxisort als Vertragsarzt tätig werden wolle. Aus dem von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Konzept gehe hervor, dass die Genehmigung für die Anstellung von zwei Ärzten benötigt werde, um dem Anstieg von Terminanfragen infolge der Schließung der Praxis in D gerecht zu werden. Ein Tätigwerden in D sei ebenso wenig beabsichtigt wie die Übernahme der Infrastruktur oder des Praxispersonals. Soweit die Klägerin im Übrigen rüge, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten sei das Konzept der Beigeladenen zu 1. überholt gewesen, da zu diesem Zeitpunkt die Praxis ausschließlich in I betrieben worden sei, treffe dies nicht zu. Bei den auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gerichteten Vornahmesachen seien grundsätzlich alle Änderungen der Sachlage bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz sowie alle Rechtsänderungen, auch soweit sie erst in der Revisionsinstanz eintreten, zu berücksichtigen. Eine Ausnahme gelte aber, sofern der Begünstigung eine Drittanfechtung vorangehe. Falls sich für die Zulassung des Dritten die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorteilhafter darstelle, sei dieser Zeitpunkt maßgeblich. Zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den Beklagten am sei das Konzept der Beigeladenen zu 1. nicht überholt gewesen, da sie seit dem die Praxis in D fortgeführt habe, solange dies an diesem Standort möglich gewesen sei. Hierdurch sei der Fortführungswille der Beigeladenen zu 1. dokumentiert worden.
5Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin Rechtsprechungsabweichungen sowie einen Verfahrensmangel geltend (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 und 3 SGG).
6II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
71. Der Zulassungsgrund einer Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist, soweit er hinreichend dargelegt wurde, nicht erfüllt. Hierfür ist erforderlich, dass das LSG seiner Entscheidung tragend einen Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der einem Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG widerspricht. Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift liegt nicht schon vor, wenn das LSG einen Rechtssatz aus einer oberstgerichtlichen Entscheidung nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung einer Revision wegen Divergenz (stRspr; vgl - juris RdNr 13 mwN). Nach diesen Maßstäben kann keine der von der Klägerin zu 1. geltend gemachten Divergenzen zu einer Revisionszulassung führen.
8a) Die Klägerin rügt zunächst eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG zu der Frage, auf welchen Zeitpunkt in tatsächlicher Hinsicht abzustellen ist. Der Senat habe in seiner Entscheidung vom (B 6 KA 9/15 R - BSGE 121, 76 = SozR 4-2500 § 103 Nr 18) den abstrakten Rechtssatz aufgestellt bzw fortgeführt, dass "bei den auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gerichteten Vornahmesachen (…) grundsätzlich alle Änderungen der Sachlage bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz sowie alle Rechtsänderungen, auch soweit sie erst in der Revisionsinstanz eintreten, zu berücksichtigen" seien. Der Senat habe diesen Rechtssatz in seinem Urteil dahingehend präzisiert, dass "die grundsätzliche Beachtung aller Tatsachenänderungen bis zur mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz und aller Rechtsänderungen bis zum Abschluss der Revisionsinstanz dazu führt, dass im Regelfall sowohl vorteilhafte als auch nachteilige Sach- und Rechtsänderungen zu berücksichtigen sind." Von diesem abstrakten Rechtssatz abweichend habe das LSG die in dem gleichen Urteil des BSG angeführte Ausnahme angewandt, dass auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen sei, falls sich die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt für den begünstigten Dritten vorteilhafter darstelle; maßgeblicher Zeitpunkt für die Fortführungsfähigkeit der Praxis sei der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Ausschreibung des Sitzes. Das BSG habe sich hinsichtlich einer Ausnahme in seiner Entscheidung lediglich mit dem Zeitpunkt der Bewertung der Fortführungsfähigkeit einer Praxis befasst. Auf welchen Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei nachträglichen anderweitigen Änderungen abzustellen sei, beantworte das BSG "in dieser Entscheidung zuvor mit dem abstrakten Rechtssatz." Demgegenüber wende das LSG in seinem Urteil die Ausnahme von dem Rechtssatz auf das hiesige Verfahren an, obwohl die Frage der Fortführungsfähigkeit der Praxis unstreitig gegeben gewesen sei.
9Hieraus ergibt sich keine Abweichung des LSG von der Rechtsprechung des BSG. Von dem von der Klägerin ausdrücklich benannten Rechtssatz, dass in Vornahmesachen grundsätzlich auf den Sachverhalt zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz abzustellen ist, ist das LSG ersichtlich nicht abgewichen, sondern hat diesen seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Die Abweichung soll auch nach dem Vortrag der Klägerin darin bestehen, dass das LSG (nach Auffassung der Klägerin) zu Unrecht einen Ausnahmefall angenommen habe. Insoweit trägt die Klägerin vor, das BSG habe sich in der von ihr zitierten Entscheidung lediglich damit befasst, welcher Zeitpunkt bei der Bewertung der Fortführungsfähigkeit einer Praxis maßgeblich sei. Die Frage, auf welchen Zeitpunkt "bei nachträglichen anderweitigen Änderungen" abzustellen sei, beantworte das BSG "zuvor mit dem abstrakten Rechtssatz". Im Ergebnis will die Klägerin damit dem BSG-Urteil den abstrakten Rechtssatz entnehmen, dass ein anderer entscheidungserheblicher Zeitpunkt als der der letzten mündlichen Verhandlung nur für die Bewertung der Fortführungsfähigkeit einer Praxis in Betracht kommt. Einen solchen Rechtssatz hat der Senat in dem Urteil jedoch erkennbar nicht aufgestellt. Aus den Ausführungen des Senats, jedenfalls für grundrechtsrelevante Entscheidungen, zu denen auch eine Entscheidung über die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes zähle, sei grundsätzlich auf die für den Anspruch günstigste Rechtslage bis zum Abschluss der Revisionsinstanz abzustellen ( - aaO RdNr 12), ergibt sich vielmehr, dass ein Abweichen von dem zuvor aufgestellten Grundsatz nach der Rechtsprechung des Senats auch in anderen Konstellationen erforderlich sein kann.
10Soweit die Klägerin mit ihrer Formulierung, es handele sich hierbei um "eine unbedingt klärungsbedürftige Rechtsfrage" möglicherweise keine Divergenz geltend machen, sondern eine grundsätzliche Rechtsfrage zur Klärung stellen will (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG; vgl S 5 der Beschwerdebegründung unter II. 1.), würde es dieser Rechtsfrage an der nötigen Klärungsbedürftigkeit fehlen, wie sich schon aus den oben angeführten Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom (B 6 KA 9/15 R - BSGE 121, 76 = SozR 4-2500 § 103 Nr 18), aber auch aus den weiteren von der Klägerin selbst zitierten Entscheidungen ( - BSGE 124, 266 = SozR 4-2500 § 95 Nr 33, RdNr 28; - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 30) ergibt.
11Mit dem weiteren Vortrag, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten seien die Anstellungsanträge der Beigeladenen zu 1. "ins Leere" gegangen, da eine Praxisaufnahme bzw -fortführung am Standort D nicht mehr möglich gewesen sei und ein Fortführungswille der Beigeladenen zu 1. nicht mehr habe festgestellt werden können, kritisiert die Klägerin im Übrigen lediglich die Unrichtigkeit der LSG-Entscheidung im Einzelfall, zeigt aber keine Rechtsprechungsabweichung auf.
12b) Die Klägerin macht ferner eine Divergenz im Hinblick auf die Anforderungen an die Fortführung einer Vertragsarztpraxis geltend. Der Senat habe ua in seinem Urteil vom (B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr 12) den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass eine Praxis nur dann im Sinne des § 103 Abs 4 SGB V fortgeführt werde, wenn der sich um eine Praxisnachfolge bewerbende Arzt am bisherigen Praxisstandort als Vertragsarzt - ggf auch als Mitglied einer überörtlichen BAG - tätig werden wolle. Dem stellt die Klägerin jedoch keinen abweichenden Rechtssatz gegenüber, den das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte. Vielmehr trägt sie selbst vor, das LSG habe diesen abstrakten Rechtssatz des BSG "fehlerhaft angewendet" (S 7 der Beschwerdebegründung unter II. 2.) und macht hierzu einzelfallbezogene Ausführungen. Dabei meint sie, das LSG habe "die Anforderungen … hinsichtlich des Aspekts der Dauer der Fortführung" nicht beachtet und weiche von der genannten BSG-Entscheidung ab, ohne aufzuzeigen, welchen abstrakten Rechtssatz der Senat in Bezug auf die Anforderungen an die Dauer der Praxisfortführung in dem Urteil vom aufgestellt habe. Sie zitiert lediglich längere Passagen aus dem Urteil, die sich in ähnlicher Form ebenfalls in dem angegriffenen LSG-Urteil finden (vgl Urteilsumdruck S 23 f).
13Sollte die Klägerin mit ihrer Formulierung, fraglich sei, "welche zeitliche Anforderung … an die Dauer einer Tätigkeit an dem Praxisstandort des abgebenden Arztes" bestehe, eine Rechtsfrage für klärungsbedürftig halten, könnte dies ebenfalls nicht zur Zulassung führen. Sie hätte damit schon keine Frage formuliert, die vom Senat mit ja oder nein beantwortet werden kann (s hierzu zB - juris RdNr 11 mwN). Sollten die Ausführungen der Klägerin dahin zu verstehen sein, dass sie geklärt wissen möchte, ob eine Fortführung der Praxis am alten Standort für rund zwei Monate ausreichend sei bzw ob auf den Willen, die Praxis fortzuführen, auch dann abgestellt werden kann, wenn - wie hier - die dauerhafte Fortführung in den alten Praxisräumen objektiv unmöglich ist, wären dies Fragen, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängen und einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich sind (vgl hierzu zB - juris RdNr 7).
14c) Die Klägerin trägt weiterhin vor, das BSG habe in seiner Entscheidung vom (B 6 KA 28/17 R - SozR 4-2500 § 87b Nr 18) hinsichtlich der Nachbesetzung eines hälftigen Versorgungsauftrages den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass "die Erfüllung des Merkmals der Praxisnachfolge regelmäßig davon abhängig sein wird, dass der Arzt, der die halbe Praxis übernimmt ('fortführt'), einen Teil des Patientenstamms übernimmt, sodass die bisherige Praxis im Regelfall gerade nicht unverändert fortgeführt wird." Unabhängig davon, ob damit tatsächlich ein abstrakter Rechtssatz aufgezeigt ist, stellt die Klägerin diesem keinen vom LSG aufgestellten abweichenden Rechtssatz gegenüber. Sie führt lediglich aus, das LSG habe völlig außer Acht gelassen, dass grundsätzlich eine Patientenübernahme ebenfalls Kriterium der Fortführung sein könne. Zudem meint sie, dass LSG habe nicht beachtet, dass es sich bei den zwei zur Nachbesetzung ausgeschriebenen vertragsärztlichen Zulassungen um eine BAG und damit um einen gemeinsamen Patientenstamm gehandelt habe, und dass die beiden Sitze nicht nur einheitlich, sondern auch getrennt voneinander einem Bewerber hätten zugesprochen werden können. Der Anstieg der Terminanfragen in der Praxis der Klägerin in S deute ferner darauf hin, dass die Versorgung der Patienten der BAG auf sie übergegangen sei. Damit kritisiert die Klägerin jedoch lediglich die (vermeintliche) Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall, ohne einen Widerspruch im Grundsätzlichen darzulegen.
15d) Schließlich rügt die Klägerin eine Abweichung des LSG von der Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der besonderen Anforderungen an die Begründung einer Ermessensentscheidung. Das BSG habe in seinem Urteil vom (B 6 KA 44/03 R - BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2) den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass für Ermessensverwaltungsakte gesteigerte Anforderungen gelten. In der Entscheidung vom (1 RA 381/65 - BSGE 27, 34 = SozR Nr 3 zu § 1236 RVO) habe das BSG den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass der Bescheid einer Behörde über eine Ermessensleistung erkennen lassen müsse, welche Überlegungen sie zum Für und Wider bei ihrer Entschließung aufgestellt habe. Schließlich habe das -SozR 3-2700 § 76 Nr 2) den abstrakten Rechtssatz aufgestellt bzw fortgeführt, dass bei einer Ermessensentscheidung eine auf den Einzelfall eingehende Darlegung erforderlich sei, dass und welche Abwägungen der einander gegenüberstehenden Interessen stattgefunden habe und welchen Erwägungen dabei die tragende Bedeutung zugekommen sei. Diesen Rechtssätzen stellt die Klägerin jedoch erneut keine sich widersprechenden abstrakten Rechtssätze gegenüber, die das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, sondern meint nur, der Beklagte habe diese Rechtssätze fehlerhaft angewendet. Insofern verweist die Klägerin auf die Senatsentscheidung vom (B 6 KA 19/18 R - SozR 4-2500 § 103 Nr 29). Hierin habe der Senat den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass ein Vertragsarzt einen Antrag auf Nachbesetzung noch bis zur Bestandskraft der Auswahlentscheidung der Zulassungsgremien zurücknehmen könne, mit der Konsequenz, dass die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens erledigt wäre. Die Klägerin folgert hieraus, dass der jeweilige Nachfolger - hier der jeweils anzustellende Arzt - für jede zur Nachbesetzung ausgeschriebene vertragsärztliche Zulassung aus dem Bescheid hervorgehen müsse. Dies habe das LSG verkannt. Damit ist eine Rechtsprechungsabweichung jedoch nicht dargelegt, sondern allenfalls die Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG im konkreten Fall.
162. Soweit die Klägerin im Rahmen ihrer Darlegungen zur Divergenz als Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) eine Überraschungsentscheidung rügt, da das LSG sie nicht darauf hingewiesen habe, dass es nach seiner Rechtsauffassung auf die Frage des Praxisfortführungswillens der Klägerin ankomme, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 128 Abs 2 SGG, § 62 SGG) nicht vor. Eine Überraschungsentscheidung setzt voraus, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht ( - BSGE 120, 254 = SozR 4-2500 § 119 Nr 2, RdNr 24 mwN). Die Klägerin trägt jedoch selbst vor, dass dieser Aspekt bereits Gegenstand der SG-Entscheidung gewesen ist, auch wenn das SG die Frage letztendlich offengelassen hat.
173. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Klägerin die Kosten des von ihr ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 10. ist nicht veranlasst, da sie - anders als die Beigeladene zu 1. - keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:251023BB6KA223B0
Fundstelle(n):
VAAAJ-60189