Betreuungssache: Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung mit einem anderen als dem vom Betroffenen gewünschten Betreuer; Ausschluss der Betreuung trotz Betreuungsbedürftigkeit und fortbestehendem Betreuungsbedarf
Leitsatz
1. Die Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung mit einem anderen als dem gewünschten Betreuer widerspricht dem Willen des Betroffenen, wenn dieser sein Einverständnis mit der Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung mit der Bestellung der von ihm gewünschten Person verknüpft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 237/17, FamRZ 2017, 1612).
2. Beruht die Entscheidung des Betroffenen gegen die Bestellung eines anderen als des von ihm gewünschten Betreuers auf einer freien Willensbildung, muss diese Entscheidung auch dann respektiert werden, wenn die Fortführung der bestehenden Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre. In einem solchen Fall ist trotz der Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen und fortbestehendem Betreuungsbedarf die Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung ausgeschlossen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 237/17, FamRZ 2017, 1612).
Gesetze: § 1814 Abs 2 BGB
Instanzenzug: LG Ravensburg Az: 2 T 14/23vorgehend AG Ravensburg Az: A 32 XVII 991/18
Gründe
1Die Betroffene und ihre Mutter, die Beteiligte zu 1, wenden sich gegen die Erweiterung des Aufgabenkreises der für die Betroffene eingerichteten Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge sowie gegen die Betreuerauswahl für diesen Bereich.
2Die im Jahr 1985 geborene Betroffene leidet am Asperger-Syndrom. Für sie ist seit dem Jahr 2014 eine rechtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialversicherungsträgern, Wohnungsangelegenheiten sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten von Post eingerichtet und ein Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet. Der Beteiligte zu 2 ist als ihr Berufsbetreuer bestellt.
3Der Betreuer hat im September 2022 die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge angeregt, nachdem die Betroffene in einem sozialgerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung ihrer Aufnahme in die Familienversicherung eine Entbindung ihrer Ärzte von der Schweigepflicht auf Anraten ihrer Mutter verweigert hatte, das sozialgerichtliche Verfahren deshalb zum Stillstand gekommen war und das Sozialamt die bisher geleisteten Beitragszahlungen in die Krankenkasse wegen fehlender Mitwirkung der Betroffenen eingestellt hatte.
4Das Amtsgericht hat den Aufgabenkreis der eingerichteten Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge erweitert und auch insoweit den Beteiligten zu 2 als Betreuer bestellt. Die dagegen von der Mutter der Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Betroffene und ihre Mutter mit ihren Rechtsbeschwerden.
5Die Rechtsbeschwerden haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
61. Die Rechtsbeschwerden sind zulässig, insbesondere ist die5. Juli 2023 - XII ZB 139/23 - FamRZ 2023, 1904 Rn. 5 mwNBGHZ 227, 161 = FamRZ 2021, 138
8krankheitsbedingten
10Aufgabenkreises
11jeder Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge grundsätzlich einverstanden erklärt. Sie hat aber gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass sie mit der Betreuung durch den Beteiligten zu 2 unzufrieden und daher nicht mit dessen Bestellung für die Gesundheitssorge einverstanden sei. Weiter hat sie mitgeteilt, dass sie ihre gesundheitlichen Angelegenheiten gemeinsam mit ihrer Mutter, der sie eine diesbezügliche Vollmacht erteilt habe, regeln wolle und sich diese für den Fall einer Erweiterung der Betreuung um den Bereich der Gesundheitssorge als Betreuerin wünsche. Sie hat damit die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den Bereich der Gesundheitssorge an die Bedingung geknüpft, dass insoweit ihre Mutter als Betreuerin bestellt wird.
12Das Landgericht hat verkannt, dass in einem solchen Fall die Erweiterung der Betreuung mit einem anderen als dem gewünschten Betreuer dem nach § 1814 Abs. 2 BGB beachtlichen freien Willen des Betroffenen widerspricht. Beruht nämlich die Entscheidung des Betroffenen gegen die Bestellung eines anderen als des von ihm gewünschten Betreuers auf einer freien Willensbildung, muss diese Entscheidung auch dann respektiert werden, wenn die Fortführung der bestehenden Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre. In einem solchen Fall ist trotz Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen und fortbestehendem Betreuungsbedarf die Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung ausgeschlossen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 237/17 - FamRZ 2017, 1612 Rn. 8 mwN).
13bb) Tragfähige Feststellungen zum Fehlen eines freien Willens der Betroffenen hat das Landgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bislang nicht getroffen.
14Dieses wird die erforderlichen Feststellungen zur Frage eines freien Willens iSd § 1814 Abs. 2 BGB zu treffen haben. Die beiden entscheidenden Kriterien hierfür sind zum einen die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und zum anderen dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 158/21 - FamRZ 2023, 467 Rn. 7 mwN).
15Rechts
Guhling Klinkhammer Günter
Botur Pernice
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:100124BXIIZB217.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 1516 Nr. 21
NJW 2024 S. 1516 Nr. 21
NJW 2024 S. 1517 Nr. 21
NJW 2024 S. 8 Nr. 11
HAAAJ-60120