BGH Beschluss v. - I ZB 51/23

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Ungenaue Glaubhaftmachung der Unmöglichkeit der Übermittlung eines Berufungsbegründungsfristverlängerungsantrags

Gesetze: § 130d S 3 ZPO

Instanzenzug: Az: I-7 U 73/23vorgehend LG Duisburg Az: 24 O 5/22

Gründe

1I. Die Klägerin beansprucht von der Beklagten im Wege der Teilklage die Zahlung einer Maklerprovision in Höhe von 10.000 € nebst Zinsen sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

2Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Klägerin durch am beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt.

3Mit einem am um 16:37 Uhr per Telefax eingereichten Schriftsatz hat die Klägerin beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. In einem zeitgleich versandten weiteren Schriftsatz hat sie ausgeführt, eine Versendung des Fristverlängerungsantrags über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) sei nicht möglich. Es bestehe seit 9:00 Uhr "eine Störung von beA im Bundesgebiet Nordrhein-Westfalen". Zur Glaubhaftmachung hat sie einen als "Störmeldung der BRAK" bezeichneten zweiseitigen Ausdruck der am auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen vorgelegt. Auf dieser Internetseite werden einerseits von Nutzern gemeldete Störungen erfasst, andererseits Inhalte der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zu aktuellen beA-Störungen wiedergegeben. Der von der Klägerin vorgelegte Ausdruck der Internetseite bea.expert beginnt mit der Mitteilung zum Stand vom 16:19 Uhr: "keine beA-Störung gemeldet oder festgestellt." Weiter ist auf dem Ausdruck eine Störungsmeldung der BRAK, veröffentlicht auf der Internetseite https://portal.beasupport.de/→Aktuelles, Stand 16:00 Uhr, wiedergegeben, nach der unter anderem im Land Nordrhein-Westfalen im Justizbereich eine Störung seit dem , 14:12 Uhr, bestehe.

4Mit Verfügung vom , dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am selben Tag zugegangen, hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass eine vorübergehende Unmöglichkeit der fristgemäßen Übermittlung des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf elektronischem Wege nicht im Einzelnen dargelegt und glaubhaft gemacht worden sei. Demnach komme eine Verwerfung der Berufung als unzulässig in Betracht, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei und dem nicht formgerecht gestellten Fristverlängerungsantrag nicht stattgegeben werden könne.

5Daraufhin hat die Klägerin mit einem am beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vorgetragen und glaubhaft gemacht, der letzte Übermittlungsversuch des Fristverlängerungsantrags über das beA am um 16:18 Uhr sei erneut fehlerhaft gewesen. Deshalb habe ihr Prozessbevollmächtigter den Fristverlängerungsantrag per Telefax übermitteln müssen.

6Mit am über das beA eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die Berufung begründet und vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer schuldlosen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung gestellt.

7Das Berufungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

8II. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt:

9Die Berufung der Klägerin sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der hierfür geltenden zweimonatigen Frist, sondern erst mit am beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet worden sei. Dem per Telefax am eingegangenen Fristverlängerungsantrag habe nicht entsprochen werden können, da er als elektronisches Dokument zu übermitteln gewesen wäre. Die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 und 3 ZPO lägen nicht vor. Zwar sei durch eine Mitteilung des Zentralen IT-Dienstleisters der Justiz in Nordrhein-Westfalen gerichtsbekannt, dass das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) vom um 14:12 Uhr bis zum um 21:20 Uhr in Nordrhein-Westfalen gestört gewesen sei. Dies habe die Klägerin jedoch nicht von der in § 130d Satz 3 ZPO normierten Obliegenheit entbunden, die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments unverzüglich glaubhaft zu machen. Die Darstellung im Schriftsatz der Klägerin vom entspreche nicht ansatzweise den Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO. Die der Ersatzeinreichung beigefügte Erklärung, dass ausweislich der beigefügten Störmeldung der Bundesrechtsanwaltskammer eine Störung des beA im Gebiet von Nordrhein-Westfalen vorliege, weshalb eine Versendung über das beA nicht möglich sei, enthalte keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Zudem sei für eine Glaubhaftmachung erforderlich, dass der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versichere, woran es im Schriftsatz vom ebenfalls fehle. Die ergänzenden Darlegungen im am eingegangenen Schriftsatz nebst den eidesstattlichen Versicherungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und seiner Mitarbeiterin seien nicht mehr unverzüglich nach der Ersatzeinreichung erfolgt. Der Klägerin könne auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil die Fristversäumung nicht unverschuldet gewesen sei. Die Klägerin müsse sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.

10III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig (dazu III 1) und begründet (dazu III 2).

111. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und rechtliches Gehör. Dieser gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (st. Rspr.; vgl. nur , NJW-RR 2017, 629 [juris Rn. 7] mwN).

122. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verwehrt. Der Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht kein der Klägerin zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist entgegen (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO).

13a) Die Klägerin hat am - einem Montag - und damit innerhalb der Monatsfrist aus § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig die versäumte Prozesshandlung nachgeholt, indem sie die Berufungsbegründung eingereicht hat (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

14b) Die Klägerin war ohne ihr Verschulden und ohne ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO). Sie durfte darauf vertrauen, dass ihr am per Telefax übermittelter Antrag, die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um einen Monat zu verlängern, nicht abgelehnt werde.

15aa) Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (, NJW 2023, 3799 [juris Rn. 11] mwN). So verhielt es sich hier.

16bb) Ohne Einwilligung des Gegners kann die Frist zur Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Hier hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit seinem Fristverlängerungsantrag einen konkreten Grund für den Antrag - die Erforderlichkeit der vorrangigen Bearbeitung anderweitiger fristgebundener Angelegenheiten nach einer mehrtätigen Ortsabwesenheit des alleinigen Sachbearbeiters - geltend gemacht. Darin liegt ein erheblicher Grund, der eine Fristverlängerung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO regelmäßig rechtfertigt.

17cc) Der Fristverlängerungsantrag ist auch wirksam gestellt worden. Eine elektronische - und damit formgerechte - Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist hier zwar nicht erfolgt. Allerdings waren entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO erfüllt.

18(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, sind nach § 130d Satz 1 ZPO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt nach § 130d Satz 2 ZPO die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist nach § 130d Satz 3 ZPO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.

19(2) Das Berufungsgericht hat bereits zu Unrecht angenommen, der Schriftsatz der Klägerin vom enthalte keine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen, nach denen es aus vorübergehenden Gründen technisch unmöglich gewesen sei, den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist elektronisch zu übermitteln.

20Aus dem Inhalt des per Telefax eingereichten Schriftsatzes der Klägerin vom geht unmissverständlich hervor, dass die Übersendung des Fristverlängerungsgesuchs per Telefax erfolge, weil eine Versendung des Fristverlängerungsantrags auf elektronischem Weg über das beA nicht möglich gewesen sei. Soweit der Klägervertreter in dem per Telefax übermittelten Schriftsatz angegeben hat, es liege eine Störung des beA vor, trifft dies ausweislich der auf der Internetseite bea.expert veröffentlichten Informationen, die sich aus dem mit diesem Schriftsatz vorgelegten Ausdruck ergeben, allerdings nicht zu. Es hat keine Störung des beA, sondern des EGVP im Justizbereich von Nordrhein-Westfalen gegeben. Diese Ungenauigkeit im Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist jedoch unschädlich. Im Ergebnis hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit der Angabe, das beA sei gestört, lediglich die Ursache für die Unmöglichkeit der Übermittlung auf elektronischem Weg unrichtig bezeichnet. In technischer Hinsicht trifft sein Vortrag, eine elektronische Übermittlung über das beA sei nicht möglich gewesen, zu, weil durch die Störung des EGVP eine Übermittlung von Schriftstücken über das beA an die von der EGVP-Störung betroffenen Gerichte nicht erfolgen konnte.

21Weiterer Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin war nicht erforderlich. Insbesondere war er, nachdem er die Ersatzeinreichung veranlasst hatte, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen und hierzu vorzutragen. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur hierzu muss vorgetragen werden (vgl. , NJW 2023, 2484 [juris Rn. 10]; Urteil vom - X ZR 51/23, GRUR 2023, 1481 [juris Rn. 28] - EGVP Störung).

22(3) Das Berufungsgericht hat außerdem die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument überspannt, indem es im vorliegenden Fall eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns einer solchen Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet hat, ohne den von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegten aktuellen Ausdruck der Internetseite bea.expert zu berücksichtigen, aus der die Meldung der Bundesrechtsanwaltskammer betreffend die Störung des EGVP hervorging. Die Vorlage dieses Ausdrucks, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO handelt (vgl. BGH, NJW 2023, 3799 [juris Rn. 18]), war im vorliegenden Fall geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO).

23(4) Danach kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob das Berufungsgericht, dem ausweislich des Inhalts des angefochtenen Beschlusses die Störung des EGVP zum Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist bekannt war, diese Störung als gemäß § 291 ZPO offenkundig und damit als nicht beweisbedürftig hätte behandeln können (vgl. BGH, NJW 2023, 3799 [juris Rn. 18]; , juris Rn. 1), oder ob der Gesetzgeber mit der Regelung in § 130d Satz 3 ZPO abweichend von § 291 ZPO eine Glaubhaftmachung zur ausnahmslosen Voraussetzung für eine zulässige Ersatzeinreichung gemacht hat (zu § 46g Satz 4 ArbGG vgl. BAG, NJW 2023, 623 [juris Rn. 39]).

24(5) Aus dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin ergibt sich, dass die elektronische Übermittlung des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war. Durch die Übersendung eines aktuellen Ausdrucks der Internetseite bea.expert, auf der eine entsprechende Meldung der BRAK veröffentlicht war, ist glaubhaft gemacht, dass das EGVP seit dem nicht erreichbar war, dieser Zustand am angedauert hat und nicht abzusehen war, wann die Störung behoben sein würde (vgl. BGH, GRUR 2023, 1481 [juris Rn. 23] - EGVP Störung).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250124BIZB51.23.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-60113