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BGH Beschluss v. - 2 ARs 460/23

Zuständigkeit in einer Jugendstrafsache

Gesetze: § 42 Abs 3 S 1 JGG, § 42 Abs 3 S 2 JGG

Gründe

1Die Jugendschöffengerichte der Amtsgerichte Gießen und Ellwangen (Jagst) streiten um die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung in einer Jugendstrafsache.

I.

2Die Staatsanwaltschaft Gießen hat am beim Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Gießen Anklage gegen den damals in L.   wohnhaften Angeklagten wegen Diebstahls erhoben. Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht Gießen die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Ab dem hielt sich der Angeklagte in einer von dem „C.         “ betriebenen Wohngruppe auf. Mit Beschluss vom gab das Amtsgericht Gießen das Verfahren an das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Ellwangen (Jagst) ab. Die Begründung beschränkt sich auf die Behauptung, der Wohnsitz des Angeklagten befinde sich in dessen Bezirk. Das Amtsgericht Ellwangen (Jagst) hat Bedenken gegen die Übernahme des Verfahrens und hat die Sache mit Beschluss vom gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II.

31. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des Amtsgerichts Gießen (Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main) und des Amtsgerichts Ellwangen (Jagst) (Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart) für die Entscheidung gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG zuständig.

42. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Gießen vom ist aus mehreren Gründen aufzuheben. Für die Verhandlung und Entscheidung ist weiterhin das Amtsgericht Gießen zuständig.

5Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift vom u.a. ausgeführt:

„Es steht schon nicht fest, ob der Wohnsitz des Angeklagten im Amtsgerichtsbezirk Ellwangen/Jagst liegt. Aktenkundig ist lediglich, dass die Wohngruppe von dem „C.       “, der über eine Anschrift in C.    verfügt (SA S. 56 RS), betrieben wird. C.     befindet sich im Amtsgerichtsbezirk Bad Mergentheim.

Ungeachtet dessen hat die Abgabeentscheidung auch deshalb keinen Bestand, weil das Amtsgericht Gießen die Abgabe an das Amtsgericht Ellwangen/Jagst allein mit dem Umstand begründet hat, dass der Angeklagte nunmehr im dortigen Bezirk wohne. Dem Abgabebeschluss lässt sich nicht entnehmen, ob dem Amtsgericht Gießen bewusst gewesen ist, dass eine Abgabeentscheidung gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG im pflichtgemäßen Ermessen steht, und es sein Ermessen entsprechend ausgeübt hat (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 ARs 200/21, juris Rn. 6).“

6Dem tritt der Senat bei. Die im richterlichen Ermessen stehende Abgabe erwiese sich im vorliegenden Fall zudem als unzweckmäßig. Der Grundsatz, dass sich Jugendliche bzw. Heranwachsende vor dem für ihren Aufenthaltsort zuständigen Gericht verantworten sollen, das regelmäßig über die größte Sachnähe verfügt, kann zur Vermeidung erheblicher Verfahrenserschwernisse durchbrochen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 ARs 96/03, juris Rn. 2; vom – 2 ARs 424/13, juris Rn. 1; vom – 2 ARs 142/15, juris Rn. 1; vom – 2 ARs 58/20, juris Rn. 3, und vom – 2 ARs 131/21, juris Rn. 5).

7Dies wäre hier geboten. Eine Abgabe des Verfahrens wäre aus verfahrensökonomischer Sicht nicht vertretbar. Das Amtsgericht Gießen hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und ist damit bereits in die Sache eingearbeitet, während sich ein anderes Amtsgericht zunächst noch einarbeiten müsste. Dies würde zu weiterer, nicht hinnehmbarer Verzögerung des Verfahrens führen. Eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Gießen hätte nur für den Angeklagten selbst einen erhöhten Reiseaufwand zur Folge, der ihm ohne Weiteres zugemutet werden kann, zumal seine Mutter weiterhin im Bezirk des Amtsgerichts Gießen wohnhaft ist. Bei dieser Sachlage tritt der erzieherisch relevante Gesichtspunkt der Entscheidungsnähe des für den Wohnsitz zuständigen Gerichts zurück (vgl. , juris Rn. 3 mwN).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:211223B2ARS460.23.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-60106