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BGH Urteil v. - VIa ZR 743/21

Instanzenzug: Az: 21 U 3285/21vorgehend LG Ingolstadt Az: 83 O 2634/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte im September 2018 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi Q3 2.0 TDI, der mit einem von der Muttergesellschaft zugelieferten Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6 plus) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert.

3Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 961,76 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Zahlung außergerichtlicher Anwaltskosten nebst Verzugszinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Im Hinblick auf das unstreitig implementierte Thermofester könne in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 handele. Denn die Implementierung eines nicht prüfstandsbezogenen Thermofensters begründe vorliegend keine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne von § 826 BGB. Konkrete Anhaltspunkte, die dafür sprächen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertrags in Bezug auf das Thermofenster in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehandelt habe, habe der Kläger nicht dargetan und seien auch sonst nicht ersichtlich. Soweit der Kläger weitere Abschalteinrichtungen behaupte, fehle es an ausreichend greifbaren Anhaltspunkten zur Begründung des Vorwurfs, es komme unzulässige Abschalttechnik zum Einsatz. Es könne auch dahinstehen, ob in dem klägerischen Fahrzeug eine Fahrkurve implementiert sei und ob diese eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 darstelle. Jedenfalls sei eine solche Einrichtung zur Begründung einer Haftung nach § 826 BGB nur geeignet, wenn damit Emissionen in grenzwertrelevanter Weise auf dem Prüfstand gezielt manipuliert würden. Dazu habe der Kläger nicht prozessual beachtlich vorgetragen.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen eines Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB nicht für gegeben erachtet hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die angefochtene Entscheidung ist gemäß § 562 ZPO aufzuheben, weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) und des Urteils vom (VIa ZR 26/21, WM 2023, 2190 Rn. 14) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:300124UVIAZR743.21.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-59865