Entscheidung über einen Antrag auf Urteilsergänzung ohne mündliche Verhandlung
Leitsatz
Über offensichtlich unzulässige Anträge auf Ergänzung des Urteils gemäß § 120 Abs. 1 VwGO kann auch nach Inkrafttreten des § 120 Abs. 3 Satz 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Gesetze: § 120 Abs 3 S 2 VwGO, § 120 Abs 1 VwGO, § 125 Abs 2 S 1 VwGO, § 144 Abs 1 VwGO
Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 4 A 566/20 Beschlussvorgehend VG Dresden Az: 7 K 233/18 Urteil
Gründe
1Die Klägerin wendet sich gegen einen Beschluss, mit dem das Oberverwaltungsgericht ihren Antrag auf Ergänzung eines Urteils ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung verworfen hat. Über den Antrag könne ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil er offensichtlich unstatthaft sei. Der Senat habe keinen von der Klägerin gestellten Antrag im Urteil übergangen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen seinen Beschluss nicht zugelassen.
2Die hiergegen gerichtete, auf alle Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
31. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
4Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. nur 8 B 42.23 - juris Rn. 3 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
5Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,
ob über einen offensichtlich unzulässigen Antrag auf Urteilsergänzung auch nach der Einfügung von § 120 Abs. 3 Satz 2 VwGO im Beschlusswege und ohne mündliche Verhandlung entschieden werden darf,
ist nicht klärungsbedürftig. Sie lässt sich ohne Weiteres - bejahend - mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung aus dem Gesetz beantworten. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass offensichtlich unzulässige Anträge auf Ergänzung des Urteils gemäß § 120 VwGO entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 125 Abs. 2 Satz 1, § 144 Abs. 1 VwGO durch Beschluss verworfen werden können und die in § 120 VwGO vorausgesetzte Durchführung einer mündlichen Verhandlung in solchen Fällen entbehrlich ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 3 C 14.11 - Buchholz 310 § 120 VwGO Nr. 10 Rn. 13 f. und vom - 6 B 47.16 - juris Rn. 2). Daran hat auch die spätere Einfügung des § 120 Abs. 3 Satz 2 VwGO durch Gesetz vom (BGBl. I S. 2633) nichts geändert. Nach dieser Vorschrift kann von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, wenn mit der Ergänzung des Urteils nur über einen Nebenanspruch oder über die Kosten entschieden werden soll und wenn die Bedeutung der Sache keine mündliche Verhandlung erfordert. Diese Regelung, die eine dem ebenfalls neu gefassten § 321 Abs. 3 ZPO vergleichbare Bestimmung enthält, hat der Gesetzgeber im Interesse der effizienten und beschleunigten Verfahrensbearbeitung eingefügt (vgl. BR-Drs. 366/19 S. 16, 21; BT-Drs. 19/13828 S. 20, 24). Ein Ausschluss der in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bereits anerkannten Möglichkeit, offensichtlich unzulässige Anträge auf Urteilsergänzung in entsprechender Anwendung von § 125 Abs. 2 Satz 1, § 144 Abs. 1 VwGO durch Beschluss und ohne mündliche Verhandlung zu verwerfen, war damit erkennbar nicht verbunden. Für einen solchen Ausschluss bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Zudem liefe er dem mit der Einfügung des § 120 Abs. 3 Satz 2 VwGO verfolgten Zweck, das Verfahren zu beschleunigen, ersichtlich zuwider.
62. Die Revision ist nicht wegen Divergenz zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
7Dieser Zulassungsgrund ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in der Vorschrift aufgeführten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung eines Beschwerdeführers divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss hierauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte oder das Bundesverfassungsgericht aufgestellt haben, genügt den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht ( 8 B 2.22 - juris Rn. 5).
8Mit dem Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, wird kein vom Oberverwaltungsgericht aufgestellter, die angegriffene Entscheidung tragender Rechtssatz aufgezeigt, der im Widerspruch zu einem in Entscheidungen des und 1569/08 - BVerfGE 132, 99 sowie - BVerfGE 128, 193) aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift stünde. Ebenso wenig bezeichnet die Begründung der Divergenzrüge in Randnummern 68 bis 70 der Beschwerdebegründung und den dort in Bezug genommenen Randnummern 47 bis 57 einen Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, der die angeblich missachteten Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung bestimmte. Mit dem Vorwurf, der angegriffene Beschluss ignoriere den Willen des Gesetzgebers, ist keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO darzutun.
93. Die Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO greift ebenfalls nicht durch.
10Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verfahrensfehlerhaft ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung über den Antrag auf Ergänzung des Urteils entschieden, denn einer solchen bedarf es im Falle offensichtlich unzulässiger Anträge nach § 120 VwGO - wie unter 1. dargelegt - nicht. Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts verletzt auch nicht die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs.
11Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorlagen. Nach § 120 Abs. 1 VwGO ist das Urteil durch nachträgliche Entscheidung zu ergänzen, wenn ein nach dem Tatbestand von einem Beteiligten gestellter Antrag bei der Entscheidung ganz oder zum Teil übergangen ist. Die Regelung ermöglicht die Ergänzung einer versehentlich unvollständigen Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren. Das Gericht soll die Entscheidung über prozessuale Ansprüche nachholen, über die es zunächst vergessen hat, zu entscheiden. Dagegen handelt es sich nicht um ein Übergehen im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO und ist ein Antrag auf Urteilsergänzung unzulässig, wenn das Gericht eine solche Entscheidung bewusst nicht getroffen hat, etwa weil es sich daran aus prozessualen Gründen gehindert gesehen hat. Auf die Richtigkeit dieser Rechtsauffassung kommt es nicht an. Der dadurch beschwerte Beteiligte ist darauf verwiesen, das zulässige Rechtsmittel gegen eine solche bewusste Teilentscheidung einzulegen (stRspr, vgl. 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269 <271> m. w. N., Beschluss vom - 6 B 47.16 - juris Rn. 2). In dem Antrag muss ein nicht erledigter Teil des Verfahrens so konkret aufgezeigt werden, dass die Möglichkeit der verlangten Ergänzung in Betracht gezogen werden kann (vgl. 3 C 14.11 - Buchholz 310 § 120 VwGO Nr. 10 Rn. 14).
12Gemessen hieran lässt sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen, dass entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts die Möglichkeit der beantragten Urteilsergänzung bestand. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Anträge nicht übersehen, sondern über das Verpflichtungsbegehren nicht entschieden, weil dieses nach seinem Rechtsstandpunkt erst nachträglich im Wege einer unzulässigen Klageänderung zum Verfahrensgegenstand gemacht werden sollte. Auf die Richtigkeit dieser Einordnung kommt es nach den soeben dargestellten Grundsätzen nicht an. Der Antrag nach § 120 VwGO ist offensichtlich unstatthaft schon, weil das Oberverwaltungsgericht aus prozessualen Erwägungen bewusst nicht über das Verpflichtungsbegehren entschieden hat.
13Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:111223B8B27.23.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-59494