BVerwG Beschluss v. - 7 VR 6/23

Gründe

I

1Der Antragsteller, eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Bergamtes Stralsund für die Errichtung und den Betrieb der Gasversorgungsleitung "Ostsee-Anbindungs-Leitung (OAL) Seeabschnitt Lubmin bis KP 26" vom , hilfsweise, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen, soweit die Baggerarbeiten und Materialablagerungen unmittelbar die kartierten, gesetzlich geschützten Riffe und Sandbänke räumlich betreffen.

2Die Beigeladene ist Vorhabenträgerin einer LNG-Anbindungsleitung zwischen dem Hafen von Mukran und Lubmin. Mit dieser sollen zwei im Hafen von Mukran geplante schwimmende Speicher- und Regasifizierungseinheiten (Floating Storage and Regasification Units - FSRU) an das bestehende Gasfernleitungsnetz angebunden werden. Das Gesamtvorhaben OAL gliedert sich in vier Abschnitte. Der zweite Abschnitt - OAL Seeabschnitt Lubmin bis Kilometerpunkt 26 - ist Gegenstand des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses. Beabsichtigt ist, die OAL bis Ende 2023 fertigzustellen.

3Der Antragsteller, der mit seiner Klage (BVerwG 7 A 11.23) die Aufhebung, hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses, höchst hilfsweise eine Planergänzung begehrt, beanstandet, dass keine Gasmangellage mehr bestehe und eine Umweltverträglichkeitsprüfung sowie eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung nach Planänderung unterblieben seien. Auch seien seine naturschutzrechtlichen Mitwirkungsrechte verletzt worden. Zudem stehe das Vorhaben mit den Anforderungen des Biotop- und Habitatschutzrechts sowie den gesetzlichen Klimaschutzzielen nicht im Einklang. Die Alternativenprüfung sei fehlerhaft.

II

4Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Antragsbegründung entscheiden. Der Antragsteller hat seine Anträge bereits ausführlich begründet. Ein weiteres Zuwarten mit einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO war nicht geboten, auch wenn dem Antragsteller noch keine Einsichtnahme in sämtliche bei dem Vorhabenträger und im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens angefallenen Verwaltungsvorgänge möglich war. Der Antragsteller war aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen einschließlich der wesentlichen Gutachten zu einer eingehenden Antragsbegründung in der Lage. Es ist weder von ihm dargetan noch sonst ersichtlich, welchen weiteren für den Erfolg des Rechtsschutzantrages wesentlichen Erkenntnisse er sich nur über die Akteneinsichtnahme verschaffen kann. Nach Eingang der weiteren Verwaltungsvorgänge und Übermittlung an den Antragsteller kann dieser einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO stellen, soweit er sich zu einzelnen Umständen erst auf der Grundlage der vollständigen Verwaltungsvorgänge äußern können sollte. Vor diesem Hintergrund und angesichts des in § 3 des Gesetzes zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases (LNG-Beschleunigungsgesetz - LNGG) vom (BGBl. I S. 802), zuletzt geändert durch Gesetz vom (BGBl. I Nr. 184), normierten überragenden Interesses an der schnellstmöglichen Durchführung der in § 2 Abs. 2 LNGG bezeichneten Vorhaben kommt ein weiteres Abwarten oder eine Entscheidung im Wege der Zwischenverfügung nicht in Betracht. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang auf die Monatsfrist zur Begründung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung in § 43e Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG) vom (BGBl. I S. 1970, 3621), zuletzt geändert durch Gesetz vom (BGBl. I Nr. 202), hinweist, übersieht er, dass diese Regelung keine Mindestfrist zu seinen Gunsten normiert, vor deren Ablauf keine Entscheidung ergehen darf, sondern dass es sich dabei um eine der Verfahrensbeschleunigung dienende Ausschlussfrist für neues Vorbringen handelt.

5Die Anträge sind zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

61. a) Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich aus § 12 Satz 1 LNGG i. V. m. § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO. Gemäß § 12 Satz 1 LNGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten über Vorhaben nach § 2 dieses Gesetzes. Bei der Errichtung und dem Betrieb der "Ostsee-Anbindungs-Leitung (OAL) Seeabschnitt Lubmin bis KP 26" handelt es sich um ein Vorhaben nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 LNGG i. V. m. Nr. 4.2 der Anlage zum LNGG. Die Leitung dient zur Anbindung der beiden geplanten FSRUs im Hafen von Mukran (zwei Anlagen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 LNGG i. V. m. Nr. 4.1 der Anlage zum LNGG) an das Gasfernleitungsnetz in Lubmin.

7b) Gemäß § 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG, der in seinem Anwendungsbereich dem vom Gesetzgeber als lediglich ergänzende Bestimmung verstandenen § 11 Abs. 1 Satz 1 LNGG vorgeht (vgl. BT-Drs. 20/1742 S. 37), haben Widerspruch und Anfechtungsklage u. a. gegen einen Planfeststellungsbeschluss für Errichtung und Betrieb einer LNG-Anbindungsleitung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 EnWG keine aufschiebende Wirkung. Dagegen ist hier der von dem Antragsteller gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft. Die Frist gemäß § 43e Abs. 1 Satz 2 EnWG, wonach der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung innerhalb eines Monats nach der Zustellung der Zulassungsentscheidung zu stellen und zu begründen ist, hat der Antragsteller gewahrt.

8c) Als eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung ist der Antragsteller gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG antragsbefugt.

9Gegenstand des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses sind die Errichtung und der Betrieb einer LNG-Anbindungsleitung und damit ein unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften ergehender Verwaltungsakt zur Zulassung eines Vorhabens im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG; das dem Gesetzeswortlaut nach bestehende Exklusivitätsverhältnis zwischen § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 5 UmwRG steht einem Rückgriff auf Nummer 5 nicht entgegen, wenn - wie hier (vgl. unten Rn. 13 ff.) - eine nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung an sich bestehende UVP-Pflicht oder UVP-Vorprüfungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 LNGG ausgeschlossen ist (vgl. 7 A 9.22 - Rn. 14 ff.).

102. Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage steht im Ermessen des Gerichts der Hauptsache (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die in diesem Rahmen vorzunehmende Abwägung zwischen dem Vollziehungsinteresse des Antragsgegners sowie der Beigeladenen und dem Suspensivinteresse des Antragstellers geht zu dessen Lasten aus. Dies beruht vor allem darauf, dass sich die Klage bei summarischer Prüfung ihrer Erfolgsaussichten als voraussichtlich unbegründet erweist.

11a) Ein Verstoß gegen zwingendes Recht ist nicht dargelegt.

12aa) Der Planfeststellungsbeschluss leidet voraussichtlich nicht unter Verfahrensfehlern.

13(1) Entgegen der Auffassung des Antragstellers war vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. § 4 Abs. 1 LNGG bestimmt, dass abweichend von § 1 Abs. 4 UVPG die für die Zulassungsentscheidung zuständige Behörde bei Vorhaben nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 LNGG das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5 des § 4 LNGG nicht anzuwenden hat, wenn eine beschleunigte Zulassung des konkreten Vorhabens geeignet ist, einen relevanten Beitrag zu leisten, um eine Krise der Gasversorgung zu bewältigen oder abzuwenden.

14Unter den in § 4 Abs. 1 LNGG genannten Voraussetzungen gilt es nach Einschätzung des Gesetzgebers auch eine in Monaten oder Wochen gemessene Verfahrensverzögerung und daraus potentiell resultierende Gasversorgungslücken unbedingt zu vermeiden (vgl. hierzu und im Folgenden BT-Drs. 20/1742 S. 18). Von einem relevanten Beitrag zur Bewältigung oder Abwendung einer Gasversorgungskrise ist regelmäßig auszugehen, wenn über die konkrete Anlage mehr als nur geringfügig LNG eingespeist werden kann und soll und eine Gasmangellage vorliegt oder droht. Für eine Gasmangellage ist eine Gaswarnstufe nach dem Notfallplan Gas nach der Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010 (ABl. L 280 S. 1), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2022/1032 vom (ABl. L 173 S. 17, ber. L 245 S. 70), ein Indiz. Eine Gasmangellage entfällt, wenn die Versorgung zwischenzeitlich durch andere neu hinzugekommene sichere Bezugsquellen dauerhaft gesichert ist. Von einem mengenmäßig relevanten Beitrag kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn das Vorhaben eine jährliche Regasifizierungskapazität von zumindest 5 Mrd. m3 erreicht oder überschreitet. Anbindungsleitungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 LNGG leisten regelmäßig einen relevanten Beitrag dazu, eine Krise der Gasversorgung abzuwenden, wenn sie zur Anbindung einer Anlage, für die die Behörde nach ihrer Einschätzung von einem solchen Beitrag ausgeht, an das Fernleitungsnetz benötigt werden.

15Der Planfeststellungsbeschluss geht in dem für die Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses zu Recht von einer Krise der Gasversorgung aus. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat am die Frühwarnstufe und am die weiterhin geltende Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Nach dem von dem damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf der Grundlage von Art. 8 der Verordnung (EU) 2017/1938 vom beschlossenen Notfallplan Gas rechtfertigen unter anderem gravierende Reduzierungen von Gasströmen an wichtigen physischen Einspeisepunkten und der Ausfall von wichtigen Aufkommensquellen, die Ausrufung der Alarmstufe. Sowohl im Zeitpunkt der Anordnung der Alarmstufe als auch im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses lagen beide Voraussetzungen vor.

16Soweit der Antragsteller geltend macht, der Füllstand der Gasspeicher habe im August 2023 bereits bei über 90% gelegen, führt dies zu keiner anderen Einschätzung. Der Planfeststellungsbeschluss begründet die Notwendigkeit des Baus des Seeabschnitts Lubmin bis KP 26 der OAL vor allem mit der Vorbereitung auf die kommenden Heizperioden einschließlich der im Winterhalbjahr 2023/2024. Betont wird, dass der Ausbau der LNG-Infrastruktur an anderer Stelle nicht dazu führt, den Eintritt einer Gasmangellage mit Sicherheit abzuwenden. Die an verschiedenen Standorten vorgesehenen und aufgrund der laufenden Planfeststellungsverfahren bereits konkret absehbaren Anlandungen mittels FSRU sind danach nicht geeignet, die aufgrund des Ausfalls der Gaslieferungen aus Russland entstehende Lücke bei der Deckung des deutschen Gasbedarfs aufzufangen (PFB S. 62). Hieran ändert nichts, dass die Bundesnetzagentur in ihrer gegenwärtigen Lagebeurteilung die Gasversorgung in Deutschland als stabil und die Versorgungssicherheit als gewährleistet bezeichnet. Ebenso wenig ist maßgebend, dass nach diesem Bericht der Speicherfüllstand bereits vorfristig zum einen Wert von 75% erreicht hat (www.bundesnetzagentur.de/DE/Gasversorgung/aktuelle_gasversorgung/start.html). Die Vorbereitung auf den Winter 2023/2024 wird von der Bundesnetzagentur gleichwohl als eine bleibende zentrale Herausforderung bezeichnet (Lagebericht Gasversorgung der Bundesnetzagentur vom ). Dies bestätigen die Schreiben des Präsidenten der Bundesnetzagentur an das BMWK vom 11. Mai und (vorgelegt von der Beigeladenen im Parallelverfahren BVerwG 7 VR 4.23 als Anlagen Bg 3 und 4). Danach begründet die notwendige Stabilisierung der Versorgungssicherheit den zusätzlichen Bedarf an LNG-Einspeisemöglichkeiten. Hervorgehoben wird, dass es ohne zusätzliche Importkapazitäten an der Ostseeküste unter ungünstigen Bedingungen (niedrige Temperaturen, Rückgang der Importe aus westlichen Nachbarländern aufgrund eines temperaturbedingten Mehrbedarfs, temperaturbedingter Rückgang der Verbrauchsersparnis, Einstellung russischer Gaslieferungen über die Ukraineroute) zu einer kritischen Versorgungssituation kommen könne, auch weil ein engpassfreier Abtransport des Gases nach Süddeutschland über Lubmin möglich sei, während aus dem Nordwesten Deutschlands keine direkte, engpassfreie Verbindung nach Süden existiere.

17Auch die Begründung zum Gesetzentwurf zur Änderung des LNG-Beschleunigungsgesetzes vom geht davon aus, dass selbst bei im Sommer 2023 vollständig gefüllten Gasspeichern mit Blick auf mögliche bevorstehende Extremwetterlagen zur Sicherstellung der nationalen Energieversorgung für das darauffolgende Jahr die Einspeisung von LNG erforderlich und hierfür der Ausbau der Importinfrastruktur unverzichtbar ist (BT-Drs. 20/7279 S. 1). Der Gesetzgeber stellt zudem darauf ab, dass mit der Einspeisung von vier FSRUs an der Nordseeküste das nachgelagerte Gasnetz in Nordwest-Deutschland und die von dort bestehende Transportachse nach Süden und Osten ausgelastet und der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten an der Nordseeküste nicht möglich sei. Dagegen verfüge das Gasfernleitungsnetz in Lubmin über hohe Kapazitätsreserven und könne so zur Stabilisierung der Energieversorgung beitragen (BT-Drs. 20/7279 S. 18 f.).

18Dies zugrunde gelegt, ist das planfestgestellte Vorhaben auch dann geeignet, eine Krise der Gasversorgung noch im Winterhalbjahr 2023/2024 abzuwenden, wenn eine Befüllung der Leitung mit Gas erst im Februar 2024 erfolgen sollte. Daher verfängt auch nicht die Argumentation des Antragstellers, es mache keinen Unterschied für die Sicherheit der nationalen Gasversorgung, ob die Inbetriebnahme der Leitung im Februar 2024 oder im Sommer 2024 erfolge. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht aus § 1 der Verordnung zur Anpassung von Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen vom (Gasspeicherfüllstandsverordnung - GasSpFüllstV, BAnz AT V1). Hierdurch werden lediglich abweichend von § 35b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 EnWG für die Betreiber von Gasspeicheranlagen die Füllstandsvorgaben an den Stichtagen 1. Oktober und 1. November um jeweils 5% erhöht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GasSpFüllstV). Allein das Erreichen dieser Füllstandsvorgaben führt, wie dargelegt, nicht zu einer stabilen Versorgungssicherheit. Eine normative Aussage dahingehend, dass bei Erreichen der vorgeschriebenen Füllstände im nächsten Winter nicht mit einer Krise der Gasversorgung zu rechnen sei, lässt sich den zitierten Vorschriften nicht entnehmen.

19(2) Der Antragsgegner hat den Antragsteller in hinreichender Weise am Verwaltungsverfahren beteiligt.

20(a) Es bedurfte im Hinblick auf die am beantragte Planänderung keines neuen Auslegungsverfahrens.

21Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d LNGG i. V. m. § 73 Abs. 8 VwVfG ist, wenn ein ausgelegter Plan geändert werden soll und dadurch der Aufgabenbereich einer Behörde oder einer anerkannten Vereinigung oder Belange Dritter erstmalig oder stärker als bisher berührt werden, diesen die Änderung mitzuteilen und ihnen Gelegenheit zu Stellungnahmen und Einwendungen binnen einer Woche zu geben.

22So ist der Antragsgegner im Streitfall verfahren. Ein Vorgehen nach dieser Norm ist jedoch nur zulässig, wenn die Änderungen das Gesamtkonzept der Planung nicht berühren und die Identität des Vorhabens wahren. Sie dürfen nicht zu einem Vorhaben führen, das nach Gegenstand, Art, Größe und Betriebsweise im Wesentlichen andersartig ist ( 4 A 18.99 - BVerwGE 112, 140 <145 f.> und vom - 7 A 9.21 - NVwZ 2023, 1090 Rn. 27).

23Es handelt sich nicht um ein in seiner Identität geändertes Vorhaben. Eine solche Änderung ergibt sich nicht daraus, dass die ursprüngliche Planung der Anbindung einer seeseitigen LNG-Importanlage aufgegeben wurde und stattdessen eine Anbindung zweier im Hafen von Mukran festvertäuter FSRUs erfolgen soll. Bei Frage der Identitätsänderung ist nicht in erster Linie das unter Umständen aus vielen Abschnitten bestehende Gesamtvorhaben in den Blick zu nehmen, sondern auf den ausgelegten und aufgrund dieser Auslegung geänderten Abschnitt abzustellen. Dieser bildet das Vorhaben, das zu betrachten und bei einer wesentlichen Änderung erneut offenzulegen ist. Änderungen des Konzepts des Gesamtvorhabens spielen hierbei nur insoweit eine Rolle, als sie sich auf den zu betrachtenden Abschnitt identitätsändernd auswirken. Dies ist hier nicht der Fall. Der jetzt planfestgestellte Abschnitt der Gasleitung von KP 26 bis Lubmin entspricht bis auf geringfügige Änderungen zwischen KP 1.5 und KP 3.9 nach seiner Lage, der Größe und Beschaffenheit der zu verlegenden Röhren, der beabsichtigten Verlegungsart und schließlich auch der Betriebsweise vollständig der Planung, wie sie im ausgelegten ursprünglichen Planentwurf vorgesehen war. Insbesondere trifft es nicht zu, dass sich die technische Ausführung wesentlich geändert hätte, da die Pipeline in den seinerzeit ausgelegten Unterlagen in wesentlichen Teilen aufliegend verlegt werden sollte. Für den hier zu betrachtenden Abschnitt war auch in der ursprünglichen Planung eine Verlegung durch Eingraben der Leitung vorgesehen.

24(b) Ohne Erfolg rügt der Antragsteller eine Verletzung des ihm als einer anerkannten Naturschutzvereinigung zustehenden Mitwirkungsrechts gemäß § 63 Abs. 2 und 3 BNatSchG i. V. m. § 30 Abs. 2 des Gesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes (Naturschutzausführungsgesetz - NatSchAG M-V) vom (GVOBl. M-V S. 66). Aus diesen Vorschriften kann er im vorliegenden Zusammenhang keine weitergehenden Beteiligungsrechte herleiten, als sie ihm schon als Teil der nach Maßgabe von § 43 Abs. 4, § 43a EnWG, § 73 VwVfG, § 8 LNGG am Planfeststellungsverfahren zu beteiligenden Öffentlichkeit zustehen. Denn gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i. V. m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG kann von einer Beteiligung einer anerkannten Naturschutzvereinigung abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Davon ist bei - wie hier - Vorhaben nach § 2 LNGG, für die gemäß § 4 Abs. 1 LNGG keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in §§ 3 und 8 LNGG auszugehen. Dies gilt auch soweit nach dem aufgrund der Öffnungsklausel des § 63 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG anwendbaren Landesrecht eine gegenüber den allgemeinen Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung weitergehende Beteiligungsmöglichkeit eröffnet wird.

25Vorhaben nach § 2 Abs. 2 LNGG sind für die sichere Gasversorgung Deutschlands besonders dringlich; ihre schnellstmögliche Durchführung dient dem zentralen Interesse an einer sicheren und diversifizierten Gasversorgung in Deutschland und ist aus Gründen eines überragenden öffentlichen Interesses und mit Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich (§ 3 Satz 1 und 3 LNGG). Für solche Vorhaben nach § 2 LNGG, für die keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss, sieht § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LNGG zur Verfahrensbeschleunigung eine Verkürzung der ansonsten im Anhörungsverfahren nach § 43a EnWG i. V. m. § 73 VwVfG geltenden Fristen sowie den regelmäßigen Entfall eines Erörterungstermins vor. Soweit aufgrund dieser Verfahrensvereinfachungen Vorschriften des Energierechts nicht anzuwenden sind, sind gemäß § 8 Abs. 2 LNGG auch die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts, die diesen Verfahrensvereinfachungen sonst entgegenstehen würden, nicht anzuwenden. Diese Bestimmung dient der Klarstellung, dass insoweit nicht die allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts wiederaufleben (vgl. BT-Drs. 20/1742 S. 24), wodurch die vom Gesetzgeber bezweckte Verfahrensstraffung und -beschleunigung verfehlt würde. Diese gesetzgeberischen Wertungen sind auch im Rahmen von § 63 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG zu beachten. Die Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen muss sich deshalb in den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Rahmen einfügen, den der Gesetzgeber mit Blick auf das von ihm postulierte überragende öffentliche Interesse an einer schnellstmöglichen Vorhabenverwirklichung mit dem erkennbaren Willen zu einer abschließenden Regelung abgesteckt hat.

26bb) Der Planfeststellungsbeschluss ist bei summarischer Prüfung mit Biotopschutz- und Habitatschutzrecht vereinbar.

27(1) Ob das Vorhaben Biotope nach § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BNatSchG - hierzu gehören u. a. Riffe und sublitorale Sandbänke - erheblich beeinträchtigt, wie der Antragsteller unter Vorlage zweier naturschutzfachlicher Stellungnahmen (Anlagen Ast 5 und 6) vorträgt, kann im Eilrechtsschutzverfahren dahinstehen. Denn der Antragsgegner hat in Ziff. A.1.1.2 zum Planfeststellungsbeschluss insoweit vorsorglich eine Befreiung erteilt. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG liegen voraussichtlich vor. Danach kann von den Verboten des Bundesnaturschutzgesetzes Befreiung gewährt werden, wenn dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist. Die Durchführung der Vorhaben nach § 2 Abs. 2 LNGG ist aus Gründen eines überragenden öffentlichen Interesses erforderlich (§ 3 Satz 3 LNGG). Eine Alternative zu der planfestgestellten Trassenführung, die den Eingriff vermeidet, drängte sich nach dem bisherigen Vortrag des Antragstellers nicht auf (hierzu Rn. 38 ff.).

28(2) Der Planfeststellungsbeschluss verstößt bei summarischer Prüfung nicht gegen Vorschriften, die dem Schutz von FFH-Gebieten dienen.

29Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG, mit dem Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL umgesetzt worden ist, sind Projekte vor ihrer Zulassung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen. Ergibt die Überprüfung, dass das Natura 2000-Gebiet erheblich beeinträchtigt wird, ist es gemäß § 34 Abs. 2 BNatSchG grundsätzlich unzulässig und darf nur nach einer Abweichungsprüfung gemäß § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG zugelassen werden.

30(a) Die FFH-Verträglichkeitsprüfungen sind entgegen der Auffassung des Antragstellers voraussichtlich nicht deshalb im Ergebnis fehlerhaft, weil sie eine erhebliche Beeinträchtigung verneinen, obwohl - was unstreitig ist - im Bereich von Riffen insoweit keine vollständige Wiederherstellung der ursprünglichen Strukturen erfolgt, als ausbeißender Geschiebemergel durch Block- und Steingründe ersetzt wird (PFB S. 103, 111, 133). Vorgesehene Schutz- und Kompensationsmaßnahmen dürfen zugunsten eines Projekts berücksichtigt werden, sofern sie sicherstellen, dass erhebliche Beeinträchtigungen verhindert werden ( 9 A 12.19 - BVerwGE 170, 33 Rn. 364 m. w. N.). Der Einwand des Antragstellers, ausbeißender Geschiebemergel gehöre zur charakteristischen Biotopausstattung, sein Ersatz durch Geschiebe mit einem Korndurchmesser von 63 bis 200 mm führe zu einer anderen Biotopcharakteristik, vermag nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht zu verfangen.

31Maßstab für die Bewertung der Erheblichkeit von Gebietsbeeinträchtigungen sind die für das Gebiet jeweils festgelegten Erhaltungsziele. Im vorliegenden Kontext besteht das Erhaltungsziel gemäß § 6 der Landesverordnung über die Natura 2000-Gebiete in Mecklenburg-Vorpommern (Natura 2000-Gebiete-Landesverordnung - Natura 2000-LVO M-V) vom (GVOBl. M-V S. 462) in Verbindung mit Anlage 4 dieser Verordnung darin, einen günstigen Erhaltungszustand des Lebensraumtyps "Riffe" (EU-Code 1170 nach Anhang I der FFH-Richtlinie) zu erhalten oder wiederherzustellen. Die lebensraumtypischen Elemente und Eigenschaften für einen günstigen Erhaltungszustand dieses Lebensraumtyps werden in Anlage 4 der Natura 2000-LVO M-V wie folgt beschrieben: "natürlicher exponierter Hartboden aus Blöcken der eiszeitlichen Geschiebe, meist freigelegt durch natürliche Küstendynamik"; "häufig Mosaik aus Hartböden und Sanden"; "Besiedlung durch lebensraumtypisches benthisches Pflanzen- und Tierarteninventar sowie Arten des Lückensystems". Das maßgebliche (vgl. 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 43 und vom - 9 A 12.19 - BVerwGE 170, 33 Rn. 364) Beurteilungskriterium des günstigen Erhaltungszustands eines natürlichen Lebensraums im Sinne der Legaldefinition des Art. 1 Buchst. e der FFH-Richtlinie umfasst auch die für seinen langfristigen Fortbestand notwendigen Strukturelemente und spezifischen Funktionen sowie einen günstigen Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten.

32Ausgehend davon ist voraussichtlich nicht zu beanstanden, dass die Verträglichkeitsuntersuchungen eine erhebliche Beeinträchtigung insoweit mit der Begründung verneint haben, ausbeißender Geschiebemergel, der in den hier in Rede stehenden Gebieten nicht von epibenthischen Makrophyten oder Wirbellosen besiedelt sei, werde durch Block- und Steingründe ersetzt, womit im Hinblick auf die epibenthischen Makrophyten oder Wirbellosen das Angebot an aufragendem, besiedelbaren Hartsubstrat in den betroffenen Trassenabschnitten nahezu unverändert erhalten bleibe; die Verwendung von Geschiebe mit vergleichbarem Korndurchmesser stelle sicher, dass die Oberflächenstrukturen und die räumliche Verteilung von besiedelbarem Hartsubstrat nach Verfüllen des Rohrgrabens dem Ausgangszustand entsprächen, die Struktur des Lebensraumtyps 1170 daher nicht dauerhaft beeinträchtigt werde (Antragsunterlage, 1. Planänderung, Unterl. 4c, S. 55 und Unterl. 4e, S. 89; vgl. ferner Unterl. 4j, S. 44). Der Planfeststellungsbeschluss verweist zudem - im Rahmen der biotopschutzrechtlichen Beurteilung - in nachvollziehbarer Weise darauf, ausgehend von der "Anleitung für die Kartierung von marinen Biotoptypen und FFH-Lebensraumtypen in den Küstengewässern Mecklenburg-Vorpommerns" des Landesamts für Umwelt, Naturschutz und Geologie zeige sich, dass sich die Lebensgemeinschaften zwischen Mergel- und Blockgründen nicht wesentlich voneinander unterscheiden (PFB S. 143). Soweit der Antragsteller geltend macht, nach der Kartierungsanleitung sei die Art Boccardiella ligerica als kennzeichnende Tierart zwar für den Biotoptyp NON (Anstehende Mergel- und Kreideplatten der äußeren Küstengewässer der Ostsee östlich der Darßer Schwelle), nicht aber auch für die Biotoptypen NOG (Geröllgrund der äußeren Küstengewässer der Ostsee östlich der Darßer Schwelle) und NOR (Blockgrund der äußeren Küstengewässer der Ostsee östlich der Darßer Schwelle) charakteristisch, erschließt sich aus dem Antragsvorbringen nicht, dass konkret durch die hier in Rede stehenden Maßnahmen ein günstiger Erhaltungszustand dieser Art gefährdet sein könnte.

33(b) Soweit der Antragsteller bemängelt, weder der Planfeststellungsbeschluss noch die beiden FFH-Verträglichkeitsprüfungen befassten sich mit der im Erläuterungsbericht erwähnten Grabenerweiterung für die Passage einer Verlegebarke, ist damit ein Fehler bei der Ermittlung der Auswirkungen durch das Vorhaben nicht dargetan. Dieser Kritik liegt schon die Fehlvorstellung zugrunde, der Planfeststellungsbeschluss müsse sich zu jedem Detail des Erläuterungsberichts verhalten und hierauf eingehen. Dies trifft nicht zu. Die Nichterwähnung einzelner mehr oder weniger gewichtiger Einzelheiten aus den Planunterlagen oder den vorgebrachten Einwendungen lässt nicht den Schluss zu, die Planfeststellungsbehörde habe sich nicht mit den darin enthaltenen Informationen befasst und sie nicht berücksichtigt. Das gilt auch in Bezug auf die Grabenerweiterung, die ausweislich des Erläuterungsberichts nur auf einem "kurzen Abschnitt" wegen der dort anzutreffenden geringen Wassertiefe erforderlich wird. Soweit der Gutachter Dr. S. in seiner vom Antragsteller eingereichten Stellungnahme wegen des parallelen Verlaufs der OAL mit den Nord-Stream-Leitungen eine Grabenerweiterung über eine Strecke von ca. 1o km für erforderlich hält, fehlt es an jeder Darlegung, dass die Wassertiefe durchgängig derart gering ist, dass sie keine Passage der Verlegebarke ohne Grabenerweiterung zulassen würde. Der Planfeststellungsbeschluss hat die erforderlichen Ankerpunkte und die flächenmäßigen Auswirkungen der Ankerketten gesehen und berücksichtigt. Er führt aus, dass auf die Hartböden bei der Ausplanung der Ankerpositionen Rücksicht genommen werde, indem dort möglichst wenige Ankerpunkte vorgesehen seien. Durch Ankerpfähle und Ankerspuren sei mit keiner relevanten Beseitigung oder Unterpflügung von Hartsubstraten wie Steinen und Blöcken zu rechnen (PFB S. 135). Verfehlt ist auch die Auffassung des Gutachters, die Erheblichkeitsschwelle gelte nur für die Störung geschützter Arten, nicht aber für die Lebensräume und Habitate der Arten, findet weder im Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, der ohne Differenzierung auf eine erhebliche Gebietsbeeinträchtigung abstellt noch in der Rechtsprechung eine Stütze (vgl. 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 43 und vom - 9 A 12.19 - BVerwGE 170, 33 Rn. 364). Auch die Kritik an der Art und Weise der Ermittlung des temporären Funktionsverlustes führt nicht auf einen Fehler der Verträglichkeitsprüfung. Soweit der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Ausarbeitung von Dr. S. rügt, abiotische Faktoren könnten für sich genommen den LRT 1170 (Riffe) nicht einmal graduell ausmachen und dürften daher bei der Berechnung des Funktionsverlustes nicht verlustmindernd berücksichtigt werden, vermag dies nicht zu überzeugen. Die abiotischen Strukturen der Riffe werden bereits während der Bautätigkeit unmittelbar nach der Rohrverlegung wiederhergestellt (Maßnahmenblatt M 3 und vorgelegter Bauzeitenplan) und stehen daher ohne Zeitverzug mit Abschluss der Bauarbeiten über die ganze Länge des Abschnitts zur Wiederbesiedlung zur Verfügung. Dies rechtfertigt einen nur graduellen Funktionsverlust des LRT 1170 für das Jahr der Bauausführung in die Umrechnung einzustellen. Bestätigt wird diese Annahme durch die im Planfeststellungsbeschluss wiedergegebenen Ergebnisse des Nord-Stream 2-Regenerationsmonitorings. Danach sind bereits im ersten Jahr nach Abschluss der Bauarbeiten Aufwuchsorganismen an allen Riffbereichen feststellbar gewesen (PFB S. 134). Mit den Ergebnissen des Monitorings setzt sich der Gutachter nicht auseinander, sondern beschränkt sich auf einen Hinweis auf die Fachliteratur, die davon ausginge Riffe seien nur schwer bzw. bedingt regenerierbar.

34(c) Eine Vernachlässigung der Sedimentation und Trübung bei der habitatschutzrechtlichen Beurteilung des Vorhabens im Planfeststellungsbeschluss hat der Antragsteller nicht substantiiert dargelegt. Der Planfeststellungsbeschluss führt dazu unter Bezugnahme auf die Planungsunterlage zur FFH-Verträglichkeitsuntersuchung "Greifswalder Boddenrandschwelle und Teile der Pommerschen Bucht" aus, im Rahmen des umfangreichen baubegleitenden Monitorings während der Nord-Stream 2-Bauarbeiten sei zu keinem Zeitpunkt eine Überschreitung von 50 mg/l suspendiertem partikulärem Material über dem natürlichen Hintergrundwert für die Dauer von 24 Stunden in einem Abstand von 500 m beiderseits des Rohrgrabens festgestellt worden. Eine geringmächtige Überdeckung beiderseits des Rohgrabens mit Sand im Zuge der Verfüllung sei beim FFH-LRT "Riffe" nicht zu erwarten, da Grobsand und Kies nicht zu Verflüssigung neigten. Eine Sedimentation von feinkörnigem Sediment werde durch Wellengang und Strömung verhindert. Es sei somit davon auszugehen, dass durch Trübungsfahnen und Sedimentation bei der Verlegung der Pipeline nur eine lokale kurzfristige Beeinträchtigung geringer Intensität im FFH-LRT 1170 erfolgen werde, welche für benthische Wirbellose und Fische keinesfalls erheblich sei (PFB, S. 112; Antragsunterlage, 1. Planänderung, Unterl. 4c, S. 59 ff.). Diese auf den konkreten und aktuellen Erfahrungen beim Bau der Nord-Stream 2-Leitung beruhende Bewertung wird durch den Verweis in der Stellungnahme der Referentin für Meeresschutz des Antragstellers auf die allgemeine Methode zur Eingriffsbewertung nach Bernotat (2012) nicht durchgreifend erschüttert.

35(d) Soweit der Antragsteller rügt, in der FFH-Verträglichkeitsprüfung sei der kathodische Erosionsschutz nicht näher untersucht worden, der dazu führe, dass im Laufe der Jahre Aluminium freigesetzt und je nach Dicke der Substratauflage auch in die belebten Schichten diffundieren werde, hat er eine erhebliche Beeinträchtigung der Riffe nicht substantiiert dargelegt.

36(e) Der Einwand, der Planfeststellungsbeschluss habe kumulative Wirkungen nicht betrachtet, erschöpft sich in pauschalen Aussagen und es fehlt ihm - insbesondere angesichts der nur temporären Auswirkungen der Bauarbeiten - an jeder näheren Darlegung von zu betrachtenden Wirkzusammenhängen.

37b) Der Planfeststellungsbeschluss leidet nach summarischer Prüfung an keinen Mängeln der Abwägung.

38aa) Die Alternativenprüfung ist voraussichtlich nicht zu beanstanden.

39Das fachplanerische Abwägungsgebot (§ 43 Abs. 3 EnWG) verlangt, sich ernsthaft anbietende Alternativlösungen bei der Zusammenstellung des abwägungserheblichen Materials zu berücksichtigen und mit der ihnen objektiv zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Alternativen jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange einzustellen ( 7 VR 3.23 - juris Rn. 29). Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit wären nur überschritten, wenn der Behörde beim Auswahlverfahren infolge fehlerhafter Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen wäre oder sich eine andere Variante unter Berücksichtigung aller Belange eindeutig als bessere, weil öffentliche und private Belange schonendere hätte aufdrängen müssen ( 9 A 4.13 - NVwZ 2014, 1008 Rn. 117 und vom - 7 A 13.20 - BVerwGE 173, 296 Rn. 67 ff.).

40Die Alternativenprüfung weist keinen Fehler auf, insbesondere musste der Antragsgegner der im Anhörungsverfahren vorgebrachten Anregung, die bereits vorhandene Nord-Stream 2-Pipeline zu nutzen und sie zu diesem Zweck entweder freihändig zu erwerben oder zu enteignen, nicht weiter nachgehen. Der Planfeststellungsbeschluss weist zum einen auf technische Schwierigkeiten dieser Option bei der Umnutzung der mit Gas befüllten und betriebsbereiten Gasleitung hin (PFB S. 210). Vor allem trägt aber die Überlegung, dass der Umbau und die Umnutzung einer solchen im Eigentum eines Dritten stehenden Infrastruktur nicht ohne dessen Einverständnis möglich seien. Soweit der Antragsteller geltend macht, es hätte ein freihändiger Erwerb geprüft werden müssen, zeigt er damit keinen Fehler der Alternativenprüfung auf. Angesichts des von Anfang an bestehenden außergewöhnlichen Zeitdrucks bei der Planung und Realisierung des im überragenden öffentlichen Interesse stehenden Vorhabens einerseits und der Tatsache, dass sich die zu 100 % in russischer Hand befindliche Nord-Stream 2-AG seit dem Frühjahr 2023 in einem Nachlassverfahren nach Schweizer Recht befindet, andererseits, konnte der Antragsgegner abwägungsfehlerfrei den freihändigen Erwerb bereits im Rahmen der Grobprüfung ausscheiden. Entsprechendes gilt für das vom Antragsteller angeregte Enteignungsverfahren. Der Planfeststellungsbeschluss weist darauf hin, dass § 23a EnSiG keine Rechtsgrundlage für die Enteignung einer bereits bestehenden Gasversorgungsleitung biete (PFB S. 256). Dies steht mit dem Wortlaut des § 23a Abs. 1 Nr. 1 EnSiG ("die Enteignung von beweglichen Sachen, die für die Errichtung von Erdgasleitungen erforderlich sind") und der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/4328 S. 16 f.) in Einklang, wonach die neugeschaffene Norm dazu dient, den Zugriff auf nicht verbautes Material und Komponenten, die zur Herstellung von LNG-Infrastruktur Verwendung finden können, zu sichern. Die von dem Gutachter Dr. S. vorgeschlagene Alternative einer nach Westen versetzten Leitung musste sich der Planfeststellungsbehörde schon deswegen nicht aufdrängen, weil sie - wie aus der vom Gutachter eingereichten Zeichnung hervorgeht - eine mehrere Kilometer lange Aufschüttung unter Wasser erforderlich gemacht hätte. Dass ein solches Vorhaben zeitlich realisierbar und hinsichtlich der Eingriffsintensität vorzugswürdig gewesen wäre, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.

41bb) Der Planfeststellungsbeschluss hat schließlich die Belange des Klimaschutzes hinreichend gewürdigt.

42Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 des Bundes-Klimaschutzgesetzes - KSG vom (BGBl. I S. 2513), zuletzt geändert durch Gesetz vom (BGBl. I S. 3905) haben die Träger öffentlicher Aufgaben bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck dieses Gesetzes und die zu seiner Erfüllung festgelegten Ziele zu berücksichtigen. Dies betrifft den in § 1 KSG niedergelegten Zweck des Gesetzes und insbesondere die Auswirkungen des Vorhabens auf die nationalen Klimaschutzziele, die in § 3 Abs. 1 KSG näher definiert werden. Der Behörde kommt insoweit eine Pflicht zu, die zu erwartende Menge an Treibhausgasen, welche aufgrund des Projekts emittiert werden, zu ermitteln; nur bei unverhältnismäßigem Ermittlungsaufwand kommt eine Schätzung in Betracht (vgl. 7 VR 3.23 - juris Rn. 39; Fellenberg, in: Fellenberg/Guckelberger, Klimaschutzrecht, 1. Aufl. 2022, § 13 KSG Rn. 23 f.).

43Vor diesem Hintergrund ist die Abwägungsentscheidung des Antragsgegners insoweit voraussichtlich nicht zu beanstanden. Eines eigenständigen Klimaschutzfachbeitrags bedurfte es nicht. Die vom Antragsteller für ein solches Erfordernis angeführten staatlichen Handreichungen und Leitfäden zur Straßenbauplanung sind hier schon sachlich nicht einschlägig. Weshalb aus dem sektorübergreifend im Sinne einer Gesamtbilanz zu verstehenden (vgl. 9 A 7.21 - BVerwGE 175, 312 Rn. 83) Berücksichtigungsgebot des § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG ein - so der Antragsteller weiter - "Erfordernis einer Darstellung der (Nicht-)Betroffenheit jedes einzelnen Sektors, vorliegend Energiewirtschaft und Industrie, mit Begründung und Bewertung im Sinne einer Vorprüfung" folgen soll, erschließt sich nicht.

44Der Antragsgegner hat in die Betrachtung einbezogen, dass das Vorhaben in der Bauphase eine emissionserhöhende Wirkung hat und damit kurzfristig nicht zum Klimaschutz beiträgt, sondern diesem vielmehr entgegenwirkt. Eine Quantifizierung der baubedingten Emissionen wurde ausgehend von den Berechnungen im Rahmen der Planung des Nord-Stream 2-Projektes vorgenommen. Danach legt der Antragsgegner baubedingte Emissionen von schätzungsweise 24 000 t CO2 und 1 000 t CO2 bei der Inbetriebnahme zugrunde und stellt diese in die Abwägung ein (PFB S. 226). Dass diese Quantifizierung fehlerhaft ist, ist nicht substantiiert vorgetragen. Der Erläuterungsbericht nimmt vielmehr nachvollziehbar signifikant tiefere Emissionen gegenüber der Nord-Stream 2-Planung an, weil es sich vorliegend jedenfalls nicht um zwei 1 200 km lange Pipelines handelt. Der Planfeststellungsbeschluss geht schließlich vertretbar davon aus, dass diese baubedingten Emissionen im Verhältnis zu den zulässigen Jahresemissionsmengen des § 4 KSG i. V. m. Anlage 2 zu § 4 KSG kaum ins Gewicht fallen.

45Schließlich war es zulässig, zu beachten, dass das Vorhaben entsprechend der gesetzgeberischen Vorstellung (vgl. BT-Drs. 20/1742 S. 16) geeignet ist, in Zukunft auch Wasserstoff zu transportieren, der nach gegenwärtigem Kenntnisstand ein wichtiger Baustein der angestrebten Klimaneutralität sein wird.

46Mit der Ablehnung der Aussetzungsanträge erledigen sich die weiteren Anträge auf Erlass einer Zwischenverfügung.

47Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:150923B7VR6.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-59491