BAG Urteil v. - 2 AZR 275/22

Instanzenzug: Az: 10 Ca 1475/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 13 Sa 363/21 Urteil

Tatbestand

1Unter Bezugnahme auf die Leitentscheidung des Senats vom (- 2 AZR 150/22 -) wird entsprechend § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestands abgesehen. Das vorliegende Verfahren betrifft zusätzlich eine vom Kläger gegen die Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 2. geltend gemachte Sektorzulage für die Monate November und Dezember 2020.

Gründe

2Die Revisionen der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. betreffend die Kündigungsschutzanträge des Klägers sind begründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufungen des Klägers die diesbezüglichen erstinstanzlichen Entscheidungen zu Unrecht abgeändert und den Klagen insoweit stattgegeben. Die Kündigungen beider Beklagten sind vielmehr wirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, sie seien mangels Bestimmtheit unwirksam, erweist sich als rechtsfehlerhaft, weshalb das Berufungsurteil insoweit aufzuheben ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer hierauf gestützten Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bedarf es indes nicht, da der Senat aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen im Zusammenhang mit der Frage eines Betriebsübergangs selbst in der Sache entscheiden kann (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ferner erweist sich die Revision der Beklagten zu 2. hinsichtlich ihrer Verurteilung zur Zahlung einer Sektorzulage für die Monate November und Dezember 2020 als begründet. Im Übrigen ist die Revision der Beklagten zu 1. unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die erstinstanzliche Entscheidung auf Antrag des Klägers teilweise abgeändert und die Beklagte zu 1. zur Zahlung der Sektorzulage für die Monate November und Dezember 2020 an ihn verurteilt.

3I. Die deutschen Gerichte sind international zuständig (vgl.  - Rn. 19 f.).

4II. Auf die Arbeitsverhältnisse des Klägers mit beiden Beklagten fand deutsches Recht Anwendung (vgl.  - Rn. 21 ff.).

5III. Die Kündigung der Beklagten zu 1. vom ist wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des beendet.

61. Die Kündigungserklärung ist entgegen der Ansicht des Klägers und des Berufungsgerichts nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl.  - Rn. 25 ff.).

72. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG. Die Beklagte zu 1. hat ihren Flugbetrieb in Deutschland stillgelegt.

8a) Der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eröffnet. Die Beklagte zu 1. hat einen Luftverkehrsbetrieb iSv. § 24 Abs. 2 KSchG im Inland unterhalten, in dem mehr als zehn Arbeitnehmer iSv. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt wurden. Der Begriff des Luftverkehrsbetriebs im Inland ist dabei nicht allein auf den Standort der Beklagten zu 1. in Düsseldorf zu beziehen. Auch deren in Stuttgart stationierte Flugzeuge sind in den Blick zu nehmen. Erst die Gesamtheit dieser Luftfahrzeuge bildete den Luftverkehrsbetrieb der Beklagten zu 1. im Inland (vgl.  - Rn. 32 ff.).

9b) Für die Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist es ohne Bedeutung, dass der Kläger mit der Beklagten zu 1. in seinem Arbeitsvertrag vom Juni 2019 ursprünglich die Geltung österreichischen Rechts vereinbart hatte (vgl.  - Rn. 38).

10c) Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht sozial ungerechtfertigt. Es liegen dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG vor. Die Beklagte zu 1. hat ihren Luftverkehrsbetrieb in Deutschland - auch unter Berücksichtigung der am Flughafen Stuttgart stationierten Flugzeuge - vollständig stillgelegt, wobei die Stilllegung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hatte (vgl.  - Rn. 39 ff.).

11d) Das Berufungsgericht hat ohne revisiblen Fehler festgestellt, dass kein einer Betriebsstilllegung entgegenstehender (vgl.  - Rn. 91, BAGE 170, 244) Betriebs(teil)übergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. vorliegt. Dementsprechend scheidet auch eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB aus (vgl.  - Rn. 45 ff.).

12e) Es bestand keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auf einem anderen freien Arbeitsplatz (vgl.  - Rn. 54 ff.).

133. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht wegen einer formal oder inhaltlich fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 KSchG iVm. § 134 BGB nichtig. Dabei kann offenbleiben, ob Verstöße im Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 KSchG überhaupt zur Nichtigkeit einer Kündigung führen können (vgl.  - Rn. 58 ff.).

14IV. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist ebenfalls wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des beendet.

151. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl.  - Rn. 74).

162. Sie bedurfte keiner sozialen Rechtfertigung, weil der Kläger noch nicht die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 Abs. 1 KSchG absolviert hat (vgl.  - Rn. 76 ff.).

173. Die Kündigung der Beklagten zu 2. erweist sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB oder einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG als unwirksam oder nichtig (vgl.  - Rn. 86).

18V. Der gegen die Beklagte zu 2. gerichtete Weiterbeschäftigungsantrag ist ein unechter Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag und fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (vgl.  - Rn. 45).

19VI. Die die Sektorzulage betreffende Revision der Beklagten zu 1. ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger stehen die ihm vom Landesarbeitsgericht für die Monate November und Dezember 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zuerkannten Ansprüche auf Zahlung der Sektorzulage iHv. 704,78 Euro brutto bzw. 850,80 Euro brutto abzüglich bereits gezahlter 203,11 Euro netto jeweils zzgl. Zinsen zu.

201. Die Zahlungsanträge sind zulässig, da es sich hierbei in der Berufungsinstanz um Hauptanträge gehandelt hat, nachdem der Kläger diesbezüglich die Bedingung aufgegeben hat und zu einer unbedingten Antragstellung übergegangen ist. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Voraussetzungen des § 533 ZPO lägen vor, ist im Revisionsverfahren in entsprechender Anwendung des § 268 ZPO nicht mehr zu überprüfen (vgl.  - Rn. 23, BAGE 161, 198).

212. Die Anträge sind auch begründet. Der Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten zu 1. ergibt sich aus § 611a Abs. 2, § 615 Satz 1 BGB.

22a) Die Beklagte zu 1. befand sich aufgrund des Schreibens vom und der damit verbundenen Entbindung des Klägers von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung in Annahmeverzug. Aufgrund dieses Schreibens bedurfte es auch keines Angebots der Arbeitsleistung, da offensichtlich war, dass die Beklagte zu 1. ein solches nicht annehmen würde (vgl.  - Rn. 41). Der von der Beklagten zu 1. hervorgehobene fehlende Beschäftigungsbedarf für den Kläger ändert nichts an ihrer Vergütungspflicht während des Laufs der Kündigungsfrist. Ebenso ist es entgegen der Ansicht der Beklagten zu 1. nicht maßgeblich, dass die Freistellung „einvernehmlich“ erfolgt sei. Dies besagt für sich genommen nichts über die Vergütungspflicht für die Dauer der Freistellung. Die Annahme des Berufungsgerichts, für einen Ausschluss von Ansprüchen gemäß § 615 Satz 1 BGB fehle es an einer eindeutigen und klaren Vereinbarung (vgl.  - Rn. 22, BAGE 130, 331), ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

23b) Das fortzuzahlende Entgelt ist nach dem Lohnausfallprinzip zu bemessen (vgl.  - zu B I 1 e der Gründe, BAGE 103, 265). Mangelt es bei schwankender Vergütung an Vereinbarungen oder anderen festen Anhaltspunkten für die Frage des mutmaßlich erzielten Entgelts, ist gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen. Dabei kann die vom Arbeitnehmer bis zum Eintritt des Annahmeverzugs erzielte Vergütung einen Anhaltspunkt liefern (vgl.  - zu II 1 c aa der Gründe). Hinsichtlich der als Schätzung iSv. § 287 Abs. 2 ZPO zu verstehenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Annahmeverzugsanspruchs des Klägers, sind weder revisionsrechtlich erhebliche Fehler zu erkennen noch werden solche von der Beklagten zu 1. aufgezeigt.

24VII. Die Revision der Beklagten zu 2. betreffend ihre Verurteilung zur Zahlung der Sektorzulage für die Monate November und Dezember 2020 ist begründet. Dem Kläger steht ihr gegenüber kein Anspruch auf diese Zahlung zu.

251. Soweit er seinen Anspruch auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. stützt, liegt ein solcher nicht vor (vgl. oben Rn. 11).

262. Der Kläger kann auch nicht hilfsweise den Anspruch aus einem originär mit der Beklagten zu 2. bestehenden Arbeitsverhältnis ableiten. Mangels Angebots des Klägers zur Arbeitsleistung befand sich diese nicht in Annahmeverzug.

27a) Nach § 293 BGB kommt der Arbeitgeber in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung grundsätzlich tatsächlich anbieten, § 294 BGB. Ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers genügt, wenn der Arbeitgeber ihm zuvor erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder er sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen. Darüber hinaus kann ein Angebot der Arbeitsleistung ausnahmsweise nicht erforderlich sein, wenn offenkundig ist, dass der Gläubiger auf seiner Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharrt (vgl.  - Rn. 16).

28b) In Anwendung der vorbezeichneten Grundsätze war es dem Kläger vorliegend zumutbar, seine Arbeitsleistung gegenüber der Beklagten zu 2. zumindest wörtlich anzubieten, was er nicht getan hat. Ein solches Angebot würde entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht nur eine bloße Förmelei darstellen. Die Beklagte zu 2. hat den Kläger - anders als die Beklagte zu 1. - nicht von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Darüber hinaus ging auch der Kläger ausweislich seines vorinstanzlichen Vortrags davon aus, dass bei der Beklagten zu 2. zumindest ab Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland bestanden hätten, die für ihn aufgrund einer Versetzungsklausel in Betracht gekommen wären.

29VIII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO iVm. den Grundsätzen der sog. Baumbach’schen Kostenformel. Die Kostenentscheidung des Landesarbeitsgerichts kann nach § 308 Abs. 2 ZPO durch den Senat auch ohne entsprechende Anträge der Parteien abgeändert werden (vgl.  - zu VII der Gründe, BAGE 26, 320; MüKoZPO/Musielak 6. Aufl. § 308 Rn. 29).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:141223.U.2AZR275.22.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-59326